Die Sonderregelung zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern und Jugendlichen

Seit dem 01.01.2017 werden die Versicherten in der Sozialen Pflegeversicherung einem Grad der Pflegebedürftigkeit (dem sogenannten Pflegegrad) zugeordnet, welcher sich nach der Schwere der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ergibt (vgl. § 15 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, kurz: SGB XI). Folgend sind die Besonderheiten im Zusammenhang mit der Feststellung von Pflegebedürftigkeit bei Kindern und Jugendlichen zusammengefasst.

Die Zuordnung zu einem Pflegegrad erfolgt grundsätzlich, indem in sechs Modulen (Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen und Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte) Punkte vergeben werden. Diese Punkte werden im ersten Schritt je Modul addiert, im zweiten Schritt je Modul in gewichtete Punkte umgerechnet und daraus eine Gesamtpunktzahl errechnet. Diese Gesamtpunktzahl drückt dann den jeweiligen Pflegegrad aus. Insgesamt gibt es fünf Pflegegrade. Näheres hierzu unter: Ermittlung des Pflegegrades nach § 15 SGB XI.

Allgemeines zu Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre

Auch Kinder und Jugendliche können pflegebedürftig im Sinne der Sozialen Pflegeversicherung sein und damit die Leistungen erhalten, welche der Leistungskatalog des Elften Buches Sozialgesetzbuch vorsieht. Bei Kindern, vor allem im Kleinkindalter, besteht die Herausforderung bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit, dass diese einen natürlichen Pflegebedarf haben und daher jedes Kleinkind pflegebedürftig sein müsste. Da dies weder sinnvoll noch gewollt ist, wird der Pflegebedarf danach festgestellt, der über das normale Maß hinausgeht.

Als Grundsatz ist festzuhalten, dass die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern und Jugendlichen analog erfolgt, wie auch die Begutachtungen bei Erwachsenen vorgenommen wird. Jedoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen der Kinder- und Erwachsenenbewertung, dass bei Kinder und Jugendlichen die Abweichungen von der Selbstständigkeit und den Fähigkeiten im Vergleich zu altersentsprechend entwickelten Kinder zugrunde gelegt werden muss.

Sonderregelung nach § 15 Abs. 7 SGB XI

15 Abs. 7 SGB XI enthält eine Sonderregelung für pflegebedürftige Kinder im Alter bis zu 18 Monaten. Bei dem Lebensalter „bis zu 18 Monaten“ gilt der Tag, an dem das Kind seinen 18. Lebensmonat vollendet (§§ 187 und 188 BGB). Für diese Kinder ist eine Sonderregelung erforderlich, da in diesem Alter die Kinder aufgrund der fehlenden Selbstständigkeit entweder keinen oder nur einen niedrigen Pflegegrad erreichen können. Dies deshalb, weil die Kinder von Natur aus in allen Bereichen des Alltagslebens unselbstständig sind. Darüber hinaus müssten sie in kurzen Zeitabständen aufgrund der häufigen Entwicklungsänderungen begutachtet werden. Daher werden die pflegebedürftigen Kinder im Alter bis 18 Monaten immer pauschal einen Pflegegrad höher zugeordnet. Dies bedeutet, dass die folgenden Pflegegrade vorliegen:

Bei einer Punktzahl:

  • ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte: Pflegegrad 2
  • ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte: Pflegegrad 3
  • ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte: Pflegegrad 4
  • ab 70 bis 100 Gesamtpunkte: Pflegegrad 5

In diesem Pflegegrad können die Kinder dann bis zum vollendeten 18. Lebensmonat bleiben, ohne dass eine nochmalige Begutachtung erfolgt und sofern zwischenzeitlich kein Höherstufungsantrag gestellt bzw. eine Wiederholungsbegutachtung erforderlich ist. Eine Wiederholungsbegutachtung ist nur dann indiziert, wenn eine relevante Änderung zu erwarten ist; dies ist beispielsweise nach einer erfolgreichen Operation eines angeborenen Herzfehlers oder einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte der Fall.

Zudem werden bei der Begutachtung die Module „Mobilität“, „Kognitive und kommunikative Verhaltensweisen“ und „Selbstversorgung“ nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass bei der Begutachtung nur das Modul 3 „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ und das Modul 5 „Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingen Anforderungen und Belastungen“ herangezogen wird. In diesen beiden Modulen werden nur die krankheits- und therapiebedingten Beeinträchtigungen erfasst, die bei jedem Kind altersunabhängig zu bewerten sind.

Statt dem Modul 4 „Selbstversorgung“ muss im Rahmen der Begutachtung die Frage beantwortet werden, ob bei der Nahrungsaufnahme gravierende Probleme vorliegen, welche einen außergewöhnlichen pflegeintensiven Hilfebedarf im Bereich der Ernährung auslösen.

Aufgrund der pauschalen Zuordnung von Kindern bis zu 18 Monaten zu einem höheren Pflegegrad teilen die Pflegekassen mit der Erteilung des Bescheides im Regelfall gleich beide Pflegegrade mit: Höherer Pflegegrad bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats und „normaler“ Pflegegrad ab dem vollendeten 18. Lebensmonat.

Kinder ab Vollendung des 18. Lebensmonats

Ab dem vollendeten 18. Lebensmonat erfolgt dann ohne eine nochmalige/erneute Begutachtung eine Zuordnung zum Pflegegrad nach den „normalen“ Kriterien, welche auch für Erwachsene gelten. Allerdings erfolgt immer ein Vergleich mit einem gesunden Kind gleichen Alters. Daher ist für die Beurteilung des Hilfebedarfs nicht der tatsächliche Hilfebedarf, sondern nur der höhere Hilfebedarf im Vergleich zu einem gleichaltrigen Kind maßgebend.

Die folgende Tabelle zeigt die Berechnungssystematik zur Berechnung der Punkte, welche bei Kindern unter elf Jahren im Vergleich zu altersentsprechend entwickelten Kindern zugrunde gelegt wird.

  altersentsprechend entwickeltes Kind „unselbständig“ bzw. „Fähigkeit nicht vorhanden“ altersentsprechend entwickeltes Kind „überwiegend unselbständig“ bzw. „Fähigkeit in geringem Maße vorhanden“ altersentsprechend entwickeltes Kind „überwiegend selbständig“ bzw. „Fähigkeit größtenteils vorhanden“ altersentsprechend entwickeltes Kind „selbständig“ bzw. „Fähigkeit vorhanden/unbeeinträchtigt“
zu beurteilendes Kind „unselbständig“ bzw. „Fähigkeit nicht vorhanden“ 0 1 2 3
zu beurteilendes Kind „überwiegend unselbständig“ bzw. „Fähigkeit in geringem Maße vorhanden“ - - - 0 1 2
zu beurteilendes Kind „überwiegend selbständig“ bzw. „Fähigkeit größtenteils vorhanden“ - - - - - - 0 1
zu beurteilendes Kind „selbständig“ bzw. „Fähigkeit vorhanden/ unbeeinträchtigt“ - - - - - - - - - 0

Beurteilt werden in dem Alterskorridor bis elf Jahren die Module 1 „Mobilität“, 2 „kognitive und kommunikative Fähigkeiten“, 4 „Selbstversorgung“ und 6 „Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte“, wobei hier teilweise Besonderheiten gelten. Beispielsweise werden die Punkte nach der oben abgebildeten Tabelle doppelt (z. B. beim Trinken) oder dreifach (z. B. beim Essen) gewertet.

Folgend sind die Tabellen aufrufbar, die den altersentsprechenden Selbstständigkeitsgrad bzw. die altersentsprechenden Ausprägung von Fähigkeiten bei Kindern aufzeigen:

Modul 1 Kinder | Mobilität

Modul 1 Kinder | Mobilität

1   Altersentsprechender Selbständigkeitsgrad
Nr.   unselbständig überwiegend unselbständig überwiegend selbständig selbständig
1.1 Positionswechsel im Bett unter 1 Monat von 1 Monat bis unter 3 Monate von 3 Monaten bis unter 9 Monate ab 9 Monaten
1.2 Halten einer stabilen
Sitzposition
unter 6 Monaten von 6 Monaten bis unter 8 Monate von 8 Monaten bis unter 9 Monate ab 9 Monaten
1.3 Umsetzen unter 8 Monaten von 8 Monaten bis unter 9 Monate von 9 Monaten bis unter 11 Monate ab 11 Monaten
1.4 Fortbewegen innerhalb
des Wohnbereichs
unter 12 Monaten von 12 Monaten bis unter 13 Monate von 13 Monaten bis unter 18 Monate ab 18 Monaten
1.5 Treppensteigen unter 15 Monaten von 15 Monaten bis unter 18 Monate von 18 Monaten bis unter 2 Jahren und 6 Monate ab 2 Jahren und 6 Monaten

Modul 2 Kinder | Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

Modul 2 Kinder | Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

2   Altersentsprechender Selbständigkeitsgrad
Nr.   unselbständig überwiegend unselbständig überwiegend selbständig selbständig
2.1 Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld unter 6 Wochen von 6 Wochen bis unter 9 Monate von 9 Monaten bis unter 15 Monate ab 15 Monaten
2.2 Örtliche Orientierung unter 13 Monaten von 13 Monaten bis unter 18 Monate von 18 Monaten bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
2.3 Zeitliche Orientierung unter 2 Jahren und 6 Monaten von 2 Jahren und 6 Monaten bis unter 5 Jahre von 5 Jahren bis unter 7 Jahre ab 7 Jahren
2.4 Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen unter 9 Monaten von 9 Monaten bis unter 3 Jahre von 3 Jahren bis unter 5 Jahre und 6 Monate ab 5 Jahren und 6 Monate
2.5 Steuer von mehrschrittigen Alltagshandlungen unter 5 Monaten von 5 Monaten bis unter 12 Monate von 12 Monaten bis unter 15 Monaten ab 15 Monaten
2.6 Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben unter 18 Monaten von 18 Monaten bis unter 2 Jahre und 6 Monate von 2 Jahren und 6 Monate bis unter 4 Jahre und 6 Monate ab 4 Jahren und 6 Monate
2.7 Verstehen von Sachverhalten und Informationen unter 4 Jahren Von 4 Jahren bis unter 5 Jahre von 5 Jahren bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
2.8 Erkennen von Risiken und Gefahren unter 2 Jahren und 6 Monate Von 2 Jahren und 6 Monate bis unter 6 Jahren und 6 Monate von 6 Jahren und 6 Monate bis unter 10 Jahre ab 10 Jahren
2.9 Mitteilen von elementaren Bedürfnissen unter 3 Monaten von 3 Monaten bis unter 13 Monate von 13 Monaten bis unter 4 Jahren ab 4 Jahren
2.10 Verstehen von Aufforderungen unter 16 Monaten von 16 Monaten bis unter 18 Monate von 16 Monaten bis unter 18 Monate ab 2 Jahren und 6 Monaten
2.11 Beteiligen an einem Gespräch unter 15 Monaten von 15 Monaten bis unter 2 Jahre von 2 Jahren bis unter 4 Jahren ab 4 Jahren

Modul 4 Kinder | Selbstversorgung

Modul 4 Kinder | Selbstversorgung

4   Altersentsprechender Selbständigkeitsgrad
Nr.   unselbständig überwiegend unselbständig überwiegend selbständig selbständig
4.1 Waschen des vorderen Oberkörpers unter 2 Jahren von 2 Jahren bis unter 4 Jahre von 4 Jahren bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
4.2 Körperpflege im Bereich des Kopfes unter 18 Monaten von 18 Monaten bis unter 3 Jahre und 6 Monate von 3 Jahren und 6 Monate bis unter 5 Jahre ab 5 Jahren
4.3 Waschen des Intimbereichs unter 2 Jahren von 2 Jahren und 4 Jahre von 4 Jahren bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
4.4 Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare unter 3 Jahren und 6 Monate von 3 Jahren und 6 Monate bis unter 4 Jahre von 4 Jahren bis unter 8 Jahre ab 8 Jahren
4.5 An- und Auskleiden des Oberkörpers unter 18 Monaten von 18 Monaten bis unter 3 Jahre und 6 Monate von 3 Jahren und 6 Monaten bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
4.6 An- und Auskleiden des Unterkörpers unter 18 Monaten von 18 Monaten bis unter 3 Jahre und 6 Monate von 3 Jahren und 6 Monate bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
4.7 Mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken unter 2 Jahren Von 2 Jahren bis unter 5 Jahre und 6 Monate von 5 Jahren und 6 Monate bis unter 8 Jahre ab 8 Jahren
4.8 Essen (Dreifachwertung) unter 7 Monaten von 7 Monaten bis unter 20 Monate von 20 Monaten bis unter 2 Jahre und 6 Monate ab 2 Jahren und 6 Monate
4.9 Trinken (Doppelwertung) unter 8 Monaten von 3 Monaten bis unter 11 Monate von 11 Monaten bis unter 2 Jahren ab 2 Jahren
4.10 Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls (Doppelwertung) unter 18 Monaten von 18 Monaten bis unter 3 Jahre und 6 Monate von 3 Jahren und 6 Monate bis unter 6 Jahre ab 6 Jahren
4.11 Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma unter 5 Jahren ab 5 Jahren
4.12 Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma unter 5 Jahren ab 5 Jahren
4.13 Ernährung parenteral oder über Sonde unter 18 Monaten ab 18 Monaten

Modul 6 Kinder | Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Modul 6 Kinder | Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

6   Altersentsprechender Selbständigkeitsgrad
Nr.   unselbständig überwiegend unselbständig überwiegend selbständig selbständig
6.1 Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen unter 2 Jahren und 6 Monaten von 2 Jahren und 6 Monaten bis unter 5 Jahre von 5 Jahren bis unter 7 Jahre ab 7 Jahren
6.2 Ruhen und Schlafen unter 6 Monaten von 6 Monaten bis unter 5 Jahre von 5 Jahren bis unter 11 Jahre ab 11 Jahren
6.3 Sichbeschäftigen unter 6 Monaten von 6 Monaten bis unter 3 Jahre von 3 Jahren bis unter 5 Jahre ab 5 Jahren
6.4 Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen unter 2 Jahren und 6 Monaten von 2 Jahren und 6 Monate bis unter 3 Jahre von 3 Jahren bis unter 5 Jahre ab 5 Jahren
6.5 Interaktion mit Personen im direkten Kontakt unter 6 Wochen von 6 Wochen bis unter 9 Monate von 9 Monaten bis unter 12 Monate ab 12 Monaten
6.6 Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds unter 12 Monaten von unter 12 Monaten bis unter 3 Jahre Von 3 Jahren bis unter 5 Jahre ab 5 Jahren

Kinder ab elf Jahren

Ab einem Alter von elf Jahren werden Kinder – sofern sie altersentsprechend entwickelt sind – in allen Modulen des Begutachtungsinstruments selbstständig sein. Ab diesem Alter gelten dann die gleichen pflegegradrelevanten Berechnungsvorschriften wie für Erwachsene.

Im Rahmen der Begutachtung wird allerdings bis zum Alter von 18 Jahren noch das Begutachtungsformular für Kinder eingesetzt, da dieses eine entsprechende altersgerechte Formulierung enthält.

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