Der Ausschluss der Rechtsnachfolge nach § 59 SGB I

Verstirbt ein Versicherter, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen sich auf noch ausstehende Ansprüche bei den einzelnen Sozialversicherungsträgern ergeben. § 59 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) enthält die Regelung über den Ausschluss der Rechtsnachfolge.

Nach § 59 SGB I erlöschen die Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen mit dem Tode des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist.

Darüber hinaus kann sich über spezielle Vorschriften, welche sich nur auf einzelne Sozialversicherungszweige beziehen, eine gesonderte Regelung ergeben. Die ist beispielsweise im Zweig der Sozialen Pflegeversicherung der Fall.

Hintergrund

Mit der Rechtsvorschrift des § 59 SGB I hat der Gesetzgeber geregelt, welche Art von Leistungsansprüchen beim Tod eines Berechtigten erlöschen, also nicht auf einen Rechtsnachfolger übergehen. Hierbei wird zwischen den einzelnen Leistungsarten – Dienst-, Sach- und Geldleistungen – differenziert.

Im Umkehrschluss des § 59 SGB I bedeutet dies allerdings auch, dass Ansprüche, soweit sie nicht von der Rechtnachfolge ausgeschlossen sind, auf die Sonderrechtsnachfolger bzw. auf die Erben übergehen.

Dienst- und Sachleistungen

Die Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen erlöschen aufgrund des „höchstpersönlichen“ Charakters dieser Leistungen mit dem Tod des Anspruchsberechtigten.

In der Praxis können bei einem Versterben des Versicherten die Dienst- und Sachleistungen nicht mehr in Anspruch genommen werden. Der Ausschluss der Rechtsnachfolge nach § 59 SGB I bedeutet allerdings nicht, dass bis zum Tod erbrachte Dienst- und Sachleistungen nach Verstreben des Versicherten nicht mehr mit dem zuständigen Sozialversicherungsträger abgerechnet werden können. Die bereits erbrachten Dienst- und Sachleistungen können auch nach dem Tod des Berechtigten im Rahmen der Verjährungsfristen abgerechnet werden.

Geldleistungen

Die Geldleistungen erlöschen aufgrund der ausdrücklichen Bestimmung in § 59 SGB I mit dem Tod des Berechtigten nur dann, wenn diese zum Zeitpunkt des Todes weder festgestellt waren noch über den Leistungsanspruch ein Verwaltungsverfahren anhängig war. Von daher ist bei einer entsprechenden Antragstellung seitens der Sonderrechtsnachfolger bzw. Erben zu prüfen, ob eine dieser Ausnahmen vorlag.

Bei den Geldleistungen, welche im Zusammenhang mit § 59 SGB I angesprochen werden, handelt es sich sowohl um laufende als auch einmalige Geldleistungen. Ebenfalls sind Geldleistungen betroffen, welche anstelle eines Dienst- oder Sachleistungsanspruchs entstehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Versicherter anstatt der Pflegesachleistung seine Pflege selbst sicherstellt und dafür das Pflegegeld bezieht. Auch Geldleistungen, welche für eigene Aufwendungen für zum Beispiel nicht oder nicht rechtzeitig erbrachte Dienst- oder Sachleistungen geltend gemacht werden, fallen unter die Geldleistungen im Sinne des § 59 SGB I.

Sollte vom Berechtigten zu Lebzeiten kein Antrag gestellt worden sein, dann ist der Anspruch auf eine Geldleistung weder festgestellt noch ist hierüber ein Verwaltungsverfahren anhängig (sofern für die Leistung ein materiell-rechtlicher Antrag erforderlich ist). In diesem Fall ist es noch gar nicht zu einem Anspruch gekommen, welcher nach § 59 SGB I ausgeschlossen werden könnte. Die Ansprüche können von den Rechtsnachfolgern durch eine spätere bzw. nachträgliche Antragstellung nicht mehr begründet werden.

Anspruch war festgestellt

Um einen festgestellten Anspruch auf eine Geldleistung handelt es sich dann, wenn hierüber bereits ein Bescheid erstellt und dem Berechtigten bekanntgegeben wurde. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob der Bescheid zum Zeitpunkt des Todes bereits rechtskräftig wurde. Das heißt, es ist ausreichend, wenn der Anspruch dem Grunde nach festgestellt wurde.

Verwaltungsverfahren war anhängig

Sollte zum Zeitpunkt des Todes der Anspruch auf die Geldleistung noch nicht festgestellt worden sein, ist der Ausschluss der Rechtsnachfolge auch dann nicht gegeben, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits ein Verwaltungsverfahren anhängig ist.

Ein Verwaltungsverfahren ist bei Antragsleistungen dann anhängig, wenn dem zuständigen Sozialversicherungsträger der materiell-rechtliche Antrag zugegangen ist, sofern das Verwaltungsverfahren nicht von Amts wegen eigeleitet werden muss. Entsprechend der Regelung des § 130 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist auch dann von einem anhängigen Verwaltungsverfahren auszugehen, wenn zwischen der Abgabe und dem Zugang des Antrags beim Sozialversicherungsträger der Berechtigte verstorben ist.

Darüber hinaus hat auch ein verfahrensrechtlich gestellter Antrag die Folge, dass ein Verwaltungsverfahren anhängig ist. Dies kann sich beispielsweise bei den Leistungen der Gesetzlichen Unfallversicherung ergeben; diese Leistungen werden nach § 19 Satz 2 SGB IV grundsätzlich von Amts wegen erbracht. Auch im Bereich der Gesetzlichen Rentenversicherung ist ein Verwaltungsverfahren von Amts wegen dann anhängig, wenn der Rentenversicherungsträger von sich aus tätig geworden ist; dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn eine kleine Witwen-/Witwerrente bei Erreichen des entsprechenden Lebensalters der/des Hinterbliebenen in eine große Witwen-/Witwerrente überführt wird.

Ein Verwaltungsverfahren ist dann nicht mehr anhängig, wenn die Bindungswirkung des Leistungs- bzw. Ablehnungsbescheides eingetreten ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.08.1998, Az. B 10 KR 5/97 R). Bis die Bindungswirkung eines Bescheides eintritt, ist es dem Berechtigten bzw. hier den Sonderrechtsnachfolgern/Erben möglich, Rechtsmittel (Widerspruch, Klage) gegen den Bescheid einzulegen.

Ein Verwaltungsverfahren ist auch dann nicht mehr anhängig, wenn der Antrag vom Berechtigten rechtskräftig zurückgenommen wurde

Sonderregelung für Pflegeversicherung

Für den Bereich der Sozialen Pflegeversicherung gilt mit § 35 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) eine gesonderte Regelung. Diese Regelung ist mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ (GVWG), welches am 19.07.2021 im Bundesgesetzblatt (Jahrgang 2021 Teil I Nr. 44 am 19.07.2021) verkündet wurde, eingeführt.

Grundsätzlich erlöschen die Ansprüche auf Leistungen aus der Sozialen Pflegeversicherung mit dem Ende der Mitgliedschaft.

Die Rechtsvorschrift des § 35 Satz 2 SGB I enthält für die Pflegeversicherung eine Sonderregelung, nach der Ansprüche auf Kostenerstattung (aus der Sozialen Pflegeversicherung bzw. nach dem SGB XI) mit dem Ende der Mitgliedschaft dann nicht erlöschen, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten nach dem Tod des Berechtigten geltend gemacht werden.

Diese Sonderregelung für die Pflegeversicherung wurde eingeführt, da es sich bei zahlreichen Pflegeleistungen um Kostenerstattungen handelt (z. B. Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI, Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI). Vor Einführung dieser Sonderregelung konnten die Erben die verauslagten Kosten zumeist nicht mehr geltend machen, nachdem der Pflegebedürftige verstorben ist. Das heißt, dass durch die seit Juli 2021 in Kraft getretene gesetzliche Änderung nun nach dem Tod noch für zwölf Monate ein offener Kostenerstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Pflegekasse geltend gemacht werden kann.

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