Sozialgericht Marburg 04.06.2007, S 12 KA 250/06

  • Aktenzeichen: S 12 KA 250/06
  • Spruchkörper: 12. Kammer 
  • Gericht: Sozialgericht Marburg
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 04.06.2007
  • Normen: SGB V § 106; SGB V § 121; SGB V § 135; BMV-Ä § 45; EKV-Ä § 34; EBM 1996 Nr. 273; EBM 1996 Nr. 359

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung des Honorars für die 14 Quartale III/00 bis IV/03 und hierbei um die Absetzung der Nr. 359 EBM und der damit einhergehenden Begleitleistungen.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt. In den streitbefangenen Quartalen bestand sie aus zwei Mitgliedern, die beide als Fachärzte für HNO-Krankheiten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und am Roten-Kreuz-Krankenhaus in A-Stadt als Belegärzte tätig sind.

Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten hörte die beiden Mitglieder der Klägerin am 26.06.2002 u. a. wegen der Durchführung der Rush-Immun-Therapie im Rahmen der belegärztlichen Tätigkeit an.

Mit Bescheid vom 16.02.2005 berichtigte der Beklagte das Honorar der Klägerin für die streitbefangenen Quartale um insgesamt 37.070,72 Euro netto. Im Einzelnen wird auf die Aufstellung im Bescheid, Bl. 98 der Verwaltungsakte, verwiesen. Sie sah die Rush-Immun-Therapie, soweit sie nicht zur Therapie von Insektenstichallergien erbracht werde, nicht als Bestandteil der Vergütung zur Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung an. Zur Begründung führte sie weiter an, dies folge aus verschiedenen von ihr eingeholten Stellungnahmen und der Leitlinie des Ärzteverbandes deutscher Allergologen.

Hiergegen legte die Klägerin am 16.03.2005 Widerspruch ein. Sie hätte die Unbegründetheit des Bescheids nachweisen können, wenn ihrem Antrag auf persönliche Anhörung bei der Sitzung des Plausibilitätsausschusses zugestimmt worden wäre. Eine breite Diskussion sei nicht erfolgt. Es sei um die Erbringung belegärztlicher operativer Leistungen ergangen. Sie beantrage die persönliche Anhörung. Weiter erläuterte sie unter Datum vom 12.08.2005 ihr Behandlungsvorgehen und Abrechnungsweise, worauf im Einzelnen verwiesen wird (Bl. 115-113 der Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006, zugestellt am 07.02.2006, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte ergänzend zum Ausgangsbescheid aus, es habe sich fast durchweg um Behandlungsfälle mit der Diagnose "chronische Rhinitis" und "vorwiegend allergisches Asthma bronchiale" gehandelt. Fälle mit Insektenstichallergien seien nicht beanstandet worden. Eine Vereinbarung mit den Krankenkassen bestehe nicht.

Hiergegen hat die Klägerin am 28.02.2006 die Klage erhoben. Sie trägt ergänzend zum Widerspruchsvorbringen vor, bei der Rush-Immun-Therapie handele es sich um eine Sonderform der spezifischen Immuntherapie. Auch Dr. E. sehe als weitere Indikation ein allergisches Asthma und der Ärzteverband Deutscher Allergologen die allergische Rhinokonjunktivitis und das allergische Asthma. Diese Stellungnahmen habe die Beklagte ignoriert. Die Rush-Immun-Therapie sei eine Therapie der Gesetzlichen Krankenversicherung. Schwerpunktmäßig erfolge sie zur Therapie von Insektenallergien. Die KBV räume selbst ein, dass sie nicht Kenntnis über alle klinischen Studien hätte. Im Übrigen gebe es für die Rush-Immun-Therapie eine Vielzahl von Studien, die die Wirksamkeit nachweisen würden. Die Methode sei auch ökonomisch. Ferner fehle für die Erkrankungen eine Standardtherapie. Er reiche ferner eine Stellungnahme des PD Dr. med. F. vom Universitätsklinikum M. zur Gerichtsakte, in der dieser ausführe, dass die spezifische Immun-Therapie neben der Allergenkarenz die einzige kausale Behandlungsmöglichkeit allergischer Erkrankungen darstelle. Er verweise auch auf eine Vielzahl kontrollierter klinischer Studien zur Wirksamkeit.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 16.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 mit Ausnahme der Streichungen der Leistungen nach Nr. 5 EBM aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, auch im Kommentar von Wezel/Liebold werde ausgeführt, dass die Schnellhyposensibilisierung insbesondere bei der Behandlung von Insektengiftallergien durchgeführt werde. Außerhalb dieser sei sie nicht vergütungsfähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 16.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Frage, ob die Rush-Immun-Therapie, soweit sie nicht zur Therapie von Insektenstichallergien erbracht wird, im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann. Dabei ist es unerheblich, dass die Klägerin diese Leistungen als belegärztliche Leistung erbracht hat.

Die belegärztlichen Leistungen werden nach § 121 Abs. 3 Satz 1 SGB V aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung vergütet, weil die belegärztliche Tätigkeit als Teil der vertragsärztlichen Versorgung angesehen wird, die in erster Linie auf die ambulante Versorgung der Versicherten ausgerichtet ist. Auch für die im Rahmen einer belegärztlichen Krankenhausbehandlung anfallenden ärztlichen Leistungen gilt jedoch der EBM, was zur Folge hat, dass Vertragsärzte im Rahmen ihrer belegärztlichen Tätigkeit zu Lasten der Gesamtvergütung nur die im EBM aufgeführten Leistungen abrechnen können. Inwieweit durch Verträge auf der Grundlage des § 121 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 115 Abs. 1 sowie Abs. 2 Nr. 1 SGB V abweichende Regelungen getroffen werden können, bedarf hier keiner Entscheidung, denn im streitbefangenen Zeitraum haben entsprechende vertragliche Regelungen nicht bestanden. Die Begrenzung auch der belegärztlichen Tätigkeit auf die Erbringung und Abrechnung der im EBM aufgeführten und punktzahlmäßig bewerteten Leistungen rechtfertigt sich bereits aus dem Grundsatz, dass Strukturverschiebungen hinsichtlich des Leistungsgeschehens zwischen dem Krankenhaussektor und der vertragsärztlichen Versorgung Auswirkungen auf die Finanzierung beider Leistungsbereiche haben, die vor der Leistungserbringung geregelt werden müssen. Falls die Kassenärztlichen Vereinigungen belegärztliche Leistungen auch dann vergüten müssten, wenn diese noch nicht Bestandteil des EBM sind, wäre nicht auszuschließen, dass als Folge möglicher Umstrukturierungen von ursprünglich hauptamtlich geführten in belegärztlich geleitete Krankenhausabteilungen ein relevanter Teil der im Rahmen der bisher in der stationären Versorgung anfallenden ärztlichen Leistungen nicht mehr über Pflegesätze oder Sonderentgelte vergütet würde, sondern von den Kassenärztlichen Vereinigungen aus den Gesamtvergütungen bezahlt werden müsste. Das könnte, wenn es in größerem Umfang und vor allem im Hinblick auf sehr aufwendige und entsprechend teure ärztliche Leistungen praktiziert würde, zu einem Punktwertverfall für alle vertragsärztlichen Leistungen führen, die die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung der Versicherten, die in erster Linie den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Vertragsärzten übertragen ist, gefährden würde. Auch hieraus ergibt sich, dass das Leistungsangebot belegärztlich geführter Krankenhausabteilungen - soweit es die ärztliche Tätigkeit anbelangt - durch die Leistungsbeschreibungen des EBM limitiert wird. Die ambulante vertragsärztliche Praxis bildet den Schwerpunkt der vertragsärztlichen Tätigkeit, und die belegärztliche Tätigkeit stellt im Allgemeinen die Fortsetzung der ambulanten ärztlichen Tätigkeit dar. Daraus folgt, dass grundsätzlich der Leistungsrahmen für den einzelnen Vertragsarzt durch diejenigen Regelungen geprägt wird, die für die ambulante vertragsärztliche Versorgung erlassen worden sind, und die belegärztliche Tätigkeit sich in diesem Rahmen zu bewegen hat. Da die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Partner des Bewertungsausschusses keine rechtliche Möglichkeit haben, die Entscheidung von Krankenhausträgern zu beeinflussen, ob sie eine bestimmte Fachabteilung durch angestellte Ärzte oder belegärztlich führen lassen, müssten andernfalls Leistungspositionen für die gesamte ärztliche Tätigkeit auch im Krankenhaus, einschließlich der hochspezialisierten Spitzenversorgung, in den Bewertungsmaßstab aufgenommen werden. Das wäre jedoch mit dem Grundsatz der Nachrangigkeit der belegärztlichen Tätigkeit gegenüber der Tätigkeit des zugelassenen Vertragsarztes in seiner eigenen Praxis schwerlich vereinbar und könnte zu Verwerfungen im Gesamtvergütungssystem führen. Das Krankenhaus muss deshalb, wenn es durch Belegärzte Leistungen erbringen will, die über den in den Gebührenordnungen beschriebenen Leistungsrahmen hinausgehen, entsprechende vertragliche Regelungen mit den beteiligten Ärzten und/oder den Kostenträgern treffen (vgl. BSG, Urt. v. 13.11.1996 - 6 RKa 31/95 – SozR 3-2500 § 87 Nr. 14 = BSGE 79, 239 = NZS 1997, 337 = MedR 1997, 372 = USK 96172, juris Rdnr. 26 f.).

Zur Frage der Ungeeignetheit von Leistungen ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen ärztliche Leistungen nicht honorieren müssen, die der Vertragsarzt nicht hat erbringen dürfen, weil sie nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind. Eine Leistungspflicht der GKV besteht nicht bei solchen Leistungen, die sich im konkreten Behandlungszusammenhang in offenkundigem Widerspruch zum Stand der medizinischen Wissenschaft befinden oder erkennbar ohne jeden Nutzen erbracht worden sind. Ist bei vertragsarztrechtlich an sich zulässigen Leistungen diese Evidenzschwelle nicht erreicht, kommt aus kompetenzrechtlichen Gründen nur die Untersuchung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise durch die zuständigen Prüfgremien in Betracht (BSG SozR 3-5533 Nr. 3512 Nr. 1 S 3 f). Abrechnungsausschlüsse auf Grund nutzloser Leistungen berühren die Berufsfreiheit der jeweiligen Ärzte nach Art 12 Abs. 1 GG nicht. Die Berufsfreiheit und die von ihr umfasste ärztliche Therapiefreiheit können nur bei medizinisch vertretbaren Diagnose- oder Therapieentscheidungen betroffen sein. Bei der Erbringung erkennbar nutzloser Leistungen kann sich der betroffene Vertragsarzt auch nicht auf Vertrauensschutzerwägungen mit der Begründung berufen, die zuständige KÄV habe die Erbringung und Berechnung entsprechender Leistungen in der Vergangenheit nicht beanstandet. Vertrauenstatbestände setzen u. a. voraus, dass Anlass zu einer Vertrauensbetätigung gegeben war und insoweit Schutzwürdigkeit besteht. Daran fehlt es bei erkennbar ohne medizinischen Nutzen vorgenommenen Leistungen selbst dann, wenn sie systematisch erbracht und über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei abgerechnet worden sind. Auf die Übernahme erkennbar nutzloser Aufwendungen durch die Versichertengemeinschaft kann niemand vertrauen. Im Übrigen kann die KÄV aus der vertragsärztlichen Abrechnung vielfach nicht ersehen, ob eine Leistungserbringung medizinisch offensichtlich nutzlos ist, solange die abgerechneten Leistungen bestimmten Leistungspositionen des BMÄ/E-GO entsprechen und dort nicht ausdrücklich die Angabe der jeweiligen Diagnose verlangt wird (so BSG, Urt. v. 05.02.2003 - B 6 KA 15/02 R – SozR 4-2500 § 95 Nr. 1 = MedR 2003, 591 = Breith 2003, 704 = USK 2003-125, (Schmerztherapie) juris Rdnr. 19).

Für Leistungen, die zur Erzielung eines Heilerfolges nicht notwendig oder zweckmäßig sind und/oder dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen, steht dem Kassen- bzw. Vertragsarzt ebenso wenig ein Honoraranspruch zu wie für den Einsatz von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, für die noch keine Richtlinienempfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach § 135 Abs. 1 SGB V vorliegt. Werden solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gleichwohl eingesetzt, so sind die zugehörigen Leistungen auch dann nicht vergütungsfähig, wenn sie für sich genommen Gegenstand des vertragsärztlichen Leistungsspektrums sind und im Zusammenhang mit anderen Untersuchungen oder Behandlungen ohne weiteres abgerechnet werden könnten. Allein die Tatsache, dass eine ärztliche Leistung den Inhalt der Leistungslegende einer Ziffer der Gebührenordnung erfüllt, hat nicht zur zwingenden Folge, dass dem Vertragsarzt insoweit ein Honoraranspruch zusteht. Die Berechtigung der Kassenärztlichen Vereinigung, auf der Grundlage der Vorschriften des § 70 Abs. 1 und § 72 Abs. 2 SGB V die Abrechnung bestimmter, in den Gebührenordnungen enthaltener ärztlicher Leistungen zu beanstanden, unterliegt jedoch Einschränkungen zunächst aus kompetenzrechtlichen Gründen. Soweit nämlich die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungsweise betroffen ist, besteht nach § 106 Abs. 5 SGB V eine abschließende Befugnis der Prüfgremien hinsichtlich der Entscheidung, ob ein Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat oder nicht. Die Kassenärztlichen Vereinigung kann nicht von sich aus ärztliche Leistungen im Hinblick auf eine von ihr angenommene Unwirtschaftlichkeit von der Honorierung ausschließen, sondern ist gehalten, auf entsprechende Maßnahmen der Prüfgremien hinzuwirken. Im Rahmen der Honorarberichtigung ist sie, ebenso wie die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung, verpflichtet, die Diagnose- bzw. Therapiefreiheit des Kassen- bzw. Vertragsarztes zu respektieren. Grundsätzlich steht dem Arzt die Wahl seiner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden frei, und der einzelne Kassen- bzw. Vertragsarzt muss die Möglichkeit haben, bei seinen Patienten gerade im diagnostischen Bereich auch Verfahren und Methoden anzuwenden, die die Mehrzahl der Ärzte seiner Fachgruppe nicht, noch nicht oder nur in sehr viel geringerem Umfang zum Einsatz bringt. Die Beachtung der ärztlichen Diagnose- bzw. Therapiefreiheit im Rahmen von Honorarberichtigungen ist insbesondere dann geboten, wenn sich sowohl das diagnostische Vorgehen des Arztes wie auch das angewandte Untersuchungsverfahren im Rahmen allgemein anerkannter medizinischer Grundsätze halten. Bei dieser Sachlage ist die Kassenärztlichen Vereinigung im Rahmen der sachlich-rechnerischen Honorarberichtigung nicht berechtigt, solche vertragsärztlichen Leistungen, die unbestritten die Leistungslegende einer Ziffer der Gebührenordnungen erfüllen und die der Vertragsarzt kraft seiner persönlichen Verantwortung für die Behandlung eines Patienten zur Absicherung einer Diagnose für erforderlich hält, generell von der Honorierung auszunehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich um eine Leistung handelt, die im konkreten Behandlungszusammenhang in offenkundigem Widerspruch zum Stand der medizinischen Wissenschaft steht oder erkennbar ohne jeden Nutzen erbracht wird. Solange sich für das im Abrechnungsverhalten dokumentierte diagnostische Vorgehen des Kassen- oder Vertragsarztes plausible, medizinisch zumindest nachvollziehbare Gründe benennen lassen, ist der Kassenärztlichen Vereinigungen der Weg der sachlich-rechnerischen Berichtigung verschlossen. Sie ist gegebenenfalls darauf verwiesen, Maßnahmen zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit zu beantragen (so BSG, Urt. v. 20.03.1996 - 6 RKa 85/95 - SozR 3-5533 Nr. 3512 Nr. 1 = NZS 1997, 44 = SGb 1997, 229 = MedR 1997, 187 = USK 9696 (Thrombozytenzählung), juris Rdnr. 13 f.).

Nach Aktenlage bestreitet die Beklagte nicht, dass der Kläger die Leistungslegenden der Nr. 273 und 359 EBM 1996 vollständig erfüllt hat. Die Hyposensibilisierungstherapie wird z. T. synonym für eine spezifische Immuntherapie (SIT) mit Allergenen verstanden (so z. B. die Leitlinie des Ärzteverbandes Deutscher Radiologen). Die Beklagte sieht die Rush-Immun-Therapie indikationsbezogen nur für Insektenstichallergien als zulässig an und sieht sie für andere Indikationen als eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode an, die nicht anerkannt sei und damit nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören würde.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht für die insoweit mit zwei Ärzten, davon ein Arzt für HNO-Krankheiten, fachkundig besetzte Kammer fest, dass die Behandlungsweise des Klägers keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode darstellt.

Bei der Rush-Immun-Therapie handelt es sich um eine Sonderform der spezifischen Immuntherapie. Ziel dieser Allergie-Impfung ist es, eine Toleranz des Körpers gegen die Allergieauslöser zu erzeugen. Dafür werden dem Körper Allergene in steigender Dosierung zugeführt. Bei der Rush-Immun-Therapie wird durch eine teilweise mehrfach tägliche Applikation von Allergenen in aufsteigender Konzentration eine deutlich schnellere Einleitung einer spezifischen Immuntherapie erreicht und der Patient hat somit bei Ansprechen einen deutlich früheren Schutz gegenüber dem betreffenden Allergen. Die Klägerin hat die Leistungen stationär als belegärztliche Leistungen erbracht und hierfür, neben Begleitleistungen wie Nr. 1, 5, 28, 75, 7210 und 7200 EBM 1996 insbesondere die Nr. 273 EBM 1996 (Infusion) und Nr. 359 EBM 1996 (Hyposensibilisierungsbehandlung ( Desensibilisierung) durch subkutane Allergeninjektion(en), einschl. Nachbeobachtung von mindestens 30 Minuten Dauer, je Sitzung, 180 Punkte) angesetzt, die wiederum die Beklagte abgesetzt hat.

Zunächst bestreitet die Beklagte nicht, dass die Rush-Immun-Therapie grundsätzlich als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann. Die Kammer hat aber Zweifel, ob diese Leistung dann auf bestimmte Krankheitsdiagnosen beschränkt werden kann, da insoweit die abgerechneten Leistungen nach dem EBM 1996 eine solche Einschränkung nicht vorsehen. Hinzu kommt, dass die Klägerin in den hier strittigen Fällen keine Rush-Immun-Therapie, wie sie bei Insektenstichallergien angewandt wird, durchgeführt hat. Während diese Verfahren 6 bis 8 Mal Injektion pro Tag vorsieht, hat sie hier nach ihrer Einlassung in der mündlichen Verhandlung, die im Einklang steht mit den Angaben auf den Behandlungsausweisen, im Regelfall eine Injektion pro Tag gegeben. Bei der Häufigkeit der Injektionen richte sie sich nach den Angaben des Herstellers. Soweit den einzelnen Behandlungen mehr als eine Injektion am Tag gegeben werde, könne es auch sein, dass es sich um verschiedene Allergene handele. Demgegenüber wird im üblichen Verfahren der Hyposensibilisierung eine Injektion pro Woche über mehrere Wochen hinweg verabreicht. Damit wendet die Klägerin aber keine grundsätzlich andere, eben neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode an, sondern nimmt die von der Leistungslegende vorgesehene Hyposensibilisierungsbehandlung lediglich in gehäufter Folge vor. Dieses Vorgehen ist nicht völlig ungeeignet. So wird z. B. im Schreiben der Landesärztekammer vom 28.07.2003 (Bl. 2 der Verwaltungsakte) die Rush-Immun-Therapie unter Hinweis auf ein Schreiben des Ärzteverbandes Deutscher Radiologen auch bei der allergischen Rhinokonjunktivitis und dem allergischen Asthma für möglich gehalten. Auch die fachkundig besetzte Kammer hält die Behandlungsart bei schweren Allergikern im Einzelfall für zulässig. Insofern hat der Kläger dargelegt, im streitgegenständlichen Zeitraum bei insgesamt 24.372 Patienten die Therapie lediglich bei 171 Patienten stationär durchgeführt zu haben. Von daher war die Beklagte nicht berechtigt, die Leistungen nach Nr. 273 EBM 1996 (Infusion) und Nr. 359 EBM 1996 (Hyposensibilisierungsbehandlung) nebst den weiteren Begleitleistungen von der Vergütung abzusetzen. Die Absetzung der Leistungen nach Nr. 5 EBM 1996 hat der Kläger nicht mehr angefochten. Nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens war demgegenüber die Frage, ob die Behandlungsweise der Klägerin auch wirtschaftlich war.

Nach allem war der angefochtene Bescheid in dem Umfang, in dem er noch angefochten wurde, rechtswidrig und daher aufzuheben und war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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