Landessozialgericht Hessen 03.02.2012, L 9 U 267/08

  • Aktenzeichen: L 9 U 267/08
  • Spruchkörper: 9. Senat 
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 U 47/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 03.02.2012

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Berufskrankheitenverordnung (BKV in der Fassung ab 1. Dezember 1997).

Die 1970 geborene Klägerin war seit 1993 als Friseurin bei einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten beschäftigt. Am 16. Juni 2000 wurde der Beklagten durch den behandelnden Hautarzt Dr. C. mitgeteilt, dass bei der Klägerin seit Anfang des Jahres ein durch die Einwirkung von Friseurstoffen hervorgerufenes Kontaktekzem bestehe.

Von der Beklagten wurden daraufhin Ermittlungen zum Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV (BK 5101) durchgeführt und der Klägerin zugleich die Teilnahme an Hautschutzseminaren angeboten. Am 13. September 2000 wurde der Beklagten von der Klägerin telefonisch mitgeteilt, dass sie aufgrund ihrer Hauterscheinungen seit 4 Wochen arbeitsunfähig und in der 7. Woche schwanger sei. Nachfolgend nahm die Klägerin ihre letztmals am 23. August 2000 ausgeübte Tätigkeit als Friseurin nicht wieder auf. Nach einer Bescheinigung der Krankenkasse BKK D. bezog die Klägerin im Zeitraum vom 26. August bis zum 10. Oktober 2000 Krankengeld. Vom Arbeitgeber der Klägerin wurde der Beklagten am 24. November 2000 mitgeteilt, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen von der Arbeit freigestellt sei, wobei diese vom 11. Oktober 2000 bis zum 27. März 2001 nochmals im Bezug von Beschäftigungsentgelt stand. Die Klägerin bezog dann vom 28. März 2001 bis zum 2. Juli 2001 Mutterschaftsgeld und befand sich anschließend im Zeitraum vom 2. Juli 2001 bis zum 2. Juli 2003 im Erziehungsurlaub.

Im November 2001 verständigten sich die Beteiligten in einem Telefonat darauf, dass die Tätigkeit der Klägerin als Friseurin nach Beendigung des Erziehungsurlaubs wieder aufgenommen werden könne. Zuvor sollten die Erwerbseinschränkungen zum Gegenstand eines medizinischen Gutachtens gemacht werden und von der Klägerin ca. 6 Monate vor Wiederaufnahme der Tätigkeit eine Rehabilitationsmaßnahme in Form eines Seminars durchgeführt werden.

In einem auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten kam der Sachverständige Dr. E. am 15. April 2002 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein subtoxisch-kumulatives Hautekzem vorgelegen habe, welches durch die "Feuchttätigkeit" und den regelmäßigen Kontakt zu hautirritativen Substanzen verursacht worden sei. Zum Zeitpunkt der jetzigen Untersuchung sei die Klägerin allerdings hautgesund gewesen. Auf Grund der abgelaufenen Hauterkrankung habe die konkrete Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 BKV bestanden, sofern die Klägerin ohne weitergehende Hautschutzmaßnahmen weitergearbeitet hätte. Zur Verhinderung des Wiederauflebens sei vor der Wiederaufnahme der Beschäftigung im Anschluss an die Erziehungszeit ein individueller Hautschutzplan zu erstellen und die Teilnahme an einem Hautschutzseminar zu empfehlen. Anschließend könne ein Arbeitsversuch in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit unter hautfachärztlicher Begleitung durchgeführt werden.

Am 24. April 2002 wurde die Klägerin von der Beklagten vom Ergebnis der Begutachtung unterrichtet und ihr zugleich die Teilnahme an einem Hautschutzseminar angeboten. Mit anwaltlichem Schreiben vom 8. Mai 2002 lehnte die Klägerin die Teilnahme an dem Seminar ab. Mit weiterem Schreiben vom 17. Juni 2002 teilte die Klägerin der Beklagten mit, nicht wieder als Friseurin tätig werden zu wollen, da die Hauterkrankung bei ihr erneut aufgetreten sei. Die Beklagte zog daraufhin Behandlungsberichte von Dr. C. bei, in denen dieser mitteilte, dass bei der Klägerin im Februar, März und Juli 2002 erneut Handekzeme festgestellt worden seien. Weitere Verlaufsberichte von Dr. C. wurden anschließend nochmals von dem erneut von der Beklagten befragten Sachverständigen Dr. E. beigezogen. Anschließend kam dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. April 2003 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin aus medizinischer Sicht der Zwang zur Unterlassung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit bestehe und ein Arbeitsversuch nicht mehr in Betracht komme.

Von der Beklagten zum Zeitpunkt der Aufgabe ihrer Tätigkeit als Friseurin befragt, nannte die Klägerin in einer schriftlichen Erklärung vom 15. Juli 2003 ohne weitere Erläuterung die Termine 23. August 2000 sowie 2. Juli 2003.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 26. August 2003 stellte die Beklagte das Bestehen der BK 5101 mit Eintritt des Versicherungsfalls am 24. August 2000 fest, da an diesem Tag die Aufgabe der hautgefährdenden Tätigkeit erfolgt sei. Nachfolgend wurde der Klägerin für die Zeit vom 26. August 2000 bis zum 10. Oktober 2000 sowie ab dem 2. Juli 2003 dem Grunde nach Verletztengeld unter Anrechnung auf das von der Klägerin bezogene Krankengeld zuerkannt. Rentenleistungen wurden mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Umfang nicht gewährt.

Mit weiterem Bescheid vom 4. Oktober 2004 gewährte die Beklagte der Klägerin zeitlich gestaffelte Übergangsleistungen für einen Zeitraum von 5 Jahren ab dem 24. August 2000. Hiergegen erhob die Klägerin am 22. Oktober 2004 Widerspruch und machte darin geltend, ihre Tätigkeit erst nach Beendigung der Elternzeit im Juli 2003 aufgegeben zu haben, so dass der 5-Jahres-Zeitraum erst ab diesem Zeitpunkt beginne. Zugleich beantragte die Klägerin hinsichtlich der Festsetzung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls im Bescheid vom 26. August 2003 eine Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch, 10. Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2004 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2005 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 3. März 2005 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben.

Der Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 26. August 2003 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 22. März 2005 abgelehnt. Der nachfolgende Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005 zurückgewiesen. Auch hiergegen hat die Klägerin am 23. Juni 2005 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben.

Die beiden Verfahren sind vom Sozialgericht Kassel mit Beschluss vom 19. Juli 2007 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Mit Urteil vom 6. Oktober 2008 ist die Beklagte vom Sozialgericht Kassel unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2005 verpflichtet worden, der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen Bescheid über die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV zu erteilen und hierbei als Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit den 17. Juni 2002 zu Grunde zu legen. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin habe ihre hautgefährdende Tätigkeit als Friseurin am 17. Juni 2002 im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV unterlassen, denn erst durch ihre an diesem Tage gegenüber der Beklagten abgegebenen Erklärung sei der Entschluss der Klägerin nachweisbar, ihren bisherigen Beruf aufzugeben. Insbesondere vor dem Hintergrund der Anreizfunktion des § 3 Abs. 2 BKV könne von einer dauerhaften Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit erst mit dem Entschluss der Klägerin ausgegangen werden, auf Grund der im Jahre 2002 wieder aufgetretenen Hauterkrankung nicht mehr als Friseurin tätig zu werden, selbst wenn der objektive Zwang zur Unterlassung der Tätigkeit im Sinne der BK 5101 bei nachträglicher Betrachtung bereits im August 2000 vorgelegen hätte. Hierfür sei zum einen maßgeblich, dass bis zum Juni 2002 sowohl die Klägerin als auch die Beklagte übereinstimmend von einer Fortführung der Tätigkeit als Friseurin nach dem Ende der Elternzeit ausgegangen seien und auf Grundlage dieser Einschätzung entsprechende Begleitmaßnahmen bei dem geplanten Wiedereinstieg vereinbart hätten. Dass die Fortführung der Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt noch möglich gewesen sei, habe zudem aus medizinischer Sicht das Gutachten des Sachverständigen Dr. E. bestätigt. Darin habe dieser ausgeführt, dass zwar die Gefahr des Eintritts einer Berufskrankheit bestanden habe, aber mit Hilfe eines individuellen Hautschutzplans jedenfalls ein Arbeitsversuch unternommen werden könne. Auch die bis Mitte 2002 erstellten Befunde des behandelnden Arztes wiesen in ihrer Tendenz darauf hin, dass mit Hilfe der von der Beklagten angebotenen präventiven Maßnahmen eine Beschäftigung der Klägerin in ihrem bisherigen Beruf weiterhin möglich gewesen sei und lediglich die Gefahr des Eintritts einer Berufskrankheit bestanden habe. Die Klägerin habe im Übrigen glaubhaft dargelegt, dass die Unterbrechung vor allem im Hinblick auf ihre Schwangerschaft erfolgt sei. Damit seien zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV noch nicht vollständig erfüllt gewesen, denn der endgültige Entschluss der Klägerin zur Aufgabe der Tätigkeit habe noch nicht vorgelegen. Dieser Entschluss sei erst mit dem Schreiben vom 17. Juni 2002 im Sinne einer nach außen gerichteten Willenserklärung zweifelsfrei dokumentiert worden, die hautgefährdende Tätigkeit nicht mehr auszuüben. Hiervon sei die Klägerin auch später nicht mehr abgerückt. Zum Zeitpunkt der Erklärung seien auch die weiteren Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV i. V. m. § 3 Abs. 1 BKV erfüllt gewesen. Auslöser des Entschlusses der Klägerin sei gewesen, dass im Juni 2002 die Hauterkrankung nach einer Zeit der Beschwerdefreiheit wieder vermehrt aufgetreten sei, was sich auch aus dem Bericht von Dr. C. vom 7. August 2002 ergebe. Dem Einwand der Beklagten, dass die Einbeziehung der subjektiven Sicht der Versicherten zu unbilligen Ergebnissen führen würde, stehe entgegen, dass Ziel der Übergangsleistungen gerade sei, auf den Willen des Versicherten Einfluss zu nehmen, so dass dementsprechend auch der erklärte Wille des Versicherten bei der Frage zu berücksichtigen sei, ob die Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV aufgegeben wurde. Ein noch späterer Zeitpunkt als der 17. Juni 2002 könne vor dem Hintergrund der Willensäußerung der Klägerin zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht festgestellt werden, insbesondere da sich weder der Gesundheitszustand der Klägerin noch ihr Entschluss, ihre bisherige Tätigkeit auf Grund der Hauterkrankung nicht mehr auszuüben, anschließend noch wesentlich verändert habe. Die Klage auf Zurücknahme der bestandskräftigen Entscheidung hinsichtlich der Feststellung der BK 5101 mit Bescheid vom 26. August 2003 im Wege der Überprüfung nach § 44 SGB X sei hingegen unbegründet. Insbesondere die Feststellung des Zeitpunkts des Eintritts der Berufskrankheit am 24. August 2000 sei nicht zu beanstanden und stehe auch der abweichenden Feststellung des Leistungsbeginns für die Übergangsleistungen nicht entgegen.

Nach erfolgter Zustellung des Urteils jeweils am 10. Dezember 2008 haben die Beklagte am 18. Dezember 2008 sowie die Klägerin am 12. Januar 2009 hiergegen Berufung vor dem Hessischen Landessozialgericht erhoben. Die Klägerin hat ihre Berufung durch Prozesserklärung vom 26. August 2011 zurückgenommen.

Die Beklagte ist der Ansicht, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Friseurin am 23. August 2000 sei bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise auch bereits der Zwang zur Aufgabe gegeben gewesen. Sowohl aus den eigenen Aussagen der Klägerin als auch aus den vorliegenden ärztlichen Befunden lasse sich entnehmen, dass die Klägerin ab dem 23. August 2000 aufgrund ihrer Hauterscheinungen nicht mehr dazu der Lage gewesen sei, den Beruf einer Friseurin auszuüben. Die Klägerin habe zudem bereits zeitnah im Anschluss an die letztmalige Ausübung der Tätigkeit durch ihr Verhalten bzw. ihre Erklärungen mehrfach zu verstehen gegeben, dass ihrerseits nicht beabsichtigt gewesen sei, wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Das ergebe sich insbesondere daraus, dass sie keine Bereitschaft gezeigt habe, an den angebotenen Präventivmaßnahmen teilzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 6. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2005 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass sie es bis zur Beendigung der Elternzeit nicht ausgeschlossen habe, die Tätigkeit als Friseurin wieder aufzunehmen. Die Durchführung eines Arbeitsversuchs sei von ihr bis dahin nicht abgelehnt worden, sondern aufgrund der Bestimmungen des Mutterschutzes und der Elternzeit schlicht unmöglich gewesen. Bis zur Beendigung des Erziehungsurlaubs sei ihr aufgrund der tatsächlichen Beendigung der Tätigkeit als Friseurin am 23. August 2000 auch kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden, so dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der 5-Jahreszeitraum für den Bezug der Übergangsleistungen erst danach beginnen könne.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht begründet.

Das Sozialgericht Kassel hat den nach der Rücknahme der Berufung seitens der Klägerin allein noch streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2005 zu Recht aufgehoben, da dieser rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Klägerin dem Grunde nach noch kein Anspruch auf Übergangsleistungen aufgrund der durch die BK 5101 bedingten Aufgabe der Tätigkeit einer Friseurin vor dem 17. Juni 2002 zu, so dass die sich zum wirtschaftlichen Nachteil der Klägerin auswirkende Festsetzung des Anspruchsbeginns bereits auf den 24. August 2000 zu Unrecht erfolgt ist.

Anspruchsgrundlage der streitgegenständlichen Übergangsleistungen ist § 3 BKV. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung haben die Unfallversicherungsträger der Gefahr, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BKV). Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, haben zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile Anspruch auf Übergangsleistungen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BKV).

Der Anspruch auf Übergangsleistungen setzt danach voraus, a) dass der Versicherte aufgrund seiner versicherten Tätigkeit Einwirkungen auf seine Gesundheit ausgesetzt ist, die aktuell eine konkrete individuelle Gefahr des Entstehens, Wiederaufleben oder der Verschlimmerung einer Berufskrankheit begründen, b) wegen der fortbestehenden Gefahr die gefährdende Tätigkeit eingestellt wird, und es c) dadurch zu einer konkreten Verdienstminderung und/oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen kommt. Dabei ist ein doppelter Kausalzusammenhang erforderlich. Er muss einerseits zwischen der (drohenden) Berufskrankheit und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und andererseits zwischen dieser Einstellung der Tätigkeit und der Minderung des Verdienstes oder den sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen bestehen. Versicherte, bei denen eine der genannten Gefahren i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV besteht, die ursächlich deshalb die gefährdende Tätigkeit unterlassen und wiederum ursächlich hierdurch Minderungen des Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden, haben gegen den Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen über die Bewilligung oder Nichtgewährung eines Rechts auf Übergangsleistung ggf. unter ermessensfehlerfreier Auswahlentscheidung über deren Art, Höhe und Dauer. Dieses Recht des Versicherten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Trägers entsteht, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs 2 Satz 1 BKV erfüllt sind (BSG, Urteil vom 22. März 2011, Az. B 2 U 12/10 R; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Stand: Lfg. 2/11, § 3 Rn. 5.2 m.w.N.).

Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BKV). Die in § 3 Abs. 2 BKV genannten Übergangsleistungen sind keine Entschädigungsleistungen, sondern haben den Zweck, den Versicherten im Rahmen der Prävention und zur Vorbeugung weiterer Gesundheitsgefahren zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen (BSG, Urteil vom 7. September 2004, Az. B 2 U 27/03 R m. w. N.; Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., Rnr. 5). Das Tatbestandsmerkmal "Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit" in § 3 BKV ist daher von der für die Anerkennung der BK 5101 erforderlichen Anspruchsvoraussetzung "zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben" zu unterscheiden. Bei Letzterem wird in typisierender Weise der Schweregrad der Krankheit beschrieben, woraus sich u. a. der objektive Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit ergibt und nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass der subjektive Beweggrund des Versicherten zur tatsächlichen Aufgabe der Beschäftigung ein anderer ist (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, Az. B 2 U 10/00 R; Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., Rn. 5.1). Demgegenüber soll die Übergangsleistung eine Anreizfunktion zum Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit ausüben. Der Zweck der Übergangsleistung ist allein Prävention und besteht darin, beruflich bedingten Erkrankungen möglichst dadurch vorzubeugen, dass Anreize gesetzt werden, die gefährdende Tätigkeit rechtzeitig zu unterlassen. Diese Anreizfunktion ist in erster Linie auf das subjektive Reagieren des betreffenden Versicherten ausgerichtet und kann sich daher in den Fällen nicht auswirken, in denen die betreffenden Versicherten die gefährdende Tätigkeit aus Beweggründen aufgeben, die in keinem Zusammenhang mit der Gefahr stehen, durch diese Tätigkeit an einer Berufskrankheit zu erkranken. Auch wenn die Anerkennung einer Berufskrankheit und der Beginn des Übergangsgelds in den meisten Fällen gleichzeitig eintreten werden, muss dies nicht zwangsläufig der Fall sein (Bayerisches Landessozialgericht - LSG -, Urteil vom 23. Januar 2008, Az. L 2 U 278/07). So erfüllt eine betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die zufälligerweise zu dem Unterlassungszwang tritt, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKV ebenso wenig wie das Einstellen der Tätigkeit allein wegen des sonstigen Gesundheitszustands. Bei einer vorübergehenden Unterbrechung der gefährdenden Tätigkeit ist ein nach außen klar erkennbarer Entschluss erforderlich, wegen einer drohenden Berufskrankheit auf Dauer keine Arbeit mehr auf einem gefährdenden Arbeitsplatz zu verrichten (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, Az. B 2 U 10/00 R; Mehrtens/Brandenburg a. a. O.). Soweit ein Versicherter dann seine gefährdende Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV eingestellt hat, können Übergangsleistungen nur für einen Zeitraum von fünf Jahren ab Einstellung dieser Tätigkeit erbracht werden, wobei dieser Zeitrahmen nach erfolgtem Anspruchsbeginn dann nicht mehr durch Erziehungszeiten oder bezugsfreie Zeiten verlängert werden kann (BSG, Beschluss vom 22. Mai 1997, Az. 2 BU 84/97; LSG Niedersachen, Urteil vom 20. Februar 1997, Az. L 6 U 200/96; Hessisches LSG, Urteil vom 10. August 1983, Az. L 3 U 1123/82).

Der Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung über die Zuerkennung eines Rechts auf eine Übergangsleistung entsteht erst dann, wenn der Versicherte nach der durch die (drohende) Berufskrankheit bedingten Aufgabe seiner bisherigen gefährdenden Tätigkeiten deswegen einen geringeren oder keinen Verdienst erlangt hat. Dies liegt u.a. vor, wenn er wegen der gefährdenden Tätigkeiten auch seine bisherige Erwerbstätigkeit insgesamt aufgeben muss und keine anderweitige Erwerbstätigkeit und damit keinen anderweitigen Verdienst erlangt. Die Übergangsleistung soll gerade das übergangslose Absinken im wirtschaftlichen Status vermeiden. Sie ist darauf angelegt, innerhalb des normativ bestimmten Zeitraums durch vollständigen bis teilweisen Ausgleich der infolge Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit entstehenden wirtschaftlichen Nachteile von der wirtschaftlichen Situation vor Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu der danach eintretenden wirtschaftlichen Situation überzuleiten. Der Versicherte soll innerhalb dieser Zeit - unterstützt durch die Übergangsleistung - versuchen, seinen wirtschaftlichen Status so zu gestalten, dass er ggf. zusammen mit ihm zustehenden Leistungen wie Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit wieder das Niveau vor Auftreten der Berufskrankheit erreicht. Dagegen dient die Übergangsleistung nicht dem Ersatz eines (in der Vergangenheit) eingetretenen Schadens. Sie ist nicht als Ausgleich des Schadens gedacht, den der Versicherte durch die krankheitsbedingte Tätigkeitsaufgabe in Form des Minderverdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile erleidet (BSG, Urteil vom 22. März 2011, Az. B 2 U 12/10 R).

Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass bereits zum 24. August 2000 die Voraussetzungen für die Gewährung von Übergangsleistungen bei der Klägerin vollständig vorlagen. Dabei fehlt es zunächst schon an dem Nachweis einer zu diesem Zeitpunkt endgültig erfolgten Aufgabe der Tätigkeit als Friseurin bzw. einer entsprechenden Willenserklärung der Klägerin. Die Klägerin hat weder zum 24. August 2000 noch ansonsten vor dem 17. Juni 2002 gegenüber der Beklagten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass ihrerseits die Absicht besteht, die unterbrochene Beschäftigung als Friseurin nicht wieder aufzunehmen. Die vor dem 17. Juni 2002 von der Klägerin geäußerte mangelnde Bereitschaft an einem Hautseminar teilzunehmen, wurde von dieser nachvollziehbar mit den Einschränkungen aufgrund der Schwangerschaft sowie der nachfolgenden Kindesbetreuung begründet. Hieraus lässt sich noch nicht der konkrete Wille ableiten, die Beschäftigung als Friseurin nach Beendigung des Erziehungsurlaubs nicht wieder anzutreten. Bis zum 17. Juni 2002 bestanden auch ansonsten keine konkreten Hinweise, dass die Klägerin endgültig nicht mehr dazu im Stande sein könnte, in ihren Beruf als Friseurin zurückzukehren. Die zunächst vorübergehende Beendigung der Beschäftigung im August 2000 erfolgte unmittelbar aufgrund einer akuten Erkrankung der Klägerin sowie später aufgrund der Schwangerschaft, dem Bezug von Mutterschaftsgeld und schließlich dem Antritt des Erziehungsurlaubs. Auch aus ärztlicher Sicht bestanden zumindest bis zum 17. Juni 2002 noch die Hoffnung sowie das Bestreben, durch medizinische und berufliche Präventionsmaßnahmen die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin zumindest soweit abzumildern, dass diese wieder in den Stand gesetzt wird, ihre Beschäftigung als Friseurin auszuüben. Dies ergibt sich gleichermaßen aus den Befundmitteilungen des behandelnden Hautarztes Dr. C. sowie insbesondere auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. E. vom 15. April 2002, der darin von einer zu diesem Zeitpunkt bestehenden "Hautgesundheit" der Klägerin berichtete, Maßnahmen zur Verhinderung des Wiederauflebens der Erkrankung vor der Wiederaufnahme der Beschäftigung im Anschluss an die Erziehungszeit empfahl und abschließend zu dem Ergebnis kam, dass ein Arbeitsversuch in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit unter hautfachärztlicher Begleitung durchgeführt werden könne.

Weiterhin fehlt es zumindest im streitgegenständlichen Zeitraum bis zum 17. Juni 2002 an einer Minderung des Verdienstes der Klägerin, welche sich in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Tätigkeit als Friseurin bringen lässt. Soweit von der Klägerin Entgeltersatzleistungen bezogen wurden, die gegebenenfalls nicht vollständig dem Beschäftigungsentgelt entsprachen, beruhen diese nicht auf der endgültigen Beendigung der Tätigkeit als Friseurin sondern aufgrund einer akuten Erkrankung (Krankengeld) sowie der Schwangerschaft und Geburt (Mutterschaftsgeld). In gleicher Weise lässt sich auch der während des Erziehungsurlaubs eingetretene Verdienstausfall nicht kausal auf die Berufskrankheit bzw. die Gefahr deren Entstehung oder Verschlimmerung zurückzuführen, sondern allein auf die Erziehung des Kindes. Insgesamt ist damit die sich für die Klägerin wirtschaftlich negativ auswirkende Festlegung des Anspruchsbeginns für die Übergangsleistungen nach § 3 BKV bereits zum 24. August 2000 rechtswidrig erfolgt, da zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht vollständig vorlagen. Diese sind darüber hinaus jedenfalls auch nicht vor dem 17. Juni 2002 eingetreten, so dass die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Kassel insoweit keiner Korrektur bedarf.

Ob darüber hinaus der Anspruchsbeginn noch später festzusetzen gewesen wäre, stand vorliegend nicht zu entscheiden, da die Berufung der Klägerin von dieser zurückgenommen worden ist. Die im Rahmen der Berufung durchzuführende Nachprüfung durch das erkennende Gericht erfolgt nach Maßgabe der Anträge. Das Gericht darf über die Begehren der Beteiligten nicht hinausgehen, auch wenn es an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist. Es muss dabei das Verbot der reformatio in peius beachten, d.h. es darf das Urteil des Sozialgerichts nicht zum Nachteil des Berufungsklägers ändern, sofern nicht auch der Gegner Berufung oder Anschlussberufung eingelegt hat (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008 § 157 Rn. 1a). Damit kommt es hier nicht darauf an, dass mangels Eintritt eines auf die Berufskrankheit zurückzuführen Minderverdienstes bis zum Ende des Erziehungsurlaubs am 2. Juli 2003 erst zu diesem Zeitpunkt sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Übergangsleistungen vorlagen und insoweit die Verwaltungsentscheidung der Beklagten ggf. noch einer weitergehenden Korrektur bedurft hätte, als dies vom Sozialgericht entschieden wurde.

Die konkrete Ausgestaltung, insbesondere die Bestimmung der Höhe und Dauer der Übergangsleistung steht im Ermessen der Beklagten. Eine Reduzierung des Ermessens auf lediglich eine ermessensgerechte konkrete Leistung (sog. Ermessensreduzierung auf Null) ist insoweit nicht gegeben, so dass insoweit keine gerichtliche Entscheidung zu ergehen hat und die Beklagte im Rahmen der gebotenen Neubescheidung den Umfang der Leistungen nach Maßgabe der vorstehenden Rechtsauffassung des Gerichts zu bestimmen hat. Hinsichtlich der Zeitdauer der Leistungsgewährung wird die Beklagte dabei zu beachten haben, dass der Begrenzung auf 5 Jahre der Gedanke zugrunde liegt, dass der Versicherte regelmäßig diesen Zeitraum benötigt, um sich auf die neue, wirtschaftliche Lage umzustellen. Es entspricht dem Sinn der Übergangsleistungen, den Versicherten allmählich auf diese wirtschaftliche Situation hinzuführen. Andernfalls würde für diesen eine plötzliche und möglicherweise nur schwer zu überwindende wirtschaftliche Zäsur eintreten (vgl. Mehrtens/Brandenburg a. a. O., Rn. 5.11 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

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