Landessozialgericht Hessen 27.03.2012, L 3 U 112/08

Urteil über den Anspruch auf Hinterbliebenenrente infolge mittelbarer Arbeitsunfallfolgen.

  • Aktenzeichen: L 3 U 112/08
  • Spruchkörper: 3. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 8 U 48/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Fulda
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 27.03.2012

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Hinterbliebenenleistungen. Sie macht geltend, ihr Vater, der Versicherte B. A., sei 2004 infolge von mittelbaren Arbeitsunfallfolgen, einem Bewegungsmangel und einem Übergewicht, verstorben.

Der 1949 geborene Versicherte erlitt am 10. August 1985 auf dem Weg zu seiner Arbeit als Fachwerker im Hochbau bei einem Verkehrsunfall eine traumatische Hüftgelenkluxation links mit Trümmerfraktur des Acetabulum und schwerste Verletzungen des linken Armes, die eine sofortige Oberarmamputation erforderlich machten. Vom 10. August 1985 bis 24. November 1985 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung der Chirurgischen Klinik II des Stadtkrankenhauses AM. Währenddessen wurde am 16. August 1985 das Hüftgelenk repositioniert, die Hüftpfannentrümmerfraktur mit einer Plattenosteosynthese versorgt und das Hüftgelenk bis zum 22. Oktober 1985 entlastet. Es erfolgten physikalische Maßnahmen wie Bewegungsbäder, Krankengymnastik und Gehübungen. Laut Nachschaubericht vom 24. Oktober 1985 konnte der Versicherte an diesem Tag "gut laufen". In einem Bericht vom 26. November 1985 wurde mitgeteilt, es sei eine Vollbelastung des linken Hüftgelenkes, das relativ gut bewegt werden könne, erlaubt worden. Bei Entlassung habe der Versicherte mit Hilfe einer Unterarmgehstütze selbständig laufen können. Die Weiterbehandlung erfolgte ambulant in der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses AP., wo sich der Versicherte erstmals am 3. Dezember 1985 vorstellte (siehe Behandlungsbericht vom 28.02.1986). Dabei klagte er noch über starke Schmerzen im linken Hüftgelenk, besonders bei Wetterwechsel und beim Belasten. Beim Laufen musste er einen Gehstock benutzen. Es erfolgte eine krankengymnastische Behandlung, die der Versicherte konsequent durchführte. Am 4. Februar 1986 wurde in der Beweglichkeit des linken Hüftgelenkes ein auf 10 Grad vermindertes Streckdefizit und eine sich verschlechternde Abduktion und Adduktion auf jeweils nur 15 Grad festgestellt. Die Beugung wurde mit 65 Grad gemessen und insoweit eine geringfügige Verbesserung festgestellt. Die Drehbewegung im linken Hüftgelenk war praktisch aufgehoben. Am linken Unterschenkel bestand ein prätibiales Ödem. Es wurde eine stationäre Aufnahme in einer Rehabilitationsklinik empfohlen, um durch tägliche Krankengymnastik eine Verbesserung in der Beweglichkeit des linken Hüftgelenkes zu erzielen. Das Gewicht des 186 cm großen Versicherten wurde am 4. Februar 1986 mit 97 kg angegeben. Vom 16. April 1986 bis 5. Juni 1986 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik JQ. zur Durchführung eines krankengymnastischen Übungsprogramms. Zum Ende der stationären Behandlung am 4. Juni 1986 erfolgte eine Untersuchung zur ersten Rentenbegutachtung durch den Oberarzt der Klinik Dr. QQ. und den Assistenzarzt Dr. WW. Dabei klagte der Versicherte über ein immer noch deutlich behindertes Laufen, das ihm ohne Stock nur über ein paar Meter möglich sei. Zum Gangbild stellten die Untersucher fest, dieses sei in konfektionsüblichen Schuhen unter Benutzung eines rechts geführten Fritz-Stockes mit links betontem Hinken erfolgt. Ohne Stock sei das Gangbild deutlicher linksbetont hinkend. Die Entkleidung der unteren Extremitäten geschah sehr mühsam aufgrund der Oberarmamputation. An beiden Unterschenkeln fanden sich Zeichen einer venösen Insuffizienz. Das Körpergewicht betrug am 4. Juni 1986 100 kg.

Durch Bescheid vom 7. August 1986 wurde dem Versicherten eine vorläufige Rente nach einer MdE von 70 v.H. gewährt.

Während des sich anschließenden Widerspruchsverfahrens wurde der Versicherte am 26. August 1986 von dem Berufshelfer besucht. Dabei gab der Versicherte an, er habe starke Beschwerden, könne sich kaum bücken und nur ganz kurze Strecken laufen. Längere Zeit sitzen könne er auch nicht. Beim Laufen benötige er eine Stockhilfe. Der Versicherte wurde darauf hingewiesen, dass er seine Essgewohnheiten umstellen müsse, jetzt wo er keine schweren körperlichen Arbeiten mehr verrichte. Im Hinblick auf mögliche Hüftgelenksveränderungen mit Ersatz sei eine Gewichtsreduzierung unumgänglich.

Am 13. Dezember 1986 wurde der Versicherte von dem Orthopäden Dr. EE. erneut untersucht. In seinem Rentengutachten vom 7. Januar 1987 teilte der Sachverständige mit, der Versicherte klage über fast dauernde ziehende Beschwerden im amputierten Arm und fühle Ellenbogen und Hand. Zeitweise komme es zu krampfartigen, stechenden Schmerzen, die mehrere Minuten anhalten könnten. Beim Berühren des Stumpfes habe er ein elektrisches Gefühl in dem ganzen fehlenden Arm. Im linken Hüftgelenk habe er Schmerzen bis zum Knie ausstrahlend, immer dann, wenn er aufstehe und die ersten Schritte mache. Zeitweise bestünden die Schmerzen auch nachts beim Drehen im Bett, er könne auch das linke Bein oft nicht richtig anheben. Schmerzen im linken Hüft- und Beinbereich habe er eigentlich ständig. Diese würden bei Wetterwechsel zunehmen. Zum Gangbild führte der Sachverständige aus, mit Konfektionsschuhen sei der Gang im Zimmer relativ flüssig, jedoch müsse auch hier ein Handstock zu Hilfe genommen werden, sonst bestünde ein erhebliches Hüfthinken. Die Fußsohlenbeschwielung sei rechts stärker als links ausgeprägt. Über den Schienbeinvorderkanten bestehe auf Druck beidseits, links stärker als rechts, eine Dellenbildung. Dr. EE. gelangte zu der Beurteilung, der verbliebene Armstumpf sei als funktionslos zu betrachten und komme dem völligen Verlust des linken Armes gleich. Allein für die Armverletzung sei eine MdE von 70 v.H. gerechtfertigt. Die Beweglichkeit im linken Hüftgelenk habe gegenüber dem Untersuchungszeitpunkt vom 4. Juni 1986 weiter abgenommen. Es bestehe jetzt eine nahezu vollständige Versteifung des Hüftgelenkes, allerdings in funktionell guter Stellung, wobei aber auch noch Schmerzen glaubhaft seien. Der Befund rechtfertige eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 30 v.H. Zur Dauerrente empfahl er eine Zusammenzählung der MdE. Der Versicherte gab anlässlich der Untersuchung am 13. Dezember 1986 sein Gewicht mit 110-112 kg an.

Durch Bescheid vom 26. März 1987 gewährte die Beklagte dem Versicherten vom 9. Juni 1986 bis 12. Dezember 1986 Rente nach einer MdE von 90 v.H. und ab dem 13. Dezember 1986 auf Dauer nach einer MdE von 100 v.H. Als Arbeitsunfallfolgen wurden anerkannt: Oberarmamputation links mit verbliebenem kurzen Stumpf, Kalksalzminderung des gesamten Oberarmkopfes und Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk, Beugekontraktur (-Fehlstellung) im linken Hüftgelenk mit praktisch völliger Versteifung des linken Hüftgelenkes, Funktionsbeeinträchtigung beim Einnehmen der Hocke und Dauer des Einbeinstandes links, Gelenkkapselverkalkung des linken Hüftgelenkes, Muskelminderung am linken Bein, leichte Beugebehinderung des linken Kniegelenkes, Beeinträchtigung des Gangbildes. Das Übergewicht des Versicherten wurde ausdrücklich nicht als Arbeitsunfallfolge anerkannt.

Am 11. März 1993 wurde der Versicherte wieder von einem Berufshelfer besucht. Dabei gab der Versicherte an, er beschäftige sich mit leichten Haus- und Gartenarbeiten, außerdem kaufe er manchmal ein, bringe seine fünfjährige Tochter zum Kindergarten und hole sie auch wieder ab. Er könne nicht lange sitzen, weil er dann starke Schmerzen in der Hüfte bekomme. Der Versicherte wurde von dem Berufshelfer auf sein starkes Übergewicht hingewiesen. Der Versicherte teilte außerdem mit, er leide unter schweren Durchblutungsstörungen der Beine. Er bat um Prüfung, ob diese auf die Arbeitsunfallfolgen zurückzuführen seien. In einem von der Beklagten beigezogenen Bericht der XY.Klinik vom 11. Oktober 1988 wurde ausgeführt, der Versicherte leide seit Juni 1987 unter Phlebo-Lymphödemen der Unterschenkel, ein arterieller Bluthochdruck sei seit ca. 10 Jahren bekannt. Bei stationärer Aufnahme am 2. August 1988 habe das Gewicht 129,8 kg betragen. Nach einer 1000-Kalorien-Reduktionskost sei es zusammen mit der Ödemabnahme zu einer Gewichtsreduktion von 13,3 kg gekommen. Der Versicherte sei auf die Notwendigkeit einer weiteren Gewichtsabnahme hingewiesen worden. Der Arzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie Dr. RR., Gemeinschaftspraxis Klinik TT., gelangte in seinem angiologischen Gutachten vom 24. Januar 1994 zu dem Ergebnis, bei dem Versicherten bestünden Durchblutungsstörungen des linken Beines und eine chronisch venöse Insuffizienz beider Beine zweiten Grades. Es handele sich dabei nicht um Unfallfolgen, weil es keine eindeutigen Hinweise darauf gebe, dass die Minderdurchblutung des linken Beines durch den Unfall verursacht sein könnte. Zu dem am 19. November 1993 erhobenen Untersuchungsbefund wurde mitgeteilt, der Versicherte rauche ca. 15-17 Zigaretten pro Tag. Es bestehe ein medikamentös behandelter Bluthochdruck sowie eine erhebliche Adipositas von 130 kg. Die Blutfettwerte seien nach Angaben des Versicherten bei der letzten Untersuchung im Normbereich gewesen. Dr. RR. äußerte die Vermutung, die bestehende Hüftgelenkverletzung schränke die Gehleistung des Versicherten stärker ein als die verminderte Durchblutung infolge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit des linken Beines. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. ZZ. führte in einem Attest vom 30. Mai 1994 aus, die Lymphödeme beider Beine stünden zweifellos mit der Adipositas des Versicherten in ursächlichem Zusammenhang. Diese wiederum sei insofern teilweise als Unfallfolge anzusehen, als die Gehbehinderung und der sukzessive Bewegungsmangel zur Zunahme des Körpergewichts geführt hätten.

In ihrem Bescheid vom 4. Mai 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 1995 stellte die Beklagte fest, die Durchblutungsstörung des linken Beines und die chronisch venöse Insuffizienz seien nicht Folge des Arbeitsunfalls vom 10. August 1985. Bei dem Unfall sei es nicht zu einer direkten traumatischen Einwirkung auf ein Gefäß gekommen. Außerdem seien die Durchblutungsstörungen erst drei Jahre nach dem Unfall aufgetreten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Unfallfolgen und den jetzigen Beschwerden an den Beinen sowie der Fettleibigkeit könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Schon zum Unfallzeitpunkt habe ein erhebliches Übergewicht bestanden. Bereits im Dauerrentenbescheid vom 26. März 1987 seien als unfallunabhängige Erkrankungen unter anderem eine Flüssigkeitsansammlung im Unterhautbereich beider Unterschenkel sowie ein bestehendes Übergewicht festgestellt worden.

Der Kläger gab anlässlich eines Besuchs des Berufshelfers am 26. März 1998 an, sein Gesundheitszustand sei eher etwas schlechter geworden. Nach wie vor habe er große Probleme, wenn er in der Nähe seiner Einkaufsstätte mit dem PKW keinen Parkplatz finde. Es sei ihm nicht möglich, eine längere Strecke, über 100 m, zu bewältigen. Unter dem 16. Februar 2001 vermerkte der Berufshelfer, der Versicherte sei nach wie vor stark übergewichtig. Er gebe an, er habe vor knapp zwei Jahren absichtlich stark abgenommen und dann an Schwindelanfällen gelitten. Daraufhin habe er wieder normal gegessen, jetzt sei sein Gesundheitszustand stabil. Am 7. März 2002 gab der Versicherte an, er habe zunehmende Beschwerden im rechten Hüftgelenk und im rechten Knie. In einem Bericht vom 2. Juli 2004 hielt der Berufshelfer fest, der Versicherte berichte, dass es ihm zur Zeit gesundheitlich schlecht gehe. Er habe Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes und des rechten Knies. Seit einiger Zeit bestünden nicht unerhebliche Wassereinlagerungen im Körper, hauptsächlich in beiden Beinen. Dadurch habe er Luftprobleme und die Gehfähigkeit sei erheblich eingeschränkt. Er habe zunehmend Probleme, die drei bis vier Stufen vor der Außenhaustüre zu bewältigen. Zum Laufen sei er auf die Benutzung einer Unterarmstützkrücke angewiesen. Er benötige zunehmend Hilfe und Unterstützung beim Anziehen und habe Probleme beim Baden.

Der Versicherte verstarb am 18. Juli 2004 in der UU. Klinik in DV. Der Internist und Kardiologe Dr. OO. teilte in einem Bericht vom 23. August 2004 mit, der Versicherte sei unter dem Bild einer kardialen Dekompensation (Lungenstauung aufgrund einer Herzschwäche) mit zunehmender Ödembildung und Luftnot stationär eingewiesen worden. Ursächlich seien in erster Linie eine Druckerhöhung im kleinen Blutkreislauf und eine Herzschwäche auf dem Boden einer bekannten koronaren Herzerkrankung. Wegen Verschlechterung der Atmungssituation sei eine Intubation und künstliche Beatmung notwendig geworden, im Rahmen der schwierigen Intubation sei der Versicherte nach erfolglosen Wiederbelebungsmaßnahmen verstorben. Als Todesursache komme differenzialdiagnostisch auch ein akuter Herzinfarkt infrage.

Die 1987 geborene Klägerin stellte am 26. Juli 2004 einen Antrag auf Hinterbliebenenleistungen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 16. September 2004 ab. Der Versicherte habe an einer unfallunabhängigen koronaren Herzerkrankung gelitten und sei an den Folgen eines Herzinfarktes verstorben. Mit ihrem am 17. September 2004 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, die zunehmende ödematöse Schwellung beider Beine und die Adipositas per magna seien Folge des durch den Unfall eingetretenen Bewegungsmangels. Auch der vorhandene Bluthochdruck sei auf den Bewegungsmangel zurückzuführen. Dies habe zu einer koronaren Herzerkrankung geführt.

Die Hausärzte des Versicherten Dipl. med. K. PP. und Dr. S. PP. teilten in einem Bericht vom 1. Februar 2005 der Beklagten mit, der Versicherte sei seit 8. November 1996 in ihrer Praxis behandelt worden. Er habe angegeben, seit 20 Jahren an arterieller Hypertonie zu leiden. Im Jahre 1997 seien erstmals pectanginöse Beschwerden geäußert worden. Durch die elefantiastischen Phlebo-Lymphödeme der Unterschenkel und ein posttrombotisches Syndrom, Stauungsekzeme beider Unterschenkel und die der Minderbeweglichkeit geschuldete Gewichtszunahme sei es im Laufe der Jahre zu einer verstärkten Herz-Kreislauf-Belastung gekommen. Der Versicherte sei immer mehr kardial dekompensiert. Zur Todesursache könnten keine Angaben gemacht werden, weil ein Krankenhausbericht nicht vorliege. Die Ärzte übersandten einen Bericht der Herz- und Gefäß-Klinik GmbH NA. vom 5. April 2003, wo sich der Versicherte im März und April 2003 in stationärer Behandlung befunden hatte. Als Diagnosen wurden eine dekompensierte Herzinsuffizienz bei tachykardem typischen Vorhofflattern, ein COPD und der Verdacht auf eine chronisch-venöse Insuffizienz angegeben. Als Risikofaktoren wurden eine Adipositas per magna, erhöhte Cholesterinwerte, ein arterieller Bluthochdruck und ein Nikotinabusus genannt. Über den körperlichen Untersuchungsbefund wurde unter anderem mitgeteilt, das Gewicht des 54jährigen Versicherten betrage 136 kg.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin durch Bescheid vom 14. April 2005 zurück und führte aus, Todesursache sei eine Verkalkung der Herzkranzgefäße gewesen, die durch Risikofaktoren wie erhebliches Übergewicht, erhöhte Cholesterinwerte, Bluthochdruck und Rauchen begünstigt worden sei. Diese schwerwiegenden Risikofaktoren hätten nicht nur zu Durchblutungsstörungen am Herzen, sondern in Verbindung mit ungenügendem Blutrückfluss in den Beinen zu Durchblutungsstörungen der Beine geführt. Diese Risikofaktoren seien, soweit sie nicht ohnehin anlagebedingt seien, auf die Lebensführung zurückzuführen. Sie seien in der Bevölkerung weit verbreitet. Ein Zusammenhang mit den Unfallfolgen könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Bereits 10 Monate nach dem Unfall sei ein Übergewicht festgestellt worden. Es bestehe also nicht einmal ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Übergewicht sowie Fettstoffwechselstörung. Dem Bewegungsmangel komme dem gegenüber lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu. Selbst dieser sei letztlich verhaltens- und nicht verletzungsbedingt, wie das Beispiel vieler sportlich aktiver Schwerverletzter zeige.

Die Klägerin hat hiergegen am 13. Mai 2005 beim Sozialgericht Fulda Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat von dem Arzt für Innere Medizin ÜÜ., Institut für medizinische Begutachtung in NW., ein internistisches Gutachten vom 14. Mai 2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 23. Januar 2008 eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Beurteilung gelangt, der Tod des Versicherten sei als Folge eines Herzversagens bei fortgeschrittener Herzschwäche eingetreten. Die Krankheit und der Tod seien durch das Zusammenwirken von Risikofaktoren entstanden, die anlagebedingt und verhaltensbedingt gewesen seien: metabolisches Syndrom mit Adipositas, erhöhte Blutfettwerte und Bluthochdruck, Nikotinkonsum, Überernährung, Bewegungsmangel. Das Unfallereignis sei annähernd gleichwertig mitverursachend gewesen, weil die Fettleibigkeit und der Bewegungsmangel ohne den Unfall mit Wahrscheinlichkeit weniger als Risikofaktoren bedeutsam geworden wären. Durch die mittelbaren Unfallfolgen sei der Tod um mindestens ein Jahr früher eingetreten. Es sei nicht wahrscheinlich, dass der Versicherte vom 35. bis 38. Lebensjahr als körperlich schwer arbeitender Bauarbeiter ca. 30 kg an Gewicht zugenommen hätte, wenn er den Unfall nicht erlitten hätte. Für die drastische Gewichtszunahme ließen sich keine anderen plausiblen Gründe erkennen, als der Bewegungsmangel, die deutliche Verringerung des Energieumsatzes aufgrund der fehlenden körperlichen Arbeit und die psychische Beeinträchtigung aufgrund der Armamputation. Die extreme, durch den Unfall wesentlich teilverursachte Übergewichtigkeit habe die Risikokonstellation im Hinblick auf die Entstehung einer Arteriosklerose deutlich erhöht. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass extremes Übergewicht und Bewegungsmangel die Lebenserwartung verringerten.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 19. Mai 2008 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "der Klägerin Hinterbliebenenleistungen aufgrund des Arbeitsunfalls ihres Vaters vom 10. August 1985 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren."

Gegen das ihr am 23. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 27. Juni 2008 am 1. Juli 2008 Berufung eingelegt und geltend gemacht, das Übergewicht habe nicht in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall gestanden. Das Körpergewicht werde einzig und allein durch die Zuführung von Energie durch die Nahrungsaufnahme beeinflusst. Hierbei handele es sich um einen Bereich, der der privaten Lebensführung des Unfallverletzten zuzurechnen sei. Unter Berücksichtigung der fachärztlichen Berichterstattung aus der Zeit nach dem Unfall, insbesondere vom Dezember 1985, Februar 1986, März 1986 und Januar 1987, könne keinesfalls begründet werden, dass ein Bewegungsmangel durch die Unfallverletzungen begründet gewesen sei. Würden zudem die gutachterlichen Feststellungen aus der Gemeinschaftspraxis TT. vom 24. Januar 1994 zugrunde gelegt, so lasse sich auch nach diesen Feststellungen sowie den Eigenangaben des Versicherten kein relevanter Bewegungsmangel feststellen. Die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt höchstens leicht übergewichtig gewesen sei, lasse sich nicht beweisen. Über das Gewicht des Versicherten vor dem Unfallereignis gebe es keine Informationen. Ungeachtet der Frage, ob das Übergewicht tatsächlich in ursächlichem Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall bzw. den Arbeitsunfallfolgen gestanden habe, müsse nach der Theorie der rechtliche wesentlichen Ursache weiter differenziert werden, ob das Übergewicht die rechtlich wesentliche Ursache für den Eintritt des Todes darstelle. Das Übergewicht habe nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Wesentlicher seien die erhöhten Blutfettwerte, der Bluthochdruck und der Nikotinkonsum gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Auf die zulässige Berufung des Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen, z. B. in Form einer Halbwaisenrente nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII, weil nicht festgestellt werden konnte, dass der Tod des Versicherten infolge des von ihm am 10. August 1985 erlittenen Arbeitsunfalls eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1-3 SGB VII, dessen Vorschriften hier gemäß § 214 Abs. 3 SGB VII Anwendung finden, haben Hinterbliebene Anspruch auf Sterbegeld, Erstattung der Kosten der Überführung an den Ort der Bestattung, Hinterbliebenenrenten und Beihilfen. Der Anspruch auf diese Leistungen besteht nach Satz 2 der Vorschrift nur, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Die Klägerin macht zur Begründung ihres Anspruchs geltend, das erhebliche Übergewicht des Versicherten, das eine mittelbare Unfallfolge des Arbeitsunfalls vom 10. August 1985 gewesen sei, habe den Tod des Versicherten am 16. Juli 2004 wesentlich mit verursacht. Dem geltend gemachten Anspruch steht nicht entgegen, dass die Beklagte gegenüber dem Versicherten durch Bescheide vom 23. März 1987 und 4. Mai 1994 bindend festgestellt hatte, dass das "Übergewicht" nicht Arbeitsunfallfolge ist. Denn die Vorschriften des § 63 SGB VII normieren eigene Rechtsansprüche der Hinterbliebenen, die nicht aus den Rechten des Verstorbenen abgeleitet sind. Deshalb hat der Unfallversicherungsträger gegenüber den Hinterbliebenen unabhängig von etwaigen Feststellungen gegenüber dem Versicherten neu über den Leistungsanspruch und seine Voraussetzungen zu entscheiden (vgl. Ziegler in LPK – SGB VII, 2. Auflage, § 63 Rdnr. 4). Ein Anspruch der Klägerin nach § 63 Abs. 1 SGB VII auf Hinterbliebenenleistungen besteht hier dennoch nicht, weil der Senat nicht feststellen konnte, dass das erhebliche Übergewicht des Versicherten rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall des Versicherten verursacht wurde.

Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung als Folge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder direkt oder mittels des Gesundheitsschadens ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. "Die Theorie der wesentlichen Bedingung" beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Da Verschulden bei der Prüfung eines Versicherungsfalles in der Gesetzlichen Unfallversicherung unbeachtlich ist, weil verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (§ 7 Abs. 2 SGB VII), erfolgt im Sozialrecht diese Unterscheidung und Zurechnung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolges bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts" (so die Ausführungen des BSG im Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196).

Bei dem Versicherten bestand eine fortgeschrittene Herzschwäche, die zum Tod des Versicherten führte. Die Herzschwäche war nach Aussage des Sachverständigen ÜÜ. und des den Versicherten zuletzt behandelnden Kardiologen Dr. OO. auf dem Boden einer koronaren Herzerkrankung entstanden. Als Risikofaktoren für diese Erkrankung beim Versicherten wurden im Entlassungsbericht der Herz- und Gefäß-Klinik NA. vom 5. April 2003 eine Adipositas per magna, eine Hyperlipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung), eine arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) und ein Nikotinabusus genannt. Diese Einschätzung wird auch von dem Sachverständigen ÜÜ. geteilt. Er hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass diese Risikofaktoren in ihrem Zusammenwirken wesentlich teilursächlich die Herzerkrankung und den Tod des Versicherten verursacht haben. Angaben in den ärztlichen Berichten zufolge litt der Versicherte schon vor dem Arbeitsunfall, etwa ab dem Jahre 1977, an einem Bluthochdruck. Die Entstehung dieses Leidens kann folglich nicht mit dem Arbeitsunfall und dessen Folgen in einem Kausalzusammenhang stehen. Dies gilt auch für den Zigarettenkonsum des Versicherten. Das Übergewicht des Versicherten führt der Sachverständige ÜÜ. auf eine anlagebedingte Neigung und wesentlich teilursächlich auf den Arbeitsunfall bzw. dessen gesundheitliche Folgen zurück. Weil der Versicherte knapp 6 Monate nach dem Arbeitsunfall, Anfang Februar 1986, 97 kg und ca. 3 Jahre nach dem Arbeitsunfall, Anfang August 1988, 139,8 kg gewogen hat, ist der Sachverständige zu der Beurteilung gelangt, es sei davon auszugehen, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt etwa 90 kg gewogen habe, also anlagebedingt gering- bis mäßiggradig übergewichtig gewesen sei, die rapide und kontinuierliche Gewichtszunahme von nahezu 35 kg innerhalb von 3 Jahren nach dem Unfall jedoch wesentlich teilursächlich auf die unfallbedingte Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit zurückzuführen sei. Dieser Beurteilung konnte sich der Senat nicht anschließen: Welches Körpergewicht der Versicherte zum Unfallzeitpunkt hatte, ist nicht bekannt. Möglich ist, dass der Versicherte – wie von dem Sachverständigen angenommen – zum Unfallzeitpunkt gering- bis mäßiggradig übergewichtig war. Dies würde jedoch bedeuten, dass der Versicherte trotz seiner schweren unfallbedingten Verletzungen und der damit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch Wochen nach dem Unfall einhergehenden starken Schmerzen und Beschwerden schon sehr kurze Zeit nach dem Unfall stetig an Körpergewicht zugenommen hätte, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Vielmehr erscheint es ebenso möglich, dass die schweren Verletzungen und die damit einhergehenden Beschwerden zu einem Appetitverlust geführt haben – wie dies bei schweren Erkrankungen nicht ungewöhnlich ist – und deshalb anfänglich auch einen Gewichtsverlust zur Folge hatten. Da sich das Körpergewicht des Versicherten zum Unfallzeitpunkt folglich nicht sicher feststellen lässt, können nur die ab Anfang Februar 1986 dokumentierten Messwerte Grundlage der Kausalitätsbeurteilung sein. Danach hatte der Versicherte am 4. Februar 1986 ein Körpergewicht von 97 kg und am 4. Juni 1986 von 100 kg. Dies entspricht bei einer Körpergröße von 1,86 m einem Body Maß Index (BMI) von 28,05 bzw. 28,9, das heißt einem stärkergradigen Übergewicht. Am 13. Dezember 1986 hat der Versicherte sein Gewicht mit 110-112 kg angegeben. Bei der Aufnahmeuntersuchung in der XY.Klinik am 2. August 1988 wog der Versicherte 129,8 kg, was einem BMI von 38 und einer stärkergradigen Adipositas entspricht. Innerhalb von 30 Monaten, von Anfang Februar 1986 bis Anfang August 1988, erfolgte eine stetige Gewichtszunahme von 33 kg. Für diese starke Gewichtszunahme waren nach Überzeugung des Senats der Arbeitsunfall und die unmittelbaren von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfallfolgen nicht wesentlich teilursächlich.

Übergewicht entsteht durch eine zu hohe Kalorienaufnahme beim Essen, wenn dem Körper durch die Nahrung mehr Energie zugeführt wird als er verbrauchen kann. Grund hierfür ist nicht nur die zugeführte Menge der Nahrung, sondern auch deren Zusammensetzung mit einem übermäßigen Anteil an Fett und Kohlenhydraten und einem zu geringen Gehalt von Ballaststoffen. Durch körperliche Bewegung wird Energie verbraucht. Bewegungsmangel ist deshalb auch ein Faktor für eine positive Energiebilanz.

Vor dem Arbeitsunfall hat der Versicherte vollschichtig als Maurer gearbeitet. Im Vergleich zu dieser Tätigkeit verringerte sich sein Energieumsatz nach dem Arbeitsunfall. Denn die unfallbedingten schweren Verletzungen im Bereich des linken Hüftgelenkes haben die Gehleistung des Versicherten eingeschränkt. Sein Gangbild war auch unter Benutzung eines rechtsgeführten Handstockes links hinkend, zudem konnte er wegen auftretender Beschwerden in der linken Hüfte und im linken Bein seinen Angaben zufolge nur kürzere Strecken zurücklegen. Eine stärker gradige Immobilität lag jedoch vor allem in den ersten Jahren nach dem Arbeitsunfall nicht vor. Denn Dr. EE., der den Versicherten am 13. Dezember 1986 untersucht hatte, hat in seinem Rentengutachten vom 7. Januar 1987 mitgeteilt, dass das Gangbild des Versicherten im Zimmer unter Benutzung eines Handstockes relativ flüssig war. Der Versicherte konnte auch 1993 sich noch mit leichten Haus- und Gartenarbeiten beschäftigen, wovon er dem Berufshelfer am 11. März 1993 berichtet hat.

Ursachen für das zunehmende Übergewicht des Versicherten waren folglich eine überkalorische Ernährung und ein durch die Unfallfolgen bedingter Bewegungsmangel im Vergleich zu der beruflichen Tätigkeit des Versicherten vor dem Arbeitsunfall. Den nach dem Arbeitsunfall geringeren Energiebedarf hätte der Versicherte durch eine Änderung seiner Essgewohnheiten ausgleichen können, indem er seine Ernährung auf fett- und kohlehydratärmere und ballaststoffreichere Lebensmittel umstellte und die Nahrungsmenge insgesamt reduzierte. Auch nachdem sich bereits eine Adipositas entwickelt hatte, hätte eine dauerhafte konsequente Umstellung der Ernährung zu einem kontinuierlichen Gewichtsverlust geführt. So gelang es dem Versicherten während des fünfeinhalbwöchigen Aufenthaltes in der XY.Klinik vom 2. August bis 10. September 1988 sein Körpergewicht von 129,8 kg auf 116,5 kg, d. h. um insgesamt 13,3 kg und wöchentlich um 2,4 kg zu reduzieren. Es gelang ihm jedoch nicht, das in der Klinik erreichte Gewicht zu halten oder gar weiter zu reduzieren. Denn bis zum 19. November 1993 hatte sich sein Gewicht wieder auf 130 kg erhöht. Über die Art und Weise seiner Ernährung entscheidet der Versicherte. Sie ist grundsätzlich dem Verantwortungsbereich des Versicherten und der privaten Lebensführung zuzurechnen. Passt der Versicherte dauerhaft seine Ernährung nicht dem Energiebedarf seines Körpers an, ernährt er sich fortwährend überkalorisch, kommt diesem Verhalten grundsätzlich die überragende Bedeutung bei der Entstehung von Übergewicht und Adipositas zu. Denn dieses Verhalten des Versicherten ist entscheidend dafür, ob der durch die Unfallfolgen im Vergleich zur beruflichen Tätigkeit vor dem Arbeitsunfall entstandene Bewegungsmangel und damit einhergehende verringerte Energieumsatz zur Entstehung oder Verschlimmerung einer Übergewichtigkeit führen. Im Gegensatz zum Versicherten hat die Beklagte als Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung keinen Einfluss darauf, ob sich der Versicherte "richtig" oder "falsch" ernährt. Führen Arbeitsunfall oder Berufskrankheit zu Bewegungseinschränkungen oder einer anderen körperlichen Leistungsminderung – was nicht nur bei Schäden am Bewegungsapparat, sondern auch bei anderen Gesundheitsstörungen wie z. B. einer Lungenfunktionseinschränkung der Fall sein kann – und einem damit verbundenen Bewegungsmangel, kann der Unfallversicherungsträger von dem Versicherten keine Anpassung seiner Essgewohnheiten an den veränderten Energiebedarf einfordern. Denn dem Versicherten obliegen keine Verhaltenspflichten und Mitwirkungspflichten bei einer drohenden Erkrankung oder Behinderung. Nach § 63 SGB I ist ein Versicherter, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, nur zur Mitwirkung bei einer Heilbehandlung verpflichtet. Er soll sich einer solchen unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustandes herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern wird. Die Beklagte hat folglich keine Möglichkeiten, Maßnahmen einzuleiten, die das Verhalten des Versicherten im Sinne einer Gesundheitsvorsorge beeinflussen (vgl. Mrozynski, SGB I, 4. Auflage, § 63 Rdnr. 1). Sie hat lediglich die Möglichkeit, den Versicherten auf eine drohende oder bestehende Gesundheitsgefährdung hinzuweisen.

Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte wegen der Unfallfolgen nicht in der Lage gewesen ist, langfristig seine Nahrungszufuhr dem verringerten Bedarf anzupassen bzw. längere Zeit eine unterkalorische Diät einzuhalten. Der Sachverständige ÜÜ. unterstellt, dass "psychische Faktoren die Gewichtszunahme begünstigt haben". Dies ist zwar möglich, jedoch gibt es weder in den ärztlichen Berichten noch in den Berichten des Berufhelfers Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Versicherten oder Hinweise darauf, dass seine Willenskraft durch den Arbeitsunfall bzw. die anerkannten Arbeitsfolgen eingeschränkt war und es ihm deshalb nicht möglich war, sich gesund und dem Energiebedarf seines Körpers entsprechend zu ernähren. Es liegen folglich keine Umstände vor, die es rechtfertigen könnten, das Essverhalten des Versicherten kausal den Unfallfolgen zuzurechnen.

Da die Klägerin demzufolge keinen Anspruch auf Hinterbliebenleistungen hat, war auf die Berufung der Beklagten die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.

 

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