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Landessozialgericht Hessen 04.12.2008, L 1 KR 92/07

  • Aktenzeichen: L 1 KR 92/07
  • Spruchkörper: 1. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 5 KR 106/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 04.12.2008

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für das privatärztlich verordnete und selbstbeschaffte Medikament "Tebonin Forte" und die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten hierfür im Weiteren zu übernehmen.

Der 1932 geborene Kläger ist seit dem 1. September 2001 bei der Beklagten als Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert. Im Jahre 1990 trat bei dem Kläger eine akute Durchblutungsstörung des linken Sehnervenkopfes auf. Dadurch erlitt der Kläger einen Abfall der Sehschärfe und eine hochgradige Einschränkung des Gesichtsfeldes auf dem linken Auge. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Atrophie (Gewebeuntergang mit Funktionseinbuße) des linken Sehnervs. Im Weiteren leidet der Kläger u.a. unter einem arteriellen Bluthochdruck, einer Schlafapnoe, einem Barettsyndrom und einer Hiatushernie.

Im September 2004 erstattete die Beklagte dem Kläger die Kosten für das Medikament "Tebonin Forte" auf der Grundlage der von ihm im Mai 2004 eingereichten Privatrezepte von Dr. C. für Mai und August 2004 in Höhe von 58,86 EUR. Das Medikament "Tebonin Forte" ist apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig und verfügt in Deutschland über eine Arzneimittelzulassung für verschiedene Indikationen, nicht jedoch für die Behandlung einer Opticusatrophie. Es enthält einen standardisierten Trockenextrakt aus Ginkgo–biloba–Blättern. Mit Schreiben vom 14. September 2004 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass eine Kostenerstattung letztmalig erfolge, da das Arzneimittel für die GKV nicht verordnungs- und kostenübernahmepflichtig sei. Hiergegen erhob der Kläger am 27. Oktober 2004 Widerspruch. Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut mit Bescheid vom 25. November 2004 ab. Seit der Einführung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes ab dem 1. Januar 2004 sei die Versorgung zu Lasten der Krankenkasse mit apothekenpflichtigen, aber nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ausgeschlossen. Nach den Arzneimittelrichtlinien (AMR) könne "Tebonin Forte" ausnahmsweise nur zur Behandlung der Demenz von einem Vertragsarzt verordnet werden. Mangels der persönlichen Indikation komme bei dem Kläger keine Erstattung mehr in Betracht. Zudem bestehe kein Rechtsanspruch des Klägers darauf, dass ein bisheriger rechtswidriger Zustand weiter aufrechterhalten werde. Den von dem Kläger mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 weiter aufrechterhaltenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2005 zurück.

Am 30. März 2005 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung hat er weiterhin darauf hingewiesen, dass es sich bei der Durchblutungsstörung seiner Sehnerven um eine schwerwiegende Erkrankung handele. Das Medikament "Tebonin Forte" habe sich durch jahrelange Anwendung bei ihm nachweislich bewährt, da es zu keiner weiteren Verschlechterung seines Augenbefundes gekommen sei. Auch sei es als Arzneimittel grundsätzlich zugelassen, was für die Kostenerstattung durch die Beklagte als ausreichend angesehen werden müsse. Der ehemalige und nun ausgeschiedene Vorstand der Beklagten, Herr D., habe die Kostenübernahme des Medikaments für ihn angeordnet, was die Beklagte auch heute noch binde. Andere Medikamente kämen für ihn aufgrund seiner weiteren Erkrankungen und den damit einhergehenden Unverträglichkeiten nicht in Betracht. Zur Bestätigung seines Vorbringens hat der Kläger im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz (S 18 KR 105/05 ER) ein augenärztliches Attest von Dr. E. vom 7. April 2005 vorgelegt. Die Beklagte ist bei ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kostenerstattung für das Medikament "Tebonin Forte" nach der Gesetzesänderung zum 01. Januar 2004 nicht mehr in Betracht komme, geblieben und hat Gutachten des MDK, Herr F., vom 27. April 2005 und vom 18. Mai 2005 vorgelegt. Das Gericht hat in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einen Befundbericht von Dr. C. vom 22. April 2005 eingeholt und mit Beschluss vom 25. Mai 2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die hiergegen von dem Kläger am 6. Juni 2005 erhobene Beschwerde hat das Hessische Landessozialgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2005 – L 1 KR 90/05 ER - zurückgewiesen. Im Hauptsacheverfahren hat das Gericht einen Befundbericht bei Dr. G. und ein augenärztliches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. H. vom 11. Januar 2006 eingeholt. Mit Urteil vom 22. Januar 2007 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen, weil kein Kostenerstattungsanspruch des Klägers bestehe. Nicht verschreibungspflichtige Medikamente seien gemäß § 34 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) grundsätzlich von der Versorgung ausgeschlossen. "Tebonin Forte" sei nach den Arzneimittelrichtlinien zwar ausnahmsweise zur Behandlung von Demenz zu Lasten der GKV zugelassen. Für die Behandlung der bei dem Kläger vorliegenden Augenerkrankung sei dies jedoch nicht der Fall. Auch die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes erforderlichen Voraussetzungen für einen Off-Label-Use seien nicht erfüllt. Es gebe ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. keine Forschungsergebnisse, die eine Zulassung des Präparates für die Behandlung der Krankheit des Klägers erwarten ließen. Wissenschaftliche Studien, bei denen die Wirksamkeit von Ginkgo-bilobahaltigen Präparaten beim Vorliegen einer Opticusatrophie untersucht worden seien, seien überhaupt nicht vorhanden. Selbst der verordnende Arzt Dr. C. habe eine Verordnung zu Lasten der GKV in Rahmen des Off-Label-Use aus medizinischer Sicht verneint.

Gegen dieses dem Kläger am 20. Februar 2007 zugestellte Urteil hat dieser am 19. März 2007 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung nimmt er Bezug auf seinen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren. Ergänzend weist er darauf hin, dass auch Prof. Dr. H. einen Behandlungserfolg bei ihm durch die Versorgung mit "Tebonin Forte" sehe, da er in seinem Gutachten ausführe, es könne zumindest davon ausgegangen werden, dass das Medikament für die Stabilisierung des Augenbefundes immerhin insofern eine Rolle gespielt haben könne als keine Befundverschlechterung eingetreten sei. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass trotz des unstreitigen Vorliegens einer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung bei ihm und dem Fehlen einer anderweitigen Behandlungsmöglichkeit eine Kostentragungspflicht der GKV verneint werde. Bereits 1991 sei er zu dem Medikament "Tebonin Forte" gewechselt und das Medikament sei ihm auf Veranlassung des Vorstandes der Beklagten, Herrn D., auch immer bezahlt worden. Zudem habe ein Schlaganfall zu seinem Augenleiden geführt, was als lebensbedrohliche Erkrankung angesehen werden müsse. Ihm sei nicht zuzumuten, ohne Alternativen auf einen erneuten Schlaganfall zu warten, der dann unter Umständen zu einem Untergang von Hirngewebe führe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichtes Kassel vom 22. Januar 2007 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. September 2004 und vom 25. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für das Medikament "Tebonin Forte" in Höhe von 955,20 Euro zu erstatten sowie nach Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung im Weiteren zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Augenerkrankung und dem Schlaganfall des Klägers nicht bestehe, da insoweit andere, hirnversorgende Gefäße betroffen gewesen seien. Zur Bestätigung ihres Vorbringens hat die Beklagte Gutachten des MDK, Dr. I., vom 27. September 2007 und vom 9. Mai 2008 vorgelegt. Das Gericht hat mit Beschluss vom 3. April 2008 dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und eine ergänzende Stellungnahme bei Prof. Dr. H. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

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