Landessozialgericht Hessen 16.06.2015, L 3 U 141/10

  • Aktenzeichen: L 3 U 141/10
  • Spruchkörper: 3. Senat 
  • Instanzenaktenzeichen: S 3 U 104/07
  • Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 16.06.2015

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob eine berufliche Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen zu einer Lebererkrankung des Klägers geführt hat und deshalb eine Berufskrankheit nach Nummer 1302 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) festzustellen und zu entschädigen ist.

Der 1948 geborene Kläger wurde von April 1962 bis Dezember 1967 zum Maler und Lackierer ausgebildet. In diesem Beruf war er bis 21. November 1970 tätig, unterbrochen durch eine Tätigkeit im Sanitätsdienst bei der Bundeswehr in der Zeit von Januar 1968 bis Juni 1969. Am 23. November 1970 begann er seine Tätigkeit bei der heutigen CW. AG in C-Stadt. Von Januar 1972 bis Juli 1972 war der Kläger arbeitsunfähig. Es wurde ein Magengeschwür diagnostiziert. Im Rahmen einer laborchemischen Untersuchung des Blutes wegen Druckgefühl im rechten Oberbauch wurde ein Anstieg der Leberwerte festgestellt. In der Personalakte des Klägers fand sich 2006 von dem Kläger ein Vermerk des Betriebsarztes vom 22. August 1972, in dem ausgeführt wird, der Kläger sei "weiterhin als Kranfahrer geeignet aber ohne Gas-, Dämpfe- (Tri, Chlorot. usw.) u. Säure - sowie Öldämpfegefährdungen." Im Juni 2005 musste sich der Kläger wegen eines Gallensteins im Gallengang und einer Gallenstauung in stationäre Behandlung des Gesundheitszentrums Dill-Kliniken begeben. Im Rahmen dieses Krankenhausaufenthaltes wurde eine Leberzirrhose unklarer Genese diagnostiziert. Anlässlich der OP zur Entfernung der Gallenblase wurde ein Leberbiopsat entnommen, das von Prof. Dr. D., Institut für Pathologie am Universitätsklinikum Gießen, histologisch untersucht wurde. Er diagnostizierte ein komplett umgebautes Leberparenchym. Zu den vorgefundenen fein-granulären Eisenpigmenten führte er aus, das typische Bild einer Hämochromatose liege nicht vor, die hepatozellulären Siderinpigmenteinlagerungen ließen am ehesten an eine funktionelle Reaktion infolge der Leberzirrhose denken. Eine genetische Untersuchung in der Abteilung Hämatologie und Onkologie am 28. Februar 2006 führte zu dem Ergebnis, dass die genetische Konstellation nicht zum klinischen Bild einer Hämochromatose führt.

Am 30. März 2006 erstattete die Hausärztin des Klägers Dr. E. eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf einen durch Lösemittel verursachten Leberschaden als Berufskrankheit und teilte mit, anamnestisch bestünden seit 1972 rezidivierende Oberbauchbeschwerden, erhöhte Transaminasen. 2005 sei histologisch eine Leberzirrhose unklarer Genese gesichert worden.

Am 31. Juli 2006 suchte der Mitarbeiter der Präventionsabteilung, Fachstelle "Gefährliche Arbeitsstoffe", Dr. F., die Firma CW. GmbH in C-Stadt auf. Zum Ergebnis der Ermittlungen führte er in einem Bericht vom 4. August 2006 aus: Der Kläger habe von November 1970 bis 1976 als Springer verschiedene Portalkräne gefahren. Die Kanzeln hätten sich 6-8 m über Flur befunden und seien nicht klimatisiert gewesen. Zur besseren Verständigung und aufgrund besserer Sichtverhältnisse seien die Tür oder ein Fenster geöffnet gewesen. Der Kläger sei als Kranfahrer in verschiedenen Produktionshallen im Bereich der Kaltbandlinie eingesetzt gewesen. Dabei handele es sich jeweils um große Hallen (über 100 m lang, 40 m breit und 8 m hoch), die damals lediglich über offene Tore be- und entlüftet worden seien. Technische Be- und Entlüftungsmaßnahmen seien nicht vorhanden gewesen. Als Kranfahrer sei der Kläger im gesamten Hallenbereich tätig gewesen. Die Kaltbandlinie habe aus einer Entfettung mit 1,1,1-Trichlorethan, dem Glühofen (bis 1100 °C), der Beize, der Spüle, der Aufrollstation und dem Versand bestanden. Als besonders belastend würden die Einwirkungen durch die Edelstahlbeize beschrieben. Hier seien die Edelstahlbänder im Durchlaufverfahren in einem Flusssäure-/Salpetersäuregemisch gebeizt worden. Infolge der Durchlaufbeize sei es regelmäßig zu erheblichen Belastungen durch Stickoxide gekommen. Störfälle seien ca. zwei bis dreimal pro Woche aufgetreten. Dabei sei die gesamte Produktionshalle mit braunen Stickoxidgasen belastet gewesen, so dass die Arbeit unterbrochen und die Hallen durchlüftet werden mussten. Die Entfettung der fertig gewalzten Bänder sei mit 1,1,1-Trichlorethan durchgeführt worden. Dabei sei das Band, ein Endlosband, mit 15 m pro Minute Bandgeschwindigkeit durch ein ca. 5 m langes, 3 m breites und 1 m tiefes Entfettungsbad geführt worden. Das Entfettungsbad sei bei Raumtemperatur betrieben worden, sei abgedeckt gewesen, habe aber über keine Absaugung verfügt. Das entfettete Band sei unmittelbar nach dem Entfettungsbad in den Glühofen (Durchlaufofen, ca. 20-30 m lang) geleitet worden. Das besagte Entfettungsbad sei Anfang der Achtzigerjahre abgebaut und durch eine wässrig-alkalische Entfettung ersetzt worden. Sofern alle Krankabinen besetzt gewesen sein, sei der Kläger bei den Reparaturschlossern eingesetzt worden. Hier habe er bei Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten im gesamten Produktionsbereich geholfen. Derartige Einsätze seien jeweils für 5 Tage pro Monat angefallen. Reinigungs- und Entfettungsarbeiten an Maschinenteilen, Wälzlagern aber auch an Händen, Armen und im Gesicht seien mit "TRI" vorgenommen worden. Ob es sich hierbei um 1,1,1-Trichlorethan oder um Trichlorethylen gehandelt habe, habe der Kläger nicht mehr sagen können. Grundsätzlich sei zur damaligen Zeit sehr sorglos mit dem "TRI" umgangen worden. Ab 1976 habe der Kläger ein Walzgerüst bedient. Er habe sich vorwiegend an dem Steuerstand des Walzgerüstes befunden und den Walzvorgang beobachtet. Bis Anfang der Neunzigerjahre seien die wöchentlichen Reinigungsarbeiten am Walzgerüst mit "TRI" (Lappen und Bürste) vorgenommen worden. Einwirkungen gegenüber CKW-haltigen Dämpfen habe im Umfeld einer Entfettungsanlage bestanden sowie bei Reinigungs- und Entfettungsarbeiten mit 1,1,1-Trichlorethan (Hautkontakt und inhalative Exposition). An das Auftreten pränarkotischer Symptome könne sich der Kläger nicht erinnern. Messwerte und Aufzeichnungen aus den betreffenden Zeiträumen seien nicht mehr vorhanden.

Der Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin Dr. G. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 4. September 2006 aus, bei langdauernder und hoher Exposition könnten auch Trichlorethen und Trichlorethan Leberschäden hervorrufen, wobei der im histologischen Befundbericht beschriebene Leberschaden im vorliegenden Fall unspezifisch sei. Er sei sowohl vereinbart mit einem ernährungsbedingt-toxischen Leberschaden, wie auch mit einem lösemittelbedingt-toxischen Leberschaden, wie auch mit einem feststoffwechselstörungbedingt-toxischen Leberschaden. Insofern könne ein Kausalzusammenhang nur dann hergestellt werden, wenn eine dauerhaft grenzwertüberschreitende Exposition gegenüber den in Rede stehenden halogenierten Kohlenwasserstoffen bestanden habe. Da regelmäßige pränarkotische Zustände offenbar verneint würden, ergebe sich kein sicherer Anhaltspunkt für eine dauerhaft grenzwertüberschreitende Exposition gegenüber den genannten halogenierten Kohlenwasserstoffen. Insgesamt gehe er davon aus, dass der zumindest seit 1976 lediglich einmal wöchentlich stattfindende Kontakt mit TRI nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu dem bestehenden Leberschaden geführt habe. Auch die Exposition vor 1976 dürfe bei der gegebenen Größe der Hallen nicht dauerhaft grenzwertüberschreitend gewesen sein, so dass letztlich davon auszugehen sei, dass eine BK 1302 nicht vorliege. Zu dem bei dem Kläger ebenfalls diagnostizierten Plasmozytom führte er aus: Plasmozytome gehörten zu den Non-Hodgkin-Lymphomen. Es werde diskutiert, ob diese durch Benzol ausgelöst werden könnten.

Die Beklagte lehnte daraufhin durch Bescheid vom 10. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2007 die Feststellung einer Lebererkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 1302 BKV ab. Bei den beruflichen Tätigkeiten des Klägers sei nicht von einer Belastung über den gefährdenden Grenzwerten gegenüber Trichlorethen und Trichlorethan auszugehen.

Der Kläger hat hiergegen am 4. Juni 2007 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat von Prof. Dr. H., Direktor der Medizinischen Klinik I am Klinikum Kassel ein internistisches Gutachten vom 17. April 2008 eingeholt. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestehe eine schwergradige Leberfibrose mit zumindest bereits inkomplettem Übergang in eine Leberzirrhose. Im Zusammenhang damit hätten sich eine portale Gastropathie und Ösophagusvarizen I. Grades entwickelt. Die Leberzirrhose sei mehr wahrscheinlich als nicht wahrscheinlich durch die Exposition mit Trichlorethandämpfen entstanden. Erhöhte Konzentrationen hätten vor allem in den siebziger Jahren bestanden. Zusätzlich zu der Dampfexposition seien oft die Hände, das Gesicht sowie die übrige Haut mit Trichlorethan gewaschen worden. Die MdE sei mit 40 v.H. zu bewerten. Im Rahmen der Begutachtung und des zweitägigen stationären Aufenthaltes seien ausführliche Untersuchungen durchgeführt worden. Dabei sei eine Virushepatitis-A, -B und -C sowie eine zu einer Leberzirrhose führende Stoffwechselstörung ausgeschlossen worden. Weiterhin habe sich laborchemisch kein Hinweis auf eine autoimmunologisch bedingte Leberschädigung sowie eine Schädigung durch einen viralen Infekt gezeigt. Es bestehe auch kein Hinweis auf eine toxische Genese durch Alkohol. Bei bekannter Eisenüberladung der Leber sei bereits in der Universitätsklinik Gießen im Jahre 2006 eine genetische homozygote Anlage für eine Hämochromatose ausgeschlossen worden. Das HSE Y 282 Gen sei negativ, die Anlage bezüglich des HSE H 36 D Gens sei heterozygot gewesen. Es sei eher unwahrscheinlich, dass diese Genkonstellation zu einer Hämochromatose mit Leberzirrhose führe. Wahrscheinlicher sei, dass es bei einer vorgeschädigten Leber und genetisch heterozygoter Anlage für eine Hämachromatose sekundär zu einer ausgeprägten Eisenüberladung der Leber kommen könne. Diese verstärke jedoch den toxischen Schaden. Der Kläger sei bei seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Trichlorethan exponiert gewesen. Gemäß der aktuellen Literatur gehöre Trichlorethan als Hallogenkohlenwasserstoff zu den lebertoxisch wirkenden Substanzen, allerdings zu den Substanzen mit einer im Verhältnis eher weniger starken lebertoxischen Wirkung. Es habe jedoch gezeigt werden können, dass auch Trichlorethan zu einer Leberschädigung mit Leberzirrhose führen könne. Insbesondere könnten Leber- und Nierenschäden auch nach langfristiger Exposition gegenüber geringeren Konzentrationen von Halogenkohlenwasserstoffen auftreten. Da eine anderweitige Ursache für die Hepatopathie des Klägers nicht eruiert werden könne, sei es wahrscheinlich, dass die Ursache für die Leberfibrose/-zirrhose des Klägers durch die Exposition mit Trichlorethan im Rahmen der beruflichen Tätigkeit verursacht worden sei. Dazu passe auch der histologische Befund aus dem Leberstanzsbiopsat vom 30. Januar 2008. Für eine Hepatopathie durch die berufliche Exposition mit Trichlorethan spreche auch der zeitliche Verlauf der Krankheit mit Beginn der Leberwerterhöhungen 1972, zwei Jahre nach Aufnahme der Tätigkeit als Kranführer in den Hallen der Firma.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Dr. F. vom 16. Juli 2008 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, der Sachverständige gebe keine Erklärung dazu, was er unter ausgeprägten und langandauernden Expositionen verstehe. Es werde unterstellt, dass eine mehrjährige und arbeitstägliche Exposition gegenüber 1,1,1-Trichlorethan oberhalb des jeweiligen Luftgrenzwertes gemeint sei. Dieser MAK-Wert/Arbeitsplatzgrenzwert für 1,1,1-Trichlorethan betrage 200 ml/m³ bzw. 1100 mg/m³. Dieser Wert werde bei einer "worst-case"-Berechnung der inhalativen Belastung des Klägers nicht erreicht. Werde die angegebene Hallengröße berücksichtigt und unterstellt, dass in der Halle kein Luftaustausch stattfand, pro Woche 400 Liter 1,1,1-Trichlorethan nachgefüllt wurden, die vollständig frei verdunstet seien, eine homogene Verteilung der Lösemitteldämpfe vorgelegen habe und eine vollschichtige inhalative Belastung gegenüber den Dämpfen bestanden habe, errechne sich eine inhalative Belastung von lediglich 135,1 ml/m³. Hieraus lasse sich kein ausgeprägter und lang andauernder Kontakt zu Trichlorethan begründen.

Prof. Dr. H. hat in einer Stellungnahme vom 24. September 2008 ausgeführt, bekannt sei, dass dauernder Kontakt auch mit niedrigen Konzentrationen des Trichlorethans einen Leberschaden bewirken könne. Da für die fortgeschrittene Leberzirrhose des Klägers keine andere Ursache laborchemisch und histologisch erfassbar sei, andererseits offenkundig von einer langjährigen Exposition mit Trichlorethan auszugehen sei, spreche die Wahrscheinlichkeit im hohem Maße für toxische Folgeerscheinungen als Ursache der Lebererkrankung. Hohe Konzentrationen, die pränarkotische Zustände auszulösen vermögen, bedürfe es bei langjähriger Exposition nicht. Da andere Ursachen des Leberschadens so gut wie auszuschließen seien, sei trotz fehlendem Nachweis sehr hoher Konzentrationen die Langzeit-Exposition niedrigerer Mengen von Trichlorethan als verantwortlich für die Genese der Leberzirrhose anzusehen.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 1. April 2010 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine schwere Leberfibrose mit zumindest inkomplettem zirrhotischem Umbau, zurzeit kompensiert, mit der Folge portaler Gastropathie und Ösophagusvarizen I. Grades als Berufskrankheit gemäß Ziffer 1302 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und dem Kläger ab 19. September 2005 Verletztenrente aufgrund einer MdE von 40 v.H. in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte hat hiergegen am 12. Juli 2010 beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt Berufung eingelegt und auf eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. G. vom 29. Juni 2010 verwiesen. Dieser hat ausgeführt, schon aus toxikologischer Sicht sei nicht wahrscheinlich zu machen, dass der Leberschaden des Klägers im Zusammenhang mit der 1,1,1-Trichlorethanexposition stehe. Der Grenzwert für diesen Stoff sei nicht wegen seiner in Rede stehenden Hepatotoxizität, sondern wegen seiner Wirkung auf das zentrale Nervensystem festgelegt worden. Bei inhalativer Belastung bedürfe es überhaupt einer langjährigen Belastung oberhalb der gültigen Grenzwerte, um einen Leberschaden zu indizieren. Bei der geringen Lebertoxizität sei die Ausbildung einer Leberzirrhose zudem höchst unwahrscheinlich. Der Nichtnachweis einer außerberuflichen Ursache für eine Lebererkrankung könne nicht dazu führen, den Kausalzusammenhang einer Berufskrankheit anzunehmen.

Nach einem neuen Sachvortrag des Klägers hat die Beklagte Nachermittlungen in ihrem Mitgliedsunternehmen durchgeführt. Im Bericht des Dr. F. vom 27. April 2012 wurde ausgeführt, ergänzend zu der Arbeitsablaufbeschreibung der Kaltbandlinie vom 4. August 2006 sei festzustellen, dass sich hinter dem Entfettungsbad, direkt vor dem Ofeneinlauf als Bandspeicher 2, später 3 bis zu 18 m tiefe Schlinggruben befunden hätten, die maximal 108 m Band zwischenpuffern konnten. Das Entfettungsbecken sei zwecks besserer Entfettungswirkung über Heizschlangen indirekt beheizt worden. Die Badtemperatur sei von dem ehemaligen Obermeister Herr C. und von Herrn J., der damals für die Beheizung des Entfettungsbeckens verantwortlich gewesen sei, auf 40° bis maximal 50° eingeschätzt worden. Die entfetteten Bänder seien anschließend durch den Bandpuffer geführt worden, bevor sie in den Glühofen geleitet worden seien. Die Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. H., dass wöchentlich ca. 200-400 l des Entfettungsmediums nachgefüllt werden mussten, sei auf ca. 800 l wöchentlich zu korrigieren. Ab 1976 bis ca. 2009 sei der Kläger an einem Steuerstand eines Walzgerüstes weiterbeschäftigt worden. Dieser Steuerstand habe sich nicht in der gleichen Halle wie die Kaltbandlinie befunden. In unmittelbarer Nähe zu dem Steuerstand habe sich eine Redestillationsanlage befunden, in der verbrauchtes CKW (1,1,1-Trichlorethan oder Trichlorethylen) aufbereitet worden sei. Der Steuerstand sei zunächst ein unterstandähnlicher Arbeitsplatz mit einem Windschutz im Rücken und einem Dach gewesen. Zum Walzgerüst sei der Steuerstand zunächst offen gewesen und sei im Laufe der Zeit mit einer Klapptür ausgestattet worden. Erst ca. 2000 seien vollständig geschlossene, schallisolierte und klimatisierte Steuerstellen eingebaut worden. Der Kläger habe jeweils beim letzten von 5-6 Walzvorgängen eine Sichtkontrolle vornehmen müssen, indem die Bandgeschwindigkeit stark reduziert und ein Teil des Bandes zur besseren Beurteilung mit einem mit Trichlorethen befeuchteten Lappen abgewischt worden sei. Ein Kontrollgang habe ca. 1-2 min gedauert und sei ca. 8 mal pro Schicht ausgeführt worden. Einmal pro Monat sei eine Putzschicht bzw. Reparaturschicht gefahren worden. Der Kläger habe das Walzgerüst intensiv gereinigt. Dazu seien die verschiedenen Maschinenteile mit einem Reinigungsmittel, in der Regel TRI, großflächig abgewaschen worden. Für diese Arbeiten hätten Handschuhe zur Verfügung gestanden. Der direkte Umgang mit der Reinigungsflüssigkeit werde auf ca. 4 Stunden pro Monat eingeschätzt. Trichlorethylen sei Mitte der 1990er Jahre aus dem Betrieb herausgenommen und ersetzt worden. Dr. F. gelangte zu der Beurteilung, Einwirkungen gegenüber verdampftem 1,1,1-Trichlorethan seien für den Kläger in geringer Konzentration (dauerhaft sichere Einhaltung des damals gültigen MAK-Wertes von 200 ml/m³) für die Zeitanteile zu vermuten, in denen er sich über dem Entfettungsbecken befand. Längere Aufenthalte des Kranes über dem Entfettungsbecken seien nicht anzunehmen, da das Entfettungsbad nicht mittels Brückenkran beschickt worden sei. Daraus sei zu folgern, dass Einwirkungen gegenüber 1,1,1-Trichlorethan etwa 5 Jahre lang deutlich unterhalb des MAK-Wertes bestanden hätten. Ab 1976 habe eine Einwirkung gegenüber CKW haltigen Dämpfen bestanden, wenn bei Bandkontrollen ein Prüffeld mit einem mit TRI befeuchten Lappen abgewischt worden sei und zwar für ca. 16 min pro Schicht und ca. 5 Stunden pro Monat. Dabei sei von einer dauerhaft sicheren Einhaltung des damals gültigen MAK-Wertes und des Kurzzeitwertes auszugehen. Für 4 Stunden pro Monat während der großflächigen Reinigungsarbeiten am Walzgerüst (Putzschicht) sei eine inhalative und dermale Belastung (sofern keine geeigneten Handschuhe getragen worden seien) oberhalb des Kurzzeitwertes anzunehmen. Einwirkungen gegenüber Trichlorethylen, deutlich unterhalb des zulässigen Schichtmittelwertes, hätten für den Kläger etwa 20 Jahre lang für ca. 9 Stunden pro Monat bestanden.

Der Kläger hat geltend gemacht, als Kranführer im Arbeitsbereich der Kaltbandlinie sei er bis September 1976 tätig gewesen. Nach Auskunft aller 3 Personen, die an dem Gespräch am 20. April 2012 im Beschäftigungsunternehmen teilgenommen hätten, sei als Betriebstemperatur des Entfettungsbeckens Werte von 50-60°C genannt worden. Die Sichtkontrolle der Bänder auf Fehler sei erfolgt, nachdem das Band gestoppt worden sei. Der Kontrollvorgang sei häufiger als 8 mal pro Schicht durchgeführt worden, weil ein Kontrollvorgang vor und nach einem Walzwechsel vorgenommen worden sei. Habe sich bei einem Kontrollvorgang gezeigt, dass die Walze beschädigt gewesen sei, habe sie gewechselt werden müssen. Danach habe erneut kontrolliert werden müssen, ob die entsprechende Walze sauber und glatt walzte. Die Walzen von III-c-Bändern seien dreimal pro Band und die Walzen von III-d-Bändern seien sechsmal pro Band gewechselt worden. Pro Arbeitsschicht seien 24 bis maximal 36 Walzenwechsel vorgenommen worden, je nachdem wie viele Bänder in III-c oder III-d gewalzt worden seien. Der Walzenwechsel habe höchstens 5 min gedauert, d.h. der Walzenwechsel pro Schicht habe maximal 120-180 min in Anspruch genommen.

Dr. F. hat hierzu ausgeführt, die Bandwechsel hätten keinen maßgeblichen Einfluss auf eine mögliche Exposition gegenüber TRI. Es sei unerheblich wie oft und in welchem Zeitumfang diese Prüfungen ausgeführt worden seien. Aufgrund der geringen Exposition gegenüber einem mit TRI befeuchteten Lappen in Relation zu dem großen Verdünnungseffekt eines Hallenvolumens von über 32.000 m³ ließen sich keine relevanten inhalativen Belastungen wahrscheinlich machen. Es habe jeweils eine kurzzeitige dermale Einwirkung gegenüber TRI bestanden. Zu der in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz des Klägers sich befindenden Destillationsanlage für gebrauchte CKW hat Dr. F. ausgeführt: Sinn und Zweck einer derartigen Anlage sei, verschmutzte Lösemittelbestände destillativ zu reinigen. Das destillierte TRI werde unter Kühlung aufgefangen und der Wiederverwertung zugeführt. Eine relevante inhalative Belastung gegenüber dem Destillat sei nicht anzunehmen.

Nach Hinweis des Senates auf das Ergebnis der Nachermittlungen (Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 27. April 2012) erfolgte seitens des Präventionsdienstes der Beklagten eine weitere Abschätzung der inhalativen Belastung des Klägers durch 1,1,1-Trichlorethan. Vorausgesetzt wurde, dass die wöchentliche nachzufüllende Menge von 800 l 1,1,1-Trichlorethan vollständig verdampft, sich homogen in der Hallenluft verteilt, keinerlei Luftaustausch stattfindet und das ideale Gasgesetz angewendet werden kann. Bei dieser Berechnung ergab sich ein theoretischer Schichtmittelwert von 363,52 ml/m³. Dr. F. hat hierzu ausgeführt, für eine orientierende Abschätzung könne hilfsweise die sich maximal einstellende Konzentration eines Gefahrstoffs in einem Raum berechnet werden. Derartige worst-case-Abschätzungen eigneten sich allerdings nur für kleine Räume. Bei kurzzeitigen Arbeiten, wenn man annehme, dass die gesamte Masse im Raum verbleibe und jeglicher Luftaustausch und Stofftransport in der Luft unberücksichtigt bleiben könne. Nur bei Annahme idealisierter Bedingungen ergebe sich hier eine Überschreitung des MAK-Wertes. Unter den realen Bedingungen einer großen Werkhalle seien jedoch Zu-, Quer- und Abluftströmungen durch natürlichen Luftaustausch über Fenster, Tore, Dachreiter etc. sowie thermische Einflüsse zu berücksichtigen. Auch könne nicht von der idealisierten Vorstellung ausgegangen werden, dass die Dämpfe aus dem Entfettungsbecken sich homogen in dem gesamten Hallenvolumen verteilt hätten. Bereits bei Berücksichtigung einer geringen Luftwechselrate von 0,25 pro Stunde, d.h. ein kompletter Austausch der Hallenluft innerhalb von 4 Stunden (idealisierte Annahme), ergebe sich eine Unterschreitung des MAK-Wertes auf 182 ml/m³. In der aufgeführten idealisierten Abschätzung sei auch die Inhomogenität der Schadstoffkonzentration im Raum nicht berücksichtigt worden. Erfahrungsgemäß sei in der Nähe einer Stoffquelle (Entfettungsbecken) mit höheren Konzentrationen als an anderen Stellen des Raumes zu rechnen. Auch die Annahme, dass der gesamte Stoffverlust von 800 l 1,1,1-Trichlorethan pro Woche in die Atemluft verdampft worden sei, sei nicht realistisch. Ein großer Teil des Stoffverlustes beruhe unter anderem auch auf Abschleppungen durch die durchlaufenden Bänder mit Eintrag in den Glühofen. Nach wie vor sei von einer Unterschreitung des damals gültigen Schichtmittelwertes in der Luft am Arbeitsplatz des Klägers auszugehen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. April 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt ergänzend vor, die Krankanzel habe sich in 3 m Höhe über dem Entfettungsbad befunden.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2015 den Kläger zu seiner beruflichen Tätigkeit bei der Firma CW. AG in C-Stadt befragt und den Rentner C., der als Obermeister für den Bereich der Kaltbandlinie zuständig war, als präsenten Zeugen vernommen. Zu den Angaben des Klägers und des Zeugen wir auf das Sitzungsprotokoll (Blatt 182 bis 185 der Gerichtsakte) verwiesen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts vom 1. April 2010 ist rechtens, auch der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass die im Juli 2005 bei dem Kläger festgestellte Lebererkrankung durch die beruflich bedingte Halogenkohlenwasserstoffexposition verursacht worden ist.

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die der Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Zu den Berufskrankheiten zählen nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV "Erkrankungen durch Hallogenkohlenwasserstoffe". Von dieser Berufskrankheit werden alle Krankheiten erfasst, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die Einwirkung von Hallogenkohlenwasserstoffen zurückzuführen sind. In diesen Fällen ist Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung eine Erkrankung als Berufskrankheit, dass der schädigende Stoff (Listenstoff) generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zudem muss die vorliegende Erkrankung im konkret-individuellen Einzelfall durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden sein und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 27. Juni 2000 – B 2 U 29/99 R –). Die Prüfung der generellen Geeignetheit hat der Prüfung der Kausalität im jeweiligen Einzelfall vorauszugehen (vgl. HLSG, Urteil vom 19. April 2004 – L 3 U 27/01 – in Juris).

Bei dem Kläger wurde im Juli 2005 aufgrund einer histologischen Untersuchung eine Leberzirrhose zweifelsfrei diagnostiziert. Während seiner beruflichen Tätigkeit bei der Firma CW. GmbH in C-Stadt war der Kläger in der Zeit von November 1970 bis Mitte der 90er Jahre (1995/1996) gegenüber den Hallogenkohlenwasserstoffen 1,1,1-Trichlorethan und Trichlorethylen (Trichlorethen "Tri") exponiert. Nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (Bekanntgabe des BMA vom 29. März 1985, BArbBl. 1985 Heft 6 Seite 55) zählen Lebererkrankungen zu den Erkrankungen durch Hallogenkohlenwasserstoffe. "Die Lebertoxizität von Hallogenkohlenwasserstoffen mit hepatotoxischer Wirkung äußert sich in einer Vergrößerung des Organs, Anstieg der Transaminasen im Serum und in unterschiedlichen histologischen Bildern. Die Lebertoxizität steigt etwa in der Reihenfolge Dichlormethan – 1,1,1-Trichlorethan – Trichlorethen ("Tri") – Tetrachlorethen ("Per") – 1,1,2,2-Tetrachlorethan – Trichlormethan (Chloroform)-Dichlorethan – 1,1,2-Trichlorethan – Tetrachlormethan ("Tetra"). Leber- und Nierenschäden können auch nach langfristiger Exposition gegenüber geringen Konzentrationen von Hallogenkohlenwasserstoffen auftreten" (so die Ausführung im Merkblatt). Durch spezifische matabolische Mechanismen ist die Leber von allen parenchymatösen Organen am meisten durch Hallogenkohlenwasserstoff-Expositionen gefährdet (Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Handkommentar, Erkrankungen durch Hallogenkohlenwasserstoffe, Anmerkung 4.1). Nach einer Grad-Einteilung der Lebertoxizität in stark toxisch, relativ toxisch, gering toxisch wird 1,1,1-Trichlorethan als gering und Trichlorethylen (Tri) als relativ toxisch eingestuft (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. Seite 912). Die Exposition gegenüber den Hallogenkohlenwasserstoffen 1,1,1-Trichlorethan und Trichlorethylen war folglich ihrer Art nach geeignet, die bei dem Kläger diagnostizierte Leberzirrhose zu verursachen.

Eine Einwirkung muss jedoch nicht nur ihrer Art nach, sondern auch nach ihrer Dauer und Intensität zur Verursachung einer Krankheit geeignet gewesen sein. Wichtige Erkenntnisquellen hierzu stellen die von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Merkblätter für die ärztliche Untersuchung dar. Weitere Erkenntnisquellen sind die durch Forschung und praktische Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Wissenschaftlern anerkannt werden und über die, von einzelnen Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (vgl. Brandenburg in jurisPK-SGB VII, § 9 Rdnrn. 67 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Berufskrankheitenverordnung legt zur BK nach Nr. 1302 einen Dosiswert nicht fest. Einen genauen Dosiswert in Bezug auf 1,1,1-Trichlorethan oder Trichlorethylen und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Lebererkrankung hat auch die Wissenschaft soweit ersichtlich – bisher nicht festgelegt. Wichtige Hinweise für einen möglichen Ursachenzusammenhang gibt die von der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegebene MAK – und BAT–Werte – Liste. "Der MAK-Wert (maximale Arbeitsplatzkonzentration) ist die höchstzulässige Konzentration eines Arbeitsstoffes als Gas, Dampf oder Schwebstoff in der Luft am Arbeitsplatz, die nach dem gegenwärtigen Stand der Kenntnis auch bei wiederholter und langfristiger, in der Regel täglich achtstündiger Exposition, jedoch bei Einhaltung einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden im Allgemeinen die Gesundheit der Beschäftigten nicht beeinträchtigt ... Bestimmte arbeitsplatzhygienische Aspekte in Zusammenhang mit flüssigen Arbeitsstoffen, z.B. Nebelbildung mit Sichtbehinderung, Durchfeuchtung der Kleidung oder Niederschlag auf den Boden können bei der MAK-Wert-Festsetzung nicht berücksichtigt werden. Solche Effekte weisen in Abhängigkeit vom Arbeitsprozess, der Arbeitsweise und den physikalischen Randbedingungen eine beträchtliche Variationsbreite auf. Weiterhin fehlt bisher ein geeignetes Instrumentarium zur Beurteilung" (so die Ausführungen im Auszug aus der MAK- und BAT-Werte-Liste 2009 und 2014 der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitlicher Arbeitsstoffe unter Chaper I Bedeutung, Benutzung und Ableitung von MAK-Werten, Definition; im Internet: www.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9783527635542.app 1/pdf (Liste 2009) und onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9783527682010.ch1/pdf (Liste 2014). Zum "Zweck" des MAK-Wertes wird in der "MAK- und BAT-Werteliste" 2009 und auch 2014 ausgeführt: "MAK-Werte dienen dem Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz. Sie geben für die Beurteilung der Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit der am Arbeitsplatz vorhandenen Konzentrationen eine Urteilsgrundlage ab. Sie sind jedoch keine Konstanten, aus denen das Eintreten oder Ausbleiben von Wirkungen bei längeren oder kürzeren Einwirkungszeiten errechnet werden kann. Angaben in der MAK-Werte-Liste sind daher grundsätzlich nicht als vorgezogene Gutachten für Einzelfallentscheidungen zu betrachten". In der MAK-Werteliste wird auch der Beitrag eines Stoffes zur systemischen Toxizität nach Hautresorbtion bewertet und gekennzeichnet. Hierzu wird unter Chapter IV der MAK- und BAT-Werteliste 2009 und Chapter VII der Liste aus 2014 ausgeführt: "Bei Arbeitsstoffen kann die Resorption durch die Haut entscheidend zur inneren Exposition der Arbeitnehmer beitragen oder sogar der bedeutsamste Aufnahmeweg sein. Die einzig relevante Barriere gegen eine Arbeitsstoffresorption bildet die Hornschicht der Haut. Die Fähigkeit eines Stoffes zur Penetration durch diese Barriere wird durch dessen physiko-chemische Eigenschaften bestimmt. Die dermale Penetrationsrate wird zusätzlich durch Arbeitsplatzbedingungen und individuelle Faktoren beeinflusst. Perkutan können feste, flüssige und gasförmige Stoffe aufgenommen werden. Die Haut bildet für viele Stoffe ein Depot, aus dem die Resorption auch noch nach der Exposition stattfindet. Die übliche Arbeitskleidung schützt nicht vor einer dermalen Resorption von Arbeitsstoffen. Eine Quantifizierung der dermal aufgenommenen Arbeitsstoffe ist nur durch ein biologisches Monitoring möglich Eine Markierung mit "H" erfolgt dann, wenn durch den Beitrag der dermalen Exposition die Einhaltung des MAK-Werts alleine nicht mehr vor den für die Festlegung des Grenzwerts maßgeblichen gesundheitlichen Schäden schützt." Für 1,1,1-Trichlorethan beträgt der früher und auch zur Zeit noch gültige MAK-Wert bzw. Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) 200 ml/m³ (= 200 ppm), der Stoff ist mit "H" als hautresorptiv gekennzeichnet (vgl. Technische Regeln für Gefahrstoffe, Arbeitsplatzgrenzwerte, TRGS 900, BArBl. Heft 1/2006, zuletzt geändert und ergänzt GMbl. 2015, Nr. 7 vom 2. März 2015, Seite 139). Im Falle von Tri wurde seit 2005 kein Luftgrenzwert festgesetzt. Der MAK/AGW-Wert konnte nicht an einer eindeutigen Wirkschwelle festgemacht werden, weil Gentoxizität in der Niere beobachtet wurde und auch bei der Leber und bei Non-Hodgkin-Lymphomen eine Gentoxizität nicht auszuschließen ist (vgl. Begründung zur Expositions-Risiko-Beziehung für Trichlorethylen in BekGS 910. Der MAK-Wert betrug 1995 50 ml/m³ (Merkblatt für Straßenbaulabors der Bau-BG, Stand 15. November 1995). In der Begründung zur Expositions-Risiko-Beziehung für Trichlorethylen (in BekGS 910 Seite 1 im Internet: Hompage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.de/cae/servlet/contentblob/894336/publicationFile/56474/910-trichlorethen.pdf im Internet: www.bgbau-medien.de/bau/bau582/anh1.htm) wird Seite 16 auf einen deutlichen Beitrag der Belastung bei Hautexposition gegenüber flüssigem Tri hingewiesen und hierzu im Anhang 1 Seite 23 ausgeführt: "Tri wird aufgrund seines lipophilen Charakters bei Inhalation, oraler Aufnahme oder bei Hautkontakt schnell und weitgehend resorbiert und dann im gesamten Organismus verteilt. Die inhalative Exposition ist am Arbeitsplatz in der Regel maßgebend, doch sollte eine mögliche dermale Aufnahme von Tri mit in Betracht gezogen werden. Bei dreiminütiger Exposition von Probanden gegen flüssiges Trichlorethen (27 cm² Hautoberfläche) wurde ein Flux von 430 nmol/cm³ /min berechnet. Bei einer exponierten Hautfläche von 360 cm² und acht wiederholten Drei-Minuten-Expositionen entspricht dies 3,7 mmol. Im Vergleich dazu werden bei achtstündiger Exposition gegen 50 ml/m³ 3,1 mmol aufgenommen. Daher sollte von einem nicht zu vernachlässigendem Beitrag der Aufnahme von flüssigem Tri über die Haut ausgegangen werden."

Im Falle des Klägers kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Kläger die CKW-haltigen Stoffe sowohl inhalativ als auch über die Haut aufgenommen hat. In welcher Höhe die Exposition jeweils erfolgt ist, lässt sich nicht mehr genau feststellen, weil keine die CKW-Belastung beweisenden Messungen am Arbeitsplatz des Klägers vorliegen. Auch lassen sich die Arbeitsbedingungen aus dieser lang zurückliegenden Zeit heute nicht mehr exakt rekonstruieren, da die früheren Produktionsprozesse nicht mehr zur reproduzieren sind. In einem solchen Fall ist aber eine lebensnahe Beweiswürdigung zu praktizieren. Bei den aufgetretenen Beweisschwierigkeiten sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG, in die auch Billigkeitserwägungen einfließen dürfen, an dem Vollbeweis keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Für den Umfang der Exposition genügt deshalb eine Schätzung, wenn ausreichende Grundlagen hierfür vorhanden sind (so Urteil des Senats vom 31. August 2010 – L 3 U 162/05 – mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. September 2011 L 6 U 5889/06; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Anmerkung 26.2 zu § 9 SGB VII).

Der Kläger war von November 1970 bis September 1976 in verschiedenen Produktionshallen im Bereich der Kaltbandlinie als Kranfahrer eingesetzt. Die Kaltbandlinie bestand aus Entfettung, Bandpuffer (zwei später drei Schlinggruben), Glühofen, Beize, Spüle, Aufrollstation und Versandt. Die gewalzten Stahlbänder wurden zur Entfettung durch ein mit erhitztem 1,1,1-Trichlorethan gefülltes Becken und anschließend durch Bandpuffer geführt und dann in den Glühofen geleitet. Dem Entfettungsbecken mussten wöchentlich ca. 800 l 1,1,1-Trichlorethan nachgefüllt werden. Aufgrund dieser Nachfüllmenge errechnet sich als worst-case-Abschätzung ein Schichtmittelwert von 363,52 ml/m³, der erheblich über dem MAK-Wert liegt. Der Auffassung der Beklagten, es könne dennoch von einer regelmäßigen erheblichen Unterschreitung des maßgeblichen MAK-Wertes ausgegangen werden, kann sich der Senat nicht anschließen:

Der Präventionsdienst der Beklagten unterstellt, dass in der Halle, in der sich die Kaltbandlinie mit Entfettungsbecken und Schlinggruben befand, ein regelmäßiger kompletter Luftaustausch, zumindest innerhalb von vier Stunden und mit Wahrscheinlichkeit sogar stündlich, stattfand. Von einer ständigen Belüftung der Halle kann jedoch nicht ausgegangen werden. Denn die Halle verfügte lediglich über Tore. Fenster, Dachreiter oder Ähnliches waren nicht vorhanden. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers waren die Hallentore meist geschlossen. Sie wurden im Sommer zum Entlüften geöffnet, wenn es wegen der nicht isolierten Hallenwände sehr warm in der Halle geworden ist. Im Winter mussten die Tore schon wegen der fehlenden Isolierung immer geschlossen bleiben, weil es sonst sehr kalt in der Halle wurde. Da Trichlorethan schwerer ist als Luft, kann – wie Dr. F. ausführt – nicht von einer homogenen Verteilung der Dämpfe im gesamten Hallenvolumen ausgegangen werden, sondern von einer höheren Luftanreicherung mit Trichlorethan im unteren Bereich der 8 m hohen Halle. Da sich die Krankanzel den Angaben des Klägers zufolge 3 m über dem Entfettungsbad und folglich ca. 4,5 m und nicht 6 bis 8 m über Flur befunden hat, ist davon auszugehen, dass sich der Kläger in einem Bereich mit einem höheren Schadstoffgehalt aufgehalten hat. Es kann auch unterstellt werden, dass ein großer Teil der nachgefüllten 800 l Trichlorethan in die Atemluft verdampft sind. Denn die Annahme, dass die auf den durchlaufenden Bändern vorhandenen Abschleppungen weitestgehend in den Glühofen eingetragen wurden, kann aufgrund der Tatsache, dass die Bänder vor dem Glühofen in Schlinggruben aufgefangen wurden und das Trichlorethan als auch die Bänder das Entfettungsbad in aufgewärmtem Zustand verlassen haben, nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr kann unterstellt werden, dass aufgrund dieser Umstände schon vor Erreichen des Glühofens die vorhandenen Abschleppungen größtenteils abgetropft oder verdampft sind und in die Hallenluft abgegeben wurden. Zudem ist davon auszugehen, dass von den wöchentlich nachzufüllenden 800 l Trichlorethan ein nicht unwesentlicher Teil auch direkt aus dem Entfettungsbad in die Hallenluft verdampft ist. Denn nach den Angaben des Zeugen C., der als Obermeister für den Betrieb der Kaltbandlinie zuständig war, hatte das Entfettungsbad in der Regel eine Betriebstemperatur von 60 Grad. Er hat dargelegt, dass die Durchlaufgeschwindigkeit der Bänder je nach der Dicke des Bandes 15 m pro Minute und auch mehr betragen hat und bei einer Temperatur von unter 60 Grad eine vollständige Entfettung der Bänder nicht gewährleistet war, andererseits aber eine höhere Betriebstemperatur nicht sinnvoll war, weil dann zu viel Flüssigkeit verdampfte. Aus den genannten Umständen ergibt sich auch die Schlussfolgerung, dass der Kläger in der Krankanzel nicht nur über dem Entfettungsbad, sondern auch über den Bandpuffern einer erhöhten Schadstoffkonzentration ausgesetzt war. Angesichts der Gesamtumstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Schichtmittelwert von 200 ml/m3 1,1,1-Trochlorethan während der Tätigkeit des Klägers als Kranfahrer meist sicher eingehalten oder gar unterschritten wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine natürliche Belüftung der Betriebshalle während der meisten Monate im Jahr wegen der geschlossenen Hallentore nicht gewährleistet war und eine Belüftung der Halle durch geöffnete Tore nur während der wärmeren Sommermonate stattfand. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger von November 1970 bis September 1976 für jeweils 5 Tage pro Monat auch als Helfer bei den Reparaturschlossern eingesetzt war und während dieser Zeit Reinigungs- und Entfettungsarbeiten an Maschinenteilen und Wälzlagern mit "Tri" (so die Aussage des Klägers während der Ermittlungen am 31. Juli 2006) vorgenommen wurden. Auch Hände, Arme und Gesicht wurden mit "Tri" gereinigt. Der Kläger konnte damals zwar nicht angegeben, ob es sich bei dem von ihm als "Tri" bezeichneten Stoff, der nach seinen Angaben bei den Reparaturschlossern und im Bereich des Walzgerüstes zur Reinigung eingesetzt wurde, um 1,1,1-Trichlorethan oder um Trichlorethylen gehandelt hat. Jedoch spricht der Umstand, dass Trichlorethylen bzw. Trichlorethen üblicherweise als "Tri" bezeichnet wird, dafür, dass für derartige Reinigungsarbeiten, ebenso wie für andere Reinigungsarbeiten am Walzgerüst, Trichlorethylen und nicht Trichlorethan eingesetzt wurde. Die Angaben des Klägers, dass "Tri" auch zum Reinigen der Haut eingesetzt wurde, sind durchaus glaubhaft. Auch Dr. F. hat bestätigt, dass damals mit diesen Stoffen sehr sorglos umgegangen wurde und ein derartiger Umgang mit CKW-haltigen Stoffen nicht unüblich war. Aufgrund der mit "Tri" durchgeführten Reinigungsarbeiten bestand nicht nur eine inhalative, sondern auch eine dermale Schadstoffbelastung. Bei der Nassreinigung der Maschinenteile und Wälzlagern wurden Tridämpfe nahe über der Expositionsquelle inhalativ aufgenommen. Außerdem wurde bei diesen Reinigungsarbeiten auch "Tri" über die Haut resorbiert.

In der Zeit von Oktober 1976 bis Mitte der 90er Jahre war der Kläger ebenfalls gegenüber Trichlorethylen exponiert; sowohl bei der Überprüfung des Walzvorgangs als auch bei Reinigungsarbeiten am Walzgerüst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung für den Senat nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass die Sichtkontrollen zur Überprüfung des Walzvorgangs nicht nur achtmal pro Schicht durchzuführen waren. Nach den Angaben des Klägers wurden pro Arbeitsschicht durchschnittlich 5 bis 6 Bänder (Coils) gewalzt. Jedes Band wurde mehrmals gewalzt. Dabei kam es öfter vor, dass Fehler beim Walzvorgang auftraten, weil die Walze beschädigt war. Bei den III-c-Bändern kam bis ca. dreimal pro Band vor. Die III-d-Bänder wurden zunächst wie die III-c-Bänder normal gewalzt, dann kamen Polierwalzen zum Einsatz, weil diese Edelstahlbänder glänzend bearbeitet werden mussten. Es musste deshalb bei den III-d-Bändern ein häufigerer Walzenwechsel, insgesamt sechsmal pro Band, stattfinden. Der Walzenwechsel wurde zu zweit durchgeführt. Er hat jeweils zwei bis zweieinhalb Minuten gedauert. Die Kontrollgänge mussten, wenn eine Walze wegen eines Schadens zu wechseln war, sowohl vor dem Wechsel als auch nach dem Wechsel stattfinden. Bei den Sichtkontrollen wurde eine Fläche von ca. 1,2 m x 1,2 m oben auf dem Band abgewischt. Die Bänder waren 1,2 m breit. Im unteren Bereich des Bandes war die Fläche etwas kleiner, weil dort das Kontrollieren schwieriger war. Die zu kontrollierende Fläche des Bandes wurde in einer mit Tri gefüllten Sprühflasche feucht besprüht und dann mit einem Lappen abgewischt. Beim Sprühen und Wischen oben auf dem Band hat sich der Kläger auf das Band gekniet, dabei ist dem Kläger auch Sprühnebel ins Gesicht gezogen, weil sich über dem Band eine Absaugung zum Absaugen der Öldämpfe befand. Die Unterseite des Bandes wurde stehend kontrolliert. Dabei musste sich der Kläger leicht nach vorn neigen. Der Kläger gibt an, dass ein Wachwalzenwechsel pro Arbeitsschicht 24 bis maximal 36 mal stattgefunden hat. Ein 24maliger Bandwechsel wäre erforderlich gewesen, wenn in der Schicht vier III-c-Bänder und zwei III-d-Bänder gewalzt wurden. Ein 36maliger Walzenwechsel konnte nur dann zustande kommen, wenn in einer Schicht fünf III-d-Bänder gewalzt wurden. Wird von einem 24maligen Walzenwechsel ausgegangen, was dem Senat als realistisch erscheint, waren pro Arbeitsschicht 48 Kontrollgänge notwendig. Wenn die Sichtkontrollen jeweils nur eine Minute dauerten, ergibt sich eine zeitliche Exposition von 48 Minuten pro Arbeitsschicht, werden für die Kontrollgänge zwei Minuten zugrunde gelegt, ergibt sich eine Expositionszeit von maximal 96 Minuten. Es ist davon auszugehen, dass beim Besprühen des Bandes in kniender Position nicht nur Sprühnebel in das Gesicht des Klägers gezogen ist, sondern dabei Trichlorethylen auch in Form von feinen Nebeltröpfchen direkt eingeatmet wurde. Auch beim Besprühen des unteren Bandes hielt sich der Kläger aufgrund seiner leicht gebeugten Haltung mit dem Gesicht nahe der Expositionsquelle auf, so dass versprühtes Tri zumindest in Form von Dämpfen von dem Kläger direkt und unverdünnt eingeatmet wurde. In Anbetracht der von dem Kläger geschilderten Arbeitsweise kann der Senat der Einschätzung der Beklagten nicht folgen. Sie vertritt die Auffassung, es sei unerheblich wie oft und in welchem zeitlichen Umfang die Sichtkontrollen an den Bändern stattgefunden haben, weil sich gegenüber einem mit Tri befeuchteten Lappen in Relation zu dem großen Verdünnungseffekt eines Hallenvolumens von über 32000 m3 keine relevante inhalative Belastung wahrscheinlich machen lässt. Nach Überzeugung des Senats steht vielmehr fest, dass der Kläger wegen der an den Bändern durchzuführenden Sichtkontrollen pro Arbeitsschicht mindestens 48 Minuten lang direkt mit Dämpfen und einem Sprühnebel von Trichlorethylen in Kontakt gekommen ist und er diesen Stoff sowohl inhalativ als auch dermal während dieser Zeit aufgenommen hat. Fest steht auch, dass der Kläger einmal im Monat bei den großflächigen und umfangreichen Reinigungsarbeiten am Walzgerüst für ca. vier Stunden direkten Umgang mit der Reinigungsflüssigkeit Trichlorethylen hatte. Diesbezüglich räumt die Beklagte ein, dass während dieser Zeit eine inhalative Belastung oberhalb des Kurzzeitwertes anzunehmen ist. Reinigungsarbeiten am Walzgerüst wurden jedoch nicht nur einmal monatlich durchgeführt, sondern auch einmal wöchentlich. Diesbezügliche Angaben machte der Kläger bereits am 31. Juli 2006. Er gab an, am Walzgerüst seien wöchentliche Reinigungsarbeiten mit "Tri" und mit Lappen und Bürste vorgenommen worden. Auch anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. H. gab der Kläger an, am Walzgerüst seien wöchentliche Reinigungen vorgenommen worden. Der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass das Walzgerüst üblicherweise auch samstags am Ende der Schicht sauber gemacht und abgewischt wurde, ein Großreinigung einmal im Monat stattfand und während dieser sogenannten Putz- und Reparaturschicht neben dem Walzgerüst auch die Dunstabzugshauben mit Tri gereinigt wurden. Er hat auch angegeben, dass bei der Reinigung des Walzgerüstes Handschuhe getragen werden mussten, weil die Walzen sehr ölig und rutschig waren. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger von Oktober 1976 bis Mitte der 90er Jahre bei den Sichtkontrollen der Bänder täglich gegenüber Tri sowohl inhalativ als auch dermal exponiert war. Dabei ist von einer Mindestexposition von 48 Minuten auszugehen, wenn ein nur 24maliger Walzenwechsel und für jede Sichtkontrolle nur die Dauer von einer Minute unterstellt wird. Der Kläger hat bei dieser Tätigkeit Tri über die Gesichtshaut und bis zu Beginn der 80er Jahre – in der Zeit als noch keine Handschuhe getragen wurden – auch über die Haut der Hände aufgenommen. Inhalativ wurde Tri wegen der Nähe des Kopfes zur Expositionsquelle unverdünnt in Form von Dämpfen und Nebeltröpfchen aufgenommen. Hinzu kommt eine in der Regel wöchentliche Inhalation von Tri-Dämpfen bei der Reinigung des Walzgerüstes an Samstagen und einmal monatlich während der sogenannten Putzschicht. Insgesamt war der Kläger ca. 24 bis 25 Jahre lang gegenüber CKW-haltigen Emissionen exponiert. Da laut Merkblatt für die ärztliche Untersuchung und der Aussage des Prof. Dr. H. auch geringe Konzentrationen von Halogenkohlenwasserstoffen geeignet sind, Leberschäden zu verursachen, wenn eine langfristige Exposition stattgefunden hat, ist die Geeignetheit der Einwirkung auch hinsichtlich ihrer Dauer und Intensität im vorliegenden Fall zu bejahen.

Auch der individuell konkrete Ursachenzusammenhang zwischen der Schadstoffexposition und der Lebererkrankung des Klägers ist positiv festzustellen. Denn nach dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. H. sprechen mehr Gründe für als gegen den Kausalzusammenhang. Als Auslöser für die Lebererkrankung findet sich kein außerberuflicher Faktor. Auch Dr. G. räumt aufgrund des histologischen Befundes ein, dass das histologische Bild für das Vorliegen eines toxisch bedingten Leberschadens spricht. Außerberufliche Ursachen für einen toxisch bedingten Leberschaden lassen sich jedoch im Falle des Klägers nicht finden. Auch eine Stoffwechselerkrankung in Form einer Hämochromatose kommt als Ursache für die Entstehung der Lebererkrankung des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit in Betracht. Jedoch ist davon auszugehen, dass die bei dem Kläger vorgefundene Genkonstellation den durch die Schadstoffexposition verursachten Leberschaden verstärkt hat. Für den Kausalzusammenhang zwischen der Lebererkrankung des Klägers und der beruflichen Exposition von Halogenkohlenwasserstoffen spricht nach Darlegung des Prof. Dr. H. auch der Verlauf der Krankheit, mit Beginn der Leberwerterhöhungen 1972, zwei Jahre nach Aufnahme der Tätigkeit als Kranführer.

Die von dem Sozialgericht vorgenommene Bewertung der MdE des Klägers mit 40 v.H. ab 19. September 2005 ist nicht zu beanstanden. Nachweislich hat bei dem Kläger eine Leberzirrhose im Juli 2005 vorgelegen. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 928 ist eine Leberzirrhose ohne Ösophagusvarizen mit einer MdE von 30 bis 40 v.H. und mit Ösophagusvarizen mit einer MdE von 60 bis 100 v.H. zu bewerten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.

 

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