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Bundessozialgericht 25.01.2017, B 3 P 4/16 R

  • Spruchkörper: 3. Senat
  • Aktenzeichen: B 3 P 4/16 R
  • 1. Instanz: Sozialgericht Bayreuth, Urteil vom 10.11.2013, Az. S 1 P 52/13
  • 2. Instanz: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.04.2016, Az. L 2 P 69/13
  • 3. Instanz: Bundessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 25.01.2017
  • Rechtskraft: rechtskräftig

Gründe:

I

Streitig ist ein Anspruch auf Erstattung, hilfsweise auf Bezuschussung der Kosten der Reparatur eines elektrischen Türöffnungs- und Türschließsystems der Wohnungseingangstür, dessen Einbau bereits als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 Abs 4 SGB XI im höchstmöglichen Umfang gefördert worden war.

Der 1977 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an einer Arthrogrypose multiplex congenita (AMC) mit Gelenkversteifungen, Verkrümmung der Wirbelsäule und Einschränkung der Greiffunktion der Hände. Die Arme und Beine können nicht selbstständig bewegt werden (Grad der Behinderung 100). Seinen Elektrorollstuhl kann er mittels eines Fingers steuern. Von der beklagten Pflegekasse bezieht der Kläger Sachleistungen nach der Pflegestufe III. Er ist im Juni 2008 aus einer Wohngruppe für behinderte Menschen in eine eigene 70 m2 große Wohnung umgezogen. Bis zum 31.12.2015 arbeitete er in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Er bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (Bescheid vom 13.1.2016) sowie ergänzende Sozialhilfe in Form eines monatlichen Pflegegeldes in Höhe von Euro vom Bezirk Oberfranken (Bescheid vom 4.3.2016).

Der Kläger ließ 2009 eine seinen Bedürfnissen angepasste Badewanne in die nicht behinderungsgerecht errichtete Wohnung einbauen. Um die unmittelbar nach draußen führende Wohnungstür selbst öffnen und schließen zu können, wurde ein entsprechendes elektrisches Türöffnungs- und Türschließsystem (Elektro-Hydraulik-Drehtürantrieb Typ EMSW mit ziehendem Armsystem inklusive Verkleidung, Programmschalter und elektrischem Schloss) mit Funkfernbedienung und Empfangsteil installiert. Nach positiver Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 9.3.2009 sicherte die Beklagte die Zuschussfähigkeit beider Einzelmaßnahmen in Höhe von insgesamt 2557 Euro (§ 40 Abs 4 SGB XI) zu (Bescheid nach § 34 SGB X vom 22.5.2009). Nach Durchführung der Arbeiten im Bad bewilligte sie sodann für die aus den beiden Einzelmaßnahmen bestehende Gesamtmaßnahme den Höchstzuschuss von 2557 Euro (Bescheid vom 10.6.2010), wobei der Betrag unmittelbar an die den Auftrag ausführende Firma N. Haustechnik KG (Rechnung vom 29.4.2010 über 4002,01 Euro) ausgezahlt worden ist. Die Umrüstung der Wohnungstür erfolgte am 14.6.2010 (Rechnung der Firma S. eK vom 14.6.2010 über 3034,50 Euro).

Am 11.3.2013 musste der defekte Drehgeber des elektrischen Drehtürantriebs ausgewechselt werden. Die Rechnung der Firma S. vom 11.3.2013 über 547,40 Euro (81 Euro Arbeitslohn, 119 Euro Ersatzteile, 260 Euro Fahrtkostenpauschale, zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer) legte der Kläger der Beklagten am 18.3.2013 vor. Die Beklagte lehnte die Bezuschussung ab, weil Reparaturen bereits bezuschusster technischer Hilfen keine neue Maßnahme iS des § 40 Abs 4 SGB XI darstellten und ein erneuter Zuschuss deshalb ausgeschlossen sei (Bescheid vom 9.4.2013, Widerspruchsbescheid vom 27.6.2013).

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, er sei auf die elektrische Tür angewiesen, um seine Wohnung ständig ohne fremde Hilfe verlassen und wieder betreten zu können, und habe die Tür deshalb auf eigene Kosten reparieren lassen. Der eingebaute Motor sei aufgrund dauerhafter Nutzung altersbedingt ausgefallen. Daher habe es sich bei der Reparatur um eine funktionswiederherstellende Maßnahme gehandelt, die - anders als eine funktionserhaltende Maßnahme (zB Wartung) - bei rechtssystematischer Auslegung des § 40 Abs 4 SGB XI als "neue Maßnahme" zu gelten habe und daher ebenso zuschussfähig sei wie die erstmalige Montage.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.10.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20.4.2016). Für das Zuschussbegehren fehle es an einer Rechtsgrundlage. Es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme des Klägers, der Gesetzgeber habe Instandsetzungs- bzw Reparaturkosten von technischen Hilfen im Haushalt versehentlich nicht in die Regelung des § 40 Abs 4 SGB XI aufgenommen. Von einer "neuen Maßnahme" könne im vorliegenden Zusammenhang nur dann gesprochen werden, wenn eine bereits bezuschusste technische Hilfe wegen Gebrauchsunfähigkeit vollständig ersetzt werden muss oder wenn eine notwendige Reparatur zur Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit zwar möglich ist, wirtschaftlich aber einer kompletten Ersatzbeschaffung gleichkommt; davon könne bei Reparaturkosten von 547,40 Euro im Vergleich zu Anschaffungskosten von 3034,50 Euro keine Rede sein.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 40 Abs 4 SGB XI. Er vertritt unverändert die Auffassung, funktionswiederherstellende Maßnahmen an reparaturbedürftigen technischen Hilfen im Haushalt seien nach Sinn und Zweck der Vorschrift in gleicher Weise zuschussfähig wie die erstmalige Anschaffung, wenn - wie hier - der Defekt vom Pflegebedürftigen nicht zu vertreten sei. Der Defekt bewirke eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im individuellen Wohnumfeld des Pflegebedürftigen, die eine "neue Maßnahme" in Form der funktionswiederherstellenden Reparatur erforderlich mache.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. April 2016 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. Oktober 2013 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 547,40 Euro zu erstatten, hilfsweise über seinen Antrag vom 18. März 2013 auf Gewährung eines Zuschusses für die Kosten der Reparatur der elektrischen Tür in Höhe von 547,40 Euro als eine das individuelle Wohnumfeld verbessernde Maßnahme unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt

nach ihrem schriftlichen Vorbringen, die Revision zurückzuweisen.

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