Landessozialgericht Hessen 12.01.2012, L 8 P 42/10

  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Aktenzeichen: L 8 P 42/10
  • Instanzenaktenzeichen: S 6 P 3/10
  • Instanzgericht: Sozialgericht Marburg
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Beschluss
  • Entscheidungsdatum: 12.01.2012
  • Rechtskraft: rechtskräftig

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit des Beitragszuschlages für Kinderlose in der sozialen Pflegeversicherung streitig.

Der Kläger ist als Mitglied der Beklagten in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Mit Schreiben der Beklagten vom 27. November 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich der Beitragssatz für Kinderlose in der Pflegeversicherung mit Wirkung vom 1. Januar 2005 um 0,25 % erhöhe, während der Beitragssatz für Eltern unverändert bleibe. Der Kläger wurde gebeten, gegebenenfalls einen Nachweis für seine Elterneigenschaft vorzulegen. Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 erhob die Beklagte einen um 0,25 Beitragspunkte erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung des Klägers.

Mit Schreiben vom 21. Februar 2005 forderte der Kläger die Rückzahlung des nach dem Kinder-Berücksichtigungsgesetz (KiBG) im Januar 2005 erhobenen Mehrbetrages in Höhe von 8,82 EUR und forderte die Beklagte auf, künftig die Erhebung des Mehrbetrages zu unterlassen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Februar 2005 mit, eine Rückerstattung des Beitragszuschlages sowie ein Unterlassen der künftigen Erhebung sei nicht möglich. Da Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung hätten, seien die Beiträge auch künftig zu erheben, auch wenn der Kläger Widerspruch gegen den Beitragsbescheid erhoben habe. In der Sache sei eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht zu erwarten.

Auf die Sachstandanfrage seiner Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 16. Juli 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2009 als unbegründet zurück. Die streitige Erhöhung beruhe auf eine Änderung des § 55 Sozialgesetzbuch 11. Buch (SGB XI) zum 1. Januar 2005. Der Gesetzgeber habe mit dieser Änderung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 - Az. 1 BvR 1629/94 reagiert. Das Bundesverfassungsgericht habe in diesem Urteil ausgeführt, dass es mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuten und erziehen und damit neben dem Geldbetrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystem leisteten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet werden wie die Mitglieder ohne Kinder.

Dagegen hat der Kläger am 14. Januar 2010 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben.

Zur Klagebegründung hat der Kläger vorgetragen, er sei 1966 geboren und habe weder ein Kind noch ein Pflege- oder Stiefkind. Der seit 1. Januar 2005 geltende erhöhte Beitragssatz für kinderlose Versicherte bestrafe und diskriminiere Kinderlose und verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Auch entlaste die Gesetzesänderung nicht die Familien, wie es die Intention der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 3. April 2001, Az. 1 BvR 1629/94) gewesen sei. Denn die vom Gesetzgeber durchgeführte Erhöhung der Beiträge für kinderlose Versicherte entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Vielmehr habe der Gesetzgeber nach den Vorgaben Bundesverfassungsgerichts eine Beitragsreduktion der Eltern während ihrer Erwerbsphase und keine Beitragserhöhung kinderloser Versicherter vorsehen müssen. Darüber hinaus habe die Entlastung der Eltern nach der Anzahl ihrer Kinder erfolgen müssen, da als Differenzierungsgrund der generative Beitrag der Versicherte mit Kindern berücksichtigt werden sollte. Der Ausgleich einer Beitragsentlastung bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens setze höhere Beiträge für kinderlose Versicherte nicht voraus. Zudem machte der Kläger eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Versicherten geltend, die ebenfalls ohne Kinder nicht verpflichtet seien, den Beitragszuschlag zu leisten (Wehr- und Zivildienstleistende, Bezieher von Arbeitslosengeld II). Die ungerechtfertigte Besserstellung und sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung führe zu signifikant höheren Beiträgen für die benachteiligten Versicherten. Auch sei es nicht gerechtfertigt, dass Eltern selbst dann keinen Beitragszuschlag zahlten, wenn keine Aufwendungen mehr für ihre Kinder anfielen und auch keine Erziehungs- und Betreuungsleistungen mehr zu erbringen seien. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts seien die Eltern im Anschluss an die Betreuungs- und Erziehungsphase der Kinder und auch mit Beendigung der elterlichen Erwerbsphase mit dem erhöhten Beitragszuschuss zu belasten. Auch sei zu berücksichtigen, dass kinderlose Versicherte mit ihrem erhöhten Beitrag die Beitragsfreiheit der mitversicherten Kinder und Ehegatten mitfinanzierten. Im Grunde sei eine Familie mit einem Erwerbstätigen, einem bis zur Geringfügigkeitsgrenze mitarbeitenden Ehegatten und Kindern im Vergleich zu beitragspflichtigen Kinderlosen besser gestellt.

Die Beklagte hat ergänzend zu den angefochtenen Bescheiden vorgetragen, der Kläger überschreite seit Oktober 2000 die Beitragsbemessungsgrenze.

Das Sozialgericht hat den anwaltlich vertretenen Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 2010 und in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2010 darauf hingewiesen, dass es die weitere Rechtsverfolgung für offensichtlich aussichtslos und damit rechtsmissbräuchlich hält. Das Bundessozialgericht habe den streitgegenständlichen Sachverhalt mit Urteil vom 27. Februar 2008 (Az. B 12 P 2/07 R) entschieden. Das vorliegende Verfahren biete keine Anhaltspunkte für eine davon abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Das Sozialgericht hat im weiteren auf die Möglichkeit nach § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen, bei missbräuchlicher Rechtsverfolgung dem Kläger Gerichtskosten aufzuerlegen.

Das Sozialgericht hat im Anschluss an die Antragstellung des Klägers mit Urteil vom 21. Juli 2010 die Klage abgewiesen und dem Kläger Gerichtskosten auferlegt in Höhe von 200 EUR. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Zur Begründung hat das Sozialgericht gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 27. Februar 2008 (Az. B 12 P 2/07 R) umfassend die Rechtmäßigkeit des Beitragszuschlages für kinderlose Versicherte überprüft und dessen Rechtmäßigkeit festgestellt. Dabei habe das Bundessozialgericht alle Facetten, die auch der Kläger in seiner Klageschrift angesprochen habe, gewürdigt und bewertet. Insbesondere habe das Bundessozialgericht Stellung genommen zur Rechtmäßigkeit der Begünstigung der Gruppe der Bezieher von Arbeitslosengeld II, der Wehr- und Zivildienstleistenden sowie der Versicherten, die vor dem 1. Januar 1940 geboren und ebenfalls kinderlos seien. Das Sozialgericht habe keine Anhaltspunkte, die im vorliegenden Verfahren ein Abweichen von diesem überzeugenden Gründen rechtfertigen könnten. Weiter hat das Sozialgericht ausgeführt, nachdem der Kläger sowohl schriftlich als auch in der mündlichen Verhandlung auf seine rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung hingewiesen worden sei und gleichwohl eine Entscheidung durch Urteil gewünscht habe, habe er bewusst die Kostenlast in Kauf genommen. Als promovierter Jurist habe er die Tragweite seiner Entscheidung einschätzen können. Das Gericht habe sodann einen Betrag leicht oberhalb der Mindestgebühr nach § 184 Abs. 2 SGG festgesetzt.

Gegen das am 28. Juli 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. August 2010 Berufung eingelegt.

Der Kläger vertieft seinen bisherigen Vortrag, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt habe. Es fehle eine Regelung für unfreiwillig kinderlose Versicherte und die gesetzlichen Regelungen seien mit Art. 3 i.V.m. Art. 6 Grundgesetz nicht vereinbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. Juli 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die seit dem 1. Januar 2005 gezahlten um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöhten Beiträge in Geld zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil eine zutreffende Entscheidung getroffen.

Der Senat hat die Beteiligten zu einer Entscheidung des Rechtsstreits durch die Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss der Berufsrichter gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.

Das Urteil des Sozialgerichts Marburg ist nicht zu beanstanden. Es ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Die Beklagte setzte mit den angefochtenen Bescheiden die vom Kläger ab dem 1. Januar 2005 zur sozialen Pflegeversicherung zu zahlenden Beiträge rechtmäßig nach § 55 Abs. 3 SGB XI fest. Somit besitzt der Kläger gegen den Beklagten weder den geltend gemachten Teil-Rückerstattungsanspruch noch den geltend gemachten Unterlassungsanspruch. Viel mehr hat die Beklagte rechtmäßig der streitigen Beitragsberechnung § 55 Abs. 3 SGB XI zu Grunde gelegt.

Der Senat hat keine Bedenken, dass der Gesetzgeber mit Einführung des § 55 Abs. 3 SGB XI die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) verfassungskonform umgesetzt hat.

So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 2. September 2009 (Az. 1 BvR 1997/08, Rdnr. 6 , veröff. in Juris) ausgeführt, es habe mit Urteil vom 3. April 2001 (Az. 1 BvR 1629/94) festgestellt, dass es mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Es hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2004 eine Regelung zu treffen, welche die Kindererziehungsleistung in der umlagefinanzierten sozialen Pflegeversicherung bei der Beitragsbemessung berücksichtigt und beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern bei der Bemessung der Beiträge relativ entlastet. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber – so das Bundesverfassungsgericht – durch das KiBG nachgekommen.

Auch hat das Bundesverfassungsgericht es nicht beanstandet, dass der Tatbestand des § 55 Abs. 3 SGB XI an das Merkmal der Kinderlosigkeit ohne Rücksicht auf deren Gründe abstellt (Nichtannahmebeschluss vom 2. September 2009, Az. 1 BvR 1997/08, Rdnr. 7, veröff. in Juris).

Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 2. September 2009 (Az. 1 BvR 1997/08 Rdnr. 8, veröff. in Juris) festgestellt, dass die Nichtbelastung der vor dem 1. Januar 1940 geborenen Versicherten mit dem Beitragszuschlag nicht zu beanstanden sei. Der Stichtag 1. Januar 1940 knüpfe daran an, dass die davor geborenen Versicherten noch überwiegend Kinder geboren und erzogen hätten und das Ausgleichserfordernis erst durch die - von der älteren Generation nicht mehr zu verantwortende - Entwicklung der Kinderzahlen ab Mitte der sechziger Jahre entstanden sei (vgl. BTDrs. 15/3671, S. 6). Der Vortrag des Klägers enthält keine Anhaltspunkte, die ein Abweichen hiervon rechtfertigen könnten.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Freistellung der übrigen Personengruppen von der Zahlung des Beitragszuschlages für Kinderlose gemäß § 55 Abs. 3 SGB XI Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verletzt und die Grenzen der zulässigen Typisierung überschritten hat, sind nicht erkennbar. Eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber Wehr- und Zivildienstleistenden und Beziehern von Arbeitslosengeld II konnte der Senat in Anbetracht dessen, dass dieser seit 2000 die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet, nicht erkennen. Auch hat der Gesetzgeber mit Erlass der gesetzlichen Regelung die Grenzen der zulässigen Typisierung eingehalten. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Nichtannahmebeschluss vom 2. September 2009 (Az. 1 BvR 1997/08 Rdnr. 8, veröff. in Juris) dem Argument - § 55 Abs. 3 SGB XI sei verfassungswidrig, weil es danach ausschließlich auf die Elterneigenschaft und nicht auf tatsächlich erbrachte Erziehungsleistungen ankomme, die Beitragsbegünstigung also etwa auch im Fall des Todes des Kindes kurz nach der Geburt erhalten bleibe – den großen Spielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung eines Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. BVerfGE 103, 242, 270) und der dabei zulässigen Typisierung entgegen.

Auch ist das Ziel der Gesetzesänderung nicht die Bestrafung oder Diskriminierung Kinderloser, sondern entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Erreichung eines höheren Maßes an Solidarität zwischen Kinderlosen und Kindererziehenden zum Erhalt des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems (BT Drs. 15/3671, S. 5).

Damit konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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