Landessozialgericht Hessen 24.11.2011, L 8 KR 93/10
- Aktenzeichen: L 8 KR 93/10
- Spruchkörper: 8. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 6 KR 42/09
- Instanzgericht: Sozialgericht Marburg
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 24.11.2011
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten für rhythmische Massage streitig.
Die Klägerin, geboren 1934, ist bei der Beklagten versichert.
Sie leidet an Polymyalgia rheumetica (nach Pschyrembel 260. Aufl.: eine entzündliche Multiorganerkrankung mit enger Beziehung zur Arteriitis temporales, Manifestationsalter meist über 65 Jahre; Symptomatik: besonders nächtliche und morgendliche symmetrische Schulterschmerzen, proximal betonte Myalgien, Morgensteifigkeit bis zur Gehunfähigkeit, Müdigkeit, Depressivität).
Rhythmische Massage ist eine erweiterte Form der schwedischen (klassischen) Massage und ein Heilmittel der anthroposophischen Medizin. Ihr Ziel ist es, im Körper die notwendigen Voraussetzungen für ein körperliches, seelisches und geistiges Gleichgewicht zu fördern. Die rhythmische Massage wirkt primär auf den Flüssigkeitsstrom des Gesamtorganismus. Die Griffe beeinflussen örtlich rhythmisch über das untere Hautzellengewebe den Flüssigkeitsstrom (Zuck, Recht der anthroposophischen Medizin, Rdnr. 241).
Ausweislich der Verwaltungsakte erstattete die Beklagte der Klägerin im Zeitraum von 2001 - 2006 die Kosten - ärztlich auf Privatrezept verordneter - rhythmischer Massagen (insgesamt sieben Rezepte) auf der Grundlage des Schreibens vom 11. März 1997. Das Schreiben der Beklagten vom 11. März 1997 ist an den Ehemann der Klägerin gerichtet und lautet wie folgt:
"Sehr geehrter Herr A.!
Wir beziehen uns auf Ihren eingereichten Antrag, unser Schreiben vom 26.02.1997 sowie unser Telefongespräch.
Zwischenzeitlich haben wir uns mit Kollegen C. verständigt sowie unsere Abteilung "Grundsatzfragen" in KS. um Entscheidung gebeten. Von dort erhielten sie die Auskunft, die uns jetzt vorliegende Rechnungen im Rahmen der Kostenerstattung anstelle von Massage und Wärmebehandlung (unter Abzug des Eigen- und Verwaltungskostenanteils) zu erstatten.
Gleichzeitig werden wir allerdings den MDK um eine Beurteilung und Stellungnahme bitten. Die Entscheidung für weitere Kostenerstattungen sollen von den Aussagen des MDK abhängig gemacht werden.
Sie erhalten deshalb in den nächsten Tagen einen Betrag von 185,72 DM. Über die Aussagen des MDK werden wir sie umgehend informieren.
Mit freundlichen Grüßen."
Mit Schreiben vom 10. September 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut eine anteilmäßige Kostenerstattung für die mit Privatrezept vom 13. Mai 2008 verordnete und im F-Therapeutikum A-Stadt durchgeführte rhythmische Massage mit Wärmebehandlung in Höhe von 552 EUR (Rechnung vom 8. Juli 2008).
Die Beklagte holte eine aktenmäßige Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) ein, die Dr. R. D. erstellte. Danach sei die rhythmische Massage eine Methode der anthroposophischen Medizin und damit den besonderen Therapierichtungen zuzuordnen. Es handele sich hierbei um eine Leistung, die auf ärztliche Verordnung ähnlich einem Heilmittel erbracht werde. Da die Leistung weder im EBM-Ä noch im Heilmittelkatalog vorgesehen sei, handele es sich hierbei um ein "neues Heilmittel "und sei als solches zu begutachten. Da neue Heilmittel erst nach einer positiven Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden könnten und eine solche nicht vorliege, könne eine Kostenerstattung nicht empfohlen werden, zumal die Voraussetzung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az. 1 BvR 347/98) nicht vorlägen. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da es sich bei der Rheumaerkrankung der Klägerin nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handele.
Auf der Grundlage der Stellungnahme des MDK lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 28. November 2008 ab.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, mit der Aufnahme der besonderen Therapierichtungen in § 2 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei ein Ausschluss der rhythmischen Massage als Heilmittel der anthroposophischen Medizin aus dem Leistungskatalog der GKV rechtswidrig. Auch habe das Bundessozialgericht entschieden, dass für den Qualitäts- und Wirksamkeitsnachweis der besonderen Therapierichtungen und damit auch der rhythmischen Massagen, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht uneingeschränkt übertragen werden könnten. Auch sei die rhythmische Massage nicht als neue Behandlungsmethode anzusehen, da sie bereits seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts integrativer Bestandteil der anthroposophischen Medizin sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, da der Gemeinsame Bundesausschuss keine Empfehlung für die rhythmische Massage ausgesprochen habe, sei eine Kostenübernahme nicht möglich.
Dagegen hat die Klägerin am 22. Mai 2009 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben. Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen, das Schreiben der Beklagten vom 11. März 1997 stelle eine Zusicherung der künftigen Kostenübernahme dar. Diese Zusicherung habe nach § 34 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) weiterhin Bestand. Auf dieser Grundlage sei ihr in den letzten Jahren immer wieder eine anteilige Kostenerstattung bewilligt worden. Auch könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bislang keine Empfehlung für die rhythmische Massage abgegeben habe. Schließlich sei sie nicht in der Lage, ein entsprechendes Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss einzuleiten. Diese Einleitung sei nunmehr seit Jahrzehnten durch die Antragsberechtigten unterblieben.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17. Februar 2010 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin besitze keinen Anspruch auf Kostenübernahme der rhythmischen Massagen nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Danach seien, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können (1. Alt.) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe (2. Alt.) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig gewesen sei. Da ein Anspruch der Klägerin wegen einer Notfallversorgung nach § 13 Abs. 3 S. 1 1. Alt. SGB V vorliegend ausgeschlossen werden könne, bestehe nach § 13 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB V vorliegend ein Kostenerstattungsanspruch anstelle des Sachleistungsanspruchs der Klägerin nur dann, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Dabei könne dem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nicht entgegengehalten werden, dass sie den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe, auch wenn sie die Kostenerstattung erst nach Inanspruchnahme der rhythmischen Massagen gegenüber der Beklagten geltend gemacht habe. Zwar hätte die Klägerin grundsätzlich vor Durchführung der Behandlung die Entscheidung der Beklagten über die Kostenerstattung abwarten müssen. Darauf könne sich die Beklagte zur Abwehr des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs nicht berufen, weil die Klägerin nach der jahrelangen Praxis nicht davon habe ausgehen müssen, dass die Beklagte sich auf die Einhaltung des Beschaffungsweges berufen werde. Die Beklagte habe der Klägerin bereits im Jahre 1997 eine Kostenerstattung gewährt, ohne dass die Klägerin vor Durchführung der rhythmischen Massagen einen Antrag bei der Beklagten auf Kostenerstattung gestellt habe. Die Klägerin habe deshalb nicht davon ausgehen müssen, dass nunmehr ein vorhergehender Antrag bei der Beklagten zu stellen sei. Zumindest könne sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen. Jedoch könne die Klägerin den geltend gemachten Anspruch nicht auf das Schreiben der Beklagten vom 11. März 1997 im Sinne einer Zusicherung nach § 34 SGB X stützen. Nach § 34 SGB X könne die zuständige Behörde eine Zusage erteilen, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung). Dies könne dem Schreiben vom 11. März 1997 nicht entnommen werden. Das Schreiben der Beklagten sei insoweit bedingt formuliert, als die weitere Bewilligung von einer positiven Stellungnahme des MDK abhängig gemacht werde. Ein uneingeschränkter Bewilligungswille der Beklagten sei dem Schreiben somit nichts zu entnehmen. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass nach der Systematik des Rechts der GKV jede Verordnung neu zu prüfen sei. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung, da die rhythmische Massage nicht zum Leistungsumfang der GKV gehöre. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB V reiche nicht weiter als der Sachleistungsanspruch und setzte damit voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehöre, welche die Krankenkasse allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen habe (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Hinweis auf Urteile vom 26. März 2006, Az. B 1 KR 3/06 R und vom 2. April 2006, Az. B 1 KR 12/05 R). Der Versicherte habe gemäß § 24 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zu dem Leistungskatalog gehörten nach § 32 SGB V auch die Versorgung mit Heilmitteln. Weiter müsse die Leistung nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfe das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Nach § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V dürften Leistungserbringer Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich seien, nicht erbringen; die Krankenkasse nicht bewilligen und die Versicherten hätten hierauf keinen Anspruch. Neue Heilmittel dürften gem. §§ 34, 138, 135 Abs. 1 SGB V zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine Empfehlung unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens des Heilmittels abgegeben habe. Diese Vorschrift habe unmittelbare Auswirkung auf das Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versicherten. Dieser könne das Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkasse nur beanspruchen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine positive Empfehlung in der Richtlinie ausgesprochen habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die rhythmische Massage ein neues Heilmittel. Entscheidend sei, ob das Heilmittel bereits Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sei. Auch wenn die rhythmische Massage bereits seit Jahrzehnten anerkannter Bestandteil der anthroposophischen Medizin sei, ändere dies nichts daran, dass sie nicht in dem Leistungskatalog der GKV aufgeführt sei. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe sich jedoch bislang mit Heilmitteln der anthroposophischen Medizin nicht auseinandergesetzt. Damit sei er seinem Auftrag, der Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt, nicht nachgekommen. Insoweit läge ein Systemversagen vor. Nach der Regelung des § 2 Abs. 1 S. 2 SGB V dürften besondere Therapierichtungen, wie zum Beispiel die anthroposophische Medizin, dem Versicherten nicht vorenthalten werden, soweit sie sich als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen. Dem müsse auch das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss gerecht werden. Eine sich daraus ergebende Versorgungslücke müsse zu Gunsten des Versicherten mithilfe des § 13 Abs. 3 SGB V geschlossen werden (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 1997, Az. 1 RK 28/95). Die durch die Untätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses entstandene untergesetzliche Regelungslücke sei unter Heranziehung der von der Rechtsprechung zum Systemversagen bei Erlass von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses entwickelten Grundsätze direkt anhand der Grundentscheidungen des Gesetzgebers für eine therapeutische Vielfalt bei der Versorgung mit Heilmitteln und unter Berücksichtigung der Grundrechte der Klägerin aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz zu schließen (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 3. April 2001, Az. B 1 KR 40/00 R; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az. 1 BvR 347/98; Sozialgericht Dresden, Urteil vom 29. Juni 2006, Az. S 18 KR 354/05).
Aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Grundgesetz folge zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen und im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts zu gewährleisten, dass dem Erkrankten die Entscheidung über die in seinem Fall anzuwendende Therapie belassen werde. Daraus ergebe sich jedoch kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen. Allein das Systemversagen des Gemeinsamen Bundesausschusses im Hinblick auf die Nichtbewertung der anthroposophischen Medizin führe nicht dazu, dass jegliche Arznei- oder Heilmittel dieser Therapierichtungen zu Lasten der GKV erstattungsfähig seien. Die Sonderregelungen für Leistungen der besonderen Therapierichtungen in § 2 Abs. 1 S. 2 und § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V besagten in diesem Zusammenhang lediglich, dass jene nicht schon wegen des Ansatzes der Therapierichtungen aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen seien. Eine Sonderstellung werde den besonderen Therapierichtungen indessen nicht eingeräumt (BT-Drucks. 11/3480, Seite 49). Das Bundessozialgericht sehe die besondere Legitimation der besonderen Therapierichtungen als Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV im Erfordernis der Akzeptanz eines umfassenden therapeutischen Konzepts unter größten Teilen der Ärzteschaft und der Bevölkerung, wobei die med.-wissenschaftliche Tragfähigkeit des Denkansatzes der Therapierichtung der Kontrolle durch die Gerichte entzogen sei. Entscheidend sei vielmehr neben der Verbreitung in der Praxis, dass der jeweilige Denkansatz über nachprüfbare Kriterien verfüge, um eine kunstgerechte Anwendung von einem Behandlungsfehler zu unterscheiden (Bundessozialgericht Urteil vom 16. September 1997, Az. 1 RK 28/95). Auch in diesem eingeschränkten Rahmen bedürfe die Heranziehung der Beitragszahler zur Finanzierung der Leistungen der GKV einer inneren Rechtfertigung auf der Leistungsseite. Die Verwendung der aus Beiträgen erhobenen Mitteln müsse sich am Maßstab der Wissenschaftlichkeit rechtfertigen – im Sinne planmäßig-methodischen Erkennens und Beweisens und der empirischen Überprüfbarkeit sowie Zuverlässigkeit der Ergebnisse – und damit am grundlegenden Kriterium der Rationalität messen und sich von bloßen Wirksamkeitsbehauptungen, die einer empirischen Prüfung nicht zugänglich seien, abgrenzen lassen. Jenseits dieser Grenze sei für einen "Wissenschaftspluralismus" (BT-Drucks. 7/5091, Seite 6f.) von Verfassungs wegen kein Raum (Sozialgericht Dresden, Urteil vom 29. Juni 2006, Az. S 18 KR 534/05).
Das Gericht sei gehindert, die vom Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesene Überprüfung der Binnenanerkennung in den besonderen Therapierichtungen mit normativer Wirkung zu ersetzen, wenn dieser seine Aufgabe insoweit nicht erfüllt habe. Dies würde die fachlichen und verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Gerichts übersteigen. Stattdessen sei die Kammer gehalten, über den Anspruch der Klägerin anhand der verfügbaren Anhaltspunkte eine Entscheidung zu treffen, die sich darauf beschränke, das Versagen des gesetzlichen Leistungssystems auf der Richtlinienebene unmittelbar anhand der Vorgabe des Gesetzes zu überbrücken, ohne dass das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung eine eventuelle spätere Regelung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss inhaltlich präjudizieren würde. Die Prüfung des Gerichts beschränke sich darauf, festzustellen, ob die rhythmische Gymnastik innerhalb der anthroposophischen Therapierichtung zur Behandlung rheumatischer Erkrankung anerkannt sei (Sozialgericht Dresden Urteil vom 29. Juni 2006, Az. S 18 KR 534/05). Selbst wenn dieser Nachweis geführt werde, bliebe abzuwägen, ob mit Rücksicht auf ihre Grundrechte die Klägerin im Einzelfall einen Anspruch auf Kostenübernahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung habe. Abzuwägen sei jeweils das Interesse der Beitragszahler am sinnvollen Einsatz der Mittel mit dem Interesse des Erkrankten, mit genau diesem Heilmittel behandelt zu werden. Vorliegend überwiege zur Überzeugung des Gerichts das allgemeine Interesse der Beitragszahler insbesondere deshalb, weil es sich bei der Rheumaerkrankung der Klägerin um keine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung handele, die keiner anderen Therapie zugänglich sei. In diesem Fall wäre eine Leistungspflicht bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzweifelhaft zu bejahen. Mit Rücksicht auf die geringe Intensität des mit dem Versagen der Kostenübernahme einhergehenden Grundrechtseingriffs, halte das Gericht es für hinnehmbar, einen Anspruch solange auszuschließen, bis der Gemeinsame Bundesausschuss seinen Normsetzungsauftrag in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise nachgekommen sei. Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen die Berufung gegen sein Urteil zugelassen.
Gegen das am 4. März 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. März 2010 Berufung eingelegt.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend trägt sie vor, das Sozialgericht habe es unterlassen, eigene Amtsermittlungen in Bezug auf die Qualität und Wirksamkeit der rhythmischen Massagen anzustellen. Dies habe nunmehr der Senat nachzuholen. Auch sei es fehlerhaft, im Falle eines Systemversagens, das Interesse der Solidargemeinschaft über das Interesse der Klägerin zu stellen. Dies widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, der die anthroposophische Medizin nach den Regelungen des § 2 Abs. 1 S. 2 SGB V ausdrücklich nicht von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen habe. Ergänzend verweist die Klägerin auf den Artikel der Beklagten in der Mitgliedzeitschrift "Bleib Gesund" 3/96 zur Kostenübernahme ärztlich verordneter anthroposophischer Medizin und auf eine Pressemitteilung der Beklagten vom 1. April 2011, nach der Naturheilverfahren ab sofort im Rahmen der neuen Wahltarife bezuschusst werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 17. Februar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr anteilig die Kosten für die selbst beschaffte rhythmische Massage und Wärmebehandlung entsprechend der ärztlichen Verordnung vom 13. Mai 2008 durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin E. E. und der Rechnung des F-Therapeutikums A-Stadt vom 08.07.2008 in Höhe von 552 EUR zu erstatten,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung das Sozialgericht Marburg habe mit dem angefochtenen Urteil eine zutreffende Entscheidung getroffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.