Die Folgen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I

Leistungsberechtigten werden in der Sozialversicherung bestimmte Mitwirkungspflichten auferlegt. Diese Mitwirkungspflichten ergeben sich aus den §§ 60 bis 65 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).

Kommt ein Leistungsberechtigter seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, werden die Folgen bzw. Konsequenzen der fehlenden Mitwirkung in § 66 SGB I geregelt und wann diese zum Tragen kommen.

Bei der Rechtsvorschrift des § 66 SGB I handelt es sich um eine gesetzliche Regelung, welche für die Leistungsträger Sanktionsmaßnahmen ermöglicht, wenn den gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen.

Keine Mitwirkung zur Aufklärung des Sachverhaltes

Mit § 66 Abs. 1 SGB I wird geregelt, dass ein Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen kann, wenn jemand eine Sozialleistung beantragt oder bereits erhält und seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62 und § 65 SGB I nicht nachkommt. Hierbei handelt es sich um die Mitwirkungspflichten:

  • Angabe von persönlichen Tatsachen
  • Persönliches Erscheinen
  • Unterziehung von Untersuchungsmaßnahmen

soweit hierfür die Grenzen der Mitwirkung nach § 65 SGB I nicht überschritten werden.

Grundsätzlich ist ein Versagen und ein Entziehen der Leistungen nur dann zulässig, wenn der Leistungsberechtigte den Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und auch der Sachverhalt nur unter wesentlich erschwerten Bedingungen aufgeklärt werden kann.

Angabe von persönlichen Tatsachen

Der zuständige Leistungsträger muss in der Lage sein, über einen Leistungsanspruch eine Entscheidung zu treffen. Hierzu muss der Leistungsberechtigte mitwirken, indem Angaben für die Beurteilung des Leistungsanspruchs gemacht werden. Im Regelfall halten die Leistungsträger entsprechende Vordrucke bzw. Formblätter vor, mit dem die relevanten Daten für die Beurteilung des Leistungsanspruchs abgefragt werden. Gleiches gilt, wenn Beweismittel nicht vorgelegt werden, welche für die Beurteilung des Leistungsanspruchs erforderlich sind. Hierbei kann es sich beispielsweise um ärztliche Atteste oder Befundberichte handeln. Ein weiteres klassisches Beispiel ist, wenn erforderliche Vorversicherungszeiten (beispielsweise bei einem Antrag auf Pflegeleistungen oder einem Rentenantrag) nicht nachgewiesen werden und ohne diese Vorversicherungszeiten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt werden.

Sollte ein Leistungsberechtigter Tatsachen und Zeiten im Rahmen des Leistungsantrags angeben, welche für die Beurteilung des Leistungsanspruchs Bedeutung und damit rechtserheblich sind, kann es ebenfalls zur Versagung bzw. Entziehung der Leistung kommen, sofern diese nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden. Gleiches gilt, wenn die vorgelegten Unterlagen für den Nachweis oder Glaubhaftmachung nicht ausreichend sind.

Denkbar ist auch, dass die Leistung zwar bewilligt wird, jedoch nur in einer geringeren Höhe zur Auszahlung kommt, also nur teilweise versagt bzw. entzogen wird. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Rentenanspruch grundsätzlich beurteilt werden kann, eine frühere Versicherungszeit oder Beitragszahlung angegeben, jedoch nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird. In diesem Fall wird die Rente (in einer niedrigeren Höhe) gewährt, jedoch ohne Berücksichtigung der angegebenen Versicherungszeiten bzw. Beitragszahlungen.

Kein persönliches Erscheinen

Leistungsträger haben die Möglichkeit, ein persönlichen Erscheinen des Leistungsberechtigten nach § 61 SGB I zu verlangen, wenn dies zur mündlichen Erörterung des Antrags oder zur Vornahme anderer für die Entscheidung über die Leistung notwendiger Maßnahmen erforderlich ist. Hierbei sind jedoch auch die Grenzen der Mitwirkung nach § 65 SGB I zu beachten.

Kommt der Leistungsberechtigte dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, kann es ebenfalls zu einem Versagen oder zum Entzug der Leistung kommen.

Verweigerung von Untersuchungsmaßnahmen

Sofern es ein Leistungsberechtigter ablehnt, sich einer ärztlichen und/oder psychologischen Untersuchung zu unterziehen und damit der Leistungsanspruch nicht beurteilt werden kann, ist ebenfalls die Leistung zu versagen bzw. zu entziehen.

Sollte der Leistungsanspruch überhaupt nicht beurteilt werden können, kommt es zu einem vollständigen Versagen bzw. Entzug der Leistung. Sofern jedoch nur ein Teil des Leistungsanspruchs nicht überprüft werden kann, kommt es „nur“ zu einem teilweisen Versagen bzw. Entzug der Leistung. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn von der Gesetzlichen Rentenversicherung der Anspruch auf die teilweise Erwerbsminderungsrente bestätigt werden kann, jedoch der Leistungsberechtigte sich für die Beurteilung der vollen Erwerbsminderung nicht der Untersuchungsmaßnahme unterzieht. In diesem Fall wird lediglich die Differenzleistung zwischen der teilweisen (halben) und der vollen Erwerbsminderungsrente versagt/entzogen.

Fehlende Mitwirkung nach § 66 Abs. 2 SGB I (Maßnahmen für Gesundheit)

Mit § 66 Abs. 2 SGB I wird geregelt, dass für Leistungsberechtigte, die eine Sozialleistung wegen

  • Pflegebedürftigkeit,
  • Arbeitsunfähigkeit,
  • Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit,
  • anerkannten Schädigungsfolgen oder
  • Arbeitslosigkeit

beantragt haben oder erhalten und den Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 SGB I nicht nachkommen und unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass deshalb

  • die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung,
  • die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit

beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise zu versagen oder zu entziehen ist.

Im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung hat diese Rechtsvorschrift beispielsweise bei einer Krankengeldgewährung Bedeutung, wenn die Arbeitsfähigkeit ohne eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation nicht wieder erlangt wird. In diesem Fall hat die Krankenkasse ein Aufforderungsrecht für die Antragstellung auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahmen. Gleiches gilt für Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleben (s. Krankengeld | Aufforderungsrechte der Krankenkasse).

Im Bereich der Gesetzlichen Rentenversicherung hat die Rechtsvorschrift beispielsweise Bedeutung, wenn eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation abgelehnt wird, mit der zu erwarten ist, dass die Erwerbsfähigkeit wieder hergestellt bzw. die Erwerbsminderung beseitigt werden kann.

Die fehlende Mitwirkung im Sinne des § 66 Abs. 2 SGB I liegt dann vor, wenn vom Leistungsberechtigten die Zustimmung für die Maßnahmen für die Gesundheit (ärztliche/psychologische Untersuchungen, Heilbehandlung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) verweigert wird. Die fehlende Mitwirkung liegt auch dann vor, wenn die Zustimmung für die Maßnahmen zwar erteilt wird, diese jedoch nicht angetreten werden. Gleiches gilt, wenn eine Maßnahme angetreten, aber ohne Genehmigung des Arztes der Heilstätte oder des Leistungsträgers abgebrochen oder wegen mangelnder/fehlender Mitwirkung der Maßnahmenerfolg beeinträchtigt oder verhindert wird.

Unterschied zwischen Versagen und Entziehen

Die Gesetzesvorschrift des § 66 Abs. 1 SGB I unterscheidet zwischen dem Versagen und dem Entziehen der Leistung. Oftmals stellt sich die Frage, worin der Unterschied zwischen „Versagen“ und „Entziehen“ liegt.

Wird eine Leistung versagt, wird die Gewährung bzw. Zahlung vom Leistungsträger komplett nicht aufgenommen. Das heißt, dass über den materiell-rechtlichen Anspruch keine Entscheidung getroffen wird. Im Falle des Versagens kommt es zu keinem Abschluss des Verwaltungsverfahrens, was bedeutet, dass dieses jederzeit auch wieder aufgenommen werden kann. Bei einem Versagen der Leistung kam es bislang noch zu gar keiner Bewilligung. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.10.1988, Az. 7 RAr 70/87 ist ein rückwirkender Leistungsentzug wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht möglich.

Wird eine Leistung entzogen, bedeutet dies, dass die Leistung vom Zeitpunkt der Entziehung bis zur Nachholung der Mitwirkung nicht mehr gewährt wird. Für einen Entzug der Leistung muss daher bereits eine Leistung bewilligt worden sein.

Wenn der Leistungspflichtige den Mitwirkungspflichten nachkommt und auch die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, kann nach der gesetzlichen Bestimmung des § 67 SGB I der Leistungsträger die Sozialleistungen, welche nach § 66 SGB I versagt oder entzogen wurden, nachträglich ganz oder teilweise erbringen.

Kein Versagen/Entzug ohne vorherigen Hinweis des Leistungsträgers

Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf die Folgen der Nicht-Mitwirkung hingewiesen wurde und auch seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist nachgekommen ist.

Bei der Rechtsvorschrift des § 66 Abs. 3 SGB I handelt es sich um eine Spezialvorschrift, welche dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zugrunde liegt. Hierbei handelt es sich um eine Spezialvorschrift, mit der die Anhörungspflicht nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängt wird. Durch diesen vorherigen Hinweis des Leistungsträgers wird verhindert, dass ein Leistungsberechtigter von einer Entscheidung – hier vom Versagen oder dem Entzug von Leistungen – überrascht wird.

Mit dem Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I muss der Leistungsträger dem Leistungsberechtigten die Auswirkungen einer weiteren fehlenden Mitwirkung erläutern. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 20.03.1980, Az. 7 Rar 21/79 darf sich der schriftliche Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I nicht ausschließlich auf die reine Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder auf Belehrungen allgemeiner Art beschränken. Es muss daher ein unmissverständlicher und schriftlicher Hinweis an den Leistungsberechtigten erfolgen, welche Folge bei einer weiteren fehlenden Mitwirkung eintritt.

Dem Leistungsberechtigten muss eine angemessene Frist gesetzt werden, innerhalb derer dieser seiner auferlegten Mitwirkungspflicht nachkommen kann, ehe es zu einem Versagen bzw. Entzug der Leistungen kommt. Im Regelfall beträgt die Frist maximal sechs Wochen; in der Praxis setzen die Leistungsträger jedoch eine Frist von zwei bis drei Wochen.

Versagen und Entzug der Leistungen ist Ermessensentscheidung

Bei dem Versagen und Entzug von Leistungen eines Leistungsberechtigten muss der zuständige Leistungsträger eine Ermessensentscheidung treffen. Hierbei muss die Frage beantwortet werden, ob dem Leistungsberechtigten die Folgen der fehlenden Mitwirkung und die damit verbundenen negativen Auswirkungen zuzumuten sind oder ob die Interessen der Versichertengemeinschaft im Vordergrund stehen.

Das Ermessen des Leistungsträgers kann in Einzelfällen auch auf null reduziert sein. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Leistungsträger nicht in die Lage versetzt wird, die Anspruchsvoraussetzungen zu klären. Klassische Beispiele hierfür sind, wenn eine Untersuchung nach § 62 SGB I verweigert wird und damit das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit für die Gewährung von Pflegeleistungen nach dem SGB XI oder das Vorliegen einer Erwerbsminderung für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nicht möglich ist.

Der Leistungsträger muss das ausgeübte Ermessen im Bescheid dezidiert ausführen. Es ist nicht ausreichend, dass lediglich angemerkt wird, dass das Ermessen ausgeübt wurde.

Rechtsprechung

Keine erschwerte Sachverhaltsaufklärung

Ein Leistungsversagen kommt nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.07.1986, Az. 11 a RLw 3/85 dann nicht zum Tragen, wenn bei einer fehlenden bzw. mangelnden Mitwirkung es nicht zu einer erschwerten Sachverhaltsaufklärung für den Leistungsträger kommt.

Keine Untätigkeit des Leistungsträgers bei Verletzung der Mitwirkungspflichten

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.08.1994, Az. 13 RJ 17/94 darf ein Sozialversicherungsträger auf eine angebliche Verletzung der Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten nicht in der Weise reagieren, dass er untätig bleibt. Der Leistungsträger muss weiterhin versuchen, die betreffenden Angaben auf andere Weise zu beschaffen. Alternativ muss eine Leistungsversagung nach § 66 SGB I ausgesprochen werden.

Rente der GRV

Eine Rente der Gesetzlichen Rentenversicherung kann nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.05.1983, Az. 10 RKg 13/82 nur für die Zukunft aufgrund einer fehlenden Mitwirkung versagt oder entzogen werden. Das Versagen bzw. Entziehen einer Rente ist dann vom Ablauf des Monats an möglich, in dem der Bescheid über die Versagung bzw. dem Entzug wirksam wird. Wirksam wird der Bescheid in dem Monat, in dem er dem Leistungsberechtigten bekanntgegeben wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Rente noch zu leisten, sofern hierfür auch die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden.

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