Landessozialgericht Hessen 16.12.2011, L 5 R 32/10
- Aktenzeichen: L 5 R 32/10
- Spruchkörper: 5. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 6 KN 711/03
- Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 16.12.2011
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) mit einem Rentenbeginn ab dem 1. April 2003 ohne Rentenabschlag.
Der 1942 geborene Kläger absolvierte in den Jahren von 1958 bis 1961 eine kaufmännische Lehre und war zunächst vom 1. April 1961 bis 30. September 1964 bei der XY. GmbH B-Stadt als kaufmännischer Angestellter in der Buchhaltung beschäftigt. Ab dem 1. Oktober 1964 arbeitete er bei der Steinkohlebergwerke ZZ. AG, B-Stadt, Schachtanlagen QQ., als kaufmännischer Angestellter und gleichzeitig als Sachbearbeiter in den Wirtschaftsbetrieben (bis 31. Dezember 1965) sowie später als Sachbearbeiter für Angelegenheiten der Wohnheime, Kantinen, Sportheime und Hotelrestaurants (bis 31. Dezember 1966). Vom 1. Januar 1967 bis 30. November 1969 übte der Kläger diese Tätigkeit sodann für die Steinkohlebergwerke ZZ. AG 3/4 aus. Im Anschluss daran war er bei der WW. AG - Altgesellschaft ZZ. (1. Dezember 1969 bis 30. April 1970), bei der EE. Wohnungsbaugesellschaft RR. mbh (1. Mai 1970 bis 30. März 1971) und bei der EE. AG GF. (1. April 1971 bis 30. September 1974) beschäftigt. Danach arbeitete der Kläger ohne jegliche Unterbrechungen für verschiedene Firmen, bevor er am 30. Juni 1997 aus dem Erwerbsleben ausschied. Seitdem war der Kläger durchgängig arbeitslos und arbeitsuchend gemeldet.
Am 31. Dezember 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Dabei bestimmte er, dass seine Rente am 1. April 2003 beginnen sollte. Im Verlauf des Rentenverfahrens teilte er der Beklagten telefonisch mit, eine Altersrente ohne Rentenabschlag zu begehren. Die Gewährung einer Altersrente mit Rentenabschlag mache er nicht geltend.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab, weil die Voraussetzungen für die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht vorlägen. Das Ausscheiden aus der Montanindustrie führe nicht automatisch zu einem Vertrauensschutz. Vielmehr müsse die Genehmigung der Maßnahme in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung dieser Vertrauensschutzregelung stehen.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21. Februar 2003 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2003 zurückwies.
Am 9. April 2003 erhob der Kläger bei dem Sozialgericht Gießen Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug, im Jahr 1969 bzw. 1974 aus einem Betrieb der Montanunion ausgeschieden zu sein. Die Beklagte lege die Vorschrift des § 237 SGB VI fehlerhaft aus.
Mit Rentenbescheid vom 28. Januar 2004 wurde dem Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, beginnend am 1. März 2004, in Höhe von monatlich 1.500,65 EUR als Vorschuss gewährt. Aus der Anlage 6 zu diesem Bescheid geht hervor, dass die Beklagte dabei den Zugangsfaktor von 1,0 wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 38 Kalendermonate um 0,114 (38 x 0,003) auf 0,886 gemindert hat. Mit Bescheid vom 9. Februar 2004 stellte die Beklagte die Rente des Klägers endgültig fest, ohne dass dabei Änderungen gegenüber dem Bescheid vom 28. Januar 2004 eintraten.
Durch Urteil vom 30. November 2004 wies das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid vom 19. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2003 ab. Dem Kläger stehe die von ihm begehrte Altersrente mit einem Rentenbeginn zum 1. April 2003 ohne Rentenabschlag nicht zu. Er sei zwar unstreitig im Rahmen einer Maßnahme nach Artikel 56 § 2 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V) aus einem Betrieb ausgeschieden und diese Maßnahme sei auch bereits vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden. Gleichwohl könne die Maßnahme nicht zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI dienen, weil ihre Genehmigung nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung dieser Vertrauensschutzregelung stehen würde.
Nachdem ihm das Urteil am 23. Dezember 2004 zugestellt worden war, hat der Kläger am 12. Januar 2005 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt, mit der er sein Rentenbegehren weiterverfolgt. Er sieht sich durch das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. August 2009 (Az.: B 13 R 107/08 R) in seiner Rechtsauffassung bestätigt. Die Behauptung der Beklagten, er habe ausschließlich bei Rechtsnachfolgern seines früheren Arbeitgebers gearbeitet, sei unzutreffend. Bei sämtlichen späteren Arbeitgebern habe es sich um eigenständige Gesellschaften gehandelt, die insbesondere in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht nicht mit dem stillgelegten Betrieb der Steinkohlebergwerke ZZ. AG, B-Stadt, Schachtanlagen QQ., vermengt werden dürften. Abgesehen davon verliere ein Mitarbeiter, der einmal durch ein vollzogenes Ausscheiden aus einem Betrieb der Montanindustrie in den Schutzbereich der in Rede stehenden Rentenregelung einbezogen worden sei, diesen Schutz nicht mehr. Das gelte selbst dann, wenn er anschließend in einem Auffangbetrieb beschäftigt werde.
Zur Stütze seines Rentenbegehrens legt der Kläger unter anderem eine Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit - Arbeitsamt B-Stadt - vom 20. Februar 2003 vor, wonach eine Maßnahme im Sinne des Artikel 56 § 2 EGKS-V für die Stilllegung des Betriebes Steinkohlebergwerke ZZ. AG, B-Stadt, Schachtanlagen QQ., mit einer Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMA) vom 21. Dezember 1966 vorgelegen hat. Die Maßnahme wurde unter dem Anpassungsfall Nr. xxx geführt. Federführend war seinerzeit das Arbeitsamt B-Stadt. Die Stilllegungsmaßnahme begann ab 1. April 1966.
In dem Erörterungstermin am 20. April 2005 haben beide Beteiligte übereinstimmend erklärt, dass der Vorschussbescheid der Beklagten vom 28. Januar 2004 und der endgültige Bescheid vom 9. Februar 2004 gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. November 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2003 in der Fassung des Rentenbescheides vom 28. Januar 2004 und des Bescheides vom 9. Februar 2004 zu verurteilen, ihm Altersrente wegen Arbeitslosigkeit beginnend ab dem 1. April 2003 ohne Rentenabschlag zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft zunächst ihre Auffassung, wonach die Anwendung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI voraussetze, dass die Genehmigung der dort beschriebenen Maßnahme in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung der Vertrauensschutzregelung stehen müsse. Auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. August 2009 (Az.: B 13 R 107/08 R) halte sie daran fest, dass nicht jede Maßnahme nach dem Montanunionvertrag, die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden sei, zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI führe. Eine erneute Prüfung der Angelegenheit habe ergeben, dass der Kläger durch die von der Bundesanstalt für Arbeit - Arbeitsamt B-Stadt - bescheinigte Maßnahme nicht betroffen gewesen sei. Stattdessen sei er vom 1. Oktober 1964 bis zu seinem Ausscheiden aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 1997 bei den Steinkohlebergwerken ZZ. AG und deren Rechtsnachfolgern durchgehend beschäftigt gewesen. Durch Fusion unterschiedlicher Firmen der Montanindustrie habe sich lediglich der Name seines Arbeitgebers geändert. Die Maßnahme sei daher nicht kausal für den Arbeitsplatzverlust des Klägers und sein dadurch bedingtes Ausscheiden gewesen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.