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Landessozialgericht Hessen 03.02.2012, L 9 U 267/08

  • Aktenzeichen: L 9 U 267/08
  • Spruchkörper: 9. Senat 
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 U 47/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 03.02.2012

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Berufskrankheitenverordnung (BKV in der Fassung ab 1. Dezember 1997).

Die 1970 geborene Klägerin war seit 1993 als Friseurin bei einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten beschäftigt. Am 16. Juni 2000 wurde der Beklagten durch den behandelnden Hautarzt Dr. C. mitgeteilt, dass bei der Klägerin seit Anfang des Jahres ein durch die Einwirkung von Friseurstoffen hervorgerufenes Kontaktekzem bestehe.

Von der Beklagten wurden daraufhin Ermittlungen zum Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV (BK 5101) durchgeführt und der Klägerin zugleich die Teilnahme an Hautschutzseminaren angeboten. Am 13. September 2000 wurde der Beklagten von der Klägerin telefonisch mitgeteilt, dass sie aufgrund ihrer Hauterscheinungen seit 4 Wochen arbeitsunfähig und in der 7. Woche schwanger sei. Nachfolgend nahm die Klägerin ihre letztmals am 23. August 2000 ausgeübte Tätigkeit als Friseurin nicht wieder auf. Nach einer Bescheinigung der Krankenkasse BKK D. bezog die Klägerin im Zeitraum vom 26. August bis zum 10. Oktober 2000 Krankengeld. Vom Arbeitgeber der Klägerin wurde der Beklagten am 24. November 2000 mitgeteilt, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen von der Arbeit freigestellt sei, wobei diese vom 11. Oktober 2000 bis zum 27. März 2001 nochmals im Bezug von Beschäftigungsentgelt stand. Die Klägerin bezog dann vom 28. März 2001 bis zum 2. Juli 2001 Mutterschaftsgeld und befand sich anschließend im Zeitraum vom 2. Juli 2001 bis zum 2. Juli 2003 im Erziehungsurlaub.

Im November 2001 verständigten sich die Beteiligten in einem Telefonat darauf, dass die Tätigkeit der Klägerin als Friseurin nach Beendigung des Erziehungsurlaubs wieder aufgenommen werden könne. Zuvor sollten die Erwerbseinschränkungen zum Gegenstand eines medizinischen Gutachtens gemacht werden und von der Klägerin ca. 6 Monate vor Wiederaufnahme der Tätigkeit eine Rehabilitationsmaßnahme in Form eines Seminars durchgeführt werden.

In einem auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten kam der Sachverständige Dr. E. am 15. April 2002 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein subtoxisch-kumulatives Hautekzem vorgelegen habe, welches durch die "Feuchttätigkeit" und den regelmäßigen Kontakt zu hautirritativen Substanzen verursacht worden sei. Zum Zeitpunkt der jetzigen Untersuchung sei die Klägerin allerdings hautgesund gewesen. Auf Grund der abgelaufenen Hauterkrankung habe die konkrete Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 BKV bestanden, sofern die Klägerin ohne weitergehende Hautschutzmaßnahmen weitergearbeitet hätte. Zur Verhinderung des Wiederauflebens sei vor der Wiederaufnahme der Beschäftigung im Anschluss an die Erziehungszeit ein individueller Hautschutzplan zu erstellen und die Teilnahme an einem Hautschutzseminar zu empfehlen. Anschließend könne ein Arbeitsversuch in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit unter hautfachärztlicher Begleitung durchgeführt werden.

Am 24. April 2002 wurde die Klägerin von der Beklagten vom Ergebnis der Begutachtung unterrichtet und ihr zugleich die Teilnahme an einem Hautschutzseminar angeboten. Mit anwaltlichem Schreiben vom 8. Mai 2002 lehnte die Klägerin die Teilnahme an dem Seminar ab. Mit weiterem Schreiben vom 17. Juni 2002 teilte die Klägerin der Beklagten mit, nicht wieder als Friseurin tätig werden zu wollen, da die Hauterkrankung bei ihr erneut aufgetreten sei. Die Beklagte zog daraufhin Behandlungsberichte von Dr. C. bei, in denen dieser mitteilte, dass bei der Klägerin im Februar, März und Juli 2002 erneut Handekzeme festgestellt worden seien. Weitere Verlaufsberichte von Dr. C. wurden anschließend nochmals von dem erneut von der Beklagten befragten Sachverständigen Dr. E. beigezogen. Anschließend kam dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. April 2003 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin aus medizinischer Sicht der Zwang zur Unterlassung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit bestehe und ein Arbeitsversuch nicht mehr in Betracht komme.

Von der Beklagten zum Zeitpunkt der Aufgabe ihrer Tätigkeit als Friseurin befragt, nannte die Klägerin in einer schriftlichen Erklärung vom 15. Juli 2003 ohne weitere Erläuterung die Termine 23. August 2000 sowie 2. Juli 2003.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 26. August 2003 stellte die Beklagte das Bestehen der BK 5101 mit Eintritt des Versicherungsfalls am 24. August 2000 fest, da an diesem Tag die Aufgabe der hautgefährdenden Tätigkeit erfolgt sei. Nachfolgend wurde der Klägerin für die Zeit vom 26. August 2000 bis zum 10. Oktober 2000 sowie ab dem 2. Juli 2003 dem Grunde nach Verletztengeld unter Anrechnung auf das von der Klägerin bezogene Krankengeld zuerkannt. Rentenleistungen wurden mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Umfang nicht gewährt.

Mit weiterem Bescheid vom 4. Oktober 2004 gewährte die Beklagte der Klägerin zeitlich gestaffelte Übergangsleistungen für einen Zeitraum von 5 Jahren ab dem 24. August 2000. Hiergegen erhob die Klägerin am 22. Oktober 2004 Widerspruch und machte darin geltend, ihre Tätigkeit erst nach Beendigung der Elternzeit im Juli 2003 aufgegeben zu haben, so dass der 5-Jahres-Zeitraum erst ab diesem Zeitpunkt beginne. Zugleich beantragte die Klägerin hinsichtlich der Festsetzung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls im Bescheid vom 26. August 2003 eine Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch, 10. Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2004 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2005 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 3. März 2005 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben.

Der Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 26. August 2003 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 22. März 2005 abgelehnt. Der nachfolgende Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005 zurückgewiesen. Auch hiergegen hat die Klägerin am 23. Juni 2005 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben.

Die beiden Verfahren sind vom Sozialgericht Kassel mit Beschluss vom 19. Juli 2007 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Mit Urteil vom 6. Oktober 2008 ist die Beklagte vom Sozialgericht Kassel unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2005 verpflichtet worden, der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen Bescheid über die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV zu erteilen und hierbei als Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit den 17. Juni 2002 zu Grunde zu legen. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin habe ihre hautgefährdende Tätigkeit als Friseurin am 17. Juni 2002 im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV unterlassen, denn erst durch ihre an diesem Tage gegenüber der Beklagten abgegebenen Erklärung sei der Entschluss der Klägerin nachweisbar, ihren bisherigen Beruf aufzugeben. Insbesondere vor dem Hintergrund der Anreizfunktion des § 3 Abs. 2 BKV könne von einer dauerhaften Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit erst mit dem Entschluss der Klägerin ausgegangen werden, auf Grund der im Jahre 2002 wieder aufgetretenen Hauterkrankung nicht mehr als Friseurin tätig zu werden, selbst wenn der objektive Zwang zur Unterlassung der Tätigkeit im Sinne der BK 5101 bei nachträglicher Betrachtung bereits im August 2000 vorgelegen hätte. Hierfür sei zum einen maßgeblich, dass bis zum Juni 2002 sowohl die Klägerin als auch die Beklagte übereinstimmend von einer Fortführung der Tätigkeit als Friseurin nach dem Ende der Elternzeit ausgegangen seien und auf Grundlage dieser Einschätzung entsprechende Begleitmaßnahmen bei dem geplanten Wiedereinstieg vereinbart hätten. Dass die Fortführung der Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt noch möglich gewesen sei, habe zudem aus medizinischer Sicht das Gutachten des Sachverständigen Dr. E. bestätigt. Darin habe dieser ausgeführt, dass zwar die Gefahr des Eintritts einer Berufskrankheit bestanden habe, aber mit Hilfe eines individuellen Hautschutzplans jedenfalls ein Arbeitsversuch unternommen werden könne. Auch die bis Mitte 2002 erstellten Befunde des behandelnden Arztes wiesen in ihrer Tendenz darauf hin, dass mit Hilfe der von der Beklagten angebotenen präventiven Maßnahmen eine Beschäftigung der Klägerin in ihrem bisherigen Beruf weiterhin möglich gewesen sei und lediglich die Gefahr des Eintritts einer Berufskrankheit bestanden habe. Die Klägerin habe im Übrigen glaubhaft dargelegt, dass die Unterbrechung vor allem im Hinblick auf ihre Schwangerschaft erfolgt sei. Damit seien zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV noch nicht vollständig erfüllt gewesen, denn der endgültige Entschluss der Klägerin zur Aufgabe der Tätigkeit habe noch nicht vorgelegen. Dieser Entschluss sei erst mit dem Schreiben vom 17. Juni 2002 im Sinne einer nach außen gerichteten Willenserklärung zweifelsfrei dokumentiert worden, die hautgefährdende Tätigkeit nicht mehr auszuüben. Hiervon sei die Klägerin auch später nicht mehr abgerückt. Zum Zeitpunkt der Erklärung seien auch die weiteren Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV i. V. m. § 3 Abs. 1 BKV erfüllt gewesen. Auslöser des Entschlusses der Klägerin sei gewesen, dass im Juni 2002 die Hauterkrankung nach einer Zeit der Beschwerdefreiheit wieder vermehrt aufgetreten sei, was sich auch aus dem Bericht von Dr. C. vom 7. August 2002 ergebe. Dem Einwand der Beklagten, dass die Einbeziehung der subjektiven Sicht der Versicherten zu unbilligen Ergebnissen führen würde, stehe entgegen, dass Ziel der Übergangsleistungen gerade sei, auf den Willen des Versicherten Einfluss zu nehmen, so dass dementsprechend auch der erklärte Wille des Versicherten bei der Frage zu berücksichtigen sei, ob die Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV aufgegeben wurde. Ein noch späterer Zeitpunkt als der 17. Juni 2002 könne vor dem Hintergrund der Willensäußerung der Klägerin zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht festgestellt werden, insbesondere da sich weder der Gesundheitszustand der Klägerin noch ihr Entschluss, ihre bisherige Tätigkeit auf Grund der Hauterkrankung nicht mehr auszuüben, anschließend noch wesentlich verändert habe. Die Klage auf Zurücknahme der bestandskräftigen Entscheidung hinsichtlich der Feststellung der BK 5101 mit Bescheid vom 26. August 2003 im Wege der Überprüfung nach § 44 SGB X sei hingegen unbegründet. Insbesondere die Feststellung des Zeitpunkts des Eintritts der Berufskrankheit am 24. August 2000 sei nicht zu beanstanden und stehe auch der abweichenden Feststellung des Leistungsbeginns für die Übergangsleistungen nicht entgegen.

Nach erfolgter Zustellung des Urteils jeweils am 10. Dezember 2008 haben die Beklagte am 18. Dezember 2008 sowie die Klägerin am 12. Januar 2009 hiergegen Berufung vor dem Hessischen Landessozialgericht erhoben. Die Klägerin hat ihre Berufung durch Prozesserklärung vom 26. August 2011 zurückgenommen.

Die Beklagte ist der Ansicht, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Friseurin am 23. August 2000 sei bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise auch bereits der Zwang zur Aufgabe gegeben gewesen. Sowohl aus den eigenen Aussagen der Klägerin als auch aus den vorliegenden ärztlichen Befunden lasse sich entnehmen, dass die Klägerin ab dem 23. August 2000 aufgrund ihrer Hauterscheinungen nicht mehr dazu der Lage gewesen sei, den Beruf einer Friseurin auszuüben. Die Klägerin habe zudem bereits zeitnah im Anschluss an die letztmalige Ausübung der Tätigkeit durch ihr Verhalten bzw. ihre Erklärungen mehrfach zu verstehen gegeben, dass ihrerseits nicht beabsichtigt gewesen sei, wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Das ergebe sich insbesondere daraus, dass sie keine Bereitschaft gezeigt habe, an den angebotenen Präventivmaßnahmen teilzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 6. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2005 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass sie es bis zur Beendigung der Elternzeit nicht ausgeschlossen habe, die Tätigkeit als Friseurin wieder aufzunehmen. Die Durchführung eines Arbeitsversuchs sei von ihr bis dahin nicht abgelehnt worden, sondern aufgrund der Bestimmungen des Mutterschutzes und der Elternzeit schlicht unmöglich gewesen. Bis zur Beendigung des Erziehungsurlaubs sei ihr aufgrund der tatsächlichen Beendigung der Tätigkeit als Friseurin am 23. August 2000 auch kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden, so dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der 5-Jahreszeitraum für den Bezug der Übergangsleistungen erst danach beginnen könne.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

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