Landessozialgericht Hessen 18.11.2010, L 1 KR 346/09
- Aktenzeichen: L 1 KR 346/09
- Spruchkörper: 1. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 9 KR 204/07
- Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 18.11.2010
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin seit dem 1. Januar 1999 bei der Beigeladenen zu 2. versicherungspflichtig beschäftigt ist.
Die Klägerin machte im Steinmetzbetrieb ihres Vaters eine Ausbildung zur Bürokauffrau und war anschließend als kaufmännische Angestellte bei einem Zeitungsverlag tätig. 1991 gründete sie mit ihrem Vater (E.) eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Gegenstand des Unternehmens war ein Fliesen- und Steinmetzbetrieb. An diesem Unternehmen hatten die Klägerin einen Anteil von 90 % und ihr Vater einen Anteil von 10 %. Mit Mietvertrag vom 2. Januar 1991 vermietete die Klägerin der GbR zwei Häuser für den Geschäftbetrieb. Der Ehemann der Klägerin ist seit 1991 im Betrieb tätig. Nach Maurerlehre und Meisterprüfung studierte er Hochbautechnik und Betriebswirtschaft. Am 30. Dezember 1998 übertrug ihm die Klägerin ihren Anteil an der GbR.
Mit Übergabevertrag vom 30. Dezember 1998 übergab die Klägerin ihrem Ehemann die ideelle Hälfte von mehreren Betriebsgeländen bzw. –flächen. Mit Vertrag gleichen Datums errichteten die Eheleute die A. und F. GbR mit dem Zweck des Erwerbs, der Bebauung und Verwaltung von Grundbesitz (Anteile: Ehemann 51 % und Klägerin 49 %).
Mit Vertrag ebenfalls vom 30. Dezember 1998 gründeten Vater und Ehemann der Klägerin die G. Geschäftsführungs- und Verwaltungs-GmbH mit einem Grund- und Stammkapital in Höhe von 50.000,- DM. Hiervon brachten der Vater der Klägerin 500, DM und der Ehemann der Klägerin 49.500,- DM ein. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind die Klägerin und ihr Ehemann. Sie haben die Befugnis, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen. Maßnahmen der Geschäftsführer, die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen, bedürfen im Innenverhältnis der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung (§ 5 des Vertrages). Die Gesellschafter haben Anspruch auf den Jahresüberschuss (§ 9 des Vertrages).
Mit weiterem Vertrag vom 30. Dezember 1998 schlossen die G. Geschäftsführungs- und Verwaltungs-GmbH als Komplementärin sowie der Ehemann der Klägerin als Kommanditist die D. GmbH & Co. KG (= Beigeladene zu 2.). Der Ehemann der Klägerin brachte eine Kapitaleinlage in Höhe von 100.000,- DM durch Einbringung seiner Gesellschaftsanteile an der E. GbR ein. Zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft ist die Komplementärin berechtigt und verpflichtet. Diese sowie deren Geschäftsführer sind für Geschäfte mit der Gesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Soweit ein Kommanditist von seinem Widerspruchsrecht nach § 164 HGB Gebrauch macht, entscheiden auf Antrag der Komplementärin die Gesellschafter durch Beschluss über die Vornahme der Handlung (§ 6 des Vertrages). Gesellschafterbeschlüsse bedürfen hinsichtlich Vertragsänderungen und Gesellschaftsauflösung der Einstimmigkeit, im Übrigen der Mehrheit der stimmberechtigten Stimmen (§ 8 des Vertrages). Die Stimmanzahl richtet sich nach dem Kapitalanteil. Gewinn- und Verlustverteilung erfolgt ebenfalls nach den Kapitalanteilen (§ 10 des Vertrages).
Mit Vertrag vom 30. Dezember 1998 vermietete die A. und F. GbR die Räume auf drei Grundstücken in A-Stadt an die Beigeladene zu 2. zum Betrieb des Fliesen- und Steinmetzbetriebs für einen monatlichen Mietzins in Höhe von 3.500,- DM.
Am 2. Januar 1999 schlossen die Beigeladene zu 2. und die Klägerin einen Arbeitsvertrag "zwischen Ehegatten/Angehörigen". Hiernach verpflichtete sich die Klägerin ab dem 1. Januar 1999 für die Beigeladene zu 2. als kaufmännische Angestellte mit 37,5 Wochenstunden und einem Bruttogehalt von monatlich 3.800,- DM zu arbeiten. Ihr stehen Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall, Weihnachtsgratifikation und 30 Tage Urlaub jährlich zu.
Im Jahre 2002 verstarb der Vater der Klägerin. Die Anteile des Vaters wurden dem Ehemann der Klägerin überschrieben.
Am 23. August 2002 gab die A. und F. GbR gegenüber der X.-Bank eine Grundschulderklärung über 120.000,- EUR ab. Die Grundschuld diente als Sicherheit für Darlehens- bzw. Kreditverträge der Beigeladenen zu 2.
Die Klägerin beantragte eine versicherungsrechtliche Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses. Im Feststellungsbogen erklärte sie am 1. August 2005 gegenüber der Beklagten, dass sie für die Beigeladene zu 2. alle im Büro anfallenden Tätigkeiten wie Werbung, Schriftverkehr, Zahlungsverkehr, Verkauf, teilweise Einkauf, Eingabe von Daten in PC, Mahnungen, Überprüfung der Lieferung und Rechnungen verrichte. Sie sei wie eine fremde Arbeitskraft eingegliedert, ohne ihre Mitarbeit hätte eine andere Arbeitskraft eingestellt werden müssen, sie sei an die Weisungen des Betriebsinhabers gebunden, könne ihre Tätigkeit nicht frei bestimmen und gestalten, wirke bei der Führung des Betriebes nicht mit. Auch sei ihre Arbeit nicht durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt. Das vereinbarte Gehalt werde auf ein privates Konto überwiesen, über das sie verfügungsberechtigt sei. Weihnachtsgeld in Höhe von 750,- EUR brutto werde gewährt. Von dem Arbeitsentgelt werde Lohnsteuer entrichtet und es werde als Betriebsausgabe gebucht.
Mit Bescheid vom 20. September 2005 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin fest, dass diese an der Beigeladenen zu 2. nicht beteiligt sei, ihre Tätigkeit weisungsgebunden ausübe und bei der Führung des Betriebs nicht mitwirke. Die Merkmale der Tätigkeit wiesen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis auf. Sie sei daher sozialversicherungspflichtig. Der Bescheid erging ohne Rechtsmittelbelehrung.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 29. Mai 2006 Widerspruch. Der Bescheid berücksichtige nicht die Darlehensverpflichtung der Klägerin über 228.000,- EUR sowie die weitere Aval-Bindung in Höhe von 20.000,- EUR. Ferner verwies sie auf ihr Stellung bei der GmbH sowie der GbR, welche die Betriebsstätte des Unternehmens an die Beigeladene zu 2. vermiete.
Unter dem 29. August 2006 erklärte die Klägerin im Feststellungsbogen der Beklagten, dass sie Geschäftsführerin der G. Geschäftsführungs- und Verwaltungs-GmbH sei. Aufgrund der Familienzugehörigkeit könne sie Gesellschaftsbeschlüsse herbeiführen oder verhindern. Gegenüber der Beigeladenen zu 2. habe sie Sicherheit durch mehrere Grundschulden gegeben. Ihre Tätigkeit sei aufgrund von familienhaften Rücksichtnahmen durch gleichberechtigtes Nebeneinander zu anderen Gesellschaftern geprägt. Ein Geschäftsführervertrag bestehe nicht. Sie sei nur per Gesellschaftsvertrag zur Geschäftsführerin ernannt worden. Der Arbeitsvertrag weiche stark von der täglichen Praxis ab. Sie unterliege keinem Direktions- bzw. Weisungsrecht und könne ihre Tätigkeit in der Gesellschaft frei bestimmen. Personal könne sie nicht selbstständig einstellen. Aufgrund der Familienzugehörigkeit könne ihr nicht gekündigt werden. Die monatliche Vergütung betrage 2.621,- EUR. Die Vergütung werde als Gehalt und als Betriebsausgaben verbucht. Am Gewinn sei sie nicht beteiligt. Ihr Ehemann bestätigte die Richtigkeit der Angaben und erklärte, dass die Klägerin aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit und ihrer Fachkenntnisse die Unternehmensgeschicke maßgeblich mitbestimme. Es habe zu keinem Zeitpunkt Einzelanweisungen bzw. Gesellschaftsbeschlüsse gegeben, die ihre Tätigkeit betreffen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Steuerrechtlich sei das Arbeitsentgelt als Betriebsausgabe verbucht und Lohnsteuer gezahlt worden. Die steuerrechtliche Behandlung stelle einen wesentlichen Aspekt für die versicherungsrechtliche Beurteilung dar. Ferner bestehe kein echtes Unternehmerrisiko. Die Klägerin habe ein regelmäßiges Gehalt bezogen. Zwar seien Haftung und Darlehensgewährung Indizien gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Da keine weiteren entscheidungserheblichen Aspekte für eine Mitunternehmerschaft sprächen, werde hierdurch jedoch ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht ausgeschlossen. Dies gelte auch für die Überlassung von Betriebsgrundstücken, gebäuden und –anlagen zum im Wesentlichen marktüblichen Miet- bzw. Pachtzins. Dass das Unternehmen in der Rechtsform einer Einzelfirma geführt werde, spreche für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Ferner verweist die Beklagte auf die Angaben der Klägerin im Feststellungsbogen vom 1. August 2005. In einem Telefonat vom 20. September 2005 habe der Ehemann der Klägerin zudem angegeben, dass die GbR nur aus steuerlichen Erwägungen gegründet worden sei. Die Klägerin habe ferner telefonisch bestätigt, dass die Beschäftigung weisungsgebunden ausgeübt werde. Erst mit Eintritt der Prozessbevollmächtigten in das Verwaltungsverfahren seien die Angaben geändert worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 24. Juli 2007 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben und im Wesentlichen auf ihre Begründung im Verwaltungsverfahren verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Ehemann der Klägerin erklärt, dass diese lediglich aus steuerrechtlichen Gründen nicht Gesellschafterin geworden sei. Er habe keinen Arbeitsvertrag. Der Betrieb zahle seine Lebensversicherungen und seine Zusatzkrankenversicherung. Dies seien 2.000,- EUR im Monat. Ein festes Entgelt bekomme er nicht. Das Geld für seine persönlichen Bedürfnisse bekomme er von der Klägerin. Die Klägerin hat erklärt, dass die Umwandlung in eine GmbH und Co. KG auf Anraten des Steuerberaters erfolgt sei. Sie erhalte 2.300,- EUR brutto. Weihnachtsgeld habe sie nie erhalten. Der Steuerberater habe den Abschluss eines Arbeitsvertrages vorgeschlagen. An ihrer Tätigkeit habe sich hierdurch nichts geändert.
Die Beklagte hat hingegen angeführt, dass die Klägerin keinerlei Geschäftsanteile an der GmbH besitze. Bei sogenannten Fremdgeschäftsführern werde aber regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen. Aus den ursprünglichen Angaben der Klägerin gehe hervor, dass eine Beschäftigung vorliege. Unbedeutend sei ferner, dass sie Gesellschafterin der GbR sei, da sie insoweit keine Arbeitskraft einsetze. Mit dem Arbeitsvertrag hätten sich die Klägerin und ihre Familie bewusst für diese Vertragsgestaltung entschieden. Ein gleichberechtigtes Nebeneinander im Rahmen der Unternehmensführung spreche solange nicht gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, solange eine Mitunternehmerschaft nicht nach außen dokumentiert werde. Stünde die Klägerin mit ihrer Tätigkeit der Beigeladenen zu 2. nicht zur Verfügung, müsste diese eine fremde Arbeitskraft einstellen.
Mit Urteil vom 26. August 2009 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 20. September 2005 und den Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2007 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 2. seit dem 1. Januar 1999 nicht versicherungspflichtig beschäftigt ist. Die Klägerin sei eigentlich "der Kopf und die Seele" der Firma, da sie ihre Anteile an der BGB-Gesellschaft auf ihren Ehemann übertragen habe, damit dieser die Firma haben gründen können. Auch die ihr gehörenden Grundstücke habe sie zum großen Teil übertragen. Sie verfüge über die erforderlichen Fachkenntnisse für die Führung des Unternehmens. Sie sei nur aus steuerlichen Gründen nicht Gesellschafterin geworden und nicht weisungsgebunden tätig.
Die Beigeladene zu 1. hat gegen das ihr am 9. November 2009 zugestellte Urteil am 8. Dezember 2009 Berufung eingelegt. Sie verweist auf die Begründung der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren. Ergänzend führt sie an, dass der freiwillige Verzicht auf Weihnachtsgeld keinen Rückschluss auf eine selbstständige Tätigkeit der Klägerin zulasse. Dies sei aus der familiären Bindung der Klägerin zu den Firmeninhabern zu begründen und stelle die tatsächliche Umsetzung des Arbeitsvertrages nicht in Zweifel. Auch führe der Vortrag der Klägerin, der Arbeitsvertrag könne nicht maßgeblich für die Beurteilung des versicherungsrechtlichen Status sein, zu keiner anderen Beurteilung. Denn es fehle an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die entsprechenden Willenserklärungen nicht ernst gemeint (§ 118 BGB) oder unter den rechtlichen Voraussetzungen eines Scheingeschäfts (§ 117 BGB) abgegeben worden seien. Darüber hinaus liege es nicht in der Disposition der Klägerin, die Wirkungen eines wirksamen Vertrages nach Maßgabe seiner Individualnützlichkeit auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken. Wenn eine vertragliche Gestaltung durch zwingende gesetzliche Regelungen vorgegeben sei, sei davon auszugehen, dass die tatsächlichen Verhältnisse hiervon nicht rechtserheblich abweichen und deshalb bei der Beurteilung der Versicherungspflicht diese vertragliche Gestaltung auch rechtlich maßgeblich sei. Daher greife die Behauptung, der Vertrag sei nicht gelebt worden, nicht durch.
Die Beigeladene zu 1. beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. August 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Berufung sei verfristet. Im Übrigen hält sie das angegriffene Urteil für zutreffend und verweist darauf, dass sie vor dem streitbefangenen Zeitraum mit 90 % nahezu Alleininhaberin des Unternehmens gewesen sei. Daher könne sie nicht allein deshalb, weil sie ihrem bis dahin bei ihr angestellten Ehemann ihre Anteile überschrieben habe, zur abhängig beschäftigten Angestellten geworden sein.
Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.