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Landessozialgericht Hessen 19.11.2015, L 8 KR 9/24

  • Aktenzeichen: L 8 KR 9/24
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 31 R 402/12
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 19.11.2015

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) und 2) in ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer/in der Klägerin.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Handel mit Reifen und branchenverwandten Artikeln ist. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer waren - bis zur Bestellung der Beigeladenen zu 1) und 2) zu weiteren Geschäftsführern im Jahr 2011 - die Herren V1 C. und V2 C. V1 C. ist der Vater, V2 C. der Onkel der Beigeladenen zu 1) und 2). Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 127.500 Euro, welches sich wie folgt verteilt:
Firma C. Immobilien mbH & Co KG (105.000 Euro)
V3 C. – Beigeladener zu 1) - (8.750 Euro)
E. – Beigeladene zu 2) – (8.750 Euro) V4 C. (5.000 Euro)
Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der in der Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen gefasst, wobei je 50 Euro eines Geschäftsanteils jeweils eine Stimme gewähren. Die Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin, die Firma C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG, besteht aus der Klägerin als persönlich haftender Gesellschafterin (Komplementärin) sowie vier Kommanditisten mit folgenden Kommanditanteilen:
V1 C. (570.000 Euro)
V2 C. (770.000 Euro)
V3 C. (Beigeladener zu 1) (105.000 Euro)
E. (Beigeladene zu 2) (105.000 Euro)

Ursprünglich hatten V1 und V2 C. gleich große Kapitalanteile von 770.000 Euro, die Beigeladenen zu 1) und 2) jeweils von 5.000 Euro. V2 C. hat den Beigeladenen zu 1) und 2) im Jahr 2003 sodann jeweils einen Gesellschaftsanteil von 100.000 Euro schenkweise überlassen.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 29. April 2002 ist die Klägerin unter Ausschluss der übrigen Gesellschafter allein zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt (Komplementär-GmbH). Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der einfachen Mehrheit, je 100 Euro des Kapitalanteils ergeben eine Stimme. Die persönlich haftende Gesellschafterin leistet keine Kapitaleinlage und erhält keinen Kapitalanteil.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragten am 25. Oktober 2011 bei der Beklagten die Prüfung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status. Nach den vorgelegten, weitgehend wortgleichen Anstellungsverträgen sind die Beigeladenen zu 1) und 2) seit 1. Juli 2011 unter gleichzeitiger Beendigung des bisherigen Anstellungsverhältnisses – zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Klägerin bestellt worden. Sie sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Beiden Geschäftsführern obliegt die Führung des Gesamtunternehmens. Der Beigeladene zu 1) leitet die Betriebe in A Stadt und C-Stadt und ist insbesondere für die Organisation und Steuerung des LKW-Reifengeschäftes verantwortlich. Die Beigeladene zu 2) leitet den Betrieb in D-Stadt und ist für die Organisation und Steuerung des gesamten PKW-Reifengeschäftes verantwortlich. Die Anstellungsverträge sind auf unbestimmte Zeit geschlossen und können von der Klägerin nur aus wichtigem Grund unter Einhaltung einer Frist von 6 Monaten zum Schluss des Kalenderjahres gekündigt werden; ein wichtiger Grund ist z.B. die Abberufung des Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung, die Liquidation der Gesellschaft sowie schwere Verstöße des Geschäftsführers gegen gesetzliche Vorschriften (§ 2). Der Geschäftsführer ist hinsichtlich seines Arbeitsortes frei und kann seine Dienstzeit frei bestimmen (§ 3). Als Vergütung ist ein Festgehalt von 3.750 Euro und ein 13. Monatsgehalt vereinbart; daneben besteht Anspruch auf betriebliche Altersversorgung, Dienstwagen und Aufwendungsersatz. Ferner enthalten die Anstellungsverträge Regelungen über bezahlten Erholungsurlaub, Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von 6 Monaten und Verschwiegenheitspflichten.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten stellte die Beklagte mit gleichlautenden Bescheiden vom 10. Januar 2012 – gerichtet an die Klägerin und die Beigeladenen zu 1) und 2) – im Rahmen der Statusfeststellung nach § 7a ff Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) und 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin seit dem 1. Juli 2011 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung begründe. Aufgrund des Kapitalanteils von (lediglich) jeweils 7 % und des daraus resultierenden Stimmrechtsanteils sei es den Beigeladenen zu 1) und 2) nicht möglich, die Geschicke der Klägerin maßgeblich zu beeinflussen. Angesichts der Zahlung fester Bezüge bestehe kein eine selbständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko. Dahinter träten die für eine Selbständigkeit sprechenden Aspekte (Freiheit hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Ausübung der Tätigkeit) zurück. Die Widersprüche der Klägerin vom 26. März 2012 wies die Beklagte mit wiederum gleichlautenden Widerspruchsbescheiden vom 23. Juli 2012 zurück.

Die Klägerin hat betreffend die Beigeladene zu 2) am 14. August 2012 und betreffend den Beigeladenen zu 1) am 17. August 2012 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben (S 31 R 402/12 und S 31 R 438/12).

Die Klägerin hat vorgetragen, bei ihr handele es sich um eine klassische Familien-GmbH, die ursprünglich von den Brüdern V1 und V2 C. und deren Ehefrauen gegründet worden sei und in die später ausschließlich die Beigeladenen zu 1) und 2) eingetreten seien, um sukzessiv die Unternehmensfortführung durch die nächste Generation zu sichern. Die Beigeladenen zu 1) und 2) seien dafür gesellschaftsrechtlich sowohl an der GmbH als auch an der Firma C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG beteiligt worden. Ursprünglich seien nach dem Gesellschaftsvertrag der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG die Einlagen der Kommanditisten ausschlaggebend u.a. für das Stimmrecht gewesen. Durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss der Firma C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 9. Januar 2004 hätten sich die Kommanditisten jedoch darauf geeinigt, dass ungeachtet der unterschiedlichen kapitalmäßigen Beteiligung aller Kommanditisten jeder Kommanditist ein gleiches Stimmrecht haben solle, darüber hinaus sei den Beigeladenen zu 1) und 2) als der Nachfolgegeneration ein Vetorecht bei Beschlussfassungen eingeräumt worden. An dieses "Einstimmigkeitsprinzip" hätten sich die Gesellschafter freiwillig gebunden und so werde es bis heute praktiziert. Da die Immobiliengesellschaft mit 82,36 % Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin sei, könnten die Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund der Stimmverteilung innerhalb der KG und ihres Vetorechts einseitige Weisungen ebenso wie eine Satzungsänderung zu ihren Lasten verhindern. Die Klägerin hat hierzu den Gesellschafterbeschluss der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 9. Januar 2004 vorgelegt, in der folgender einstimmiger Beschluss gefasst worden ist: "Jeder der vier Kommanditisten der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG hat unabhängig von der Höhe seiner Kapitalbeteiligung ein Stimmrecht von 25 %. Des Weiteren wird den beiden Kommanditisten E. und V3. C. ein Vetorecht eingeräumt. Die Komplementärin A. hat in den Gesellschafterversammlungen kein Stimmrecht."

Die Beklagte hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten. Das eingeräumte Vetorecht spreche nicht für einen maßgeblichen Einfluss der Beigeladenen zu 1) und 2) auf die Geschicke der Gesellschaft. Es handele sich um einen Beschluss, der jederzeit durch einfache Mehrheit wieder aufgehoben werden könne. Darüber hinaus bestehe seitens der Gesellschafterversammlung die Rechtsmacht, durch Beschlüsse über die Tätigkeit der Beigeladenen auch gegen ihren Willen zu entscheiden.

Mit Gerichtsbescheiden vom 10. Dezember 2013 hat das Sozialgericht in beiden Fällen die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 1) und 2) kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV besteht. Der Anstellungsvertrag enthalte zwar Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen wie die feste Vergütung und der feste Urlaubsanspruch. Atypisch sei dagegen der Abschluss des Vertrags auf unbestimmte Zeit, die Freiheit hinsichtlich des Arbeitsortes und der Dienstzeiten sowie die Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von sechs Monaten. Zu beachten sei auch der Beschluss der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 9. Januar 2004, wonach den Beigeladenen zu 1) und 2) ein Stimmrecht von 25 % und ein Vetorecht eingeräumt worden sei. Damit könnten die Beigeladenen zu 1) und 2) maßgeblich die Geschicke der Klägerin mitlenken und auch ihnen nicht genehme Weisungen verhindern. Der Einwand der Beklagten, dass dieser Beschluss mit einfacher Mehrheit wieder aufgehoben werden könne, habe sich in den vergangenen 9 Jahren nicht realisiert. Zu beachten sei schließlich der familiäre Verbund, bei dem durch den Abschluss der Geschäftsführerverträge mit den Beigeladenen zu 1) und 2) ein Generationswechsel habe stattfinden sollen. Unter Würdigung dieser Gesamtumstände sei die Tätigkeit der Beigeladenen nicht als sozialversicherungspflichtig anzusehen.

Gegen die jeweils am 12. Dezember 2013 zugestellten Gerichtsbescheide hat die Beklagte am 8. Januar 2014 Berufung eingelegt. Der Senat hat beide Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die betroffenen Kranken- und Pflegekassen sowie die Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren beigeladen.

Die Beklagte trägt vor, das Sozialgericht übersehe, dass mit dem Gesellschafterbeschluss vom 9. Januar 2004 den Beigeladenen zwar ein Vetorecht eingeräumt worden sei, die übrigen Regelungen des Gesellschaftsvertrags jedoch nicht außer Kraft gesetzt worden seien. Gesellschafterbeschlüsse könnten also weiterhin mit einfacher Mehrheit der Stimmen der stimmberechtigten Gesellschafter gefasst werden. Bei derart widersprechenden vertraglichen Regelungen gelte grundsätzlich, dass eine satzungsmäßige Ausübung des Stimmrechts wirksam sei, auch wenn gegen eine anderslautende Vereinbarung verstoßen werde. Ein Vetorecht, welches im Widerspruch zum Gesellschaftsvertrag stehe, sei von seiner rechtlichen Qualität nicht anders zu beurteilen als eine vom Gesellschaftsvertrag abweichende praktische Handhabung, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Bedeutung beikomme. Auch die weitere Argumentation des Sozialgerichts, dass seit neun Jahren auf der Basis des Gesellschafterbeschlusses agiert werde und dem ein familiärer Verbund zugrunde liege, in dessen Rahmen ein Generationenwechsel stattfinden solle, überzeuge nicht, denn nach der Rechtsprechung des BSG sei die bloße Nichtausübung eines Rechts, welches rechtlich nicht wirksam abbedungen sei, unbeachtlich. Völlig unbeachtet lasse das Sozialgericht, dass V2 C. und V1 C. nach wie vor Geschäftsführer mit unbeschränkter Geschäftsführungsbefugnis seien. Die "Elterngeneration" habe also gerade noch nicht das Ruder aus der Hand gegeben und den Beigeladenen die vom BSG geforderte umfassende Rechtsmacht zur Leitung der Klägerin eingeräumt. Der zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 1) und 2) geschlossene Anstellungsvertrag enthalte ganz überwiegend Regelungen, welche für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis typisch seien.

Die Beklagte beantragt,

die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2013 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass Abschluss und Änderung des Gesellschaftsvertrags einer GmbH & Co KG grundsätzlich formfrei möglich seien; strengere Formanforderungen könnten sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Vorliegend sehe der Gesellschaftsvertrag vom 29. April 2002 in § 20 Schriftform vor. Diesem Erfordernis sei durch den Gesellschafterbeschluss vom 9. Januar 2004 Rechnung getragen worden. Wieso es hierdurch zu sich widersprechenden vertraglichen Regelungen gekommen sein solle erschließe sich nicht. Vielmehr sei durch die satzungsändernden Beschlüsse der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG geändert und die ursprünglich vereinbarte Abhängigkeit des Stimmrechts von der Höhe der jeweiligen Einlagen der Kommanditisten durch ein gleiches Stimmrecht von jeweils 25 % ersetzt worden, ergänzt um das jeweilige generelle Vetorecht der Beigeladenen zu 1) und 2). Damit könnten die Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund der Mehrheitsbeteiligung der GmbH & Co KG an der Klägerin von 82,36 % ihnen nicht genehme Weisungen der Klägerin stets verhindern. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung über weitergehende Formerfordernisse betreffe das Recht der GmbH, bei der nach § 53 Abs. 1 GmbHG notarielle Beurkundung erforderlich sei. - Entgegen der Behauptungen der Beklagten habe bei der Klägerin sehr wohl ein Generationswechsel stattgefunden. V1 C. sei am 1. Juli 2012 endgültig aus den aktiven Diensten der Gesellschaft ausgeschieden. V2 C. sei seit April 2013 Rentner und nur noch aushilfsweise an Samstagen und zu Stoßzeiten im Unternehmen tätig. Die fortbestehende Geschäftsführerbestellung beider Herren diene ausschließlich Sicherheitsaspekten, um bei einem Ausfall einer oder beider Junioren nicht führungslos zu sein. Der faktische Kündigungsausschluss im Anstellungsvertrag als auch die Abrede über eine Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall von 6 Monaten seien ebenso arbeitnehmeruntypisch wie die Regelung, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort frei wählen könnten.

Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge und haben sich zur Sache weiterführend nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war, Bezug genommen.

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