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Landessozialgericht Hessen 28.10.2010, L 8 P 16/10 ER

  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Aktenzeichen: L 8 P 16/10 ER
  • Instanzenaktenzeichen: L 8 P 29/10 B ER
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Beschluss
  • Entscheidungsdatum: 28.10.2010
  • Rechtskraft: rechtskräftig

Gründe:

I.

Das vorliegende Verfahren betrifft im vorläufigen Rechtsschutz die Entscheidung der Fragen, ob die Antragsgegner eine Prüfungsbewertung nach Qualitätsprüfung der Pflegeeinrichtung der Antragstellerin zu veröffentlichen berechtigt und die Antragstellerin verpflichtet ist, die Zusammenfassung der Prüfungsergebnisse ("Transparenzbericht") in ihrer Pflegeeinrichtung "auszuhängen".

Die Antragstellerin, die im Handelsregister des Amtsgerichts C-Stadt eingetragen ist, betreibt am Standort D-Stadt, D-Straße, seit dem 1. Januar 2004 eine zugelassene Pflegeeinrichtung mit 158 Pflegeplätzen. In der Zeit vom 3. bis 5. November 2009 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung DD-Stadt (MDK) in der Pflegeeinrichtung der Antragstellerin eine Qualitätsprüfung durch. Diese umfasste die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Pflegeeinrichtung und ist in einem Prüfbericht vom 16. November 2009 dokumentiert worden. Der dazu erstellte vorläufige Transparenzbericht weist folgende Ergebnisse aus:

  • Pflege- und medizinische Versorgung 3,5 (ausreichend)
  • Umgang mit demenzkranken Bewohnern 3,5 (ausreichend)
  • Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung 2,7 (befriedigend)
  • Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene 1,4 (sehr gut)
  • Gesamtergebnis 3,0 (befriedigend)
  • Befragung der Bewohner 1,2 (sehr gut)

Gegen diverse Ergebnisse des der Antragstellerin mit Schreiben vom 16. November 2009 übermittelten Prüfberichts hat die Antragstellerin zunächst ohne Erfolg Einwendungen erhoben (u.a. zu Transparenzkriterien Nrn. 9, 10, 11, 14, 17, 33, 34; Schreiben vom 26. Januar 2010). Mit Schreiben vom 1. März 2010 wiesen die Antragsgegner (nach Widerspruch der Antragstellerin gegen den vorläufigen Transparenzbericht) die Einwände als unbegründet zurück und räumten der Antragstellerin ein erneutes Kommentierungsrecht bis zum 9. März 2010 ein, "um den vorläufigen Transparenzbericht unverändert freizuschalten."

Am 3. März 2010 hat die Antragstellerin daraufhin vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dahin gestellt, die Antragsgegner zu verpflichten, die Veröffentlichung – im Internet oder in sonstiger Weise - der Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) und dessen Freigabe an Dritte zum Zwecke der Veröffentlichung zu unterlassen und festzustellen, dass sie, die Antragstellerin, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht verpflichtet sei, die Zusammenfassung der Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) in der vollstationären Einrichtung der Antragstellerin in der Pflegeeinrichtung auszuhängen, hilfsweise, dies bis zur Entscheidung in dem einstweiligen Verfahren zu unterlassen. Die Antragstellerin hat dazu u.a. geltend gemacht, dass die Benotung ihrer Pflegeeinrichtung fehlerhaft sei. Der Schwerpunkt der Stellungnahme der Antragsgegner bei den Strukturerhebungen sowie der Prozessqualität habe nicht auf der Auseinandersetzung mit den Einzelprüfungen der Bewohner gelegen. Die "herausgegriffenen behaupteten Mängel seien abstrakt im Sinne von perspektivisch verfasst." Die Frage der Wundversorgung sei nur in Bezug auf einen Bewohner geprüft worden und beruhe auf einer fachlich falschen Bewertung. Gleiches gelte für die Maßnahmen bei Einschränkung der selbständigen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Zur Durchführung der Pflege durch dieselben Pflegekräfte habe der MDK von den Dienstplänen von drei vollen Monaten ausgehen müssen. Gegenstand seien aber nur stichprobenartig die Dienstpläne für September 2009, bezogen auf neun Bewohner, ausgewertet worden. Nachweislich habe sie, die Antragstellerin, auch Nachweise für Schulungen im Bereich Erste Hilfe durchgeführt. Entgegen dem Prüfbericht sei neuen Bewohnern auch systematisch Hilfestellung bei der Eingewöhnung gegeben worden.

Mit Beschluss vom 23. März 2010 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Antragsgegner verpflichtet, "die Veröffentlichung der Prüfungsbewertung für die von der Antragstellerin betriebene stationäre Pflegeeinrichtung A. Seniorenpflegeheim E., D Straße, D-Stadt, zu unterlassen, bis über den zugrunde liegenden Unterlassungsanspruch bestands- oder rechtskräftig entschieden ist, längstens bis zum 31. Oktober 2010." Außerdem hat das Sozialgericht festgestellt, "dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, die Zusammenfassung der Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) vom 3. November 2009 in der stationären Pflegeeinrichtung der Antragstellerin A. Seniorenpflegeheim E., D-Straße, D-Stadt, auszuhängen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens bis zum 31. Oktober 2010." Das Sozialgericht hat einen - glaubhaft gemachten - Anordnungsanspruch bejaht. Eine schwere Verletzung der Antragstellerin in ihren Grundrechten (u.a. Freiheit der Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz ( GG )), was einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch begründen könne, sei wahrscheinlich. Die Veröffentlichung der Prüfergebnisse könne das Verhalten von möglichen Kunden bei der Auswahl ihres Pflegedienstes massiv beeinflussen. Der angekündigte Transparenzbericht enthalte zum Teil Einzelnoten auf der Skala von eins (sehr gut) bis fünf (mangelhaft). Diese seien in der Lage, mögliche Kunden des Pflegeheimes abzuschrecken. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 115 Abs. 1 a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) könne unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Maßstäbe (Hinweis auf Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 -) nur zu dem Ergebnis führen, dass die vom Gesetz vorgesehene Veröffentlichung von Berichten über Qualitätsprüfungen grundsätzlich nur auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellungen erfolgen dürfe. Dagegen beruhten die von den Prüfern hier vergebenen Noten in hohem Maße auf subjektiven Werturteilen der Prüfer. Auch das Verhältnis, in dem die Einzelnoten zueinander stünden bzw. welche Fragen überhaupt geprüft würden und damit die Gesamtnote beeinflussten, beruhe auf Wertentscheidungen der Konzepteure des Prüfverfahrens. Die Antragsgegner seien auch nicht bereit gewesen, aufgrund der nach der Qualitätsprüfung vorgelegten Nachweise Bewertungen zu ändern. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Der Antragstellerin drohe im Falle der von den Antragsgegnern mit Schreiben vom 15. März 2010 angekündigten Veröffentlichung des Transparenzberichtes die Gefahr eines erheblichen Reputationsschadens, gefolgt von erheblichen Wettbewerbsnachteilen und einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden. Die Rechte der Antragstellerin könnten bei einer rechtswidrigen Veröffentlichung des Transparenzberichts irreversibel verletzt werden.

Gegen diesen den Antragsgegnern am 30. März 2010 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 23. April 2010 (per Fax) eingelegte Beschwerde, die mit Schriftsatz vom 22. Juli 2010 (unter Beifügung der "Stellungnahme Feedbackbogen" des MDK vom 23. März 2010) begründet worden ist. Das Sozialgericht habe ihre, der Antragsgegner, dargelegten Argumente zur Verfassungsmäßigkeit der Veröffentlichung von Transparenzberichten nicht angemessen in seine Entscheidung einbezogen. § 115 Abs. 1 a SGB XI stehe in Verbindung mit der Pflege-Transparenzvereinbarung (PTVS/PTVA) mit höherrangigem Recht im Einklang. Insbesondere verstoße diese Rechtsgrundlage nicht dadurch gegen rechtsstaatliche Grundsätze, dass dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen, den Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfe und Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände überlassen worden sei, Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik zu vereinbaren. Im Vorwort zur PTVA werde explizit darauf hingewiesen, dass alle Beteiligten sich der Tatsache bewusst seien, dass derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikationen der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung gebe. Gerade weil den Beteiligten bekannt gewesen sei, dass die Vereinbarung als vorläufig zu betrachten sei, aber trotzdem zur Anwendung kommen solle, werde deutlich, dass der Makel der Vorläufigkeit hinter der Schaffung von Transparenz zurückstehen solle. Ein Verstoß gegen Artikel 12 Abs. 1 GG sei nicht ersichtlich. Zwar stelle die Veröffentlichung der Transparenzberichte eine grundrechtsspezifische Einwirkung auf die unternehmerische Betätigungsfreiheit dar. Der Gesetzgeber habe jedoch mit § 115 Abs. 1 a SGB XI eine ausreichende gesetzliche Grundlage geschaffen. Vor diesem Hintergrund ergebe sich aus der Veröffentlichung des Transparenzberichtes keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Grundrechts, da das strukturierte Programm der Qualitätsprüfung durch den MDK sowie die darauf basierenden Transparenzberichte dem Gebot der Sachlichkeit und Neutralität entsprechen und offensichtlich "vom Bemühen um Objektivität getragen" seien. Während der Prüfung vor Ort seien Mitarbeiter der jeweiligen Pflegeeinrichtungen zugegen. Der Antragstellerin bleibe darüber hinaus die Möglichkeit, direkt die in den Transparenzberichten zusammengefassten Ergebnisse der Qualitätsprüfung zu kommentieren. Für die Antragstellerin bestehe auch die Möglichkeit eine kurzfristige Wiederholungsprüfung zu beantragen. Ein solcher Antrag werde ebenfalls im Transparenzbericht veröffentlicht. Sollte sich im Rahmen einer solchen Wiederholungsprüfung herausstellen, dass einzelne Bewertungen nicht korrekt erfolgt oder Mängel zwischenzeitlich durch die Pflegeeinrichtung behoben worden seien, so sei eine zügige Korrektur gewährleistet. Von einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des Transparenzberichtes könne hier nicht ausgegangen werden, weil die erhobenen Einwände zunächst durch sie, die Antragsgegner, und sodann nochmals durch den MDK überprüft worden seien. Das Ergebnis dieser Überprüfung habe ergeben, dass der Transparenzbericht korrekt erstellt worden sei und die Einwände der Antragstellerin hätten zurückgewiesen werden müssen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 2010 aufzuheben und die Anträge der Antragstellerin vom 3. März 2010 "zurückzuweisen".

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen und die ursprünglich angeordnete Aussetzung zum 31. Oktober 2010 auf mindestens drei weitere Monate auszudehnen.

Die Antragstellerin, die gegen den in dieser Sache ergangenen Maßnahmebescheid vom 25. Juni 2010 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben hat, verteidigt den angefochtenen Beschluss mit Schriftsatz vom 20. September 2010. Der Transparenzbericht mit den darin ausgewiesenen Noten für die Qualität der Dienstleistungen stelle einen Grundrechtseingriff in ihren Geschäftsbetrieb dar. Dies sei nicht gerechtfertigt, da der Transparenzbericht nicht die tatsächliche Pflegequalität zuverlässig abbilde, nicht den tatsächlichen Sachverhalt wiedergebe und in den für die Einzel- sowie für die Gesamtbewertung wesentlichen Punkten nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Im vorliegenden Fall sei bis zur Übersendung der Beschwerdebegründung eine Stellungnahme des MDK für sie, die Antragstellerin, nicht erkennbar gewesen. Die sachliche Unrichtigkeit der Behauptung des MDK sei bereits erstinstanzlich ausführlich dargelegt worden. Eine Änderung ergebe sich nicht aus der erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Stellungnahme des MDK vom 23. März 2010 ("Stellungnahme Feedbackbogen"), die u.a. in der Darstellung zur Wundversorgung (Ziff. T9/T10/T11) als eine klare Überspitzung und Fehlinterpretation der Prüfungskriterien verstanden werden müsse. Zur selbständigen Nahrungsversorgung / Flüssigkeitsversorgung (Ziff. T14/T17), zur Durchführung der Pflege durch dieselbe Pflegekraft (T 33), zur Schulung für Erste Hilfe (Ziff. T 34), zur Eingewöhnung in die Pflegeeinrichtung (T 52 / T 53) und zur Mitgestaltung der Gemeinschaftsräume (T 57) sei die Kritik des MDK nicht nachzuvollziehen. Eine konkrete Auseinandersetzung fehle, was im Einzelnen dargelegt wird. Die zutreffende rechtliche Bewertung des Sozialgerichts Frankfurt am Main sei auch in dem (ersten) erstinstanzlichen Urteil in der Hauptsache über die Veröffentlichung von Transparenzberichten von dem Sozialgericht Münster (Urteil vom 20. August 2010 – S 6 P 111/10 -, in juris.de) aufgegriffen worden. In diesem Urteil werde der Unterlassungsanspruch auf die unbestrittene Abwehrfunktion der Grundrechte mit der Folge gestützt, dass eine Veröffentlichung der Transparenzberichte bereits deshalb zu unterbleiben habe, weil die in § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vorgesehene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die demokratisch nicht legitimierten Vertragsparteien angesichts des Parlamentsvorbehalts und der Schranken des Art. 80 GG verfassungswidrig sei. Eine im Internet veröffentlichte umfassende und fortwährende hoheitliche Bewertung der Leistung von Pflegeeinrichtungen durch Noten berühre intensiv und nachhaltig die Berufsausübungsfreiheit der Einrichtungsträger von Pflegeheimen. Deshalb komme es für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs noch nicht einmal darauf an, ob tatsächlich eine pflegefachliche Fehleinschätzung des Sachverhalts durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vorliege. Es komme allein darauf an, dass die Beurteilungskriterien für sich genommen rechtsfehlerhaft seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Diese war mit den von der Antragstellerin erstinstanzlich mit der Antragsschrift vorgelegten Anlagen Gegenstand der Beratung.

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