Die Grenzen der Mitwirkungspflichten nach § 65 SGB I

Im Sozialversicherungsrecht haben Leistungsberechtigte Mitwirkungspflichten, welche sich aus den §§ 60 bis 64 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergeben. Zu diesen Mitwirkungspflichten gehören die Angabe von Tatsachen, ein persönliches Erscheinen beim zuständigen Leistungsträger, dass sich der Leistungsberechtigte Untersuchungen unterzieht oder an Leistungen der Heilbehandlung oder zur Teilhabe am Arbeitsleben teilnimmt. Näheres hierzu unter: Mitwirkungspflichten von Leistungsberechtigten.

Mit § 65 SGB I werden allerdings auch die Grenzen der Mitwirkungspflichten gesetzlich definiert. Mit dieser gesetzlichen Regelung werden Fälle bzw. Fallkonstellationen definiert, wann für einen Leistungsberechtigten trotz einer grundsätzlich bestehenden Mitwirkungspflicht keine Mitwirkungspflicht besteht, wann Behandlungen und Untersuchungen abgelehnt werden können und wann die Angabe von Tatsachen verweigert werden können.

Keine Verhältnismäßigkeit

Nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I besteht keine Mitwirkungspflicht, soweit deren Erfüllung unangemessen – nicht verhältnismäßig – ist. Konkret wird in dieser Rechtsvorschrift geregelt, dass die Mitwirkungspflicht nicht besteht, wenn die Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht.

Das bedeutet, dass ein Sozialleistungsträger beim Einfordern der Mitwirkungspflichten stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss. Das heißt, dass das Ausmaß der Mitwirkung entsprechend gering sein muss, wenn auch die Leistung hinsichtlich der Höhe oder der Zeitdauer nur gering ist bzw. nur eine geringe Bedeutung hat. Auch die Herkunft der Finanzmittel (Beitragsmittel, Steuermittel) hat dabei einzufließen.

Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit müssen auch die in § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I definierten Grenzen vom Leistungsträger beachtet werden. Kann sich dieser durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen, besteht keine Mitwirkungspflicht. Es muss vor dem Einfordern der Mitwirkungspflicht vom Leistungsträger geprüft werden, ob auf dem internen Weg der Verwaltung die erforderlichen Daten beschafft werden können. Hierdurch soll insbesondere für ältere, pflegebedürftige, behinderte oder hilfebedürftige Menschen die Mitwirkungspflicht reduziert bzw. gänzlich umgangen werden. Von daher steht die Amtsermittlungspflicht des Leistungsträgers im Vordergrund. Erst wenn diese nicht zum Ziel führt, kann die Mitwirkungspflicht des Leistungsberechtigten eingefordert werden.

Zumutbarkeit

Mit § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I wird bei der Mitwirkung dahingehend eine Grenze gesetzt, dass die Zumutbarkeit beachtet werden muss. Kann ein Betroffener aus einem wichtigen Grund die Mitwirkungspflicht nicht erfüllen, besteht hierzu auch keine Pflicht.

Die wichtigen Gründe im Sinne des § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I können beim Betroffenen beispielsweise dann vorliegen, wenn eine Krankheit des Leistungsberechtigten ihn zur Mitwirkung hindert, wenn eine Unabkömmlichkeit im Beruf besteht oder wenn schwierige familiäre und häusliche Verhältnisse vorliegen.

Ablehnungen von Behandlungen und Untersuchungen

Die grundsätzlich im Rahmen der Mitwirkungspflicht vorgesehen Unterziehung einer Untersuchung (§ 62 SGB I) oder Heilbehandlung (§ 63 SGB I) kann abgelehnt werden, wenn

  • im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,
  • diese mit erheblichen Schmerzen verbunden ist oder
  • diese einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeutet.

Zu den Untersuchungen und Behandlungen, welche nach § 65 Abs. 2 SGB I vom Leistungsberechtigten abgelehnt werden können bzw. die dieser nicht dulden muss, gehören beispielsweise Eingriffe in die Zeugungsfähigkeit oder Empfängnisfähigkeit und auch Amputationen.

Verweigerung der Mitwirkung

Nach § 65 Abs. 3 SGB I können Angaben, welche dem Antragsteller, dem Leistungsberechtigten oder ihnen nachstehenden Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Zivilprozessordnung) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, verweigert werden.

Diese Regelung resultiert aus den allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen, dass sich nicht jemand selbst oder Nahestehende der Gefahr der Verfolgung aufgrund einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen muss. Zu den Nahestehenden gehören die Ehegatten (auch wenn die Ehe nicht mehr besteht), Lebenspartner, Verlobte und weitere Verwandte bzw. Verschwägerte.

Die Betroffenen müssen, wenn sie aus den in § 65 Abs. 3 SGB I genannten Gründen die Mitwirkung verweigern möchten, die Gründe hierfür mit Tatsachen belegt vortragen. Unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur Beratung (§ 14 SGB I) sollte der zuständige Leistungsträger auf dieses Verweigerungsrecht hinweisen, wenn hierfür die Voraussetzungen bekannt oder zumindest gegeben sind.

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