Landessozialgericht Hessen 18.08.2009, L 3 U 133/07

  • Aktenzeichen: L 3 U 133/07
  • Spruchkörper: 3. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 10 U 37/02
  • Instanzgericht: Frankfurt/Main
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 18.08.2009

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Unfallfolgen und die Zahlung von Entschädigungsleistungen streitig.

Die Klägerin ist 1950 geboren und erlitt am 22. Dezember 1998 einen Autounfall, als sie sich in ihrer Eigenschaft als Inhaberin der Firma V. in N-Stadt auf der Rückkehr von einem Kundenbesuch befand. Während des Unfallgeschehens saß sie angeschnallt auf dem Beifahrersitz, als der mit Nackenstützen ausgerüstete Pkw wegen eines vorausfahrenden Fahrrades plötzlich abbremsen musste und ein nachfolgender Pkw auffuhr. Aufgrund des Aufpralls wurde die Klägerin aus der nach vorn gebeugten Position nach hinten geschleudert. Die Klägerin wurde am 23. Dezember bis zum 30. Dezember 1998 stationär in der Unfallchirurgie der Uniklinik C-Stadt behandelt, wo man einen Bandscheibenvorfall im Segment Halswirbelkörper (HWK) 6/7 nach Anfertigung von Röntgenbildern und MRT-Befunden (29. Dezember 1998) feststellte. Eine Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit erfolgte nach dem Unfall nicht. Laut Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. K. vom 29. Dezember 1998 erlitt die Klägerin durch das Unfallereignis eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS).

Vom 9. März bis 14. April 1999 wurde die Klägerin in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGUK) in C-Stadt stationär behandelt. Laut Entlassungsbericht vom 29. April 1999 erlitt die Klägerin durch den angeschuldigten Unfall eine distorsielle Läsion der Halswirbelsäule sowie eine Prellung der linken Schulter. Sie wurde nach dem Bericht ab dem 19. April 1999 arbeitsfähig entlassen bei voraussichtlich nicht verbleibender Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Es folgte am 23. August 1999 eine Operation eines Engpasssyndroms an der linken Schulter in der BGUK C-Stadt. Laut dem Befundbericht des behandelnden Facharztes für Chirurgie WI. lautete die Diagnose "Impingement Syndrom linke Schulter, Ausschluss einer Rotatorenmanschettenruptur, chronischer cervicobrachialer Schmerzzustand links bei bekannter mediolateraler Bandscheibenprotrusion HWK 6/7". Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte weitere medizinischen Unterlagen bei und holte Arztbriefe der behandelnden Ärzte ein. Ein im Auftrag der Kfz-Haftpflichtversicherung erstattetes unfallchirurgisches Zusammenhangsgutachten vom 28. Oktober 1999, erstellt durch Dr. PA., wurde der Beklagten vom KFZ-Versicherer direkt zugeleitet. Des Weiteren veranlasste sie Untersuchungen durch den Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arzt Dr. PP. vom 13. Oktober 1999, der einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel diagnostizierte, sowie bei Dr. FL. vom 8. Oktober 1999, der bei der Klägerin ein Ulnaris-Innensyndrom beidseits, eher rechtsbetont, diagnostizierte sowie eine leichte Läsion des C7-Segments links. Auf Wunsch der Beklagten übersandte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein KFZ-Sachverständigengutachten des Ingenieur-Büros E. vom 30. Dezember 1998.

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Priv.-Doz. Dr. W. vom 2. März 2000, in welcher dieser ausführte, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 19. April 1999 gerechtfertigt sei, jedoch aus neurochirurgischer Sicht keine Unfallfolgen vorlägen und insbesondere eine MdE nicht zu erwarten sei, lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalles vom 22. Dezember 1998 mit Bescheid vom 28. März 2000 ab. Die Klägerin habe sich durch den Unfall eine weichgewebige Verstauchung der erheblich degenerativ vorgeschädigten Halswirbelsäule zugezogen. Die Folgen dieser Verletzung seien am 18. April 1999 bereits so weit ausgeheilt gewesen, dass darüber hinaus weder unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit, noch Behandlungsbedürftigkeit bestanden habe. Eine rentenberechtigende MdE über die 26. Woche habe nicht vorgelegen.

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 17. April 2000 veranlasste die Beklagte die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bzw. eines freien unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens bei Priv.-Doz. Dr. W. vom 6. Juni 2001, in welchem dieser bei der Klägerin das Bestehen eines Impingement-Syndroms der linken Schulter aufgrund degenerativer Veränderungen, schwere degenerative Veränderungen der HWS in den unteren Segmenten mit medio lateraler Bandscheibenprotrusion im Segment HWK 6/7 mit C7-Reizsyndrom, den Verdacht auf paroxysmalen benignen Lagerungsschwindel sowie eine sekundäre hochgradige Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke und der HWS bei chronischem Schmerzsyndrom feststellte. Sämtliche Befunde seien jedoch nicht ursächlich auf den Unfallschaden vom 22. Dezember 1998 zurückzuführen.

Die Klägerin legte eine fachradiologische Stellungnahme von dem Radiologen Dr. I. vom 2. April 2001 sowie ein radiologisches Zusatzgutachten dieses Arztes vom 16. August 2001 vor, wonach bei der Klägerin eine eindeutig chronisch muskulo-skelettale Dysfunktion aufgrund eines HWS-Rotationstraumas vorlag. Nachdem die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme bei Priv.-Doz. Dr. W. vom 3. November 2001 eingeholt hatte, in der dieser Dr. I. entgegentrat und ausführte, dass die unfallnah stattgefundene MRT-Untersuchung vom 29. Dezember 1998 keine traumatischen Veränderungen der Halswirbelsäule ergeben hätte, wies sie den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2001 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 4. Januar 2000 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von dem Orthopäden und Rheumatologen Prof. Dr. F. vom 31. Mai 2005, in welchem dieser ebenfalls bei der Klägerin mittelgradige degenerative Veränderungen im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. und 6. sowie 6. und 7. HWK in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer festgestellt sowie im Segment C5/6 eine Vorwölbung im Segment C6/7 bei nach unten an die Hinterwand des 7. HWK abgesacktem Bandscheibenvorfall diagnostiziert hat. Des Weiteren hat er im Bereich der linken Schulter reizlose punktförmige Narben nach Schultergelenkspiegelung und subacromialer Dekompression im August 1999 sowie eine hälftig eingeschränkte Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen festgestellt. Insgesamt ist der Sachverständige zu der Auffassung gelangt, dass keine der oben genannten Gesundheitsstörungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 22. Dezember 1998 zurückzuführen sei.

Das SG hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein fachorthopädisches Gutachten bei Dr. D. vom 14. März 2007 eingeholt, der bei der Klägerin eine muskuläre Verspannung der Schulter-Nacken-Muskulatur bei segmentalem Funktionsverlust der unteren HWS aufgrund eines unfallunabhängigen Bandscheibenschadens sowie eine Funktionseinbuße des Schultergelenks links bei subacromialem Impingement bedingt durch muskuläre Dysbalance Wirbelsäulenfehlstatik und unfallunabhängigem Aufbrauchschaden der Rotatorenmanschette feststellte. Auch er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit nicht mittelbar oder unmittelbar im Sinne der Entstehung oder der Verschlimmerung ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 22. Dezember 1998 zurückzuführen seien.

Durch Urteil vom 26. April 2007 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die eingeholten Sachverständigengutachten bezogen.

Gegen das am 6. Juni 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 20. Juni 2007.

Die Klägerin vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die von ihr geltend gemachten Beschwerden Folgen des angeschuldigten Arbeitsunfallereignisses vom 22. Dezember 1998 seien, insbesondere sei es hierdurch zu einer Verschlimmerung des bestehenden Bandscheibenvorfalls im Segment C6/7 dorso-lateral linksseitig gekommen. Des Weiteren werde in den erfolgten Begutachtungen kein Bezug auf die ausgeprägte Schmerzsymptomatik genommen. Des Weiteren vertritt sie die Auffassung, dass sie über den Zeitpunkt der Entlassung aus stationärer Behandlung am 18. April 1999 hinaus arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, weshalb ihr entsprechend Verletztengeld zu gewähren sei. Die Dauer der verletzungsbedingten Arbeitsunfähigkeit sowie die Höhe der verbliebenen MDE seien insbesondere auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet durch entsprechende Gutachten zu ermitteln. Hierzu trägt sie vor, dass die Beklagte ein Gutachten ihrer privaten KFZ-Haftpflichtversicherung eingeholt hätte, ohne vorher ihr Einverständnis einzuholen, was nach ihrer Auffassung die Unverwertbarkeit dieses wie auch aller nachfolgenden Gutachten nach sich ziehe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. April 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2001 zu verurteilen, ihre Beschwerden im Halswirbelsäulenbereich sowie im Bereich der linken Schulter als Folgen des Arbeitsunfalls vom 22. Dezember 1998 anzuerkennen sowie Verletztengeld über den 18. April 1999 hinaus und Verletztenrente in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der angegriffenen Bescheide sowie das Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Gutachten der KFZ-Versicherung sei von ihr nicht beigezogen, sondern von dieser unaufgefordert zu den Akten gereicht worden.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines radiologischen Sachverständigengutachtens bei Priv.-Doz. Dr. E., der im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen hat:

  1. Im Bereich der HWS lag zum Unfallzeitpunkt ein kleiner subligamentärer dorso-lateral linksseitig gelegener Bandscheibenvorfall im Segment C6/7 vor, der sich im weiteren dokumentierten Verlauf deutlich zurückgebildet hat. Es besteht weiterhin eine Osteochondrose der unteren HWS-Segmente. Die Aufnahmen zeigen keine erlittene okkulte knöcherne Verletzungen, keine Luxationen in den Zwischenwirbelgelenken und auch keine relevanten Rotationsfehlstellungen der Wirbelkörper gegeneinander. An der linken Schulter findet sich ein klassisches subacromiales Engpasssyndrom, welches offensichtlich arthroskopisch behandelt wurde.
  2. Aufgrund der vorliegenden Aufnahmen sind die beschriebenen Veränderungen allesamt nicht als Folge des am 22. Dezember 1998 erlittenen Pkw-Unfalles anzusehen. Bezüglich des zu dem damaligen Zeitpunkt bestandenen Bandscheibenvorfalles ist aber nicht auszuschließen, dass es durch den Auffahrunfall zu einer Verschlimmerung der krankheitsbedingten Ausstrahlungen z.B. auch in die linke Schulter bzw. den linken Arm kam. Im weiteren Verlauf zeigt sich jedoch erfreulicherweise eine deutliche Rückbildung des Befundes."

Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten (Band I und II) und die Beklagtenakten (Band I und II) Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid vom 28. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, mangels unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit über den 18. April 1999 hinaus kein Verletztengeld sowie auch keine Verletztenrente zu.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) wird Verletztengeld erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls – hier der Arbeitsunfall vom 22. Dezember 1998 – arbeitsunfähig ist oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann.

Nach § 56 Abs. 1 des SGB VII haben diejenigen Versicherten Anspruch auf eine Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist.

Nach § 8 SGB VII SGB VII ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleidet. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Wirken eine krankhafte Veranlagung und ein Unfallereignis bei der Entstehung einer Körperschädigung zusammen, so sind beide Umstände Bedingungen im naturwissenschaftlichen Sinne für das Unfallgeschehen. Nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung zur Beurteilung von Zusammenhangsfragen anzuwendenden Theorie von der wesentlichen Bedingung ist dann zu beurteilen, ob das Unfallereignis eine wesentlich mitwirkende Bedingung für die Schädigung gewesen ist oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache war. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis, nach welcher jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (s. Bundessozialgericht –BSG-, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, Juris). Im Sozialrecht erfolgt diese Unterscheidung und Zurechnung mangels einer Verschuldensprüfung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung, nach welcher als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (s. bereits BSGE 1, 72, 76 sowie 1, 150, 156; BSG, Urteil vom 12. April 2005, BSGE 94, 269). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Hierbei gilt, dass es mehrere rechtliche Mitursachen geben kann, wobei sozialrechtlich alleine relevant ist, ob das Unfallereignis als solches wesentlich war. Ob es eine konkurrierende Ursache war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, a.a.O.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannten Ursachen "wesentlich" und damit Ursachen im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber im zweiten Prüfungsschritt nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingungen im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f.; BSGE 94, 269). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen oder abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlich äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f.; BSG, Urteil vom 12. April 2005, Az.: B 2 U 27/04, BSGE 94, 269). Bei der Abwägung kann zum einen der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkungen gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Schluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist.

Weitere Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens, wobei allerdings eine Ursache nicht deswegen wesentlich ist, weil sie die letzte war, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (s. BSGE 38, 127, 129 sowie BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass das Unfallereignis selbst sowie die versicherte Tätigkeit als auch die Erkrankung mit dem sog. Vollbeweis nachgewiesen sein müssen. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSGE 45, 19; BSGE 7, 103, 106 sowie 19, 52, 53). Für die Kausalbeziehungen zwischen dem unfallbringenden Verhalten und der Krankheit hingegen genügt nach herrschender Meinung der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen Ursachenzusammenhang spricht bzw. wenn der bei Berücksichtigung aller Umstände die für den Ursachenzusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gegründet werden kann, wobei die bloße Möglichkeit hingegen nicht ausreicht (s. BSGE 19, 5, 53; BSGE 32, 203, 209, BSG, Urteil vom 2. Juni 1959 – SozR 3-542 RVO a.F. Nr. 120).

Zwischen den Beteiligten steht unstreitig fest, dass die Klägerin am 22. Dezember 1998 einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall erlitten hat, als sie auf der Rückfahrt von einem Kundenbesuch als Beifahrerin im Pkw ihres Mitarbeiters einen Auffahrunfall erlitt, und dass dadurch bei ihr eine HWS-Distorsion verursacht wurde. Zur Überzeugung des Senats ist es jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass bei der Klägerin weitergehende Gesundheitsstörungen auf den Arbeitsunfall vom 22. Dezember 1998 zurückzuführen sind, insbesondere nicht, dass die Klägerin infolge des Arbeitsunfalles vom 22. Dezember 1998 mehr als eine geringgradige HWS-Distorsion erlitten hat. So ergibt sich bereits aus dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F. vom 11. März 2005, dass die von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden durch im Bereich der HWS festzustellende mittelgradige degenerative und damit veranlagungsbedingte Veränderungen im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. und 6. sowie 6. und 7. HWK in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer nach vorn und hinten weisenden knöchernen Randwülsten an den Grund- und Deckenplatten die Verknöcherungen in Projektion auf das vordere Längsband zu erklären sind. Dieser Befund wird laut Prof. Dr. F. auch durch das Ergebnis der Kernspintomographie bestätigt. Der Gutachter hat bereits dargelegt, dass keine der oben genannten Gesundheitsstörungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das angeschuldigte Arbeitsunfallereignis zurückzuführen ist. Zum gleichen Ergebnis ist der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. D. in seinem Gutachten vom 14. März 2007 gelangt, der ebenfalls ausführt, dass die von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen an der HWS auf einer deutlichen muskulären Verspannung der Schulter-Nacken-Muskulatur infolge eines degenerativen segmentalen Funktionsverlustes der unteren HWS beruhen. Dr. D. legt für den Senat überzeugend dar, dass diese degenerativen Bandscheibenveränderungen mit ihren reaktiven Veränderungen der korrespondierenden Grund- und Deckenplatten schon zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens bildgebend nachweisbar waren.

Die Richtigkeit dieser Einschätzungen der im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Sachverständigen wird im Berufungsverfahren bestätigt durch das eingeholte radiologische Sachverständigengutachten von Priv.-Doz. Dr. E. vom 24. September 2008, der unter Auswertung von Röntgenbildern der HWS vom 22. Dezember 1998 sowie konventionellen Aufnahmen der HWS vom 29. Mai 2002 und Übersichtsaufnahmen bzw. Funktionsaufnahmen vom 30. Mai 2006 als auch unter Berücksichtigung der am 29. Dezember 1998 angefertigten MRT-Untersuchung der HWS sowie MRT-Verlaufskontrollen vom 14. Mai 1999, 1. Juli 2000 und 17. August 2001 und weiterer Röntgenübersichtsaufnahmen vom 11. März 1999, MRT-Tomographien des linken Schultergelenkes vom 17. März 1999, einer MRT-Verlaufskontrolle vom 13. Oktober 1999 sowie ein MRT des linken Schultergelenkes vom 1. Juli 2000, für den Senat überzeugend darlegt, dass bereits zum Unfallzeitpunkt im Bereich der HWS ein kleiner subligamentärer dorso-lateral linksseitig gelegener Bandscheibenvorfall im Segment C6/7 vorgelegen hatte, der sich sodann im weiteren dokumentierten Verlauf deutlich zurückgebildet hat. Weiterhin besteht danach eine Osteochondrose der unteren HWS-Segmente. Die Aufnahmen zeigen jedoch keine erlittene knöcherne Verletzung, keine Luxation in den Zwischenwirbelgelenken und auch keine relevanten Rotationsfehlstellungen der Wirbelkörper gegeneinander. Danach findet sich an der linken Schulter ein klassisches subacromiales Engpasssyndrom, welches offensichtlich arthroskopisch behandelt wurde. Hieraus folgert der Gerichtssachverständige Priv.-Doz. Dr. E. für den Senat überzeugend, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden nicht als Folge des angeschuldigten Arbeitsunfallereignisses vom 22. Dezember 1998 angesehen werden können. Zwar ist es nach den schlüssigen Ausführungen dieses Sachverständigen nicht auszuschließen, dass es durch den Auffahrunfall zu einer Verschlimmerung des subligamentären kleinen Vorfalls mit entsprechender krankheitsbedingter Ausstrahlung gekommen ist, z.B. in die linke Schulter bzw. den linken Arm. Jedoch zeigt der weitere Verlauf eine deutliche Rückbildung des Befundes.

Ein Unfallereignis kann zwar als Ursache einer Verschlimmerung zu werten sein, Voraussetzung ist jedoch, dass das Unfallereignis auf einen vorbestehenden Gesundheitsschaden einwirkt und diesen in eine geänderte Erscheinungsform bringt, wobei der gesamte Gesundheitsschaden rechtlich zerlegt wird in einen allein vor dem Unfall bestehenden und den danach gegebenen und durch ihn wesentlich bedingten verschlimmerten Teil. Da nur der letztere Anteil der Verschlimmerung unfallversicherungsrechtlich relevant ist, muss er entsprechend abgrenzbar sein (s. Brackmann/Krasney, § 8 Rdnr. 383; s. auch LSG Schleswig, Breithaupt 1956, 955, 958). Abgesehen davon, dass es auch nach Aussage des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. E. lediglich möglich ist, dass es durch das angeschuldigte Unfallereignis zu einer vorübergehenden Verschlimmerung gekommen ist – was bei erstmaliger Behandlung der Schulterbeschwerden im August 1999 und damit mehr als acht Monate nach dem Unfallereignis nicht wirklich überzeugt - hat sich nach seiner Bewertung eine solche etwaige Verschlimmerung bzw. der Bandscheibenvorfall als solcher deutlich zurückgebildet, so dass keinerlei Entschädigungsleistungen hierfür verlangt werden könnten.

Dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2009, dass ein für die KFZ-Versicherung erstelltes Gutachten nicht ohne ihr Einverständnis hätte verwertet und zur Akte genommen werden dürfen sowie dass die dortigen aus ihrer Sicht falschen Angaben zum Unfallhergang die Meinung der später in Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Gutachter beeinflusst hätten und deshalb nicht überzeugen könnten, vermochte der Senat nicht zu folgen. Ein Beweisverwertungsverbot aufgrund Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Vorschriften ist hier nicht gegeben. Die Vorschrift § 200 Abs. 2 HS 2 SGB VII, die den Unfallversicherungsträger verpflichtet, den Versicherten auf das Widerspruchsrecht gegen die Übermittlung seiner Sozialdaten nach § 76 Abs. 2 SGB X hinzuweisen, ist auf das für die KFZ-Versicherung erstellte chirurgische Gutachten von Dr. PA. nicht anwendbar, weil es sich dabei nicht um ein von der Beklagten veranlasstes Gutachten handelt. Im Übrigen ist § 76 SGB X schon nicht einschlägig, da Adressat dieser normativen Übermittlungsreglung gem. § 1 SGB X ausschließlich Behörden sind, zu denen nicht die in Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführte KFZ-Versicherung gehört; denkbar wäre daher allenfalls ein Verstoß gegen § 15 Abs 1 i.V.m. § 14 BDSG. Selbst bei der Annahme, das Gutachten von Dr. PA. sei unter Verstoß gegen § 200 Abs. 2 HS 2 SGB VII zu den Akten gelangt und unterliege wie u. U. die eingeholten Folgegutachten einem Beweisverwertungsverbot, hätte es einer rechtzeitigen Rüge des Verfahrensmangels in der dem Verstoß nachfolgenden mündlichen Verhandlung - im vorliegenden Fall im Termin vor dem SG am 26. April 2007 – bedurft (BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris). Da dies nicht geschah und der damals noch mandatierte Rechtsanwalt der Klägerin am 24. Juli 2002 und damit zuvor Akteneinsicht gem. § 120 SGG genommen hatte, ist eine erfolgreiche Rüge gem. § 202 SGG i.V.m. § 295 ZPO nunmehr ausgeschlossen (s. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R - SGB 2009, 40 ff.). Sofern die Klägerin sich gegen die Verwertung des KFZ-Schadensgutachten wendet, ist zudem darauf hinzuweisen, dass es dem Akteninhalt zufolge der im Verwaltungsverfahren mandatierte Prozessbevollmächtigte war, der dieses Gutachten der Beklagten zugeleitet hat. Da sich die Klägerin sämtliche Handlungen ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 SGB X), verstößt das jetzige Berufen auf ihr fehlendes Einverständnis gegen die auch im Sozialrecht anwendbaren Grundsätze von Treu und Glauben (venire contra factum proprium; s. BSGE 65, 272, 277 m.w.N.; BSG SozR 4-2400 § 27 Nr. 1 Rdnr. 14) und ist unbeachtlich.

Auch die sonstigen von der Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung angesprochenen Punkte vermochten den Senat von keinem anderen Ergebnis zu überzeugen. So ist es für die Bewertung der Unfallfolgen unerheblich, ob sich die Klägerin während der medizinischen Behandlung ausreichend durch Ärzte betreut gefühlt hat, vielmehr kommt es entscheidend auf die dokumentierten Befunde, die jeweils von den behandelnden Ärzten unterzeichnet wurden, an. Auffallend ist ferner, dass die Klägerin zweifach in Folge des Unfallereignisses in stationärer Behandlung war, aber die von ihr als Folge des Unfallgeschehens geltend gemachten Schulterbeschwerden erstmals im März 1999 behandelt wurden, was einen Unfallzusammenhang nicht unbedingt nahelegt. Schließlich kann auch aus der Verschreibung des Muskelrelaxans Musaril im März 1999 kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis abgeleitet werden, weil unstreitig bis 18. April 1999 bei ihr unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestand. Selbst wenn die von der Klägerin behauptete Packungsgröße nahelegen würde, dass Arbeitsunfähigkeit länger bestanden hat, würde dies nicht beweisen, dass diese angesichts der von allen gehörten Medizinern festgestellten erheblichen degenerativen Veränderungen auch unfallbedingt war.

Der Senat sah auch keine Veranlassung, ein weiteres Sachverständigengutachten zu etwaigen neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsschäden als Folgen des angeschuldigten Arbeitsunfalles einzuholen. Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt zwar von Amts wegen, es ist jedoch an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Insbesondere muss das Gericht nicht nach Tatsachen forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten (s. BSGE 87, 132, 138; 36, 107, 110). Besonders für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es weiterer Anknüpfungstatsachen, die die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Sachverständigen zur Beurteilung dieser Tatsachen nahelegen. Solche liegen jedoch erkennbar nicht vor.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben und war im Ergebnis zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 160 Abs. 2 SGG, dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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