Die Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI
Der Leistungskatalog der Sozialen Pflegeversicherung sieht für Versicherte im ambulanten Pflegebereich eine Reihe an Leistungen vor, welche dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ gerecht werden. Doch es gibt für die Pflegebedürftigen auch Situationen, in denen die häusliche Pflege, ggf. ergänzt durch die Tages- oder Nachtpflege, vorübergehend nicht sichergestellt werden kann. Hier kann die Leistung „Kurzzeitpflege“ in Anspruch genommen werden; der Leistungsanspruch hierauf ergibt sich aus § 42 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Ein Anspruch auf die Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI besteht für Pflegebedürftige in den Pflegegraden 2 bis 5. Der Anspruch kann realisiert werde, wenn die häusliche Pflege mit den ambulanten Pflegeleistungen (Pflegesachleistung, Kombinationsleistung, Pflegegeld und Verhinderungspflege) nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und auch eine teilstationäre Pflege nach § 41 SGB XI nicht ausreicht.
In folgenden Fallkonstellationen/Situationen kann die Kurzzeitpflege in Frage kommen:
- Für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung (stationäre Krankenhausbehandlung, stationäre Rehabilitationsmaßnahme). Hier handelt es sich meist um Situationen, in denen die häusliche Pflege noch nicht möglich ist, weil z. B. noch die Wohnung des Pflegebedürftigen umgebaut werden muss oder die Pflegepersonen nicht sofort mit der Pflege beginnen können.
- Bei einem Urlaub oder einer sonstigen Verhinderung der Pflegeperson, sofern diese Zeiten nicht mit einer Verhinderungspflege überbrückt werden können.
- Bei einer kurzfristigen erheblichen Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit.
- In Krisenzeiten, z. B. wenn die Pflegepersonen komplett ausfallen.
Leistungsdauer/Leistungsbetrag
Der Kurzzeitpflege-Anspruch besteht pro Kalenderjahr für längstens acht Wochen bzw. 56 Kalendertage.
Der Leistungsbetrag ist ab dem Jahr 2022 auf 1.774,00 Euro (bis zum Jahr 2021 auf 1.612,00 Euro) begrenzt, wobei zusätzlich der Leistungsbetrag der Verhinderungspflege in Höhe von 1.612,00 Euro übertragen werden kann, sodass insgesamt 3.386,00 Euro (bis 2021: 3.224,00 Euro) für die Kurzzeitpflege zur Verfügung stehen. Der Leistungsbetrag ist in allen Pflegegraden (Pflegegrad 2 bis 5) identisch hoch. Eine Staffelung der Leistungsbeträge nach Pflegegraden, wie dies bei anderen Pflegeleistungen der Fall ist, gibt es in der Kurzzeitpflege nicht.
Pflegebedürftige, für die der Pflegegrad 1 bestätigt wurde, haben keinen Anspruch auf die Kurzzeitpflege. Allerdings haben Pflegebedürftige in Pflegegrad 1 einen Anspruch auf den Entlastungsbetrag in Höhe von 125,00 Euro monatlich. Dieser Entlastungsbetrag kann unter anderem für Leistungen der Kurzzeitpflege eingesetzt werden.
Sofern ein Leistungsbetrag für die Kurzzeitpflege aus den Leistungen der Verhinderungspflege in Anspruch genommen wird, mindert sich entsprechend der Leistungsanspruch auf Verhinderungspflege. Sollte die Verhinderungspflege lediglich aufgrund der maximalen Zeitdauer ausgeschöpft und noch ein verbleibender Leistungsbetrag vorhanden sein, kann der noch nicht in Anspruch genommene Leistungsbetrag auf die Kurzzeitpflege übertragen werden.
Der Anspruch auf die Kurzzeitpflege entsteht mit jedem Kalenderjahr neu. Das bedeutet, dass am 01.01. eines Folgejahres der Anspruch auf die Kurzzeitpflege wieder für längstens acht Wochen besteht bzw. wieder auflebt, wenn am 31.12. der Anspruch endet oder bereits vor dem 31.12. abgelaufen war.
Die den Versicherten entstehenden Kosten, welche nicht im Rahmen des § 42 SGB XI übernommen werden können (z. B. Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Transport-/Fahrkosten zur bzw. von der Kurzzeitpflegeeinrichtung), können – zumindest teilweise – über den Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI, auf den ein monatlicher Anspruch in Höhe von 125,00 Euro besteht, geltend gemacht werden.
Der Anspruch auf die Kurzzeitpflege ist erschöpft, wenn entweder der maximale Leistungsbetrag – ggf. unter Berücksichtigung der Übertragungsmöglichkeit aus der Verhinderungspflege – oder die maximale Leistungsdauer von acht Wochen erreicht ist.
Beispiel 1:
Ein Pflegebedürftiger, für den der Pflegegrad 3 bestätigt wurde, befindet sich in der Zeit vom 14.04. bis 15.04.2017 und vom 22.06. bis 28.06.2017 in einer Einrichtung der Kurzzeitpflege. Die Kurzzeitpflegeeinrichtung berechnet tägliche pflegebedingte Aufwendungen in Höhe von 67,25 Euro.
Folge:
Für die Zeit vom 14.04. bis 15.04.2017 (2 Kalendertage) leistet die Pflegekasse im Rahmen der Kurzzeitpflege einen Betrag von (2 x 67,25 Euro) 134,50 Euro. Für die Zeit vom 22.06. bis 28.06.2017 (7 Kalendertage) leistet die Pflegekasse einen Betrag von (7 x 67,25 Euro) 470,75 Euro.
Damit besteht nach dem 28.06.2017 im laufenden Kalenderjahr 2017 noch ein Restanspruch auf Kurzzeitpflege für maximal 47 Kalendertage bzw. – bei Übertragung des vollen Verhinderungspflegebetrages – in Höhe von 2.618,75 Euro.
Anspruch auf Pflegegeld während der Kurzzeitpflege
Bestand vor Beginn der Kurzzeitpflege ein Anspruch auf Pflegegeld, wird dieses Pflegegeld während einer Maßnahme der Kurzzeitpflege hälftig weitergezahlt. Für den Aufnahme- und Entlassungstag wird das Pflegegeld in voller Höhe geleistet. Näheres zum Pflegegeld und der entsprechenden Weiterzahlung bei Inanspruchnahme einer Kurzzeitpflege kann unter Pflegegeld nachgelesen werden.
Beispiel 2:
Siehe Beispiel 1 (oben). Der Pflegebedürftige bezieht im häuslichen Bereich die Pflegegeldleistung. Im Pflegegrad 3 beträgt im Jahr 2017 das monatliche Pflegegeld 545,00 Euro.
Folge:
Für den 14.04. und 15.04.2017 besteht ein Anspruch auf das volle Pflegegeld. Gleiches gilt für den Aufnahme- und Entlassungstag am 22.06. und 28.06.2017. Für die Zeit während der Kurzzeitpflege vom 23.06. bis 27.06.2017 wird das Pflegegeld in Höhe von (545,00 Euro / 30 Tage x 5 Tage) 90,83 Euro weitergeleistet.
Leistungsinhalt
Bei Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen auf Kurzzeitpflege werden im Rahmen dieses Leistungsanspruchs allgemeine Pflegeleistungen erbracht, welche im Einzelfall erforderlich sind. Zu den allgemeinen Pflegeleistungen gehören die
- körperbezogenen Pflegemaßnahmen,
- pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und die
- medizinische Behandlungspflege.
Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung und die Aufwendungen für Investitionskosten können im Rahmen der Kurzzeitpflege nicht übernommen werden. Sollten diese Kosten bzw. Aufwendungen im Entgelt für die Einrichtung nicht gesondert ausgewiesen sein, leistet die Pflegekasse 60 Prozent des Entgeltes im Rahmen der Kurzzeitpflege.
In stationären Einrichtungen besteht ein Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die über die nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit notwendige Versorgung hinausgeht. Da es sich bei einer Kurzzeitpflege um eine stationäre Einrichtung handelt, kann auch hier ein gesonderter Zuschlag beansprucht werden. Der Anspruch ergibt sich aus § 43b SGB XI.
Kurzzeitpflegeeinrichtung
Die Kurzzeitpflege wird grundsätzlich in Pflegeinrichtungen erbracht, welche von den Pflegekassen zur Kurzzeitpflege zugelassen sind. Durch § 42 Abs. 3 SGB XI wird allerdings ermöglicht, dass die Kurzzeitpflege auch in geeigneten Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und anderen geeigneten Einrichtungen übernommen werden kann, sofern diese in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung nicht möglich ist oder nicht zumutbar erscheint.
Es handelt sich dann um eine für die Kurzzeitpflege geeignete Einrichtung, wenn diese aufgrund der räumlichen und personellen Ausstattung die vollstationäre Pflege und Betreuung für die Dauer der Kurzzeitpflege sicher zu stellen. Dies kann auch unter Einbeziehung externer Unterstützung erreicht werden, z. B. durch die Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst. Bei einer Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen und bei Einrichtungen, welche mit einem anderen Sozialleistungsträger eine Vereinbarung abgeschlossen haben, kann die Eignung unterstellt werden. Ansonsten muss die Eignung der Einrichtung durch die zuständige Pflegekasse geprüft werden.
Die Kurzzeitpflege kann auch in einer stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung übernommen werden, wenn in dieser Einrichtung die Pflegeperson eine medizinische Vorsorge oder Rehabilitation in Anspruch nimmt und daher die gleichzeitige Unterbringung und Pflege des Pflegebedürftigen erforderlich ist (§ 42 Abs. 4 SGB XI). In diesem Fall ist es nicht nötig, dass die Vorsorge- bzw. Rehabilitationseinrichtung eine vertragsrechtliche Vereinbarung nach dem SGB XI hat.
Vollstationäre Pflege
Nach Ausschöpfung des vollen Leistungsanspruchs auf Kurzzeitpflege
Nachdem der Leistungsanspruch auf die Kurzzeitpflege (betrags- oder zeitmäßig) ausgeschöpft ist, kann die vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI beansprucht werden. Hierfür ist Voraussetzung, dass die Kurzzeitpflegeeinrichtung auch zur vollstationären Pflege zugelassen ist.
Sollte die Einrichtung der Kurzzeitpflege nicht zur vollstationären Pflege zugelassen sein, kommt die Zahlung von Pflegegeld aufgrund der selbst sichergestellten Pflege in Betracht.
Wechsel von Kurzzeitpflege zur vollstationären Pflege
Erfolgt ein Wechsel von der Kurzzeitpflege zur vollstationären Pflege, besteht auch in dem Monat des Wechsels, sofern es sich um einen Teilmonat handelt, ein Leistungsanspruch von bis zu 1.612,00 Euro, soweit der Leistungsbetrag in dem Kalenderjahr noch nicht ausgeschöpft wurde. Sollte ein noch nicht beanspruchter Leistungsbetrag der Verhinderungspflege auf die Kurzzeitpflege übertragen werden, erhöht sich der Leistungsanspruch im Monat des Wechsels von der Kurzzeitpflege zur vollstationären Pflege entsprechend.
Kostenübernahme durch andere Leistungsträger
Sofern die im Rahmen der Kurzzeitpflege entstehenden Kosten, welche nicht von der Sozialen Pflegeversicherung gedeckt sind, vom Versicherten nicht getragen werden können, kann ggf. das Sozialamt sich an den Kosten beteiligen. Eine eventuell mögliche Kostenbeteiligung durch das Sozialamt wird im Einzelfall geprüft und berechnet.
Rechtsprechung
Bundessozialgericht vom 18.02.2016, Az. B 3 P 2/14 R
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 18.02.2016, Az. B 3 P 2/14 R entschieden, dass ein Anspruch auf Kurzzeitpflege nur dann besteht, wenn die Pflege voll- oder teilstationär außerhalb der häuslichen Umgebung durchgeführt wird. Für eine Pflege im häuslichen Bereich dürfen keine Leistungen über die Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI finanziert werden.
Zu dem sozialgerichtlichen Streitfall kam es, weil für den Kläger von der zuständigen Pflegekasse keine Kurzzeitpflege geleistet wurde, welche im häuslichen Bereich erbracht wurde. Der Kläger wurde im Jahr 2003 geboren und war damals in die Pflegestufe III (die Pflegestufen wurden ab 01.01.2017 durch Pflegegrade ersetzt) eingestuft. Zu Hause wird der Kläger von seinen Eltern gepflegt. Da der Kläger nicht außer Hause gepflegt werden kann, wurde die Leistungsgewährung der Kurzzeitpflege für die Zeit der Verhinderung der Pflegeperson abgelehnt. Als Grund führte die zuständige Pflegekasse an, dass ein Anspruch auf Kurzzeitpflege nur in vollstationären Einrichtungen besteht.
Zunächst hat das zuständige Sozialgericht Koblenz dem Kläger Recht gegeben und den Anspruch auf Kurzzeitpflege bejaht. Hiergegen ging die Pflegekasse in Berufung; das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat das Sozialgerichtsurteil wieder aufgehoben und den Anspruch auf Kurzzeitpflege verneint. Dabei führte das Landessozialgericht aus, dass der Anspruch zwar auch in anderen geeigneten, von den Pflegekassen nicht zugelassenen Einrichtungen besteht. Hiervon wird allerdings nach den Gesetzesmaterialien und dem Regelungszweck der Kurzzeitpflege keine Leistungserbringung im häuslichen Bereich erfasst.
Nach erfolgter Revision musste das Bundessozialgericht über den Fall entscheiden.
Mit Urteil vom 18.02.2016 führt das Bundessozialgericht aus, dass nach der bis 31.12.2014 geltenden Rechtslage der Anspruch auf Kurzzeitpflege nicht auf die Verhinderungspflege übertragen werden kann. Dies wurde erst mit den gesetzlichen Änderungen im Rahmen des Ersten Pflegestärkungsgesetzes (PSG I) ab 01.01.2015 ermöglicht.
Die Revision war erfolglos, da ein Anspruch auf Kurzzeitpflege nur dann für eine begrenzte Zeit besteht, wenn diese voll- oder teilstationär außerhalb der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen durchgeführt wird. Sollte – aus welchen Gründen auch immer – eine außerhäusliche Betreuung nicht möglich oder gewünscht sein, kann der Anspruch auf Kurzzeitpflege nicht genutzt werden.
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