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Landessozialgericht Hessen 28.01.2014, L 3 U 180/10

  • Aktenzeichen: L 3 U 180/10
  • Spruchkörper: 3. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 19 U 106/07
  • Instanzgericht: Sozialgericht Wiesbaden
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 28.01.2014

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Veranlagung des Klägers zu einer Gefahrtarifstelle im Gefahrtarif 2007 der Beklagten.

Der Kläger ist im Unternehmensverzeichnis der Beklagten eingetragen. Nach § 2 Nr. 1 seiner Satzung vom 5. Juli 1999 ist es insbesondere Zweck des Vereins, die öffentliche Finanzwirtschaft in die Gesamtwirtschaft einzubinden, die Steuer- und Abgabenlast zu begrenzen, deren rechtliche Grundlagen zu vereinfachen und die Kontrolle über die öffentlichen Finanzen zu stärken. Diese Ziele sollen gemäß § 2 Nr. 2 der Satzung insbesondere durch Gutachten, Stellungnahmen, Eingaben an staatliche Institutionen, Presseinformationen sowie Rundfunk- und Fernsehdiskussionen erreicht werden. Nach § 4 Nr. 1 der Satzung ist der Kläger parteipolitisch neutral und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke.

Mit Bescheid vom 27. Juni 2001 veranlagte die Beklagte den Kläger zu der Gefahrtarifstelle 20 "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" (Gefahrklasse 1,34) des Gefahrtarifs 2001.

Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss am 14. Dezember 2006 den Entwurf eines neuen Gefahrtarifs für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2007 (Gefahrtarif 2007), der eine neue Gefahrtarifstelle 11 "Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung" vorsah und zudem die Gefahrtarifstelle 15 "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" enthielt. Den Vertretern lagen hierbei Unterlagen über den neuen Gefahrtarif, insbesondere über die Veränderungen in den einzelnen Gefahrtarifstellen sowie Hinweise zur Branchenzuordnung vor ("Tagungsunterlagen Gefahrtarif ab 2007").

Seite 19 der "Tagungsunterlagen Gefahrtarif ab 2007" enthält folgende Passage:

"Gefahrtarifstelle 11"

Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung
Neu: GT-Stelle 11 Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung Gefahrklasse 0,59

Die Gefahrtarifstelle ist neu.
Alt: GT-Stelle 16 Kammer, Verband, Organisation der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft (einschließlich der Arbeitgeberverbände) Gefahrklasse 0,54
GT-Stelle 29 Gewerkschaft Gefahrklasse 0,52
GT-Stelle 35 Partei, Fraktion, Abgeordnetenbüro Gefahrklasse 0,59
GT-Stelle 45 Diplomatische, konsularische Vertretung Gefahrklasse 0,86 " Auf Seite 21 der Tagungsunterlagen ist auszugsweise Folgendes formuliert:

"Gefahrtarifstelle 15"

Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen
Neu: GT-Stelle 15 Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen Gefahrklasse 1,36
Die Zusammensetzung dieser Gefahrtarifstelle hat sich verändert.
Alt: GT-Stelle 20 Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen Gefahrklasse 1,34
GT-Stelle 39 Sportverband Gefahrklasse 1,54
GT-Stelle 44 Verein und Einrichtung zur Entspannung, Erholung, Belehrung, Unterhaltung, Geselligkeit Gefahrklasse 1,89
GT-Stelle 55 Automobilclub Gefahrklasse 1,50 (gesetzt; Unternehmensart nicht tragfähig)
GT-Stelle 55 Weltanschauungsgemeinschaft Gefahrklasse 1,50 (gesetzt; Unternehmensart nicht tragfähig)

Die jetzige Gefahrtarifstelle 15 umfasst wie bisher Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand die Wahrnehmung und Förderung gemeinsamer Interessen der Mitglieder ist. ( ) Für Unternehmen, die bereits bisher zu dieser Unternehmensart veranlagt waren, steigt die Gefahrklasse durch die Tarifstellenzusammenfassung geringfügig; für die übrigen sinkt sie."

Seite 36 der "Tagungsunterlagen Gefahrtarif ab 2007" enthält unter anderem Folgendes: "
Gefahrtarifstelle Unternehmensart dazu gehören auch
11 Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung Abgeordnetenbüros – Arbeitgeberverbände – Architektenkammern – Berufs-, Wirtschaftsverbände – Botschaften – Diplomatische, konsularische Vertretungen – Fraktionen – Gewerkschaften – Industrie- und Handelskammern – Innungen – Innungsverbände – Kreishandwerkerschaften – Parteien - Rechtsanwaltskammern – Steuerberaterkammern
15 Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen Animateure – Automobilclubs – Bürgerinitiativen – Elternverbände – Haus- und Grundeigentümerverbände – Mietervereinigungen – Spitzenorganisationen des Sports – Sportverbände – Verbraucherschutzzentralen – Vertretungen von Interessen politisch-gesellschaftlicher, allgemein-gesellschaftlicher oder -kultureller Art (Förderungen von Wissenschaft und Forschung, Erhaltung von Kulturgut, Bildungsförderungen, Filmförderungen) – Vereine und Einrichtungen zur Entspannung, Erholung, Belehrung, Unterhaltung, Geselligkeit (Geselligkeitsvereine, Gesangsvereine, Mobile Diskotheken, Discjockeys, Laientheatergruppen) – Weltanschauungsgemeinschaften "

Das Bundesversicherungsamt genehmigte den Gefahrtarif 2007 mit Bescheid vom 18. Dezember 2006. Die Beklagte veröffentlichte den Gefahrtarif daraufhin, gemeinsam mit den Hinweisen zur Branchenzuordnung, in ihrer Zeitschrift Sicherheitsreport 1/2007 (S. 25 ff.). Der Gefahrtarif 2007 sieht demnach unter anderem als Gefahrtarifstelle 11 die Unternehmensart "Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung" (Gefahrklasse 0,59) sowie als Gefahrtarifstelle 15 die Unternehmensart "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" (Gefahrklasse 1,36) vor. Nach Teil II. Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 des Gefahrtarifs 2007 geht die Zuordnung zu einer spezielleren Unternehmensart der Zuordnung zu einer allgemeineren Unternehmensart vor.

Mit Bescheid vom 27. Juni 2007 veranlagte die Beklagte den Kläger gemäß § 159 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) ab 1. Januar 2007 zu der Gefahrtarifstelle 15 "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" mit der Gefahrklasse 1,36.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25. Juli 2007 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, dass er angesichts seines Vereinszweckes und des geringen Gefährdungspotentials seiner Tätigkeiten in die Tarifstelle 11 "Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung" einzuordnen sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2009 zurück. Zur Begründung legte sie dar, der Gefahrtarifstelle 15 seien Unternehmen zugeordnet, die der Wahrnehmung und Förderung insbesondere ideeller und persönlicher Interessen dienten, bei denen der wirtschaftliche Erfolg mithin nicht im Vordergrund stehe. Diese Interessen bezögen sich auf die Interessen der Mitglieder, Gesellschafter oder bestimmter Personengruppen, die nicht notwendigerweise auch an dem Zusammenschluss beteiligt sein müssten. Dies sei bei dem Kläger der Fall. Zur Gefahrtarifstelle 11 gehörten demgegenüber unter anderem Kammern, Verbände, Organisationen der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft, deren Zweck die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen der freien Berufe bzw. der gewerblichen Wirtschaft sei. Es werde insoweit kein eigenes Ziel verfolgt, sondern durch die Institution würden die Interessen einer Berufsgruppe gebündelt und einheitlich nach außen vertreten. Kammern und Verbände, die weder solche der freien Berufe noch der gewerblichen Wirtschaft seien, sowie Zusammenschlüsse mit einer ideellen Zielsetzung würden der Unternehmensart "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" zugeordnet.

Am 31. Oktober 2007 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Wiesbaden erhoben.

Zur Begründung hat er vorgetragen, die Tarifstelle 11 sei eine spezielle Ausformung der Tarifstelle 15. Ein Unternehmen der "wirtschaftlichen und politischen Interessenvertretung" sei zwingend auch ein "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen", sofern nicht nur Interessen Einzelner vertreten würden. Das klägerseitig verfolgte gemeinsame Interesse sei die Vertretung steuer- bzw. finanzpolitischer Interessen. Die gesamte Tätigkeit des Klägers ziele darauf ab, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Er betreibe in geradezu klassischer Weise politische Interessenvertretung. Die Auffassung der Beklagten zum Anwendungsbereich der Tarifstelle 11 "Wirtschaftliche und politische Interessenvertretung" sei auch nicht mit deren Wortlaut vereinbar. Die politische Interessenvertretung sei nicht alleine politischen Parteien vorbehalten. Der Kläger vertrete als freiwilliger Zusammenschluss zahlreicher Steuerbürger die Interessen der Steuerzahler gegenüber staatlichen Instanzen. Seine Tätigkeit sei damit denen der Industrie- und Handelskammern ähnlich. Hinsichtlich der Organisation sei er mit Gewerkschaften vergleichbar, da auch diese vereinsmäßig organisiert sein müssten. Auch das Gefährdungspotential seiner Tätigkeit entspreche eher der Tarifstelle 11 als der Tarifstelle 15. Die Tätigkeiten seiner Mitarbeiter beschränkten sich im Wesentlichen auf reine Schreibtischarbeit. Individuelle Interessenvertretung betreibe er nicht.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte auf der Grundlage des angegriffenen Veranlagungsbescheides vom Kläger für das Jahr 2007 einen Beitrag von 3.349,61 EUR (Bescheid vom 21. April 2008) und, nachdem zum 1. Januar 2009 ein neuer Gefahrtarif in Kraft getreten war, für das Jahr 2008 einen Beitrag von 3.652,59 EUR (Bescheid vom 21. April 2009) gefordert.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 24. August 2010 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2007 verurteilt, den Kläger zur Gefahrtarifstelle 11 des Gefahrtarifs 2007 zu veranlagen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, die Gefährdung des Klägers sei vergleichbar mit der Gefahrtarifstelle 11 und nicht mit der Tarifstelle 15. Den Streitwert hat das Sozialgericht auf 5.000,00 EUR festgesetzt (Beschluss vom 13. September 2010).

Am 8. September 2010 hat die Beklagte gegen das ihr am 1. September 2010 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, dass es entgegen der Auffassung des Sozialgerichts unerheblich sei, ob die Gefährdung des Klägers mit der Gefährdung der Unternehmensarten der Tarifstelle 11 vergleichbar sei. Die Beklagte habe einen reinen gewerbezweig- und keinen tätigkeitsbezogenen Tarif. Entscheidend seien allein Art und Gegenstand des Unternehmens. Der Kläger verfolge gemeinsame Interessen seiner Mitglieder und zudem ausschließlich gemeinnützige Zwecke im Sinne des Steuerrechts. Daher sei er ein "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" im Sinne der Gefahrtarifstelle 15. Die Tarifstelle 11 sei zudem keine spezielle Ausformung der Tarifstelle 15. Beide stünden gleichwertig nebeneinander. Die Beklagte beruft sich ergänzend auf das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Mai 2011, welches den Bund der Steuerzahler Rheinland-Pfalz e.V. ebenfalls in die Tarifstelle 15 des Gefahrtarifs 2007 eingeordnet hat. Die Hinweise zur Branchenzuordnung seien gleichzeitig mit dem Gefahrtarif Bestandteil des kompletten Beschlussverfahrens gewesen und im amtlichen Mitteilungsblatt der Klägerin veröffentlicht worden. Damit seien sie eine authentische Interpretation des Satzungsgebers.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Beklagte ignoriere den Wortlaut ihrer eigenen Satzung und verstoße gegen die Grundsätze der Satzungswahrheit und Satzungsklarheit. Der Kläger betreibe politische Interessenvertretung, verfolge aber nicht die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder, sondern diejenigen aller Steuerbürger. Von seinen Erfolgen, zum Beispiel gewonnenen Musterprozessen, profitierten alle Steuerbürger. Zudem würden auch die ebenfalls von der Beklagten zu der Tarifstelle 11 veranlagten Parteien nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Den Hinweisen zur Branchenzuordnung lasse sich nur entnehmen, wie die Beklagte ihren eigenen Gefahrtarif auslege. Dies sei jedoch für Gerichte nicht maßgeblich, weil die in der Mitgliederzeitschrift der Beklagten abgedruckten Branchenhinweise nicht Bestandteil des von der Vertreterversammlung beschlossenen und vom Bundesversicherungsamt genehmigten Gefahrtarifs seien.

Der Senat hat am 17. Dezember 2013 einen Erörterungstermin durchgeführt und die Beteiligten angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 2013 Bezug genommen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

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