Landessozialgericht Hessen 25.03.2014, L 3 U 207/11

Urteil über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls als PKW-Beifahrer.

  • Aktenzeichen: L 3 U 207/11
  • Spruchkörper: 3. Senat 
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 U 103/09
  • Instanzgericht: Sozialgericht Fulda
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 25.03.2014

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls.

Am 21. Dezember 2006 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall. Er war als Beifahrer seines PKW unterwegs, als ein entgegenkommender PKW plötzlich auf die Fahrspur des Klägers wechselte und frontal mit dem zu diesem Zeitpunkt stehenden Fahrzeug des Klägers kollidierte. Im Rahmen der durchgangsärztlichen Untersuchung (Dr. E., Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im Klinikum Hanau) am Unfalltag gab der Kläger an, es habe keine Bewusstlosigkeit, keine Übelkeit und kein Erbrechen vorgelegen. Er habe sich wohl mit der linken Hand abgestützt. Es wurden eine Subluxation des Mittelgelenks des 5. Fingers links und eine Rippenprellung links diagnostiziert, eine interabdominale Blutung konnte ausgeschlossen werden. Eine Nachuntersuchung am 22. Dezember 2006 ergab eine Basisfraktur im Endglied des linken Kleinfingers mit dorsalseitiger Luxationsstellung. Die Weiterbehandlung wegen der Verletzung im Bereich der linken Hand erfolgte durch Dr. F. (16. Januar 2007) und Dr. G. (17. Januar 2007, 1. März 2007).

Am 2. April 2007 stellte sich der Kläger erneut bei dem Orthopäden Dr. G. vor (Bericht vom 23. April 2007) und gab dort an, er habe Angstzustände bezüglich des Autofahrens und leide seit dem Unfall unter Schlaflosigkeit. Bereits einem Bericht des Orthopäden vom 22. März 2007 war zu entnehmen, dass der Kläger Angst vor dem Autofahren habe.

Im Rahmen ihrer Ermittlungen holte die Beklagte einen ausführlichen psychiatrisch-neurologischen Befundbericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. ein, der unter dem 15. Juni 2007 mitteilte, dass bei dem Kläger seit dem Unfall eine das Führen eines PKW betreffende erhöhte Angstbereitschaft sowie eine leichtgradige depressive Verstimmung bestünden. Vom Vorliegen einer schweren psychoreaktiven Störung etwa im Sinne einer posttraumatischen Belastungsreaktion sei nicht auszugehen. Gleichzeitig riet er zur Einholung eines psychiatrischen Zusammenhangsgutachtens. Auf eine Anfrage der Beklagten teilte die Psychotherapeutin Dr. J. unter dem 23. Juli 2007 mit, der Kläger befinde sich in ihrer Behandlung, jedoch nicht wegen seines Unfalls. Dies sei die Eingangsdiagnose gewesen; die durch sie durchgeführte Diagnostik habe u.a. zu der Diagnose 45.38 (Somatoforme autonome Funktionsstörung – Sonstige Organe und Systeme) geführt.

Anschließend gab die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Zusammenhangsgutachten bei dem Sachverständigen Prof. Dr. K., Hardtwaldklinik I in Bad Zwesten, in Auftrag, das dieser unter dem 15. April 2008 erstattete. Darin kam der Sachverständige zu dem Schluss, der Kläger leide an einer leichtgradigen depressiven Anpassungsstörung (F32.1 ICD-10) sowie einer leichten Angststörung. Es bestehe ein Grad der Behinderung (gemeint wohl: Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 10 %.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. führte in seiner anschließenden nervenfachärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2008 aus, dass er die depressive Anpassungsstörung sowie die hierunter zu subsumierende Angstbereitschaft des Klägers als unfallbedingt ansehe. Eine MdE von 10 v.H. liege im oberen Bereich des Ermessensspielraums.

Vom 10. März bis 21. April 2009 absolvierte der Kläger einen stationären Aufenthalt in der Vogelsbergklinik, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Im Entlassungsbericht vom 11. Mai 2009 lauteten die Aufnahmediagnosen u.a. "subsyndromales PTSD nach Verkehrsunfall 2006" (F43.1) und schwere depressive Episode (F32.2).

Unter dem 7. August 2009 äußerte sich der Beratungsarzt Dr. M. erneut und verneinte das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, da deren Kriterien nicht erfüllt seien.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. August 2009 die Zahlung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 2006 ab; als Unfallfolge bestehe lediglich eine leichtgradige depressive Anpassungsstörung. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2009 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass nach den eingeholten Gutachten die festzustellenden Unfallfolgen nicht mit einer MdE von wenigstens 20 v.H. zu bewerten seien und somit kein Anspruch auf Rente bestehe.

Hiergegen hat der Kläger am 28. Oktober 2009 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) erhoben. Er hat hierzu ein Gutachten der Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie N. vom 4. August 2009 vorgelegt, das diese gegenüber der O.-Versicherung D-Stadt erstattet hat. Diese hat auf ihrem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt: posttraumatische Belastungsstörung nach Monotrauma am "21.02.2006" (F43.1), dissoziative Störung – dissoziative Krampfanfälle (F44.5), dissoziative Störung der Empfindung (F44.6), anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit Schwerpunkt in der HWS (F45.4) und schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, in Remission (F32.2). Daneben bestünden fachfremd ein Verdacht auf Epilepsie mit Petit-Mal-Anfällen, eine rezidivierende Hämaturie und Harnwegsinfektionen, eine Hyperlipidämie sowie der Verdacht auf eine chronische Gastritis.

Das Sozialgericht hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten des Prof. Dr. P., Geschäftsführender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Gießen-Marburg, vom 26. März 2010 eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Beurteilung gelangt, der Kläger leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1 ICD-10) sowie einer schweren depressiven Episode (F32.2 ICD-10), wofür das Unfallereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als alleinige Ursache anzusehen sei. Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung liege ein subjektiv lebensbedrohlich erlebter Unfall zugrunde. Der Kläger habe im Zusammenhang mit dem Unfallereignis existenzielle Ängste bezüglich des eigenen Todes und Zurücklassens der Kinder entwickelt. Die Situation sei für ihn unvorhersehbar gewesen und es habe vollkommener Kontrollverlust bestanden. Auch seien bei dem Kläger täglich wiederkehrende Erinnerungen bzw. das direkte Wiedererleben dieser als lebensbedrohlich erlebten Situation vorhanden, die auch nachts aufträten. In diesem Zusammenhang schildere der Kläger typische vegetative Symptome. Auch meide er – anders als vor dem belastenden Erlebnis – Umstände, die der Belastung ähnelten oder mit ihr in Zusammenhang stünden. Autofahrten – auch als Beifahrer – würden vermieden und auch wenn die Ehefrau mit dem Auto unterwegs sei, bestünden ausgeprägte Ängste und Unruhezustände. Weiterhin bestünden bei dem Kläger anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung, wie sie vor der Belastung nicht vorhanden gewesen seien: durchgehend ausgeprägte Ein- und Durchschlafstörungen sowie morgendliches Früherwachen, vermehrte Reizbarkeit und Wutausbrüche, ausgeprägte Konzentrationsschwierigkeiten sowie eine ausgeprägte erhöhte Schreckhaftigkeit Die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf psychiatrischem Gebiet sei auf 80 - 100% zu schätzen.

Die Beklagte hat hierzu eine beratungsfachärztliche Stellungnahme des Facharztes fürNeurologie und Psychiatrie Dr. Q. vom 20. Oktober 2010 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, der Nachweis eines seelischen Erstschadens stütze sich nicht auf die persönliche Realität des Betroffenen, sondern auf die dokumentierte initiale seelische Reaktion. Eine solche sei an keiner Stelle der Aktenlage bewiesen. Die Tatsache, dass ein potentiell seelisch belastendes Lebensereignis stattgefunden habe, sei nicht dem Nachweis eines seelischen Gesundheitserstschadens gleichzusetzen. Es sei nicht plausibel, dass nunmehr geradezu lehrbuchhafte Symptome einer PTBS geschildert würden, die in den vorangegangenen Begutachtungen sämtlich übersehen oder missdeutet worden sein sollten. Es sei schwierig, die Art der beklagten Beschwerden und insbesondere ihres Verlaufs (Crescendo-Charakter) mit dem typischen Bild und Verlauf einer PTBS in Deckung zu bringen. Argumente allein aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs ("post hoc ergo propter hoc") seien für die Beweisführung nicht geeignet, weil damit von den Folgen auf das Ereignis bzw. den seelischen Primärschaden geschlossen werde, ohne diesen zunächst bewiesen zu haben.

In seiner hierzu eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 2. Mai 2011 hat der Sachverständige Prof. Dr. P. an der Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung festgehalten. Unstrittig sei sicherlich der stattgehabte Unfall an sich mit zumindest körperlich traumatischen Folgen bei dem Unfallverursacher. Daneben habe ebenso zweifelsfrei die Gefahr bestanden, die eigene körperliche Unversehrtheit wie auch die der Ehefrau zu verlieren. Die Einschätzung dieser Gefahr bzw. das Erleben selbiger bleibe eine subjektive Wahrnehmung, die im konkreten Fall vorliege.

Hierzu hat sich der Beratungsarzt Dr. Q. unter dem 7. Juni 2011 erneut geäußert, ebenfalls an seiner Beurteilung festgehalten und nochmals betont, dass man sich für die Beurteilung an ganz entscheidender Stelle auf die Eigenangaben des Versicherten stützen müsse, die sich allerdings in der Aktenlage nicht objektivieren lasse. Wenn ein ereignisbedingter Erstschaden offensichtlich sei, sei es weniger problematisch, wenn es zu einer verzögerten Symptomentwicklung komme. Wenn dies aber nicht der Fall sei und dann auch noch ein Symptomausbruch innerhalb der ersten sechs Monate nicht vorliege, fehle es schon an zwei wesentlichen Stützpfeilern der Diagnose einer PTBS.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 30. August 2011 die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 17. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2010 ab dem 22. Juni 2007 Rente nach einer MdE von 50 v.H. zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es folge im Ergebnis dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P., soweit dieser bei dem Kläger eine depressive Störung mit schweren Episoden sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert habe und insoweit mit der Einschätzung der behandelnden Ärzte der Vogelbergklinik übereinstimme. Dieser habe auch überzeugend die Einwände des Dr. Q. widerlegt. Der Gutachter lege überzeugend dar, wie die Beeinträchtigungen durch den Arbeitsunfall gravierend in den Alltag des Klägers eingriffen. Dem Kläger sei es aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr möglich, seine bisherige Arbeit weiter auszuführen. Die Gastwirtschaft des Klägers habe nur durch große innerfamiliäre Hilfe weitergeführt werden können. Die unfallbedingten auffälligen Verhaltensweisen des Klägers führten dazu, dass er Kundschaft verloren und die Familie seine Tätigkeiten in der Gastwirtschaft habe übernehmen müssen. Die dem zugrunde liegenden Einschränkungen wirkten sich aber nicht nur konkret auf den vor dem Unfall ausgeübten Beruf des Klägers aus, sondern schränkten seine Fähigkeit bezogen auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens deutlich ein. Überzeugend verweise der Sachverständige Prof. Dr. P. auf Erkenntnishindernisse in früheren Begutachtungen (H., K.). Insofern sei der Einwand einer unzureichenden Exploration entgegen der Wertung durch den Beratungsarzt Dr. Q. sehr wohl durchgreifend, zumal der Einsatz eines Dolmetschers erforderlich gewesen sei. Auch aus Laiensicht sei eine Untersuchung des Klägers von ca. einer halben Stunde mit Einsatz eines Sprachmittlers (der Ehefrau des Klägers) als prima facie unplausibel zu werten, um eine valide psychiatrische Diagnose zu stellen. Dass in dieser Zeit eine tiefergehende Exploration eines psychischen Zustands möglich sein solle, müsse mit Nachdruck bezweifelt werden und reduziere die Überzeugungskraft einer darauf aufbauenden Diagnose nachhaltig. An der Unfallabhängigkeit der Erkrankung bestünden keinerlei Zweifel, weil nicht einmal im Ansatz ersichtlich sei, durch welche Ursache die belegte posttraumatische Belastungsstörung hätte entstehen sollen; dies nicht im Sinne eines Beweisgrundsatzes, dass beim Fehlen eine Alternativursache zwingend ein Unfallereignis ursächlich gewesen sein müsse, sondern dergestalt, dass es speziell für eine posttraumatische Belastungsstörung eines besonderen Ereignisses bedürfe, das nicht ersichtlich sei. Hinsichtlich der Höhe der MdE könne eine solche von mehr als 50 v.H. nicht angenommen werden. Dabei sei der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. P. durchaus zuzustimmen, dass die Erkrankungsfolgen wohl der Aufnahme nahezu jeder Erwerbstätigkeit entgegenstehen dürften. Allerdings ließen die Erfahrungswerte für eine posttraumatische Belastungsstörung keine höhere MdE zu.

Gegen dieses ihr am 4. November 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. November 2011 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt und ausgeführt, dass bei dem Verkehrsunfall das Fahrzeug des Unfallgegners auf die vordere Ecke der Fahrerseite des von der Ehefrau des Klägers gesteuerten Fahrzeugs aufgefahren sei, während an der Beifahrerseite, wo sich der Kläger befunden habe, kein Schaden entstanden sei. Erhebliche Verletzungen der Ehefrau seien nicht bekannt, bei dem Kläger sei es zu einer Fraktur im Endglied des linken Kleinfingers sowie der 7. Rippe links gekommen, was bis Ende Februar 2007 folgenlos ausgeheilt gewesen sei. Es habe sich demnach um ein minderschweres Ereignis gehandelt, das nicht die erforderliche objektive Schwere der Bedrohung aufweise, um die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu tragen. Die vorliegende minderschwere Gefährdung entspreche nicht dem vom Kläger subjektiv empfundenen Ausmaß an Bedrohung. Das Sozialgericht weise in diesem Zusammenhang lediglich auf die vom Kläger subjektiv empfundene Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit hin. Es reiche jedoch gerade nicht aus, dass der Unfall nach der Mitteilung des Gutachters für den Kläger "durchaus objektiv ein extremes und lebensbedrohliches Ereignis darstellen kann". Weiterhin setze die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung eine ereignisnahe (intensive psychische und vegetative) Reaktion in Form von intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen voraus. Für das Vorliegen einer derartigen massiven Stressreaktion fänden sich Anhaltspunkte weder bei der polizeilichen Aufnahme des Unfalls noch in den zeitnah nachfolgenden fachärztlichen Befunden. Erstmals bei der Untersuchung durch Dr. G. vom 22. März 2007 habe der Kläger mitgeteilt, er habe "Angst vor dem Auto fahren". Etwa ein Jahr später habe der Kläger gegenüber Prof. Dr. K. mitgeteilt, er habe "als Beifahrer anfangs Angstzustände entwickelt, wenn seine Frau ein Auto überholte oder zu dicht auffuhr", aber "dies habe sich etwas gelegt". Eine an den Unfall anschließende Stressreaktion des Klägers sei nicht erkennbar bzw. nicht anhand zeitnaher Befunde objektivierbar, so dass eine solche sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachweisen lasse. Auch lasse sich die Feststellung von Prof. Dr. P., der Kläger erfülle auch das Kriterium, dass Umstände, die der Belastung ähnelten oder mit ihr in Zusammenhang stünden, tatsächlich oder möglichst vermieden würden, treffe nicht zu, da der Kläger auch weiterhin als Beifahrer am Straßenverkehr teilnehme.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. März 2014 hat die Beklagte im Wege des Teilanerkenntnisses die Unfallfolge auf psychischem Gebiet neu bezeichnet als "akzentuierte phobische Störung". Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. August 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit diese über das angenommene Teilanerkenntnis hinausgeht.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.

Der Senat hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. C., Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Haina/Kloster, vom 4. Oktober 2012 eingeholt. Dieser hat bei dem Kläger als in der Vergangenheit vorliegend eine längere depressive Reaktion (ICD-10: F43.21) sowie aktuell eine mittelgradige chronifizierte depressive Episode (ICD-10: F32.1) diagnostiziert. Die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) könne nicht überzeugen; die insoweit anzuwendenden Kriterien seien nicht erfüllt. Nach der Aktenlage sei zumindest bis Ende 2007 lediglich belegt, dass nach dem Unfall eine Anpassungsstörung aufgetreten sei. Diese sei leichter Art und als Folge des Unfalls vom 21. Dezember 2006 zu sehen. Eine MdE von 10 v.H. erscheine diesbezüglich angemessen. Die bei dem Kläger zu diagnostizierende depressive Episode könne unter Berücksichtigung der eher geringen Schwere des Unfallereignisses und der erst mit einer Verzögerung von 2 Jahren auftretende Depression nach zwischenzeitlicher Besserung dem Unfallereignis nicht als hierdurch wesentlich bedingt zugerechnet werden.

Der Kläger hat hierzu eine Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychotherapie R. vom 15. Januar 2013 vorgelegt, zu der sich Dr. C. unter dem 6. März 2013 (Bl. 310 ff. GA) ergänzend geäußert hat.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat anschließend ein nervenärztliches Gutachten des Facharztes für Nervenheilkunde D., Institut für sozialmedizinische Begutachtung, vom 4. November 2013 (Bl. 327 ff. GA) eingeholt. Dieser hat bei dem Kläger eine mittel- bis akzentuiert schwergradige depressive Episode und eine chronische (akzentuiert) phobische Störung diagnostiziert. Dabei sei die depressive Episode mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wesentlich durch den Arbeitsunfall vom 21. Dezember 2006 verursacht; die chronische phobische Störung hingegen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit als Sekundärschaden und somit als wesentliche Folge des Primärschadens anzusehen. Es sei davon auszugehen, dass unfallabhängig eine passagere chronische Anpassungsstörung und im Verlauf die verbleibende phobische Störung aufgetreten sei. Da Anpassungsstörungen nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen maximal 2 Jahre anhielten, müssten diese anders, nunmehr im Sinne einer "rein" phobischen Störung klassifiziert werden. Die mittel- bis schwergradige depressive Entwicklung lasse sich am ehesten auf fehlende Bewältigungsstrategien seitens des Klägers zurückführen. Eine PTBS liege nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere im Vorbringen der Beteiligten und in den medizinischen Unterlagen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommenen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten ist zu Recht ergangen. Der Kläger hat nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) keinen Anspruch auf Rente, da bei ihm auf Grund des von der Beklagten anerkannten Wegeunfalls vom 21. Dezember 2006 keine länger anhaltenden Unfallfolgen festzustellen sind, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zumindest 20 v.H. rechtfertigen.

Gesundheitsstörungen müssen im Vollbeweis nachgewiesen werden, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (§ 128 Abs. 1 SGG), um als Unfallfolgen anerkannt zu werden, und zudem durch einen Ursachenzusammenhang mit dem Arbeitsunfall bzw. dem Gesundheitserstschaden verbunden sein. Für diese Kausalitätsfeststellung zwischen dem Arbeitsunfall und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen (haftungsausfüllende Kausalität) gilt dabei wie für alle Kausalitätsfeststellungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R - juris).

Die von dem Kläger geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung liegt als Gesundheitsstörung schon im Vollbeweis nicht vor. Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (z.B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl. 2001) erforderlich unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.).

Die Diagnosekriterien für eine PTBS nach den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-IV sind unterschiedlich konzipiert, und zwar insbesondere hinsichtlich des Traumakriteriums, des sog. A-Kriteriums. Das Konzept nach DSM-IV stellt bei diesem Kriterium auf das individuelle subjektive Erleben des Betroffenen ab und formuliert es wie folgt: 1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzungen oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltete (A1-Kriterium) und 2. die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen (A2-Kriterium).

Nach ICD-10 ist hingegen ein objektiv schweres Ereignis Voraussetzung für die Annahme des A-Kriteriums: Verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katstrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.

Bei dem Kläger liegen diese Kriterien nach beiden Konzepten nicht vor.

Dies ergibt sich überzeugend aus dem Gutachten des Dr. C ... Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Beurteilung beide Diagnosesysteme nebeneinander zugrunde gelegt und in deren Anwendung nachvollziehbar begründet, weshalb die von mehreren behandelnden Ärzten sowie auch von Prof. Dr. P. gestellte Diagnose einer PTBS beim Kläger nicht zweifelsfrei erwiesen ist. Eine Situation "mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde", wie sie nach ICD-10 Voraussetzung der Diagnose einer PTBS ist, hat der Kläger am 21. Dezember 2006 nicht erlebt. Vielmehr handelte es sich hier lediglich um eine Kollision zweier Fahrzeuge im innerstädtischen Verkehr, wobei das des Klägers stand, die bei den Unfallbeteiligten – mit Ausnahme des Unfallverursachers, der unangeschnallt unterwegs war, deshalb mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe prallte und eine Wirbelfraktur erlitt - mit nur leichteren Verletzungen ablief. Der Unfall führte bei dem Kläger und dessen Ehefrau nur zu leichten körperlichen Schäden; der Kläger erlitt eine Fraktur des Endgliedes des linken Kleinfingers und eine Fraktur der 7. Rippe links, die zudem in einem überschaubaren Zeitraum abheilten. Auch wenn ein derartiges Erlebnis zu einer Schockreaktion führen und nachhaltig beeindruckend sein kann, ist es jedoch kein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß und es ist auch keineswegs in der Lage, bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorzurufen. Die subjektive Wahrnehmung des Klägers mag zwar eine andere gewesen sein. Für die Feststellung der einzelnen Faktoren der jeweiligen ICD-10-Diagnose reicht die subjektive Bewertung durch den Betroffenen indessen nicht aus. Einer derartigen Interpretation steht der eindeutige Wortlaut der ICD-10 entgegen. Denn hiernach sollen für die Annahme einer PTBS nur Ereignisse maßgebend sein, die "bei fast jedem" eine tiefe Verzweiflung hervorrufen. Hierdurch wird ein Abstellen auf die subjektive Bewertung des einzelnen Betroffenen ausgeschlossen und eine objektive Betrachtung zwingend erforderlich. Diesbezüglich bestätigt auch Dr. C., dass nach ICD-10 die objektive Dimension des Geschehens gefragt ist. Für eine Erweiterung entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut besteht kein Anlass. Denn das Erfordernis, psychische Unfallfolgen immer nach international anerkannten Diagnosemanualen zu bewerten, dient dem erklärten Ziel, Diskrepanzen in der gutachterlichen Bewertung auszuschließen und eine Gleichbehandlung der Versicherten herbeizuführen. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob in der wissenschaftlichen Literatur entgegenstehende Auffassungen vertreten werden. Denn das BSG hat gerade auch wegen "möglicher Schulenstreite" die anerkannten Diagnosesysteme für verbindlich erklärt (BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 – B 2 U 40/05 R – juris). Demgegenüber kann weder der insoweit abweichenden diagnostischen Einordnung durch die behandelnden Ärzte und Kliniken noch der des Sachverständigen Prof. Dr. P. gefolgt werden, da diese die laut ICD-10 vorgegebenen Diagnosekriterien nicht ausreichend beachten und bereits im Hinblick auf das A-Kriterium die Frage der Schwere des Verkehrsunfallereignisses nicht diskutieren. Prof. Dr. P. stellt ausdrücklich darauf ab, dass der Kläger dieses Kriterium nach ICD-10 erfüllt habe, da ein subjektiv lebensbedrohlich erlebter Unfall vorliege und führt dazu aus, "dass der Verkehrsunfall durchaus subjektiv ein extremes und lebensbedrohliches Ereignis darstellen kann". Dass hier aber gerade nicht das subjektive Erleben relevant ist, wurde oben bereits dargelegt. Aber auch wenn man der Beurteilung das Konzept nach DSM-IV zugrunde legt, ist bereits das A-Kriterium, auch wenn hier eine subjektive Komponente berücksichtigt wird, nicht erfüllt, wie Dr. C. überzeugend darlegt. Dies begründet der Sachverständige insbesondere damit, dass für die subjektive Bedrohung im Sinne von DSM-IV erforderlich ist, dass der akute Schock im Sinne von Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen mit entsprechenden Symptomen als Reaktion unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfallereignis gesichert sein muss. Dies steht im Einklang mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Danach ist bei einem katastrophalen Ereignis entsprechend ICD-10 eine Latenz (von bis zu 6 Monaten) zwischen Unfall und Manifestation der psychischen Symptomatik zu beachten. Bei einem minderschweren Ereignis wie im vorliegenden Fall ist indes nach der Pathophysiologie traumatischer Erlebnisse eine zeitnahe psychische Reaktion als seelischer Gesundheitserstschaden zu erwarten, und zwar von der Qualität wie es das A2-Kriterium nach DSM-IV voraussetzt (vgl. die Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften - AWMF – Registernr. 051/09 – Stand: 31. März 2012, gültig bis 31. März 2017 – Teil II Seiten 103, 106, 117 - www.uni-duesseldorf.de/awmf; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seiten 148, 150). Das A2-Kriterium muss als seelischer Gesundheitserstschaden im Vollbeweis dokumentiert und gesichert sein (Sk2-Leitlinie a.a.O., Seite 115). Dr. C. hat daher zu Recht das Vorliegen des A-Kriteriums für die Diagnose einer PTBS nicht nur nach ICD-10, sondern auch nach DSM-IV mit der Begründung verneint, dass der Kläger zeitnah zum Unfall, d.h. bis zu wenigen Tagen nach dem Ereignis, überhaupt keine Belastungsreaktion gezeigt hat. Jedenfalls fehlt es in den Akten an jedweden Hinweisen auf einen solchen Schockschaden. Prof. Dr. P. hat in seinem Gutachten lediglich pauschal behauptet: "Bei dem Betroffenen hat eine Reaktion von Angst, Hilflosigkeit und auch Grauen vorgelegen." Er gibt jedoch an keiner Stelle seines Gutachtens an, aus welchem aktenkundigen Sachverhalt sich dies ergeben soll. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 2. Mai 2011 führt er aus, bezüglich der geforderten "initialen seelischen Reaktion im Sinne eines seelischen Erstschadens" sei anzumerken, dass sich hier aus der Aktenlage keine direkte zeitnahe Fremdbeurteilung ergebe, und da zeitnah keine fachpsychiatrische Vorstellung erfolgt sei, bleibe unklar, ob nicht doch zeitnah eine für die posttraumatische Belastungsstörung typische Symptomatik vorgelegen habe. Dies führt in der Konsequenz aber gerade dazu, dass es an dem notwendigen Vollbeweis eines psychischen Gesundheitserstschadens fehlt. So legt Dr. C. demgegenüber auch ausführlich dar, wie sich ausweislich der umfangreichen medizinischen Dokumentation der Gesundheitszustand des Klägers nach dem Unfall entwickelt hat und dass sich hieraus ergibt, dass erstmals vier Monate nach dem Unfall psychische Beschwerden vorgetragen werden. Die dann behandelnde Psychotherapeutin Dr. J. hat jedoch keine Behandlung im Zusammenhang mit dem Unfallereignis durchgeführt, obwohl dies, wie sie in ihrem Schreiben vom 23. Juli 2007 dargelegt hat, die Eingangsdiagnose des überweisenden Arztes gewesen sei, sondern wegen anderer Diagnosen, u.a. die einer sonstige Organe und Systeme betreffenden somatoformen autonomen Funktionsstörung.

Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass das seit Mitte 2013 in den USA geltende neue Diagnose-System DSM-V vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung führt. Dieses Diagnosemanual liegt bisher nur in englischer Sprache vor und wird in den Leitlinien und einschlägigen deutschen Standardwerken noch nicht diskutiert, so dass sich die Frage stellt, ob dieses System in Deutschland überhaupt schon dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl. Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 15. November 2013, S 40 U 281/12, juris, Rdnr. 48). DSM-V verzichtet auf das nach DSM-IV bedeutsame A2-Kriterium und die dort genannte Qualität der Reaktion auf das Ereignis. Dies bedeutet aber nicht, dass nunmehr alle später auftretenden Symptome, bei denen Intrusionen, Vermeidungsverhalten und Hyperarousal geltend gemacht werden, zwingend zur Diagnose einer PTBS führen (vgl. Widder, MED SACH 5/2013, S. 109) oder dass auf eine zeitnah zum Ereignis vorliegende psychische Reaktion juristisch verzichtet werden kann. Unabhängig von der medizinischen Diagnose kann im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung eine solche Reaktion als seelischer Gesundheitserstschaden in zweierlei Hinsicht bedeutsam sein. Zum einen kann sie Voraussetzung dafür sein, dass überhaupt ein Arbeitsunfall vorliegt, nämlich dann, wenn es keine physischen Verletzungen gibt (vgl. Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 15. November 2013, a.a.O.). Zum anderen kann ihr nach den Kausalitätskriterien in der gesetzlichen Unfallversicherung vor allem bei minderschweren Ereignissen die Bedeutung als notwendiger Anknüpfungstatsache im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Unfallfolgen zukommen. Ist eine solche Reaktion wie im vorliegenden Fall nicht belegt, so kann die Anerkennung einer PTBS als Unfallfolge nicht in Betracht kommen.

Über das hier fehlende Traumakriterium hinaus sind nach Dr. C. aber auch die weiteren für die Diagnosestellung einer PTBS relevanten Kriterien nicht gesichert. So wurden in dem Entlassungsbericht der Vogelsbergklinik vom 11. Mai 2009 als Flashback-Erlebnisse häufige Erinnerungen an die Minuten vor dem Unfall gewertet. Flashback-Erlebnisse beziehen sich aber auf den Unfall selbst, nicht auf die Zeit davor. Das Sich-Zurückerinnern wertet Dr. C. als normalen psychologischen Vorgang, während ein Flashback das Wiedererleben der traumatisierenden Situation mit dem Empfinden, dieser erneut ausgesetzt zu sein, bedeutet. Einem Vorliegen solcher Flashbacks widerspricht insbesondere auch, dass der Kläger ohne entsprechende Anzeichen gegenüber den jeweiligen Sachverständigen das Unfallereignis lebhaft zu schildern vermag. Auch ein Vermeidungsverhalten ist nicht schlüssig belegt. Der Kläger macht zwar gegenüber den Untersuchern geltend, er vermeide das Autofahren ebenso wie die Beifahrersituation, tatsächlich ist er aber jedenfalls als Beifahrer weiterhin im Straßenverkehr unterwegs. Auch der aktenkundig nachvollziehbare Verlauf der psychischen Erkrankung des Klägers spricht gegen das Vorliegen einer auf den Unfall vom 21. Dezember 2006 zurückführbaren PTBS. Bis Ende 2007 lässt sich lediglich das Vorliegen einer leichten Anpassungsstörung belegen. Erst über ein weiteres Jahr später wird im Rahmen einer stationären Behandlung in der Vogelsbergklinik u.a. die Diagnose "subsyndromales PTSD nach Verkehrsunfall 2006 F43.1" gestellt, ohne dass dies jedoch anhand der erforderlichen Kriterien nachvollziehbar begründet wird. Ebenso wenig wird dann in dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie N., das auf diesem Entlassungsbericht fußt, dargelegt, weshalb die dort aufgenommene Diagnose einer PTBS nunmehr ohne den Zusatz "subsyndromal", also jetzt als Vollbild dieser Erkrankung, gestellt wird.

Auch der nach § 109 SGG beauftragte Sachverständige D. hat das Vorliegen einer PTBS ausdrücklich ausgeschlossen und sich hier ganz überwiegend Dr. C. angeschlossen. So bestätigt er, dass weder ein schweres Trauma im Sinne des A-Kriteriums nach ICD-10 noch ein einer PTBS immanentes A2-Kriterium nach DSM-IV vorgelegen habe und dass auch der aktenkundige Verlauf der Erkrankung mit dem Umstand, dass während der nervenärztlichen Begutachtungen durch Dr. H. sowie durch Prof. Dr. K. keine schwerwiegenden psychischen Störungen hätten festgestellt werden können, sowie die Tatsache, dass der Kläger den Unfallhergang detailliert und ohne Erinnerungsinseln schildern könne, gegen eine PTBS sprechen.

Im Weiteren haben alle Sachverständigen bei dem Kläger eine tendenziell zunehmende depressive Störung festgestellt: Bei der Untersuchung durch Dr. H. eine leichtgradige depressive Verstimmung, über ein Jahr später wurde dann in der Vogelsbergklinik eine schwere depressive Episode diagnostiziert, ebenso durch Prof. Dr. P. eine depressive Störung mit schwerer Episode und somatischem Syndrom, Dr. C. stellte eine aktuell mittelgradige depressive Episode fest, der Sachverständige D. eine mittel- bis akzentuiert schwergradige depressive Episode. Sowohl der Sachverständige D. als auch Dr. C. äußerten diesbezüglich ihre Verwunderung über eine eher niedrige Dosierung der antidepressiven Medikation des Klägers. Mit Ausnahme des Prof. Dr. P. bewerten alle anderen Sachverständigen die depressive Erkrankung als unfallunabhängig. Gegen einen solchen Zusammenhang spricht nach Feststellung von Dr. C. das objektiv eher weniger schwergradige Ereignis mit nur leichten körperlichen Verletzungen des Klägers; des Weiteren sprechen nach den Ausführungen des Dr. C. und des Sachverständigen D. die Dauer der Erkrankung ebenso wie die eher zunehmenden Reaktionen nach zwischenzeitlicher Besserung der Symptomatik gegen einen ursächlichen Zusammenhang der depressiven Erkrankung mit dem Unfallereignis vom 21. Dezember 2006. Daneben fehlt es in den ersten Jahren nach dem Unfall an einer nachvollziehbaren Dokumentation einer Depression. Prof. Dr. P. setzt sich mit diesen Umständen nicht auseinander, sondern schließt letztlich ohne weitergehende Begründung aus der von ihm diagnostizierten PTBS auf eine Unfallbedingtheit der depressiven Erkrankung.

Daneben hat der Sachverständige D. eine chronische (akzentuiert) phobische Störung diagnostiziert, die sich aus der ursprünglich berücksichtigten Anpassungsstörung entwickelt hat: Die "Angst" Auto zu fahren bzw. vor der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr stelle im Falle des Klägers eine spezifische isolierte Phobie dar, da sie sich auf ganz spezifische Situationen beschränkt. Diese Störung betrachtet der Sachverständige D. als kausal auf den Unfall zurückführbar. Nachdem die Beklagte diese phobische Störung unter Wegfall der ursprünglichen Anpassungsstörung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. März 2014 als Unfallfolge anerkannt und der Kläger dieses Anerkenntnis angenommen hat, bedurfte es insoweit keiner Entscheidung durch den Senat. Aufgrund der Isoliertheit dieser Phobie kann diese entsprechend der von dem Sachverständigen D. vorgenommenen Bewertung allenfalls mit einer MdE von 10 v. H. bewertet werden. Ein Rentenanspruch ist damit nicht ableitbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da das vorliegende angenommene Teilanerkenntnis mit der Wirkung, dass nunmehr anstelle der Anpassungsstörung eine akzentuierte phobische Störung als Unfallfolge berücksichtigt wird, für den Kläger rechtlich nicht mit einer veränderten Leistungssituation verbunden ist, ist hieran ein Kostenanspruch nicht zu knüpfen.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 SGG.

 

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