Landessozialgericht Hessen, L 8 KR 228/06
- Spruchkörper: 8. Senat
- Aktenzeichen: L 8 KR 228/06
- Instanzenaktenzeichen: S 30 KR 3357/03
- Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt am Main
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 18.10.2007
- Rechtskraft: rechtskräftig
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld über den 30. Mai 2003 hinaus.
Die 1954 geborene Klägerin stammt aus Polen und hat dort den Beruf einer Bauingenieurin erlernt und ausgeübt. 1998 kam sie nach Deutschland und war hier vom 12. August 1999 bis 30. Juni 2002 bei der Firma MSM. GmbH beschäftigt, ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers für 1.500,00 DM/ 766,94 € pro Monat. Laut den eigenen Angaben der Klägerin bestand ihre Arbeit darin, Messestände zu entwerfen und deren Aufbau zu überwachen, wobei die wöchentliche Arbeitszeit ca. 15 Stunden betragen habe. Nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses meldete sich die Klägerin am 12. August 2002 arbeitslos und bezog ab diesem Datum Arbeitslosengeld.
Ab dem 7. November 2002 wurde der Klägerin von der Fachärztin für Allgemeinmedizin K-C. laufende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wegen einer depressiven Verstimmung mit Somatisierung sowie Angstzuständen mit Panikattacken, worauf die Beklagte Krankengeld ab dem 19. Dezember 2002 bewilligte. Zur Klärung einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit zog die Beklagte im April 2003 einen weiteren Bericht der Hausärztin sowie einen Bericht der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin – Psychotherapie – Dr. D. vom 30. April 2003 bei, die eine mittelgradige depressive Episode diagnostizierte. Der hierzu von der Beklagten befragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) führte in Stellungnahmen nach Aktenlage vom 15. Mai 2002 und 22. Mai 2002 (Dr. H.) aus, Dr. D. bescheinige der Klägerin keine Arbeitsunfähigkeit, anscheinend liege ein minderschwerer Fall vor. Er empfahl eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit zum 21. Mai 2003.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2003 teilte die Beklagte hierauf der Klägerin mit, ihre Arbeitsunfähigkeit ende zum 30. Mai 2003. Hiergegen erhob die Klägerin am 11. Juni 2003 Widerspruch, unterstützt von Frau K-C., die in einem Schreiben vom 3. Juni 2003 der Klägerin fortdauernde Arbeitsunfähigkeit attestierte und eine weitere psychologische Behandlung für nötig hielt. Nachdem der MDK in einer aktenmäßigen Stellungnahme vom 17. Juni 2003 an seiner Beurteilung festhielt, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2003 zurück: die Gutachten des MDK seien für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit verbindlich.
Die Klägerin hat am 17. September 2003 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und vorgetragen, sie sei aufgrund ihrer psychischen Erkrankung weiterhin arbeitsunfähig. In der Verwaltungsakte der Beklagten finden sich dazu weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Frau K-C. für die Zeit bis zum 18. September 2003. Darüber hinaus hat die Fachärztin für Prof. Dr. E. der Klägerin beginnend ab dem 26. August 2003 Arbeitsunfähigkeit bis zum 28. November 2005 bescheinigt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat der Klägerin mit Bescheid vom 1. Dezember 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2004 zuerkannt.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. September 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin über den 30. Mai 2003 hinaus arbeitsunfähig gewesen sei, weil Anspruch auf Krankengeld nur Versicherte hätten. Die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten habe jedoch, wie die Beklagte mitgeteilt habe, zum 30. Mai 2003 geendet und eine freiwillige Versicherung sei nicht zustande gekommen.
Gegen den am 26. September 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. Oktober 2006 Berufung eingelegt.
Die Klägerin führt aus, das Sozialgericht übersehe, dass sie bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit und einem dementsprechenden Anspruch auf Krankengeld auch ab dem 31. Mai 2003 krankenversichert gewesen sei. Die ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit ab November 2002 hätten nicht nur ihre behandelnden Ärzte bestätigt, sondern dies werde auch durch den Rentenversicherungsträger anerkannt, der im Rentenbescheid den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit datiert habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. September 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld in gesetzlichem Umfang für die Zeit vom 31. Mai 2003 bis zum 5. Mai 2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akte der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung Bund beigezogen. In einem für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstatteten Gutachten vom 12. Oktober 2005 hat der Neurologe und Psychiater HR. bei der Klägerin Angst und depressive Störung, gemischt, diagnostiziert. Die Klägerin lebe völlig zurückgezogen und in extremster Weise auf ihren Ehemann fixiert. Die Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft, die Krankheitssymptomatik chronifiziert, wodurch die Leistungsfähigkeit bezüglich Arbeiten von wirtschaftlichem Wert aufgehoben sei; dieser Zustand bestehe seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (November 2002).
Weiter hat der Senat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Frau K-C. hat die Klägerin in der Zeit vom 7. November 2002 bis 2. August 2004 behandelt und hierbei eine depressive Stimmungslage, Ängste, Muskelverspannungen, Schwindel und Kopfschmerzen beobachtet. Die Klägerin sei von Anfang bis Ende arbeitsunfähig gewesen. Sie habe die Patientin bis zum 9. März 2003 arbeitsunfähig krankgeschrieben (Befundbericht vom 15. April 2007). Dr. D. hat mitgeteilt, sie habe die Klägerin in der Zeit vom 5. Dezember 2002 bis 14. Januar 2003 bei 5 probatorischen Sitzungen gesehen; eine Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ab 30. Mai 2003 sei ihr daher nicht möglich (Befundbericht vom 30. Mai 2007). Die Fachärztin für Prof. Dr. E. hat mitgeteilt, sie behandele die Klägerin seit dem 26. August 2003. Seit dem ersten Tag der Vorstellung sei evident, dass die Klägerin vom psychopathologischen Befund her nicht in der Lage gewesen sei zu arbeiten (Befundbericht vom 24. Februar 2007).
Hierzu meint die Beklagte, eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin über den 30. Mai 2003 hinaus sei durch diese Unterlagen nicht bewiesen. Frau K-C. habe laut ihrem Bericht die Klägerin nur bis zum 9. März 2003 arbeitsunfähig krankgeschrieben und Frau Prof. Dr. E. die Klägerin erst ab dem 26. August 2003 behandelt. Das im Jahr 2005 erstellte Rentengutachten beruhe hinsichtlich der rückwirkenden Feststellung von Erwerbsunfähigkeit offensichtlich auf der Befragung der Klägerin und sei daher nicht verwertbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der übrigen Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.