Landessozialgericht Hessen 25.03.2014, L 3 U 42/10

Urteil über die Neufestsetzung des Jahresverdienstes bei Berechnung einer UV-Rente.

  • Aktenzeichen: L 3 U 42/10
  • Spruchkörper: 3. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 13 U 589/01
  • Instanzgericht: Sozialgericht Wiesbaden
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 25.03.2014

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes als Grundlage für die Berechnung seiner Rente nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der im Jahre 1954 geborene Kläger erlitt am 2. April 1965 während des Zeitungsaustragens einen Unfall mit einer schweren offenen Schädel-Hirn-Verletzung. Zur dieser Zeit war er Schüler an einer Volksschule. Aufgrund dieses Arbeitsunfalls wird dem Kläger seitdem Verletztenrente gewährt, die zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. berechnet wurde. Im Jahre 1967 beendete der Kläger die Volksschule nach dem 8. Schuljahr. Von 1967 bis 1970 absolvierte er unter Wiederholung der 9. Klasse die kaufmännische Berufsfachschule. Ab dem Jahr 1970 besuchte er das Wirtschaftsgymnasium in Frankfurt/Höchst und wechselte 1972 zum Wirtschaftsgymnasium in Gießen, wo er 1974 – nach Wiederholung der 12. Klasse – die Hochschulreife erlangte. Im Jahre 1975 begann er ein Lehramtsstudium. Mit Bescheid vom 9. Januar 1976 setzte die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung den Jahresarbeitsverdienst auf den Ortslohn eines Versicherten (Zeitungsträgers) ab Vollendung des 21. Lebensjahres fest. Im Jahre 1979 unterbrach der Kläger sein Lehramtsstudium anlässlich eines Doktorandenstudiums in den USA, setzte es 1980 fort und wurde auf seinen Antrag hin 1982 exmatrikuliert, wobei er als Gründe "Krankheit und Finanznot" angab. Im Jahre 1984 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft, welches er im selben Jahr abbrach.

Am 14. Mai 1984 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Zur Begründung führte er an, dass er ohne den Unfall Realschule und Wirtschaftsgymnasium früher abgeschlossen hätte und sein Studium mit erstem Examen sowie nach dem Referendariat sein zweites Examen absolviert hätte, sodass er zum 1. August 1979 als Studienrat eingestellt worden wäre.

Mit Bescheid vom 14. September 1984 lehnte die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung eine Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes ab. Zur Begründung führte sie aus, der Jahresarbeitsverdienst sei zuletzt mit Bescheid vom 9. Januar 1976 gemäß § 573 Abs. 2 RVO auf den Ortslohn für Versicherte über 21 Jahre neu festgesetzt worden. Eine Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 1 RVO komme nicht in Betracht, da eine Bestimmung des Zeitpunktes der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung gegenwärtig nicht möglich sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 10. Oktober 1984 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main (S 4 U 260/84). In der mündlichen Verhandlung vom 19. August 1987 schlossen die Beteiligten einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:

" Der Vertreter der Beklagten erklärt: Der Bescheid vom 14.09.1984 wird aufgehoben. Die Beklagte wird bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes des Klägers ab 01.12.1982 von dem zu diesem Zeitpunkt festgesetzten Gehalt eines Studienassessors im Hessischen Landesdienst ausgehen und dem Kläger einen entsprechenden Bescheid erteilen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt mit dessen Einverständnis: Ich bin einverstanden. Weitere Ansprüche werden hinsichtlich der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes des Klägers nicht mehr geltend gemacht. Die anhängige Klage nehme ich zurück. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind."

Mit Ausführungsbescheid vom 28. Oktober 1987 setzte die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung den Jahresarbeitsverdienst des Klägers nach der Besoldungsstufe A 13 fest und berechnete die Rente rückwirkend zum 1. Dezember 1982 unter Berücksichtigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v.H. neu.

Am 20. November 2000 beantragte der Kläger bei der Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung – ohne Begründung – eine Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes. Auf die Bitte der Berufsgenossenschaft, den Antrag zu begründen, verwies der Kläger in seinem Schreiben vom 13. Dezember 2000 auf § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch Allgemeiner Teil – (SGB I) sowie § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) und teilte als Grund für seinen Erhöhungsantrag mit, der Jahresarbeitsverdienst sei zu niedrig. Die Berufsgenossenschaft lehnte daraufhin eine Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes mit Bescheid vom 11. Mai 2001 unter Bezugnahme auf den gerichtlichen Vergleich vom 19. August 1987 ab.

Hiergegen hat der Kläger am 30. Mai 2001 Klage beim Sozialgericht Wiesbaden erhoben (S 13 U 589/11).

Zur Begründung hat er vorgetragen, die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung habe ohne zureichenden Grund nicht über seinen Antrag auf Beratung entschieden. Der Bescheid vom 11. Mai 2001 sei nichtig, weil er nicht unter Beteiligung des Rentenausschusses zustande gekommen sei. Schließlich habe er einen Anspruch auf Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes, weil die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung ihn nicht ordnungsgemäß beraten und das Gericht im Rahmen der Vergleichsformulierung auf den tatsächlichen Studienbeginn abgestellt habe, statt die unfallbedingten Ausfallzeiten in der schulischen Ausbildung zu berücksichtigten. Zwischen Unfall und Abitur habe er das 9. und das 12. Schuljahr wegen mangelnder Leistungen wiederholen sowie eine um sechs Monate verzögerte Abiturnachprüfung ablegen müssen, sodass er ohne den Unfall sein Studium bereits zum Wintersemester 1972 hätte beginnen können. Nach § 573 Abs. 1 RVO habe damit der Jahresarbeitsverdienst bereits zum 1. Juni 1980 erhöht werden müssen. Zudem habe der Jahresarbeitsverdienst mit der Vollendung des 25. Lebensjahres erhöht werden müssen. Der gerichtliche Vergleich müsse daher korrigiert werden. Sinngemäß hat er beantragt, die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung zur Bescheidung zu verurteilen, hilfsweise die Nichtigkeit des Bescheides vom 11. Mai 2001 festzustellen sowie weiter hilfsweise die Berufsgenossenschaft zur Neufeststellung des Jahresarbeitsverdienstes unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 28. Oktober 1987 zu verpflichten.

Die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung hat die Auffassung vertreten, dass die vergleichsweise Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes bereits zugunsten des Klägers erfolgt sei, da eine Prognose über ein Studium nicht sicher habe erfolgen können. Sinn des damaligen Vergleiches sei eine abschließende Regelung gewesen.

Das Sozialgericht Wiesbaden hat die Klage mit Urteil vom 6. Mai 2002 abgewiesen. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig, der Nichtigkeitsfeststellungsantrag zulässig, aber unbegründet. Soweit der Kläger schließlich eine Neufeststellung des Jahresarbeitsverdienstes begehre, sei die Klage zulässig, weil in der Klageerwiderung der Widerspruchsbescheid gesehen werden könne und ein Widerspruchsbescheid aus prozessökonomischen Gründen nicht mehr erforderlich sei. Die Klage sei jedoch auch insoweit unbegründet. Die Berufsgenossenschaft habe mit dem Ausführungsbescheid vom 28. Oktober 1987 bindend über die Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes entschieden. Eine Rücknahme nach § 44 SGB X komme nicht in Betracht, weil der Kläger nichts substantiiert vorgetragen habe, was die Berufsgenossenschaft zur nochmaligen Überprüfung des Sachverhaltes habe veranlassen können, zumal die Frage des Jahresarbeitsverdienstes abschließend in dem gerichtlichen Vergleich geklärt worden sei.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Mai 2002 Berufung eingelegt (L 11 U 584/02).

Der Kläger hat zunächst eine Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes ab dem 1. Januar 1979 beantragt. Gegenstand des Rechtsstreits sei die Berichtigung des fehlerhaft zustande gekommenen Vergleichs vom 19. August 1987 über die Erhöhungen des der Verletztenrente des Klägers zugrunde liegenden Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 1 bis 3 RVO sowie § 90 Abs. 1 bis 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII). Das Sozialgericht habe den klägerischen Vortrag, wonach der Vergleich gegen § 101 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verstoßen habe und eine Berufung auf den Vergleich rechtsmissbräuchlich sei, nicht berücksichtigt. Ferner sei die weitere Entwicklung des Anspruchs auf Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes nach Abschluss des Vergleiches nicht berücksichtigt worden, insbesondere der Eintritt der arbeitsunfallbedingten Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. April 1989. Vor der Überprüfung nach § 44 SGB X sei jedoch die Wirksamkeit des Vergleiches nach § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu prüfen, sodass eine Aussetzung des Verfahrens angesichts des von ihm am 1. November 2001 gestellten Antrages auf Fortsetzung des Verfahrens S 4 U 260/84 zweckmäßig sei.

Mit Beschluss vom 11. Juli 2003 hat der Senat das Verfahren ausgesetzt, bis das beim Sozialgericht Frankfurt am Main anhängige Verfahren S 18 U 2595/02 WA rechtskräftig abgeschlossen sei. In diesem Verfahren hat das Sozialgericht Frankfurt am Main, an das der Rechtsstreit vom Sozialgericht Wiesbaden verwiesen worden war, durch Urteil vom 21. März 2006 festgestellt, dass der Rechtsstreit S 4 U 260/84 durch Vergleich vom 19. August 1987 beendet worden sei. Dagegen hat der Kläger am 13. Juli 2006 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt (L 3 U 169/06). Mit Urteil vom 18. August 2009 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen, weil der Vergleich vom 19. August 1987 wirksam zustande gekommen sei und den Rechtsstreit beendet habe.

Mit Urteil vom 15. Dezember 2009 (L 3 U 233/06) hat der Senat zudem eine Berufung der Berufsgenossenschaft Duck und Papierverarbeitung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. September 2006 (L 3 U 233/06) zurückgewiesen, in dem das Sozialgericht die Berufsgenossenschaft verurteilt hatte, dem Kläger wegen den Folgen seines Arbeitsunfalls vom 2. April 1965 mit Wirkung vom 1. April 1989 eine um 10 v.H. erhöhte Rente gemäß § 582 RVO (Schwerverletztenzulage) zu gewähren.

Zum 1. Januar 2010 hat sich die Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung mit der Berufsgenossenschaft Energie, Textil und Elektro zu der Beklagten zusammengeschlossen.

Unter dem 8. Februar 2010 hat der Kläger, der inzwischen seine Klage als Untätigkeitsklage um die aufgrund seines Widerspruchs vom 30. Juli 2001 gegen den Bescheid vom 11. Mai 2001 ausstehende Widerspruchsentscheidung erweitert (Schreiben vom 12. April 2004) und als Gegenstand der Klageerweiterung den Anspruch auf Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes bezeichnet hatte (Schreiben vom 12. Juni 2004), die Fortsetzung des Berufungsverfahren L 11 U 582/02 beantragt (L 3 U 42/10). In diesem Verfahren gehe es noch um die ab dem 1. April 1989 vorzunehmende Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes gemäß der tariflichen Erhöhung des der Rentenberechnung zugrunde liegenden Jahresarbeitsverdienstes. Wie auch mit Urteil des Senats vom 15. Dezember 2009 festgestellt, könne der Kläger seit dem 1. April 1989 aufgrund des versicherten Arbeitsunfalls keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen. Daher habe eine weitere Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 3 RVO zu erfolgen. Mit dem gerichtlichen Vergleich hätten künftig eintretende Ansprüche, die damals noch nicht Klagegegenstand hätten sein können, nicht ausgeschlossen werden sollen. Sollte der Vergleich hingegen so ausgelegt werden, dass der Kläger auf zukünftige Ansprüche verzichte habe, handele es sich um einen Irrtum des Klägers wegen fehlendem Erklärungsbewusstsein, sodass der Vergleich nach § 779 BGB in einem neuen Verfahren angefochten und aufgehoben werde könne.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte zur Zahlung einer höheren Rente unter Zugrundelegung eines nach § 573 Abs. 3 RVO oder § 90 Abs. 3 SGB VII ab 1. April 1989 neu festzusetzenden Jahresarbeitsverdienstes zu verurteilen,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. Mai 2002 und des Bescheides vom 11. Mai 2001 zu verurteilen, dem Kläger eine höhere Rente unter Zugrundelegung eines nach § 573 Abs. 1 bis 3 RVO oder § 90 Abs. 1 bis 3 SGB VII ab 1. Januar 1979 neu festzusetzenden Jahresarbeitsverdienstes zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Kläger sei durch den gerichtlichen Vergleich wesentlich besser gestellt worden, als er unter Berücksichtigung der damals zur Diskussion gestandenen Berufsausbildung zum Industrie- und Außenhandelskaufmann gestanden hätte. Für eine Erhöhung des Arbeitsverdienstes nach Dienstaltersstufen sieht sie keinen Raum.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte sowie auf die beigezogenen Gerichtsakten der Verfahren L 3 U 169/06 sowie L 3 U 233/06 Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Berufungsantrag ist so auszulegen, dass der Kläger (zuletzt) im Hauptantrag eine höhere Rente auf der Grundlage einer Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 48 SGB X i.V.m. § 573 Abs. 3 RVO (§ 90 Abs. 3 SGB VII) wegen Unmöglichkeit einer Erwerbstätigkeit seit dem 1. April 1989 und hilfsweise eine höhere Rente auf der Grundlage einer Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 44 SGB X i.V.m. § 573 Abs. 1 bis 3 RVO (bzw. § 90 Abs. 1 bis 3 SGB VII) seit dem 1. Januar 1979 begehrt.

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§§ 106 Abs. 1, 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, was das Prozessziel ist, wobei sich die Auslegung von Anträgen danach richtet, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme abweichenden Verhaltens vorliegen (BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, B 14 AS 49/10 R, juris, Rn. 12).

Aus seiner Berufungsschrift vom 20. Mai 2002 und seinem Schriftsatz vom 8. Februar 2010 ergibt sich zunächst, dass er die mit der Klage noch geltend gemachte Untätigkeit und die begehrte Nichtigkeitsfeststellung nicht mehr weiter verfolgt. Insoweit hat er die Berufung konkludent beschränkt. Kein eigenständiger Antrag ist hingegen in der Erhebung seiner "Untätigkeitsklage" vom 12. April 2004 hinsichtlich einer noch ausstehenden Widerspruchsentscheidung zu sehen. In seinem Schriftsatz vom 12. Juni 2004 stellt der Kläger klar, dass er hiermit seinen Anspruch auf die Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes meint. Eine Untätigkeitsklage würde zudem seinem Antrag auf höhere Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes widersprechen. Schließlich hat er in seinen späteren Schriftsätzen, insbesondere in seinem Schriftsatz vom 8. Februar 2010, eine Untätigkeitsklage nicht mehr erwähnt.

Das Klagebegehren ist im Übrigen nicht – wovon allerdings das Sozialgericht ausgegangen ist – so zu verstehen, dass der Kläger lediglich eine Neufeststellung des Jahresarbeitsverdienstes begehrt. Vielmehr ist sein Begehr so auszulegen, dass er eine höhere Rente auf der Grundlage einer Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes beantragt. Denn eine (Neu-)Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes ist mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt (§ 31 SGB X), sondern lediglich eine verwaltungsinterne Klärung eines Wertfaktors im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Werts des Rechts auf Verletztenrente (für § 90 SGB VII BSG, Urteil vom 18. September 2012, B 2 U 14/11 R, juris, Rn. 18).

Schließlich entspricht die Auslegung des Berufungsbegehrens als Hauptantrag und Hilfsantrag dem wohlverstandenen Interesse des Klägers. Der Kläger hat ursprünglich in seiner Berufungsschrift eine vollumfängliche Prüfung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 1 bis 3 RVO ab dem Jahr 1979 begehrt, nach der Fortsetzung des ausgesetzten Verfahrens aber ausdrücklich nur noch eine Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes aus § 573 Abs. 3 RVO ab dem 1. April 1989 wegen seines Unvermögens, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, als Gegenstand des Verfahrens bezeichnet. Zwar spricht dies für eine Auslegung, dass zuletzt ausschließlich eine Erhöhung nach § 573 Abs. 3 RVO oder § 90 Abs. 3 SGB VII beantragt und damit die Berufung (im Übrigen) zurückgenommen wird. Dieses Auslegungsergebnis würde indes zur Unzulässigkeit der Berufung insgesamt führen. Denn eine so verstandene Berufung würde ausschließlich einen Anspruch verfolgen, der nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war. Eine Berufung kann zwar nach § 156 SGG auch konkludent zurückgenommen werden, beispielsweise durch Antragsbeschränkung in der Berufungsinstanz (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 156 Rn. 2). Es muss aber eindeutig sein, dass die Zurücknahme gewollt ist (BSG, Urteil vom 29. Mai 1980, 9 RV 8/80, juris, Rn. 7), wobei nach dem in § 133 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken nicht der Wortlaut der Erklärung, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden maßgeblich ist (BSG, Urteil vom 25. Juni 2002, B 11 AL 23/02 R, juris, Rn. 20 f.). Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, Art. 2 Abs. 3 der Verfassung des Landes Hessen) gebietet zudem und jedenfalls bei nicht anwaltlich vertretenen Klägern, eine Prozesserklärung nicht so auszulegen, dass sie zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels führt, wenn das Rechtsmittel bei anderer, sachdienlicher Auslegung der Erklärung zulässig wäre (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005, B 1 KR 76/95 B, juris, Rn. 6).

Unter Zugrundelegung des wörtlichen Berufungsantrages wäre die Berufung insgesamt unzulässig. Mit seinem Antrag vom 20. November 2000 hatte der Kläger gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten sinngemäß eine höhere Verletztenrente unter Zugrundelegung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes im Wege eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X beantragt. Auch wenn sich ein Betroffener nicht ausdrücklich auf § 44 SGB X bezieht, ist ein Antrag als Überprüfungsbegehren auszulegen, wenn der Antragsteller Leistungen, insbesondere für die Vergangenheit, begehrt, denen ein bestandskräftiger Verwaltungsakt entgegensteht (in diesem Sinne Baumeister, in: jurisPK-SGB X, § 44 Rn. 142, Stand: 8. April 2013). Die Beklagte hat die Aufhebung der bestandskräftigen Rentengewährung und eine Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 44 SGB X mit Bescheid vom 21. Mai 2001 abgelehnt. Nur so konnte der Bescheid nach seinem objektiven Sinngehalt (§§ 133, 157 BGB analog) verstanden werden (vgl. BSG, Urteil vom 16. November 2005, B 2 U 28/04 R, juris, Rn. 13). Auch das Sozialgericht hat nur über einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, nicht aber über einen Anspruch wegen veränderter Verhältnisse nach § 48 SGB X (angesichts einer zeitlich nach Abschluss des Vergleiches am 19. August 1987 eingetretenen Unmöglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen) entschieden. Dazu bestand auch kein Anlass, weil der Kläger die Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes mit der vermeintlichen Unwirksamkeit des Vergleiches begründet und eine Neufeststellung ab dem Jahre 1979 gemäß § 44 SGB X begehrt hatte. Es liegt somit auch kein Fall einer unvollständigen erstinstanzlichen Entscheidung und keine Problematik eines Heraufholens von Prozessresten vor (vgl. dazu Schreiber, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 143 Rn. 17). Ein Antrag, mit dem nach § 44 SGB X eine günstigere Rentenberechnung wegen vermeintlich von Anfang an rechtswidriger Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes gemäß § 573 Abs. 1 RVO begehrt wird, betrifft einen anderen Streitgegenstand als der Antrag, angesichts eines nachträglich (nach Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes) eingetretenen Unvermögens zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach § 573 Abs. 3 RVO bzw. § 90 Abs. 3 SGB VII den Jahresarbeitsverdienst und damit die Verletztenrente über § 48 SGB X neu festzusetzen (in diesem Sinne BSG, Urteil vom 15. Juni 2010, B 2 U 22/09 R, juris, Rn. 11). Eine Neufestsetzung nach § 573 Abs. 3 RVO wegen der Unmöglichkeit einer Erwerbstätigkeit ab 1. April 1989 hat der Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren erstmals im Schriftsatz vom 20. Mai 2002, also erst im Berufungsverfahren geltend gemacht. Der Kläger macht damit im Berufungsverfahren zuletzt einen Anspruch aus § 48 SGB X und gleichsam einen anderen als den erstinstanzlichen streitgegenständlichen Anspruch (nach § 44 SGB X) geltend.

Eine Berufung ist allerdings grundsätzlich nur zulässig, wenn sie den im ersten Rechtszug erhobenen Klageanspruch weiterverfolgt und das Sozialgericht im angegriffenen Urteil hierüber entschieden hat (in diesem Sinne Eckertz, in: Lüdtgen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 143 Rn. 20 f.). Voraussetzung für eine zulässige Berufung ist mithin grundsätzlich eine Beschwer des Berufungsführers durch das erstinstanzliche Urteil (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008, B 2 KN 2/07 U R, juris, Rn. 13). Eine Berufung jedoch, die einen neuen, bisher noch nicht geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand hat, ist (mangels Beschwer) grundsätzlich unzulässig; ohne Weiterverfolgung wenigstens eines Teils des in erster Instanz erhobenen Anspruchs kommt auch eine Klageänderung oder Klageerweiterung in der Berufungsinstanz grundsätzlich nicht in Betracht, denn auch sie setzt in der Regel eine zulässige Berufung voraus; andernfalls würde unter Umgehung der Vorschriften über das Berufungsverfahren eine Klage anhängig gemacht, für die erstinstanzlich das Sozialgericht zuständig wäre (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002, B 4 RA 20/01 R, juris, Rn. 22; vgl. auch BSG, Urteil vom 30. März 1962, 2 RU 53/60, juris, Rn. 27; vgl. BSG, Urteil 25. Juni 2008, B 11b AS 35/96 R, juris, Rn. 16, wonach die restriktive Handhabung des § 99 SGG durch den 4. Senat jedenfalls in den Fallkonstellationen einer "fortwirkenden Beschwer" – Berufungsrücknahme nach vorheriger verbindlicher Erklärung der Beklagten zur Neuberechnung – nicht gerechtfertigt sei). Eine Auslegung des Berufungsantrages dahingehend, dass der Kläger nicht mehr einen Anspruch nach § 44 SGB X verfolgt, sondern die Berufung zurücknimmt und nunmehr ausschließlich einen Anspruch nach § 48 SGB X verfolgt, würde mithin zur Unzulässigkeit der Berufung insgesamt führen und dem Willen des Klägers offenkundig nicht entsprechen. Es entspricht am ehesten dem Willen des Klägers, den Anspruch nach § 48 SGB X als Hauptantrag und den Anspruch nach § 44 SGB X als Hilfsantrag zu verfolgen. Die Qualifizierung des Antrages nach § 44 SGB X als Hilfsantrag trägt hierbei dem Umstand Rechnung, dass der Kläger nach seinem wörtlichen Antrag nur noch den Anspruch nach § 48 SGB X verfolgt, woraus erkennbar ist, dass er bei einem diesbezüglichen Obsiegen kein Interesse mehr an einer Geltendmachung eines Anspruches aus § 44 SGB X hat.

Auf den Hauptantrag nach § 48 SGB X war die Klage abzuweisen.

Der Kläger verfolgt insofern in der Berufungsinstanz einen Anspruch, der noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war. Wenn der Berufungskläger in erster Linie einen neuen, daneben (hilfsweise) aber den erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt, ist die Berufung wegen des neuen Antrages – jedenfalls prinzipiell – unzulässig, wegen des bereits erstinstanzlich verfolgten Antrages zulässig (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, vor § 143 Rn. 3). Der Kläger hat allerdings seine Klage auf den Anspruch nach § 48 SGB X erweitert. Es liegt eine (konkludente) Klageänderung in der Berufungsinstanz (§§ 153, 99 SGG) vor, weil der Kläger sich auf einen anderen Lebenssachverhalt (Erwerbsunfähigkeit ab 1. April 1989) stützt und daraus zusätzlich einen anderen Verwaltungsakt begehrt. Durch eine Erweiterung der Klage kann auch ein prozessualer Anspruch Gegenstand des aufgrund einer Berufung beim Landessozialgericht anhängigen Verfahrens werden, über den das Landessozialgericht in erster Instanz zu entscheiden hat (Eckertz, in: Lütdgen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 143 Rn. 22; im Ergebnis ebenso BSG, Urteil vom 16. November 2005, B 2 U 28/04 R, juris, Rn. 11; Urteil vom 24. März 2009, B 8 AY 10/07, juris, Rn.18; a. A. BSG, Urteile vom 31. Juli 2002, B 4 RA 113/00 R, juris, Rn. 17, und B 4 RA 20/01 R, juris, Rn. 28, wonach das LSG nur dann über eine im Berufungsverfahren geänderte Klage entscheiden können soll, wenn es erstinstanzlich hierfür zuständig ist). Die Klageänderung ist zulässig. Die Beklagte hat sich auf die Klageänderung rügelos eingelassen und somit hierin nach § 99 Abs. 2 SGG stillschweigend eingewilligt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 99 Rn. 9), indem sie in mehreren Schriftsätzen zu dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch nach § 573 Abs. 3 RVO bzw. § 90 Abs. 3 SGB VII Stellung genommen hat, ohne die Klageänderung oder deren Sachdienlichkeit zu thematisieren. Diese Klageänderung war auch im Übrigen zulässig. Eine Klageänderung in der Berufungsinstanz setzt voraus, dass der Kläger sein Klageziel wenigstens teilweise weiterverfolgt (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 99 Rn. 120) und die Berufung zulässig ist (BSG, Urteil vom 8. November 2001, B 11 AL 19/01 R, juris, Rn. 20). Dies ist vorliegend bei entsprechender Auslegung des Berufungsantrages nach § 44 SGB X der Fall.

Die im Berufungsverfahren erhobene Klage war durch den Senat als erste Instanz abzuweisen, was auch in der Entscheidungsformel zum Ausdruck kommen musste (in diesem Sinne Eckertz, in Lüdtke, SGG, 4. Aufl. 2012, § 143 Rn. 22, § 153 Rn. 18; vgl. z.B. Bayerisches LSG, Urteil vom 18. Mai 2011, L 13 R 457/10, juris; LSG für das Land NRW, Urteil vom 30. Januar 2012, L 19 AS 1836/11, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. April 2013, L 22 R 1173/10, juris). Denn eine Klage auf Bewilligung einer höheren Verletztenrente auf der Grundlage einer Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 48 SGB X i.V.m. § 573 Abs. 3 RVO oder § 90 Abs. 3 SGB VII ist unzulässig. Das geänderte Klagebegehren des Klägers ist durch eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und (unechte) Leistungsklage geltend zu machen, mit der die Ablehnung einer Aufhebung angefochten und die Verpflichtung zur Aufhebung des Ursprungsbescheides (nach § 48 SGB X) sowie die Leistung nach § 56 i. V. m. § 90 Abs. 3 SGB VII (bzw. § 580 Abs. 1 i.V.m. § 573 Abs. 3 RVO) begehrt wird (in diesem Sinne BSG, Urteil vom 18. September 2012, B 2 U 14/11 R, juris, Rn. 19).

Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung zugunsten des Betroffenen eintritt. Die wesentliche Änderung der Verhältnisse im Vergleich zum Ausführungsbescheid vom 28. Oktober 1987 liegt nach Auffassung des Klägers in seinem seit dem 1. April 1989 bestehenden Unvermögen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nach § 573 Abs. 3 RVO ist der Jahresarbeitsverdienst den Verdiensterhöhungen anzupassen, die zur Zeit des Arbeitsunfalles von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich sind, wenn eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person infolge des Arbeitsunfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann. Dem entspricht nun § 90 Abs. 3 SGB VII. Die Neufestsetzung nach § 573 RVO bzw. § 90 SGB VII ist ein typisierender Fall, der zu einer wesentlichen Veränderung des Wertes des jeweiligen Rechtes im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X führt (für § 90 SGB VII BSG, Urteil vom 18. September 2012, B 2 U 14/11 R, juris, Rn. 18).

Allerdings müssen auch für die neue Klage deren Prozessvoraussetzungen vorliegen (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 99 Rn. 13a). Die Beklagte hat jedoch noch nicht über den Anspruch nach § 48 SGB X i.V.m. § 573 Abs. 3 RVO, § 90 Abs. 3 SGB VII entschieden. Der Antrag des Klägers vom 20. November 2000 sowie die Ablehnungsentscheidung vom 21. Mai 2001 hatten diesen Sachverhalt – das ab dem 1. April 1989 bestehende Unvermögen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und den damit begründeten Anspruch nach § 48 SGB X – nicht zum Gegenstand. Schließlich kann auch in den Schriftsätzen der Beklagten im Rahmen des Berufungsverfahrens kein entsprechender Ausgangsbescheid nach § 48 SGB X gesehen werden. Ein Schriftsatz eines Verwaltungsträgers kann nur ausnahmsweise als Verwaltungsakt verstanden werden, wenn er über die bloße Prozesserklärung hinaus den Willen des Leistungsträgers zur Regelung eines Einzelfalls gegenüber dem anderen Prozessbeteiligten klar erkennen lässt (BSG, Urteil vom 18. März 1982, 11 RA 19/81, juris, Rn. 16; Urteil vom 18. Mai 2011, B 3 P 5/10 R, juris, Rn. 21; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 31 Rn. 56). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Schriftsätze der Beklagten stellen ausschließlich Äußerungen zur Rechtslage dar. Damit fehlt es an einem tauglichen Gegenstand einer Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. SGG (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 54 Rn. 8a). Da über das Begehren des Klägers noch nicht durch ablehnenden Verwaltungsakt entschieden wurde, ist auch die Verpflichtungsklage unzulässig (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 54 Rn. 21). Der kombinierte Leistungsantrages ist ebenfalls unzulässig. Denn wird eine (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) mit einer Anfechtungsklage kombiniert, ist sie nur statthaft, wenn ein den vermeintlichen Rechtsanspruch regelnder Verwaltungsakt der zuständigen Behörde vorliegt (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2005, B 4 RA 21/05 R, juris, Rn.17).

Angesichts der Unzulässigkeit der Klage nach § 48 SGB X i.V.m. § 573 Abs. 3 RVO, § 90 Abs. 3 SGB VII kann die Frage offen bleiben, ob der zum 1. April 1989 eingetretene Wegfall der Fähigkeit des Klägers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, dazu führt, dass der gerichtliche Vergleich und der dazu ergangene Ausführungsbescheid gemäß § 48 SGB X anzupassen sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 13 R 16/09 R, juris, Rn. 16 m.w.N.; Hissnauer, in: jurisPK-SGB X, § 59 Rn. 34, Stand: 3. März 2014; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 101 Rn. 15a; Mannes/Peters-Lange, SGb 2011, 126, 130). Die Beklagte wird hierüber noch zu entscheiden haben.

Die Berufung ist hinsichtlich des Hilfsantrages nach § 44 SGB X zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist statthaft, unabhängig davon, ob man in dieser Konstellation eine Anfechtungsklage gegen den Ablehnungsbescheid vom 11. Mai 2001, kombiniert mit einer Verpflichtungsklage auf Aufhebung der bestandskräftigen Festsetzung vom 28. Oktober 1987 nach § 44 SGB X sowie einer unechten Leistungsklage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer höheren Rente (so die Auffassung der Mehrzahl der Senate des BSG, z. B. 8. Senat, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 12/10 R, juris, Rn. 9; weitere Nachweise bei Baumeister, in: jurisPK-SGB X, § 44 Rn. 154 Fn. 172, Stand: 8. April 2013, und Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 54 Rn. 20c) oder eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (so der 2. Senat des BSG, Urteil vom 10. Oktober 2006, B 2 U 20/05 R, juris, Rn. 10; vgl. auch Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 24/05 R, juris, Rn. 9) als statthaft ansieht.

Sie ist auch im Übrigen zulässig.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts lag in der Klageerwiderung allerdings nicht zugleich der Erlass eines Widerspruchsbescheides. Wegen der objektiven Funktion des Vorverfahrens und seiner förmlichen Ausgestaltung im SGG kann der Widerspruchsbescheid – auch im Hinblick auf prozessökonomische Erwägungen – prinzipiell nicht durch eine sachliche, auf Klageabweisung gerichtete Einlassung oder durch eine Klageerwiderung der für den Widerspruch zuständigen Behörde ersetzt werden; mit diesem Verständnis des Widerspruchsverfahrens zu Gunsten einer Selbstkontrolle der Verwaltung und zu Lasten der Prozessökonomie soll der Schutz des betroffenen Bürgers verbessert und die Sozialgerichtbarkeit entlastet werden (BSG, Urteil vom 25. April 2007, B 12 AL 2/06 R, juris, Rn. 20). Auch besondere Erklärungen in der mündlichen Verhandlung stellen in der Regel keine Widerspruchsentscheidung dar (vgl. BSG, Urteil vom 14. April 2011, B 8 SO 12/09 R, juris, Rn. 15). Bei einer anderen Handhabung würde der Zweck des (obligatorischen) Vorverfahrens nicht erreicht werden (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 78 Rn. 3c).

Ein Vorverfahren war jedoch vorliegend ausnahmsweise nicht erforderlich. Das Fehlen einer Widerspruchsentscheidung trotz zwingender Vorverfahrenspflicht (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) führt – zur Vermeidung einer Prozessabweisung – im Allgemeinen zwar dazu, den Beteiligten Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben. Dies ist jedoch dann entbehrlich, wenn das Vorverfahren gescheitert, d.h. von vornherein oder aufgrund der Stellungnahmen im Prozess ersichtlich ist, dass das noch mögliche Vorverfahren eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden vermag. Dann wäre es eine reine Förmelei, würde auf der Durchführung des Vorverfahrens bestanden (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1985, 7 Rar 23/84, juris, Rn. 16; ähnlich BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1990, 8 C 48/88, juris, Rn. 22). So liegen die Dinge hier. Jedenfalls im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung ist ein Widerspruchsbescheid – knapp dreizehn Jahre nach Erlass des Ausgangsbescheides und nach vielfachem Austausch der gegenseitigen Rechtsauffassungen – entbehrlich.

Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Ausführungsbescheides vom 28. Oktober 1987, des Ablehnungsbescheides vom 21. Mai 2001 und auf rückwirkende Bewilligung einer höheren Verletztenrente nach § 44 SGB X i.V.m. §§ 56, 90 SGB VII bzw. §§ 580, 573 RVO.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches – längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren – erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 15. Juni 2010, B 2 U 22/09 R, juris, Rn. 18).

Ohne Bedeutung hierbei ist zunächst der Verlust der Fähigkeit des Klägers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Denn dieser Umstand ist angesichts der für die Beteiligten bindenden rechtskräftigen Entscheidung (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG) des Senats vom 18. August 2009 (erst) zum 1. April 1989 und damit erst im Anschluss an den Vergleich und den Ausführungsbescheid eingetreten, sodass er im Rahmen des § 44 SGB X unbeachtlich ist und nur zu einer Aufhebung nach § 48 SGB X führen könnte (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 15. Juni 2010, B 2 U 22/09 R, juris, Rn. 18). Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht gegeben. Denn jedenfalls steht der Prozessvergleich vom 19. August 1987 einem Anspruch auf Aufhebung und Bewilligung einer höheren Verletztenrente nach § 44 SGB X entgegen.

Zwar steht ein gerichtlicher Vergleich (§ 101 Abs. 1 SGG) der Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht prinzipiell entgegen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit muss auch in den Fällen hinter den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten, in denen sich die Verwaltung von der Unrichtigkeit ihrer (zum Nachteil des Leistungsberechtigten) ergangenen Entscheidungen überzeugt bzw. überzeugen musste (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 17/13, juris, Rn. 21). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass die Beteiligten mit Abschluss des gerichtlichen Vergleiches eine endgültige Regelung hinsichtlich des konkreten Streitgegenstandes treffen und eine erneute Überprüfung ausschließen wollten (in diesen Sinne BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 17/13, juris, Rn. 21).

So liegen die Dinge hier. Die Beteiligten haben in dem Verfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S 4 U 260/84) einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, der nach der rechtskräftigen Entscheidung des Senats vom 18. August 2009 (L 3 U 169/06) wirksam war. Die Wirkung dieser Feststellung erstreckt sich auch auf das vorliegende Verfahren. Mit diesem Vergleich wollten die Beteiligten endgültig die Frage des maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstes regeln und eine erneute Überprüfung insofern ausschließen.

Dies ergibt sich insbesondere aus dem unklaren und komplexen Sachverhalt, der der Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes zugrunde lag. Im Streit stand die Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 1 RVO. Nach dieser Vorschrift ist der Jahresarbeitsverdienst für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu zu berechnen, wenn sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand (Satz 1), wobei der Berechnung das Entgelt zugrunde zu legen ist, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist. Angesichts der wechselhaften Ausbildungsbiographie und dem Zeitpunkt des Arbeitsunfalls – der frühen Kindheit des Klägers – war die Einschätzung nach § 573 Abs. 1 RVO von vielen Unwägbarkeiten gekennzeichnet. Bis heute ist unklar, welche Ausbildung der Kläger zu welchem Zeitpunkt ohne den Unfall voraussichtlich abgeschlossen hätte. Eine Neuberechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs. 1 RVO kommt aber nicht in Betracht, wenn der Verletzte die Ausbildung aus unfallunabhängigen Gründen abbricht, ohne dass die Unfallfolgen wesentlich dazu beitragen (BSG, Urteil vom 28. August 1990, 2 RU 7/90, juris, Rn. 16). Die Probleme, die mit der Prognose über den hypothetischen Ausbildungsverlauf nach § 573 Abs. 1 RVO bzw. § 90 Abs.1 SGB VII bei Unfällen im Kindesalter verbunden sind, insbesondere bei schwerwiegenden Verletzungen mit neurologischen und intellektuellen Ausfallerscheinungen, haben zur Regelung des § 90 Abs. 4 SGB VII geführt (Schudmann, in: jurisPK-SGB VII, § 90 Rn. 95, Stand: 15. März 2014). Danach wird der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 21. Lebensjahres auf 75 v.H. und mit Vollendung des 25. Lebensjahres auf 100 v.H. der zur Zeit des Versicherungsfalles maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Berufsausbildung eingetreten ist und sich nicht feststellen lässt, welches Ausbildungsziel die Versicherten voraussichtlich erreicht hätten. Diesen pauschalen Werten liegt unter anderem die Erwägung des Bundessozialgerichts zu § 577 RVO zugrunde, dass bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte von einem durchschnittlichen beruflichen Werdegang auszugehen ist (Schudmann, in: jurisPK-SGB VII, § 90 Rn. 96, Stand: 15. März 2014). Allerdings wäre dieser Jahresarbeitsverdienst für den Kläger deutlich ungünstiger gewesen als der im Prozessvergleich vereinbarte.

Dass auch der Kläger damit einverstanden war, dass eine erneute Überprüfung des Regelungsgegenstandes des Prozessvergleiches ausgeschlossen sein sollte, ergibt sich aus seiner Erklärung, weitere Ansprüche hinsichtlich der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nicht mehr geltend zu machen. Ob hierin zugleich ein konkludenter Verzicht auf Sozialleistungen nach § 46 SGB I zu sehen ist, kann dahinstehen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 17/13, juris, Rn. 21). Jedenfalls kann die Erklärung des Klägers aus einem objektiven Empfängerhorizont nur so gedeutet werden, dass die Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes auch von ihm nicht mehr in Frage gestellt wird, zumindest insoweit, als der Sachverhalt bis zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses betroffen ist. Der Vergleich ist damit so zu verstehen, dass die Beteiligten eine Befriedigung und endgültige Lösung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen – jedenfalls für die Vergangenheit – erreichen wollten (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 17/13, juris, Rn. 23). Ob gegebenenfalls ein Anpassungsanspruch wegen veränderter Verhältnisse nach § 48 SGB X in Betracht kommt, ist für den Anspruch nach § 44 SGB X ohne Belang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung folgt aus § 160 Abs. 2 SGG.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

Weitere Artikel zum Thema:

Rentenversicherung

Rentenversicherung

Gesetzliche Rentenversicherung

Krankenversicherung

Krankenversicherung

Gesetzliche Krankenversicherung

Pflegeversicherung

Pflegeversicherung

Gesetzliche Pflegeversicherung

Unfallversicherung

Unfallversicherung

Gesetzliche Unfallversicherung