Landessozialgericht Hessen, L 3 U 271/08 B ER
- Aktenzeichen: L 3 U 271/08 B ER
- Spruchkoerper: 3. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 8 U 226/08 ER
- Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt am Main
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Beschluss
- Entscheidungsdatum: 27.03.2009
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr Verletztenrente in bestimmtem Umfang und auf unbestimmte Zeit zu gewähren.
Die 1968 geborene Klägerin erlitt am 25. November 2002 auf dem Heimweg von ihrer beruflichen Tätigkeit als Buchhalterin einen Verkehrsunfall als Fußgängerin. Dabei wurde sie beim Überqueren einer Straße auf einem Zebrastreifen von einem Pkw erfasst. Sie erlitt eine komplexe Zertrümmerung fast der gesamten knöchernen linken Gesichtshälfte (Jochbeinfraktur, Jochbogenfraktur, Orbitabogenfraktur, Alveolarfortsatzfraktur, inkomplette Le Fort I Fraktur). Dem Unfall nachfolgend waren die microchirurgische Rekonstruktion des abgerissenen Nervus infraorbitalis, die Reposition der komplexen Gesichtsschädelfrakturen sowie weitere kiefer- und gesichtschirurgische Behandlungen vorgenommen worden.
Am 28. September 2005 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin wegen des Ereignisses vom 25. November 2002 die Gewährung von Entschädigungsleistungen in Form einer Verletztenrente. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 15. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 mit der Begründung ab, bei der Antragstellerin bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
Dagegen hat die Klägerin am 13. Juli 2006 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage erhoben (Az.: S 8 U 187/06). Das SG hat in dem genannten Hauptsacheverfahren Prof. Dr. OER. als Sachverständigen angehört, der in seinem Gutachten vom 3. August 2007 zu dem Ergebnis gelangt ist, die unfallbedingte MdE der Antragstellerin betrage 20 v.H ... Diese Einschätzung hat der Sachverständige mit seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 4. Dezember 2007 und 9. Mai 2008 verteidigt. Bei der Klägerin liege eine Anpassungsstörung und auf psychischem Gebiet eine MdE von 10 v.H. vor. Auf somatischem Gebiet betrage nach der schweren Gesichtsfraktur mit entsprechend persistierenden Beschwerden im Sinne von Kopfschmerzen und dadurch bedingten Schlafstörungen die MdE weiterhin 10 v.H., so dass die Gesamt-MdE 20 v.H. betrage. Dem ist die Antragsgegnerin durch Vorlage beratungsärztlicher Stellungnahmen des Dr. EX. vom 19. September 2007 und 13. Februar 2008 entgegengetreten. Für die jetzige Beschwerdesymptomatik bei der Antragstellerin seien ausschließlich persönlichkeitsimmanente Faktoren als ursächlich anzusehen. Eine rentenberechtigende MdE auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet liege nicht vor. Das SG hat sodann ein neuropsychologisches Gutachten nach Aktenlage bei dem klinischen Neuropsychologen Dr. POWE. eingeholt, der unter dem 19. November 2008 zu dem Ergebnis gelangt ist, die Antragstellerin sei in ihrer Konzentrationsfähigkeit und in der psychophysischen Belastbarkeit beeinträchtigt. Durch eine Verletzung des Gesichtsschädels, eine leichte Hirnbeeinträchtigung, psychosoziale Belastungsfaktoren und eine ungünstige Verarbeitung des Unfallgeschehens (Anpassungsstörung) sei die Antragstellerin zur Zeit überfordert und kaum zu einer beruflichen Tätigkeit in der Lage. Die Konzentrations- und Belastungsschwäche sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Folge des Unfalls und als Auswirkung der Gesichtsschädelverletzung, einer leichtgradigen Hirnbeeinträchtigung und der Anpassungsstörung zu erklären. Die psychosozialen Belastungsfaktoren bestünden unabhängig vom Unfallereignis und würden einen additiven Faktor im Gesamtbild darstellen. Ohne diese hinzukommenden Belastungen wäre es der Antragstellerin wahrscheinlich möglich gewesen, die derzeit bestehende Überforderungssituation zu vermeiden. Der Grad der unfallbedingten MdE werde aus neuropsychologischer Sicht mit 20 v.H. geschätzt. Da seit dem Unfall bereits sechs Jahre vergangen seien, müsse bei der Antragstellerin im Wesentlichen von einem Dauerzustand ausgegangen werden. Hinsichtlich der weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes führte Dr. POWE. aus, die kontroverse Beurteilung des MRT-Befundes vom 24. April 2007 könne eine weitere gutachterliche Stellungnahme aus neuroradiologischer und neurotraumatologischer Sicht erforderlich machen, um die Tatsache, den Zeitpunkt und die Schwere einer möglichen Hirnschädigung zu klären.
Unter dem 15. Januar 2009 hat das SG die Erstattung eines Sachverständigengutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung der Antragstellerin bei Prof. Dr. WER., Institut für Neuroradiologie, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie der Uni-Klinik A-Stadt, in Auftrag gegeben und zugleich um Veranlassung einer neurotraumatologischen Begutachtung durch Prof. Dr. WQ. gebeten. Die Gutachten liegen derzeit noch nicht vor.
Am 30. September 2008 hat die Antragstellerin beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und geltend gemacht, ihr sei wegen der Folgen des Ereignisses vom 25. November 2002 ab Antragstellung eine Rente nach einer MdE von 40 v.H. und in Höhe von 760,98 EUR zu gewähren. Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich aus dem seit nunmehr sechs Jahren andauernden Verfahren und aus der Tatsache, dass anderenfalls die Gefahr bestehe, dass sie schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen treffen müsse, die nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
Durch Beschluss vom 13. November 2008 hat das SG den Antrag der Antragstellerin abgelehnt und ausgeführt, bereits ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Denn ein Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren sei völlig offen. Die medizinischen Fragen könnten bei der allein möglichen summarischen Prüfung im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht abschließend beantwortet werden. Zudem habe die Antragstellerin keine Gründe glaubhaft gemacht, die eine Entscheidung gerade im einstweiligen Anordnungsverfahren erfordern würden. Das Begehren der Antragstellerin sei außerdem auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, die in ihrem Fall auch nicht ausnahmsweise erfolgen dürfe. Denn der Antragstellerin würden keine wesentlichen Nachteile drohen bis im Hauptsacheverfahren geklärt sein würde, ob und in welcher Höhe bei ihr eine MdE gegeben sei. Aus ihrem Vortrag ergebe sich nicht, dass sie trotz längerer Bearbeitungsdauer nicht auf die Klärung im Klageverfahren verwiesen werden könne. Das Interesse der Antragstellerin an einer schnellen und endgültigen Klärung, in welchem Umfang Entschädigungsleistungen gegebenenfalls zu gewähren seien, habe hinter dem Interesse der Antragsgegnerin an einer gründlichen und sorgfältigen rechtlichen Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zurückzustehen. Sie habe folglich hinzunehmen, dass es eine Zeit dauern werde, bis über ihre Ansprüche endgültig entschieden werden würde.
Gegen den ihr am 22. November 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 22. Dezember 2008 beim Hessischen Landessozialgericht Beschwerde eingelegt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 26. Januar 2009 hat der Senat die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 10. Februar 2009 aufgefordert darzulegen und glaubhaft zu machen, welche schwerwiegenden und unzumutbaren Vermögensdispositionen sie im Falle des Abwartens einer Hauptsacheentscheidung treffen müsse. Zugleich hat der Senat der Antragstellerin aufgegeben darzulegen und glaubhaft zu machen, welche Mittel ihr zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes aktuell zur Verfügung stehen. Mit Schreiben vom 12. Februar 2009 hat die Antragstellerin mitgeteilt, sie sei wegen ihrer Behinderungen und insbesondere wegen der seit Jahren andauernden Schmerzzustände außer Stande, einem geregelten Tagesablauf nachzukommen. Insbesondere seien Arbeiten unter Terminsetzung nicht mehr möglich. Aus den vorliegenden Gutachten und Befundberichten sei ersichtlich, dass sie nicht arbeitsfähig sei. Weiterer Vortrag erfolge, sowie sie die notwendige Kraft dazu aufbringen könne. Der Senat hat die Antragstellerin schließlich zu einem auf den 10. März 2009 bestimmten Erörterungstermin persönlich geladen. Diese teilte daraufhin mit Schreiben vom 1. März 2009 mit, sie sei aus gesundheitlichen Gründen außer Stande, der Aufforderung des Gerichts nachzukommen. Wegen einer schon durch leichten kalten Luftzug auszulösenden Trigeminusneuralgie könne sie das Haus nicht verlassen sowie wegen der neurologisch bedingten Aufmerksamkeitsdefizite einer mündlichen Verhandlung nicht folgen und erst recht nicht ihre Rechtsposition wahrnehmen. Zur Glaubhaftmachung verweise sie auf den Inhalt der im Hauptsacheverfahren vom SG eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. OER., Dr. POWE. sowie des Diplom-Psychologen RS ... Dagegen seien die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. EX. aus den Gerichts- und Verwaltungsakten zu entfernen, denn der genannte Arzt stehe nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten und sei somit nicht Teil der Verwaltung. Mangels Vorliegens von ihr diesbezüglich abzugeben gewesener Erklärungen habe die Beklagte mit ihrer Verfahrensweise gegen den Datenschutz verstoßen wie das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2008 (Az.: B 2 U 10/07 R) festgestellt habe. Hinsichtlich der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gab die Antragstellerin schließlich an, ein monatliches Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von circa 521,00 EUR zu erzielen sowie Kindergeld in Höhe von 328 EUR und Kindesunterhalt in Höhe von 254,00 EUR zu beziehen. Sozial- oder sonstige Transferleistungen erhalte sie nicht. Ersparnisse seien ebenso wenig vorhanden wie Personen, die sie finanziell unterstützen könnten. Sie sei damit außer Stande, den Lebensunterhalt für sich und ihre beiden Kinder sicherzustellen. Da sie die Energiekosten nicht mehr habe aufbringen können, sei bereits am 16. Dezember 2008 ihre Wasserversorgung eingestellt worden, was zur Folge gehabt habe, dass auch die Heizung mangels Wasserdruck auf den Leitungen nicht mehr funktionsfähig sei. Wegen ihrer Armut sei sie schließlich auch von Zwangsvollstreckungen, insbesondere Erzwingungshaft bedroht. Es sei insoweit höchste Gefahr im Verzug, da deshalb zugleich ihr Recht auf Wahrnehmung der Personensorge für ihre beiden Kinder bedroht sei. Sie habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, da sie arbeitsunfähig sei. Im Übrigen sei in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen L 7 SO 42/05 ARG bzw. S 7 SO 42/05 ARG rechtsfehlerhaft entschieden worden, dass sie arbeitsfähig sei. Die Antragstellerin legte u. a. die Einnahmeüberschussrechnung 2008 vom 23. Dezember 2008 vor sowie Vollstreckungsankündigung des Magistrats der Stadt XY. vom 25. Februar 2009 betreffend Zahlungsrückstände in Höhe von 833,45 EUR sowie Kopien verschiedener Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für Zeiträume des Jahres 2007.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. November 2008 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 25. November 2002 ab Antragstellung Rente nach einer MdE von 40 v.H. in Höhe von 760,98 EUR auf unbestimmte Zeit zu gewähren,
hilfsweise,
die Sachverständigen Prof. Dr. OER. und Dr. POWE. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ergänzend anzuhören sowie die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. EX. aus den Gerichts- und Verwaltungsakten zu entfernen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Den auf den 10. März 2009 bestimmt gewesenen Erörterungstermin hat der Senat auf Antrag der Antragstellerin aufgehoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Teiles der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.