Die volle Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 2 SGB VI

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ist für Versicherte der Gesetzlichen Rentenversicherung in § 43 Abs. 2 SGB VI geregelt. Danach haben Versicherte dann einen Anspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze, wenn

  • eine volle Erwerbsminderung vorliegt,
  • in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen und
  • vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt wird.

Begriff der vollen Erwerbsminderung

Eine volle Erwerbsminderung liegt bei Versicherten dann vor, wenn diese wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Krankheit und Behinderung

Eine Krankheit im Sinne des § 43 SGB VI ist jeder regelwidrige Körper-, Geistes- oder Seelenzustand, der die Erwerbsminderung herbeiführen kann. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wodurch die Krankheit entstanden ist.

Eine Behinderung ist hingegen jeder Körper- und Geisteszustand, der von der Regel abweicht und in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, dass dieser beseitigt werden kann.

Eine klare Abgrenzung einer Krankheit zu einer Behinderung ist unmöglich.

Eine zum Beispiel fehlende Wettbewerbsfähigkeit oder ein bestimmtes Lebensalter können noch keinen Erwerbsminderungsrentenanspruch herbeiführen. Da es sich bei diesen Punkten um keine Krankheit oder Behinderung handelt, schließt der Gesetzgeber mit der expliziten Nennung dieser beiden Begriffe jede andere Ursache einer Erwerbsminderung aus.

Erwerbstätigkeit

Nach der laufenden Rechtsprechung ist eine Erwerbstätigkeit eine Verrichtung von Arbeit, die auf Gewinn abzielt. Sinn und Zweck der Arbeit muss sein, durch Arbeitsentgelt den Lebensunterhalt zu bestreiten. Daher kann eine Tätigkeit als Hausfrau nicht als Erwerbstätigkeit im Sinne einer Erwerbsminderungsrente angesehen werden.

Erwerbsminderung sechs Monate

Um einen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente realisieren zu können, muss die Erwerbsminderung auf nicht absehbare Zeit vorliegen. Damit wird klargestellt, dass nur eine vorübergehende Erwerbsminderung keinen Rentenanspruch zur Folge hat.

Damit eine Erwerbsminderung auf nicht absehbare Zeit vorliegt, muss diese über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ununterbrochen bestehen. Beträgt der Zeitraum weniger als sechs Monate, ist von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen, die in den Zuständigkeits- bzw. Leistungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung fällt, und entsprechend Krankengeld – bei Vorliegen dieser Voraussetzungen – gewährt wird.

Übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes

Die Voraussetzungen, dass der Versicherte mehr als sechs Stunden täglich „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes“ tätig sein kann, zeigt, dass hier der Arbeitsmarkt nicht abstrakt gesehen wird. Daher muss der Rentenversicherungsträger auf Tätigkeiten abstellen, für die es auch tatsächlich einen Arbeitsmarkt gibt.

Versicherungsrechtliche Voraussetzungen

Ein Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente fordert die Erfüllung von versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Hierzu muss die

  • allgemeine Wartezeit und die
  • besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen

erfüllt werden.

Allgemeine Wartezeit

Die allgemeine Wartezeit beträgt 60 Kalendermonate bzw. fünf Jahre, vgl. § 50 Abs. 1 SGB VI.

Besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen

§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI definiert die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Diese sind erfüllt, wenn innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen.

Um die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu prüfen, wird ein Fünfjahreszeitraum festgelegt. Der Fünfjahreszeitraum beginnt mit dem Monat, in dem die Erwerbsminderung eingetreten ist, plus weitere 60 Kalendermonate. Dadurch, dass nach § 26 SGB X der Monat des Eintritts der Erwerbsminderung zu berücksichtigen ist, umfasst der geforderte Fünfjahreszeitraum insgesamt 61 Kalendermonate. In diesem Zeitraum müssen dann 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorliegen. § 122 SGB VI bestimmt, dass auch ein Teilmonat als volles Monat anzusetzen ist.

Nach § 55 SGB VI zählen alle Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach Bundesrecht gezahlt wurden, als Pflichtbeitragszeiten. Ebenso zählen zu den Pflichtbeitragszeiten die Zeiten, in denen Pflichtbeiträge als gezahlt gelten.

Neben den Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit fallen unter Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten mit:

  • Pflichtbeiträgen, die aus den in § 3 und § 4 SGB VI aufgezählten Gründen gezahlt wurden (oder als gezahlt gelten),
  • Freiwillig gezahlten Rentenversicherungsbeiträgen, die als Pflichtbeiträge gelten, und
  • Beiträge, die für Anrechnungszeiten gezahlt wurden und ein Leistungsträger sich daran beteiligt hat.

Höhe der Rente

Der Rentenartfaktor für die Rente wegen voller Erwerbsminderung beträgt 1,0 (vgl. § 67 Nr. 3 SGB VI). Das bedeutet, dass es sich hier um eine Rente handelt, die den vollen Entgeltausfall aufgrund der Erwerbsminderung ersetzen soll.

Verbesserungen durch RV-Leistungsverbesserungsgesetz

Zum 01.07.2014 hat der Gesetzgeber mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz Verbesserungen bei der Berechnung von Erwerbsminderungsrenten umgesetzt. Bisher – also bis Juni 2014 – wurden Erwerbsminderungsrentner so gestellt, als hätten sie bis zum vollendeten 60. Lebensjahr gearbeitet. Dies wurde mit einer Zurechnungszeit erreicht, welche bis zu diesem Lebensalter auch bewertet wurde. Ab Juli 2014 wird die Zurechnungszeit um zwei Jahre verlängert, d. h. es wird eine Zurechnungszeit bis zum vollendeten 62. Lebensjahr bei der Berechnung der Rentenhöhe berücksichtigt. Mit dieser Neuregelung reagiert der Gesetzgeber auf den Umstand, dass auch die Regelaltersgrenze vom vollendeten 65. Lebensjahr auf das vollendete 67. Lebensjahr angehoben und damit um zwei Jahre hinausgeschoben wird. Ein Absinken des Niveaus der Erwerbsminderungsrenten im Vergleich zu den Altersrenten wird damit vermieden. Durch die verlängerte Zurechnungszeit bis zum vollendeten 62. Lebensjahr erhalten vorzeitig Erwerbsgeminderte eine im Durchschnitt etwa 40 Euro monatlich höhere Rente im Vergleich zum Rentenrecht bis Juni 2014.

Neben der verlängerten Zurechnungszeit wurde auch eine sogenannte „Günstigerprüfung“ eingeführt. Die o. g. Zurechnungszeit wird mit Entgeltpunkten bewertet, welche sich auf der Grundlage der Durchschnittsverdienste des (individuellen) gesamten Erwerbslebens bis zum Eintritt der Erwerbsminderung errechnen. Da die betroffenen Erwerbsgeminderten im Regelfall bereits vor Eintritt der Erwerbsminderung spürbare Einbußen bei den sozialversicherungspflichtigen Einnahmen hinnehmen müssen, wirkt sich dies nochmals negativ auf die Berechnung der Erwerbsminderungsrente aus. Die Günstigerprüfung besagt, dass die letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung bei der Berechnung der Bewertung der Zurechnungszeit nicht berücksichtigt werden, wenn sich hierdurch eine geringere Rentenhöhe ergeben würde. Die Günstigerprüfung nimmt der Rentenversicherungsträger von Amts wegen vor. Vor allem jüngere Erwerbsminderungsrentner profitieren von dieser Neuregelung.

Von den Neuregelungen sind allerdings nicht die Bestandsrentner betroffen, also die Rentner, die bereits vor dem 01.07.2014 die Erwerbsminderungsrente beziehen. Dies gilt auch dann, wenn die Rente zunächst befristet bewilligt wurde und es in der Zeit ab 01.07.2014 lediglich zu einer Verlängerung der Rentenbewilligung kommt. Wird eine Zeitrente lediglich weitergewährt, ohne dass ein neuer Versicherungsfall vorliegt, kommt es zu keiner Berücksichtigung der verbesserten Rentenberechnung!

Die durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz eingeführten Neuregelungen betreffen also nur die Erwerbsminderungsrenten, welche in der Zeit ab 01.07.2014 beginnen. Die Neuregelungen werden darüber hinaus auch bei Bestandsrentnern bei einer Nachfolgerente, wenn z. B. eine Rente wegen Todes nach einer Erwerbsminderungsrente geleistet wird, umgesetzt.

Weitere Verlängerung der Zurechnungszeit

Im Jahr 2018 wurde die Zurechnungszeit auf 62 Jahre und drei Monate nochmals verlängert. Ursprünglich sollte ab 2018 die Zurechnungszeit in mehreren Stufen auf das vollendete 65. Lebensjahr verlängert werden. Durch das RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz wird die Zurechnungszeit nun bis zum Jahr 2031 sogar bis zum vollendeten 67. Lebensjahr verlängert. Im Jahr 2019 gilt bereits eine Zurechnungszeit bis 65 Jahre und acht Monate. In den Folgejahren wird die schrittweise Verlängerung wird wie folgt umgesetzt:

Bei Beginn der
Rente im Jahr
Anhebung um
Monate
auf Alter
Jahre Monate
2018   62 3
2019   65 8
2020 1 65 9
2021 2 65 10
2022 3 65 11
2023 4 66 0
2024 5 66 1
2025 6 66 2
2026 7 66 3
2027 8 66 4
2028 10 66 6
2029 12 66 8
2030 14 66 10
ab 2031   67 0

Hinzuverdienstgrenzen

Recht ab 01.01.2023

Mit dem „Achten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“ (kurz: 8. SGB IV-Änderungsgesetz), welches am 01.12.2022 vom Bundestag beschlossen wurde, hat der Gesetzgeber Änderungen bei den Hinzuverdienstgrenzen umgesetzt. Neben den Altersrenten (bei diesen Renten sind ab dem 01.01.2023 keinerlei Hinzuverdienstgrenzen mehr zu beachten), erfahren auch die Erwerbsminderungsrenten eine Änderung hinsichtlich der Hinzuverdienstgrenzen.

Ab dem 01.01.2023 gilt bei den Renten wegen voller Erwerbsminderung eine Hinzuverdienstgrenze in Höhe von drei Achtel der 14fachen monatlichen Bezugsgröße. Für das Kalenderjahr 2023 bedeutet dies, dass eine Hinzuverdienstgrenze von 17.823,75 Euro kalenderjährlich zu beachten ist. Für das Kalenderjahr 2024 liegt die Hinzuverdienstgrenze bei 18.558,75 Euro.

Bei einem höheren Hinzuverdienst, wird der die Hinzuverdienstgrenze übersteigende Betrag zum 40 Prozent (stufenlos) auf die volle Erwerbsminderungsrente angerechnet.

Dadurch, dass die Hinzuverdienstgrenze in Abhängigkeit der Bezugsgröße – diese Rechengröße wird jährlich zum 01.01. angepasst – errechnet wird, ändert sich diese nun auch kalenderjährlich. Die Hinzuverdienstgrenze wird damit für die Kalenderjahre ab 2023 dynamisch gestaltet.

Mit der Einführung von höheren Hinzuverdienstgrenzen verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, dass die betroffenen Rentenbezieher einen höheren Hinzuverdienst als nach dem bis 31.12.2022 geltenden Recht erzielen können. Damit soll eine Hürde für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt genommen werden.

Anzumerken ist im Zusammenhang mit den höheren Hinzuverdienstgrenzen, dass ein Hinzuverdienst nur im Rahmen des festgestellten Restleistungsvermögens erzielt werden kann. Ansonsten kann es zu einer Überprüfung und ggf. auch zum Entfall des Rentenanspruchs kommen.

Eine Änderung ergibt sich ab dem 01.01.2023 auch bei den zu berücksichtigenden Sozialleistungen. Es gelten Sozialleistungen nur dann als Hinzuverdienst, wenn diese versicherungspflichtig sind; dies sind das Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Verletztengeld, Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Pflegeunterstützungsgeld und das Insolvenzgeld. Als Hinzuverdienst gilt die beitragspflichtige Einnahme der zu berücksichtigenden Sozialleistung (in der Regel 80 Prozent des der Leistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts bzw. Arbeitseinkommens).

Recht bis 31.12.2022

Mit dem Flexirentengesetz wurden ab Juli 2017 unter anderem auch Änderungen bei den Hinzuverdienstgrenzen umgesetzt. Die bis dahin einheitliche Hinzuverdienstgrenze von monatlich 450,00 Euro entfiel mit Juni 2017; ab Juli 2017 bis Dezember 2022 galt dann eine kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300,00 Euro.

Sollte die neue kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300,00 Euro überschritten worden sein, wurde der übersteigende Anteil stufenlos zu 40 Prozent auf die Erwerbsminderungsrente angerechnet.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass ein Hinzuverdienst – auch wenn ein Hinzuverdienst von bis zu 6.300,00 Euro zu keiner Rentenminderung führt – nur in dem Maße erzielt werden kann, in dem rentenrechtlich die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Das heißt, dass der Hinzuverdienst nur in einer Beschäftigung von unter drei Stunden täglich – unter Berücksichtigung einer Fünf-Tage-Woche – erzielt werden kann. Sollte es zu einer Überschreitung dieser Zeitgrenze kommen, kann dies dazu führen, dass der Rentenanspruch entfällt.

Antrag erforderlich

Für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ist ein Antrag beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen. Anhand der eingereichten Unterlagen prüft der Rentenversicherungsträger dann das Vorliegen der Voraussetzungen für die Rente und lässt die medizinischen Voraussetzungen durch einen Gutachter beurteilen.

Für das Antragsverfahren einer Rente wegen voller Erwerbsminderung stehen registrierte Rentenberater zur Verfügung. Rentenberater und Prozessagenten vertreten ihre Mandanten auch in Widerspruchs- und sozialgerichtlichen Verfahren gegenüber den Rentenversicherungsträgern bzw. vor den Sozial- und Landessozialgerichten.

Kontaktieren Sie einen von den Versicherungsträgern unabhängigen Experten.

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