Landessozialgericht Hessen 29.04.2010, L 1 KR 95/08

  • Aktenzeichen: L 1 KR 98/08
  • Spruchkörper: 1. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 9 KR 53/06
  • Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 29.04.2010

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Krankenhausbehandlungsvergütung für die Behandlung der bei der Beklagten versicherten C. in dem Zeitraum vom 10. Juli 2005 bis zum 8. August 2005 in Höhe von 8.195,74 Euro.

Die Klägerin betreibt in A-Stadt eine Fachklinik für Integrative Onkologie. Ein Versorgungsvertrag oder eine sonstige Zulassung zur Krankenhausbehandlung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besteht nicht.

Die 1940 geborene Versicherte litt an einem metastasierenden Ovarialkarzinom und befand sich vom 29. Juni 2005 bis zum 10. Juli 2005 bei der Klägerin zur erneuten Chemotherapie. Nach ihrer Entlassung am Vormittag wurde die Versicherte am Abend des 10. Juli 2005 wegen Atemnot (Dyspnoe) bei der Klägerin im Krankenwagen eingeliefert und dort erneut stationär aufgenommen. Am 15. Juli 2005 erfolgte in der Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin in D. eine Computertomographie des Thorax der Versicherten. Die Versicherte wurde am 8. August 2005 aus der stationären Behandlung durch die Klägerin entlassen. Am xx. xxx. 2007 verstarb die Versicherte.

Mit Schreiben vom 11. Juli 2005 zeigte die Klägerin der Beklagten eine Notfallaufnahme der Versicherten an und verlangte mit Rechnung vom 10. August 2005 für die Behandlung der Versicherten in dem Zeitraum vom 10. Juli 2005 bis zum 8. August 2005 die Zahlung von 9.195,74 Euro. Nach der Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 8. September 2005 – Dr. E.– lehnte es die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 30. September 2005 ab, die geltend gemachten Behandlungskosten zu übernehmen, da eine notfallmäßige Behandlung nicht vorgelegen habe. Die Behandlung der Versicherten hätte in der näher gelegenen F. Klinik in G. durchgeführt werden können. Nach einer erneuten Begutachtung durch den MDK – H. - vom 10. Januar 2006 zahlte die Beklagte der Klägerin Kosten der stationären Behandlung vom 10. Juli 2005 bis zum 14. Juli 2005 in Höhe von 1.000,00 Euro.

Am 20. Februar 2006 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Gießen erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass auch nach dem 14. Juli 2005 ein Notfall vorgelegen habe und eine Verlegung der Versicherten aufgrund ihres lebensbedrohlichen Zustandes nicht möglich gewesen sei. Bei der Frage eines Notfalls bzw. einer Verlegung sei auch die psychische Situation der Versicherten zu berücksichtigen. Diese habe in kein anderes als das Krankenhaus der Klägerin verbracht werden wollen. Die Beklagte hat an ihrer Rechtsauffassung, dass ein Anspruch auf Krankenhausbehandlungsvergütung der Klägerin nicht in Betracht komme, festgehalten. Nach der Stabilisierungsphase, für die eine Vergütung durch die Beklagte an die Klägerin entrichtet worden sei, sei die Versicherte verlegungsfähig gewesen. Das Sozialgericht hat die Krankenakte der Versicherten beigezogen und ein Sachverständigengutachten bei Dr. I., Kardiologisches Zentrum J., eingeholt und die Klage mit Urteil vom 13. Februar 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ab dem 15. Juli 2005 die Voraussetzungen für eine Notfallbehandlung nicht mehr gegeben gewesen seien. Dies folge aus dem Gutachten von Dr. K. und aus der Tatsache, dass die Versicherte tatsächlich am 15. Juli 2005 in die Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin in D. transportiert worden sei. Der Transport in das nächst erreichbare Krankenhaus wäre wesentlich kürzer und weniger belastend gewesen.

Am 4. April 2008 hat die Klägerin gegen das ihr am 13. März 2008 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass eine Notfallbehandlung nicht bereits dann ende, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten so weit stabilisiert sei, dass er ohne Gefahr für Leib oder Leben in ein zugelassenes Krankenhaus habe verlegt werden können. Diese Betrachtungsweise vernachlässige völlig die psychische Seite der Transportfähigkeit einer schwer kranken Versicherten, die sich vorliegend geweigert habe, sich in ein anderes Krankenhaus verlegen zu lassen. Bei der Versicherten hätte eine "Zwangsverlegung gegen ihren Willen" einen gesundheitlich schweren Schaden bewirkt. Zudem liege eine fehlerhafte richterliche Beweiswürdigung vor, da der Gutachter nur von einer "mutmaßlichen" Verlegungsfähigkeit spreche. Das Sozialgericht hätte bezüglich der Frage der Weigerung der Versicherten von einer Vernehmung der Zeugen Dr. L. und Herrn C. nicht absehen dürfen. Im Übrigen komme ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nach den analogen Grundsätzen des Bereicherungs- und Auftragsrechts in Betracht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.195,74 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2005 nebst außergerichtlichen Kosten in Höhe von 985,56 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Patientenakte der Versicherten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berichterstatterin konnte im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung anstelle des Senats entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 i. V. m. § 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Krankenhausbehandlungsvergütung für den Zeitraum vom 15. Juli 2005 bis zum 8. August 2005.

In Notfällen können in entsprechender Anwendung des § 76 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) i. V. m. mit den Regelungen über die Vergütung stationärer Krankenhausleistungen zwar auch Krankenhäuser ohne Kassenzulassung Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbringen. Wird ein gesetzlich versicherter Patient insoweit als Notfall in ein nicht zugelassenes Krankenhaus aufgenommen, so wird dieses für die Dauer der Notfallbehandlung in das öffentlich-rechtlich geprägte Sachleistungssystem der Krankenversicherung einbezogen und erbringt seine Leistungen nach denselben Grundsätzen, die für zugelassene Krankenhäuser gelten (vgl. hierzu ausführlich: Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Oktober 2001, B 1 KR 6/01 R).

Ein Notfall im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V liegt jedoch nur dann vor, wenn aus medizinischen Gründen eine umgehende Behandlung des Patienten so dringlich ist, dass ein zugelassener Leistungserbringer nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Juli 1963, 3 RK 92/59; Beschluss vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 114/06 B - juris - ; Krauskopf in: ders. (Hrsg.) Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Stand: November 2009, SGB V, § 76 Rdnr. 11). Eine dringende Behandlungsbedürftigkeit ist anzunehmen, wenn ohne sofortige Behandlung Gefahr für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange andauern würden (BSGE 34, 172). Keine Notfallbehandlung liegt vor, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten es zulässt, dass er einen zugelassenen Leistungserbringer aufsuchen kann und eine Behandlungsbedürftigkeit wegen eines Notfalls endet, wenn der Versicherte zu einem zugelassenen Leistungserbringer verlegt werden kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 9/05 R; Urteil vom 28. Juli 2008, B 1 KR 5/08 R - juris -).

Gemessen an diesem Maßstab liegt zumindest ab dem 15. Juli 2005 keine Notfallbehandlung der Versicherten vor, da diese verlegungsfähig war.

Auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, die ausführlich und überzeugend sind, nimmt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezug, § 153 Abs. 2 SGG.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass eine fehlerhafte sozialgerichtliche Beweiswürdigung vorliege, kann dies von dem Gericht nicht nachvollzogen werden. Das Gericht hat von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen, wobei diesem keine "Einschätzungsprärogative" zukommt (Bundessozialgericht, Beschluss vom 25. September 2007, GS 1/06 - juris -). Nach der Auffassung des Gerichts ist im vorliegenden Fall entscheidend, dass die Versicherte am 15. Juli 2005 auf Anordnung des behandelnden Arztes trotz ihres schlechten Allgemeinzustandes in einem Liegend-Transport in die Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin in D. tatsächlich verbracht worden ist und dieser Transport komplikationslos verlief. Entsprechend den für das Gericht nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. wäre zudem die Verlegung in ein anderes Krankenhaus zeitlich wesentlich kürzer als die Verbringung in die Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin zur Durchführung eines CT`s mit anschließendem Rücktransport gewesen. Dass die Verlegung in ein anderes Krankenhaus im Gegensatz zu einer Verbringung in die Gemeinschaftspraxis anders zu beurteilen sei, da die Versicherte bei einer solchen psychisch dekompensiert und dies zu einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung geführt hätte, kann von dem Gericht nicht nachvollzogen werden und nicht zur Bejahung eines Notfalles führen. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung einer Notfallbehandlung sind zum einen die objektiven Gegebenheiten der konkreten Behandlung und nicht hypothetische Erwägungen (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. April 2009, B 3 KR 24/07 R - juris -). Zum anderen ist der Anspruch auf Krankenbehandlung zwar unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse und des medizinisch technischen Fortschrittes zu erfüllen. Er ist aber nicht darauf gerichtet, nur von einem ganz bestimmten - aus der Sicht des Versicherten am besten qualifizierten - Arztes behandelt zu werden. Das Wahlrecht eines Betroffenen bei der Krankenbehandlung beschränkt sich auf zur Versorgung der Versicherten zugelassene Ärzte und Krankenhäuser, umfasst also nicht auch die Behandlung in Privatkliniken (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 1996, 4 RK 2/96; Beschluss vom 22. Januar 2009, B 3 KR 47/08 B - juris -). Dies gilt auch in den Fällen, in denen aus nachvollziehbaren Gründen ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem behandelnden Arzt besteht.

Aufgrund dieser Erwägungen hat das Gericht mangels Entscheidungserheblichkeit davon abgesehen, weiteren Beweis, etwa in Form der angebotenen Vernehmung von Dr. L. und dem Ehemann der Versicherten zur Frage der Weigerung der Versicherten, in ein anderes Krankenhaus verlegt zu werden, zu erheben. Dies kann als wahr unterstellt werden, ohne dass dadurch eine Änderung in der rechtlichen Beurteilung eintreten würde.

Hat das Krankenhaus Leistungen außerhalb des entsprechenden Anwendungsbereichs des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V erbracht, da kein Notfall (mehr) vorlag, und deshalb keinen Vergütungsanspruch erworben, kann auch unter entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff, 818 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) bzw. eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ein Ausgleich nicht beansprucht werden. Erst durch die Steuerungsfunktion von Krankenhausplan und Versorgungsauftrag wird das System einer am Bedarf und auf den sparsamen Einsatz der begrenzten finanziellen Mittel zur Krankenhausfinanzierung und zur Gewährung der laufenden Versorgung ausgerichteten Zulassung zur Krankenhausversorgung praktikabel. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn Behandlungen auch dann abzugelten wären, wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs eines Versorgungsauftrags durchgeführt werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Januar 2008, B 3 KR 17/07 R - juris -).

Für den in dem Zeitraum vom 10. Juli 2005 bis zum 14. Juli 2005 noch offenen Rechnungsbetrag in Höhe von 125,00 Euro ist darauf hinzuweisen, dass nach § 14 Abs. 2 der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Bundespflegesatzverordnung) die Abteilungspflegesätze und der Basispflegesatz sowie die entsprechenden teilstationären Pflegesätze für den Aufnahmetag und jeden weiteren Tag des Krankenhausaufenthaltes berechnet werden; der Entlassungs- oder Verlegungstag, der nicht zugleich Aufnahmetag ist, jedoch nur bei der teilstationären Behandlung berechnet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

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