Sozialgericht Gießen 05.04.2007, S 21 KR 81/06
Urteil über die Kostenübernahme von Fahrkosten für Fahrten zum Rehasport.
- Aktenzeichen: S 21 KR 81/06
- Spruchkörper: 21. Kammer
- Gericht: Sozialgericht Gießen
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 05.04.2007
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme bzw. Erstattung von Reisekosten zur Teilnahme am Behindertensport.
Der Kläger ist seit 01.10.2003 freiwillig versichertes Mitglied bei der Beklagten. Ein Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen "G" und "aG" sind festgestellt. Er beantragte am 19.07.2005 einen Fahrtkostenzuschuss für die Fahrten zum Behindertensport und legte hierzu eine Bescheinigung des R-Vereins L. e. V. über die Teilnahme am Behindertensport im Jahr 2004 (72mal) vor sowie eine Bescheinigung des Hausarztes Dr. P: vom 01.09.2005, wonach Fahrten mit dem PKW erforderlich seien.
Hierzu gab der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 07.09.2005 eine Stellungnahme ab, wonach Fahrten nicht bezuschusst werden könnten, entweder könne der Kläger am Sport teilnehmen und dann auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder es müsse auf den Reha-Sport verzichtet werden. Mit Bescheid vom 15.09.2005 lehnte die Beklagte die Fahrtkostenbezuschussung ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 05.10.2005 Widerspruch und führte aus, ein Anspruch auf die Erstattung ergebe sich aus §§ 44 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 i. V. m. § 53 SGB IX. Das SGB V sei hinsichtlich der Teilhabe am ärztlich verordneten Behindertensport nicht einschlägig. Mit Schreiben vom 10.10.2005 hörte die Beklagte den Kläger an. Dieser legte eine Bescheinigung des Hausarztes Dr. P. vom 14.10.2005 vor, wonach der Reha-Sport bei der Grunderkrankung des Klägers konsequent und permanent erforderlich sei, anderenfalls drohe eine gesundheitliche Verschlechterung.
Mit Bescheid vom 22.11.2005 lehnte die Beklagte die Übernahme von Fahrtkosten erneut ab. Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2005 Widerspruch und führte aus, dass nach § 44 SGB IX ein Anspruch auf Rehabilitationssport bestehe, die Fahrtkosten dafür seinen eine Nebenleistung zu dem Anspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V seien nicht erfüllt, da eine ärztliche Verordnung einer Krankenfahrt nicht vorgelegen habe. Die Voraussetzungen nach § 53 SGB IX seien ebenfalls nicht gegeben, da Reisekosten als ergänzende Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen würden, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung der medizinischen Rehabilitation entstünden, hierzu zählten nicht die ergänzenden Leistungen nach § 44 SGB IX wie der Rehabilitationssport.
Hiergegen hat der Kläger am 20.03.2006 Klage zum erkennenden Gericht erhoben.
Der Kläger trägt vor, die Entscheidung der Beklagten sei rechtswidrig. Sein Anspruch ergebe sich aus § 44 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 i. V. m. § 53 SGB IX. Der Reha-Sport sei ärztlich verordnet und dringend erforderlich. Der Reisekostenanspruch bestehe gemäß § 53 SGB IX als Nebenleistung, auf die § 44 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX verweise.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die Fahrten zur Teilnahme am Behindertensport ab Antragstellung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im 4. Kapitel nach den §§ 26 ff. SGB IX würden durch die im 6. Kapitel in § 44 SGB IX genannten weiteren Leistungen ergänzt. Gemäß § 44 Abs. 1 Ziffer 3 SGB IX würden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ergänzt durch ärztlich verordnete Rehabilitationssport, dessen Kosten auch von der Beklagten getragen würden. Reisekosten seien in § 44 Abs. 1 Ziffer 5 SGB IX separat vom Rehabilitationssport als ergänzende Leistungen zur medizinischen Rehabilitation genannt. Dies bedeute, dass der Gesetzgeber im 4. Kapitel in § 26 ff. SGB IX die Hauptleistungen zur medizinischen Rehabilitation benannt und in einem davon getrennten weiteren Kapitel, dem 6. Kapitel, in § 44 SGB IX Nebenleistungen verfügt habe, die lediglich die Hauptleistung aus § 26 SGB IX ergänzen sollten. Dabei zeige die Systematik des Gesetzes schon, dass der Gesetzgeber gerade nicht verfügt habe, dass die ergänzenden Leistungen sich untereinander ebenfalls ergänzen sollten. Damit werde in § 44 SGB IX die Kostenübernahme des Rehabilitationssportes als ergänzende Leistung nicht durch die Kostenübernahme von Reisekosten ergänzt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten im Termin durch Urteil entscheiden, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Terminsmitteilung vom 06.03.2007 darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne und der Prozessbevollmächtigte diese Terminsmitteilung ausweislich des Empfangsbekenntnisses Bl. 33 der Gerichtsakten ordnungsgemäß erhalten hat.
Die zulässige Klage ist nicht begründet, die Bescheide vom 15.09.2005 und 22.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf die Erstattung der Reisekosten zur Teilnahme am Behindertensport.
Nach § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) werden die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Fahrt-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen.
Welche Bestandteile zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gehören, ergibt sich aus § 26 Abs. 2 SGB IX, dabei wird ärztlich verordneter Reha-Sport und Funktionstraining nicht genannt. Hierbei handelt es sich vielmehr nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ebenso wie bei Lohnersatzleistungen oder Beiträgen und Beitragszuschüssen sowie Haushaltshilfen- und Kinderbetreuungskosten aber auch die hier streitigen Reisekosten (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 2 und 5 bis 6 SGB IX) um eine ergänzende Leistung zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der hier einschlägigen gesetzlichen Regelungen der §§ 26, 44 und 53 SGB IX, dass es sich bei ärztlich verordnetem Rehabilitationssport in Gruppen nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt, sondern entsprechend der ausdrücklichen gesetzlichen Bezeichnung um eine sogenannte ergänzende Leistung. Die Aufzählung in § 44 Abs. 1 SGB IX zeigt hierbei den Sondercharakter der ärztlich verordneten ergänzenden Leistungen Reha-Sport und Funktionstraining, die zu einer Gruppe weiterer ergänzender Leistungen gehören, die kein geschlossenes Regelungsgefüge darstellen, sondern einzelne vom Gesetzgeber bestimmte zusätzliche Leistungen darstellen. Damit werden die ergänzenden Leistungen jedoch nicht zu den Hauptleistungen, die sie ergänzen sollen.
Dafür spricht schon die Gesetzessystematik, denn Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind im Kapitel 4 des SGB IX und unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen im Kapitel 6 des SGB IX geregelt.
Auch aus Sinn und Zweck der Regelung ist nicht begründbar, dass sich ergänzende Leistungen nach § 44 SGB IX gegenseitig ergänzen, also für die ergänzende Leistung "ärztlich verordneter Reha-Sport" die ebenfalls ergänzende Leistung "Reisekosten" zu gewähren ist.
Darüber hinaus hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Erstattung der Kosten gemäß § 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) i. V. m. § 13 Abs. 3 SGB V.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für die Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind.
Die Teilnahme des Klägers am ärztlich verordneten Reha-Sport in Gruppen wird insoweit nicht von § 60 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB V erfasst.
In Betracht käme allenfalls ein Anspruch nach § 60 Abs. 2 Nr. 3 SGB V. Der Kläger bedurfte jedoch keines Krankentransports in einem Krankenkraftwagen, so dass ein entsprechender Anspruch auf Fahrtkostenübernahme nach § 60 Abs. 2 Nr. 3 SGB V ausscheidet.
Die Krankenkasse übernimmt außerdem Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen. Bei ärztlich verordnetem Reha-Sport oder Funktionstraining handelt es sich aber nicht um eine ambulante Behandlung im Sinne dieser Regelung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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