Landessozialgericht Hessen 15.04.2009, L 5 R 347/08

  • Aktenzeichen: L 5 R 347/08
  • Spruchkörper: 5. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 R 340/07
  • Instanzgericht: Sozialgericht Marburg
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 15.04.2009

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anrechnung der Verletztenrente des Klägers aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine von der Beklagten gewährten Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Der 1944 geborene Kläger erlitt im Jahr 1969 einen Arbeitsunfall, bei dem er sein linkes Augenlicht verlor. Seit dem 1. Januar 1970 bezieht er deshalb eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Auf Antrag des Klägers vom 27. März 2007 erhielt der Kläger ab 1. Juni 2007 Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Laut Rentenbescheid vom 27. April 2007 betrug diese 997,36 EUR pro Monat. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und wendete sich gegen die Anrechnung seiner Unfallrente. Er bekomme insgesamt nur 1.272,00 EUR und falle deshalb unter die Sozialhilfebedürftigkeitsgrenze.

Mit Rentenbescheid vom 11. Juli 2007 nahm die Beklagte eine Nachberechnung vor und gewährte ab 1. Juli 2007 netto 1.016,19 EUR (1.129,73 EUR brutto). In der Anlage 7 berechnete die Beklagte unter Zugrundelegung des § 93 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) die Altersrente mit 1.280,85 EUR. Durch das Zusammentreffen mit der Unfallrente in Höhe von 275,49 EUR kämen zur Auszahlung netto 1.016,19 EUR. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht und vertrat die Ansicht, dass eine Anrechnung der Unfallrente unsozial sei, da die Empfänger einer Opferrente - die Verfolgten des SED-Regimes - keine Anrechnung hinnehmen müssten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, dass die Berechnung nach § 93 Abs. 1 SGB VI erfolgt und rechtens sei.

Am 4. Dezember 2007 erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Marburg und trug vor, aufgrund der Anrechnungsvorschriften sei seine Altersrente um 157,98 EUR gekürzt worden. Damit falle er mit seiner Ehegattin unter die Bedürftigkeitsgrenze. Er sei im Voraus nicht über diese Sachlage informiert gewesen. Es liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor. Die Berechnung als solche wurde von ihm nicht angefochten.

Mit Urteil vom 23. September 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die Anrechnung der Verletztenrente aus der Unfallversicherung auf die Altersrente zwingend vorgeschrieben sei. Dies ergebe sich aus § 93 Abs. 1 SGB VI. Die Anrechnung einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung habe es seit je her, d.h. seit Einführung der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung in Deutschland gegeben. Regelungen wegen möglicher Überschneidungen der zum selben Zweck gezahlten Leistungen bestünden seit der Einführung der Rentenversicherung durch das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 (Reichsgesetzblatt Seite 97). Die vorgeschriebene Anrechnung von Unfallrenten auf Altersrenten sei in den vergangenen 120 Jahren seit Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung durch alle Rentenreformen und Rentenänderungen beibehalten worden. Der Grundgedanke der Ruhensregelung bestehe darin, dass der Versicherte und Rentenbezieher durch gleichzeitigen Bezug von Unfall- und Rentenversicherungsrente kein wesentlich höheres Nettoeinkommen erzielen sollen, als der vergleichbare gesunde Versicherte durch Arbeit erzielte. Die Begrenzung der Rentenansprüche sei mit Rücksicht auf die Lohnersatzfunktion der Rente aus beiden Versicherungszweigen mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieser Zielsetzung wolle § 93 SGB VI dadurch gerecht werden, dass entsprechend den gestiegenen Belastungen der Arbeitnehmer mit Steuern und Sozialabgaben der bisherige Höchstbetrag von 80 % bzw. 95 % des Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Unfallrente früher einmal zugrunde lag, nunmehr auf 70 % dieses Wertes begrenzt werde.

Gegen das am 23. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. November 2008 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, dass die Anrechnung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoße. Bei politischen Häftlingen gebe es die Anrechnung nicht. Der Verlust seines Augenlichtes würde damit minder bewertet als die Verbüßung eines sechsmonatigen Freiheitsentzuges.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 23. September 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 27. April 2007 und 11. Juli 2007, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2007 zu verurteilen, die Altersrente ungekürzt ohne Anrechnung der Unfallrente zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 4. März 2009 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten von der in § 153 Abs. 4 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und zur Beschleunigung des Verfahrens durch Beschluss entschieden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 143, 144 und 151 Abs. 1 SGG).

Die Berufung des Klägers ist jedoch sachlich unbegründet. Das Sozialgericht Marburg hat zu Recht mit Urteil vom 23. September 2008 die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide vom 27. April 2007 und 11. Juli 2007, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2007, sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung seiner Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Anrechnung seiner Verletztenrente aus der Unfallversicherung. Die Beklagte hat zu Recht eine Anrechnung der Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die gewährte Altersrente gem. § 93 Sozialgesetzbuch - 6. Buch (SGB VI) vorgenommen.

Die Vorschrift des § 93 SGB VI regelt das Zusammentreffen von Renten aus der Rentenversicherung und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Gemäß § 93 Abs. 1 SGB VI wird die Altersrente nicht geleistet, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf Rente aus eigener Versicherung und auf Verletztenrente aus der Altersversicherung bestehen (vgl. § 93 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI), und zwar insoweit, als die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. § 93 SGB VI regelt die "Nichtleistung" der Rente aus der Rentenversicherung, wenn diese Rente zeitgleich mit gleichartigen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusammentrifft. Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Verletztenrente aus der Unfallversicherung sind ihren Strukturen nach beides Lohnersatzleistungen, auch wenn letztere Rente nicht vom Nachweis einer konkreten unfallbedingten Vermögenseinbuße abhängt. Die Verletztenrente hat, wenngleich der Wert dieses Rechtes nach dem Prinzip der abstrakten Schadensberechnung ermittelt wird, Einkommensersatzfunktion. Die Verletztenrente soll dasjenige Niveau an Einkommen aufrechterhalten, das der Versicherte bei Eintritt des Arbeitsunfalls aus jeweils in der Unfallversicherung versicherter abhängiger Beschäftigung hatte. Auch die Altersrente aus der Rentenversicherung hat im weitesten Sinne Einkommensersatzfunktion. Sie wird im Falle der Erwerbsminderung oder infolge eines bestimmten Alters, hier infolge des 60. Lebensjahres und der Eigenschaft als Schwerbehinderter, gezahlt. Damit dient § 93 SGB VI der Verhinderung einer Doppelversorgung durch diese funktionsgleichen Leistungen aus verschiedenen Versorgungssystemen der Rentenversicherung und der Unfallversicherung in der Weise, dass eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit nicht geleistet wird, als bereits eine Verletztenrente aus der Unfallversicherung zur Auszahlung kommt. Eine solche Begrenzung der Leistung ist auch verfassungsgemäß (vgl. Kasseler Kommentar – Gürtner, SGB VI, § 93 Rdnr. 4).

§ 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VI stellt in Gestalt der Mindestgrenzbetragsregelung sicher, dass dem Rentner beim Zusammentreffen seiner Rente aus der Rentenversicherung mit einer Verletztenrente (zusätzlich zum Freibetrag des § 93 Abs. 2 SGB VI zum Ausgleich für "immaterielle Schäden") stets im Gesamtergebnis mindestens der Betrag seiner Rente aus der Rentenversicherung verbleibt. Die Anrechnungsregel genügt auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn sie wahrt seit Inkrafttreten des § 93 Abs. 2 SGB VI sämtliche mit der Verletztenrente verfolgten Zwecke. Im Wege der Freibetragsregelung (§ 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) verbleibt dem Versicherten mindestens derjenige Betrag der Verletztenrente, der zum Ausgleich seiner "immateriellen Schäden" dient, d.h., der mit dem Blick auf Einbußen an körperlicher und geistiger Integrität sowie auf seelische Begleiterscheinung und Schmerzen gewährt wird (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1998 – B 4 RA 49/96 R). Könnte der Versicherte aus beiden Versicherungszweigen uneingeschränkte Zahlungen verlangen, erhielte er mehr, als er durch die Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit oder aufgrund des Alters an Einkommen verloren hätte. Sachgerecht ist die Regelung des § 93 SGB VI auch insoweit, als der Ausschluss der Leistungskumulation aufgrund der größeren Nähe des Trägers der Unfallversicherung zum Eintritt des Versicherungsfalles dem Träger der Rentenversicherung zu Gute kommt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 1990 – 4 RA 50/89). D.h., beide Renten konnten miteinander verrechnet werden. Die Beklagte hat dies ordnungsgemäß mit dem Rentenbescheid vom 11. Juli 2007 in der Anlage 7 vorgenommen. Insoweit ist bei der Berechnung des Zusammentreffens der Leistungen aus Rentenversicherung und Unfallversicherung und des damit ermittelten Grenzbetrages kein Fehler unterlaufen. Dies ist zwischen den Beteiligen auch unstreitig.

Auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch § 93 SGB VI ist für den Senat nicht erkennbar. § 93 SGB VI verstößt nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz gebietet nämlich, dass wesentlich Gleiches nicht ohne sachlichen Grund ungleich und wesentliches Ungleiche nicht ohne sachlichen Grund gleich behandelt wird (vgl. BVerfGE 1, 264, 275; 4, 144, 155; 9, 124, 129; 196, 81, 87). Im vorliegenden Fall verkennt der Kläger, dass zwei verschiedene Sachverhalte gegeben sind, die vom Gesetzgeber auch unterschiedlich behandelt werden konnten. Damit liegt objektiv keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor. Die ungleichen Sachverhalte dürfen verschieden behandelt werden. Die Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR (Drittes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 21. August 2007 - Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 2118) erhalten eine Entschädigung, wenn sie Verfolgte des SED-Regimes waren und bedürftig sind. Es handelt sich hierbei um einen Ersatz für erlittenes Unrecht und nicht um eine Rente im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. der Unfallversicherung, die – wie oben ausgeführt – eine Lohnersatzfunktion im Alter und bei Erwerbsminderung hat.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen und auf diese verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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