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Landessozialgericht Hessen 01.12.2009, L 3 U 157/07

  • Aktenzeichen: L 3 U 157/07
  • Spruchkörper: 3. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 1 U 41/05
  • Instanzgericht: Wiesbaden
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 01.12.2009

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), die beim Kläger infolge eines anerkannten Arbeitsunfalles vom 31. Mai 2001 verblieben ist.

Der Kläger ist 1956 geboren und war zum Zeitpunkt des angeschuldigten Arbeitsunfallereignisses als Gemeindearbeiter auf dem Bauhof der Gemeinde in A. tätig. Am fraglichen Tag stürzte er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit von einer 3 m hohen Mauer, als er mit Säuberungsarbeiten an einem Denkmal beschäftigt war und hierbei über auf der Mauer verlegte Kabel stolperte. Nach seinen eigenen Angaben schlug er während des Sturzes mit der Ferse gegen die Mauer und kam mit dem Rücken auf dem Boden zu Fall. Der Ablauf des Unfallgeschehens ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Laut Durchgangsarztbericht vom 1. Juni 2001, erstellt von Dr. B., erlitt der Kläger hierbei eine Lendenwirbelkörper(LWK) 1-Deckenplattenimpressionsfraktur sowie eine Fersenbeinmehrfragmentfraktur auf der rechten Seite. Letztere wurde osteosynthetisch versorgt. Im Hinblick auf die Wirbelkörperfraktur erfolgte eine konservative Behandlung. Im Verwaltungsverfahren wurde ein ausführlicher neurologischer Befundbericht vom 14. März 2002 bei Prof. C. eingeholt, der ausführte, dass beim Kläger eine knöcherne Konsolidierung des in mäßiger Fehlform frakturierten Wirbelkörpers bestehe. Eine vom Kläger behauptete völlig fehlende Belastbarkeit sei vor diesem Hintergrund völlig überraschend. Ab 7. Januar 2003 wurde eine stufenweise Wiedereingliederung unter Gewährung von Verletztengeld vorgenommen, die jedoch vom Kläger am 3. Februar 2003 wieder eingestellt wurde. Dr. F. führte unter dem 3. Februar 2003 aus, dass beim Kläger ein ausgeprägtes Rentenbegehren vorliege. Nach mehrfacher Arbeitserprobung stellte Dr. F. am 23. April 2003 fest, dass das Heilverfahren abgeschlossen sei und eine verbliebene MdE von 30 bis 40 v.H. angezeigt sei. Ab 16. Juli 2003 war der Kläger nach vorheriger Belastungserprobung wieder gegen Entgelt tätig.

Im ersten von der Beklagten veranlassten Rentengutachten vom 28. Mai 2003 führte Dr. DG. aus, dass als Folge des Unfallereignisses ein monosegmentaler Bewegungsverlust Th12/L1 nach ohne statisch wirksamen Achsenknick fest verheiltem LWK 1-Bruch vorliege. Es bestehe eine Muskelminderung des rechten Unterschenkels und eine geringe Fußrückenverbreiterung sowie eine endgradige Bewegungseinschränkung des unteren Sprunggelenkes nach fest verheiltem Fersenbeinbruch. Die Höhe der MdE betrage für die Zeit vom 16. Juli 2003 bis 31. August 2003 20 v.H., bis zum Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall ebenfalls 20 v.H. und nach Ablauf von drei Jahren voraussichtlich 0 v.H.

Durch Bescheid vom 26. September 2003 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 31. Mai 2001 als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H.

Die Beklagte holte ein zweites Rentengutachten vom 29. April 2004 bei Prof. Dr. XM. ein, der hierin feststellte, dass beim Kläger noch ein geringes rechtsschonendes Gangbild, eine leichte Umfangsvermehrung des rechten Fußgelenkes, eine mäßige Bewegungseinschränkung des rechten oberen und des rechten unteren Sprunggelenkes nach knöchern mit leichter Verformung im hinteren Anteil verheiltem Fersenbeinkörperbruch rechts, eine Bewegungseinschränkung Brustwirbelsäule(BWS)-/Lendenwirbelsäule (LWS)-Übergang bei operativ herbeigeführter Versteifung im Segment Th12/L1, örtliche muskuläre Verspannungen, eine leichte Fehlstatik und eine anteilige herabgesetzte Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule als Folgen des Kompressionsbruchs bestünden. Vom Unfall unabhängig seien degenerative Veränderungen der unteren LWS, eine chronische Lumbalgie, ein Zustand nach stumpfem Bauchtrauma mit Verletzung der rechten Niere, eine medikamentös eingestellte Epilepsie, eine ältere vordere Kreuzbandruptur links ohne wesentliche Instabilität und ein Zustand nach einer Unterarmfraktur 1998 gegeben. Die unfallbedingte MdE sei weiterhin um 20 v.H. einzuschätzen, wobei nicht auszuschließen sei, dass eine weitere Besserung eintreten werde.

Ergänzend holte die Beklagte Stellungnahmen von Prof. Dr. G. und Dr. XP. vom 5. August 2004 zur Frage der Höhe der MdE ein, die die Auffassung vertraten, dass die MdE-Einschätzung des Dr. DG. mit 20 v.H. nachvollziehbar, eine für möglich gehaltene Besserung zwischenzeitlich jedoch nicht eingetreten sei. Der vom Kläger erhobene Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2005 zurückgewiesen unter Berufung auf das Ergebnis der Begutachtung.

Hiergegen hat der Kläger am 15. April 2005 vor dem Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben. Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 23. Januar 2007 bei Dr. MR. eingeholt. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der unfallbedingte Bruch des 1. LWK und des rechten Fersenbeins knöchern stabil seien, im Bereich der Wirbelsäule jedoch mit einer gewissen Fehlstellung bis zu einer leichten Verformung auszugehen sei, was die Restbeschwerden von Seiten des Achsenorgans in der rechten Ferse erklären würde. Die strukturellen Veränderungen im beschädigten Wirbelsäulensegment führten zu einer ungünstigen Fehl-/Überbelastung, insbesondere im darunter liegenden angrenzenden Wirbelsäulensegment, was sich auch röntgenologisch mit entsprechenden knöchernen Reizreaktionen zeige. Diese Unfallfolgen würden eine verminderte Belastbarkeit und eine eingeschränkte Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule im Bereich des Übergangs von der BWS zur LWS und aufgrund der veränderten Fußstatik und eine verminderte Belastbarkeit des rechten Fußes bei längerem Gehen bedingen. Besonders wirbelsäulenbelastende statische Arbeiten in gebeugter, gebückter, verdrehter Stellung bzw. überkopf oder mit vorgeneigtem Oberkörper könne der Kläger nicht häufig oder länger dauernd ausüben. Des Weiteren sollten häufigere dynamische Wirbelsäulenbelastungen vermieden werden. Bezüglich der rechten Ferse sei längeres häufiges Gehen auf unebenem Untergrund, die Zurücklegung langer Gehstrecken und häufiges Treppengehen zu vermeiden. Ab 16. Juli 2003 seien funktionell eine relevante Änderung der beschriebenen unfallspezifischen Funktionseinschränkungen eingetreten, so dass auch unter Berücksichtigung der Vorgänge von Anpassung und Gewöhnung an die Unfallfolgen die einzuschätzende MdE mit insgesamt 20 v.H. festzusetzen sei, die sich unter Berücksichtigung ihrer gegenseitigen Auswirkung aus einer MdE von 20 v.H. für die Wirbelsäule und 10 v.H. für die Ferse ergebe.

Durch Urteil vom 15. Juni 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ergebnisse der Begutachtungen bezogen sowie darüber hinaus auf die einschlägige Fachliteratur.

Gegen das am 2. Juli 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. August 2007 Berufung eingelegt, die er im Wesentlichen damit begründete, dass aufgrund der verbliebenen Unfallfolgen eine MdE in Höhe von 30 v.H. angemessen sei. Insbesondere sei unberücksichtigt geblieben, welche psychologischen Auswirkungen der Arbeitsunfall auf den Kläger gehabt habe.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. Juni 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2005 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG bei Dr. H. vom 10. Juli 2008. Die Sachverständige stellt in ihrem Gutachten folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger fest:

  1. V. a. organische Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F07.0)
  2. Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD 10: F 43.21) 3.) Dysthymia (ICD 10: F 34.1) 4.) Rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert (ICD 10: F 33.4).

Des Weiteren führt sie folgendes aus:

Unseres Erachtens sind die psychischen Störungen nicht auf den Arbeitsunfall vom 31.05.2001 zurückzuführen, sondern wie oben ausführlich beschrieben – auf dem Boden der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur – auf die vom Probanden mehrfach als Auslöser klar benannten, seit Jahren bestehenden, Arbeitskonflikte. Diese bestanden schon wiederholt vor dem Unfall und motivierten den Probanden z.B. 1996 zu einem Suizidversuch. Auch ist der betriebsbedingte Wechsel der Belegschaft mit Wechsel des Vorgesetzten prinzipiell vom Unfallgeschehen unabhängig. Die Arbeitsgerichtsprozesse wegen Anmahnungen vor dem Unfall sprechen ebenfalls für unfallabhängige Gründe für die Arbeitsplatzkonflikte. Der Proband betonte, dass die Arbeitskonflikte ausschließlich durch den Unfall entstanden seien. Nur durch die körperlichen Unfallfolgen (Rücken- und Fußschmerzen) habe er nicht die geforderte Leistung erbringen können und sei deshalb von seinen Vorgesetzten und Kollegen schikaniert worden, was dann zur depressiven Verstimmung und letztlich zum Suizidversuch und zur psychischen Erkrankung geführt habe. Diese Kausalkette ist unserer Meinung unzulässig. Mangelnde Leistungsfähigkeit, ungeachtet der Ursache, ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für ein Klima von "Mobbing am Arbeitsplatz". Davon abgesehen kennen wir nur die einseitige Schilderung des Probanden, der die Arbeitssituation als "Mobbing" d.h. unverschuldete Schikane, empfindet. Aus der Sicht der Kollegen könnten ebenfalls sozial unangepasste Verhaltensweisen des Probanden – wie in den psychiatrischen Arztberichten beschrieben – zu den Konflikten geführt haben. Nicht alle Personen, die aufgrund von Erkrankungen oder Behinderungen weniger leistungsfähig sind, werden von ihren Kollegen "gemobbt"; und "Mobbing" erleiden auch Personen, die eine normale oder sogar überdurchschnittliche berufliche Leistungsfähigkeit besitzen. Eine mittelbare Ursachenzuschreibung der psychischen Erkrankung zu dem Arbeitsunfall ist somit ungerechtfertigt. Allerdings ist es möglich, dass bei bestehenden Arbeitsplatzkonflikten die Reaktion der Arbeitskollegen auf die unfallbedingte Leistungsminderung durch weitere Ablehnung gekennzeichnet ist und den Konflikt verstärkt Insofern kann die psychische Erkrankung "Anpassungsstörung" und "Dysthymia" nicht unmittelbar auf den Arbeitsunfall am 31.05.01 zurückgeführt werden. Aus demselben Grund wurde auch kein bestehendes Leiden verschlimmert, da der Faktor "Arbeitsplatzkonflikt/Mobbing" schon vor dem Unfall bestand. Die Verdachtsdiagnose "Organische Persönlichkeitsstörung bei Epilepsie" ist ebenfalls unfallunabhängig und wurde z.B. schon im psychiatrischen Arztbrief 1977 als "frühkindliche Hirnschädigung", d.h. organische Ursache der psychischen Störung erwähnt.Wie im Abschnitt III.4. und in den vorhergehenden Ausführungen erläutert, besteht beim Kläger eine Anlage zur verminderten psychischen und sozialen Leistungsfähigkeit, verbunden mit begrenzten kognitiven Fähigkeiten, welche auf dem Boden der oben beschriebenen Persönlichkeitsstruktur zu verstehen ist. Die Bedingungsfaktoren der schon seit der Kindheit sich zunehmend prägenden Persönlichkeit sind organischen und im sozialen Bereich (s. Beweisfrage 1) zu finden und sind unfallunabhängig. Der Hintergrund der psychischen Störungen 2.), 3.), 4.) ist der Arbeitsplatzkonflikt, wobei einer der möglichen Verstärker eine unfallbedingte Leistungsminderung ist. Aber auch jede andere Ursache verminderter Leistungsfähigkeit (Gelegenheitsursache), z.B. eine unfallunabhängige internistische, orthopädische oder psychische Erkrankung, wiederholte Krankschreibungen wegen schicksalhafter Bagatellerkrankungen wie Magen-Darm-Infekte oder Erkältungskrankheiten, häufiges entschuldigtes (z.B. durch Arzttermine) oder unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz, eine eingeschränkte soziale Kompetenz könnte zu verschärften Arbeitsplatzkonflikten führen. Das Unfallereignis ist unseres Erachtens somit nicht unersetzlich als mittelbarer möglicher Verstärkungsfaktor des Auslösers "Arbeitsplatzkonflikt.Da keine unmittelbaren psychischen Unfallfolgen eingetreten sind, wird auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit aus psychischen Gründen bedingt."

Der Senat hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört. Beide haben sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf das Urteil des Sozialgerichts als auch auf den Akteninhalt verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

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