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Sozialgericht Frankfurt am Main 22.05.2007,  S 8 U 165/01

  • Aktenzeichen: S 8 U 165/01
  • Instanzenaktenzeichen: S 10 U 643/02
  • Gericht: Sozialgericht Frankfurt am Main
  • Rechtskraft: rechtskräftig
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 22.05.2007
  • Normen: SGB VII § 105

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegenüber der Beklagten ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X zusteht.

Der bei der Klägerin und der Beklagten versicherte H. M. (im Folgenden: der Versicherte) war 50 Jahre als Maler und Lackierer tätig.

Seit September 1988 litt der Versicherte an einem produktiven Husten mit rötlichem Auswurf und seit Januar 1999 an erhöhter Körpertemperatur mit Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Die weiterführende Diagnostik mittels CT-Thoraxuntersuchung am 4.3.1999 ergab eine diffuse Infiltration der rechten Lunge. Im März 1999 wurde der Versicherte mit Verdacht auf eine ausgedehnte interstitielle Pneumonie rechts stationär aufgenommen. Die Biopsie mit histologischer Aufarbeitung der Gewebsproben ergab eine Lymphangiosis carcinomatosa eines schleimbildenden Adenokarzinoms (Prof. Dr. A., Befundbericht vom 18.3.1999). Da die gefundenen Antikörper am ehesten auf einen Primärtumor im Gastrointestinaltrakt hinwiesen, erfolgte die Primärsuche in diesem Bereich. Es wurde jedoch dort kein Tumor gefunden und von einem primären Bronchialkarzinom ausgegangen (Dr. I., Befundbericht vom 29.3.1999, Dr. K., Befundbericht vom 29.4.1999). Die Diagnose eines ausdifferenzierten Adenokarzinoms der Lunge mit Lymphangiosis carcinomatosa konnte mittels transbronchialer Biopsie am 11.6.1999 gesichert werden. Das weitere Tumorstating ergab bei der Ultraschalluntersuchung des Abdomens zunächst keinen Hinweis auf eine Metastasierung und einen primär im Gastrointestinaltrakt lokalisierten Tumor. Knochenszinitigraphisch wurden keine metastasetypischen Mehrspeicher dokumentiert. Im Rahmen der Schädel-CT, die zur Komplettierung der Tumorstaging-Untersuchung durchgeführt wurde, zeigte sich eine kleinherdig ausgebildete Hirnmetastasierung.

Mit Schreiben vom 17.6.1999 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie eine Berufskrankheit (BK) bei dem Versicherten annehme und machte einen Erstattungsanspruch geltend.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme des Arbeitsmediziners H. vom 1.7.1999 gab dieser an, dass aufgrund der erfolglosen Suche nach einem Primärtumor im Bauchraum und der Histologie ein Krankheitsbild im Sinne der BK Ziff. 4104 der Anlage 1 zur BK-Verordnung (BKV) vorliege. Allerdings erscheine zweifelhaft, dass bei einem Maler und Lackierer eine nennenswerte Asbestexposition vorgelegen habe. Möglich sei auch ein Chromatlungenkrebs im Sinne der BK Ziff. 1103. Zusammenfassend könne ein BK-Verdacht nicht sicher ausgeschlossen werden, so dass arbeitstechnische Voraussetzungen der BKen Ziff. 4104 und 1103 geprüft werden müssten.

Nach der daraufhin von der Beklagten eingeholten Stellungnahme ihres TAD vom 27.7.1999 ist bei dem Versicherten von 18,73 Faserjahren auszugehen. Im Hinblick auf eine BK Ziff. 1103 gab der TAD unter dem 4.8.1999 an, dass schwerpunktmäßig eine Exposition gegenüber zinkchromathaltigen Produkten anzunehmen sei.

Unter dem 16.8.1999 führte der Beratungsarzt H. aus, dass der Vollbeweis eines primären Bronchialkarzinoms nicht vorliege. Eine ausreichende Asbestexposition zur Anerkennung über die Faserjahre habe nicht bestanden. Dabei hob er (mittels Fettdruck) besonders hervor, dass die ermittelte Exposition aber geeignet sein könne, eine Asbestose der Lunge oder der Pleura zu verursachen und im Falle einer Obduktion entsprechende Ermittlungen einzuleiten seien.

Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 19.11.1999 lehnte die Beklagte dem Versicherten gegenüber die Anerkennung der Erkrankung als BK Ziff. 1103 oder 4104 ab. Zwar habe eine Einwirkung von Asbeststaub und Chromverbindungen bestanden. Eine Lungenkrebserkrankung habe jedoch nicht gesichert werden können.

Die Landesgewerbeärztin Dr. C. ging in ihrer Stellungnahme vom 25.11.1999 von einem Lymphangiosis carcinomatos der Lunge bei bislang unbekanntem Primärtumor aus. Ferner stellte sie fest, dass die Exposition gegenüber Asbest und Zinkchromat für die Verursachung eines Lungentumors geeignet sei. Eindeutige Brückensymptome im Sinne einer Asbestose der Lunge oder Pleura lägen nicht vor. Aus dem histologischen Befund (leicht fibrosiertes Lungenparenchym) könne eine Minimalasbestose weder geschlossen noch ausgeschlossen werden. Ein primäres Lungenkarzinom sei nicht bewiesen. Die Möglichkeit der Obduktion sollte hinsichtlich einer Minimalasbestose geprüft werden.

Am 24.12.1999 wurde der Versicherte erneut stationär aufgenommen und verstarb am 8.1.2000 an den Folgen seiner schweren Grunderkrankung. Die Beklagte wurde durch Dr. L. am 16.2.2000 von dem Tod des Versicherten in Kenntnis gesetzt.

In der Stellungnahme des Beratungsarztes H. vom 21.2.2000 führte dieser aus, dass ein Krankheitsbild im Sinne der BK Ziff. 4104 oder 1103 nicht im Vollbeweis vorliege. Da gerade der Gastrointestinalbereich physiologischerweise stark bakteriell besiedelt sei, was zu einer beschleunigten Zersetzung führe, könne eine Exhumierung den Nachweis eines primären Bronchialkarzinoms nicht mehr liefern. Da der Primärtumor nicht im Vollbeweis gesichert werden könne, sei es unbeachtlich, ob durch eine Exhumierung eine Minimalasbestose nachgewiesen werden könne. Die Beklagte teilte unter dem gleichen Datum der Klägerin mit, dass sie das Feststellungsverfahren nicht wieder aufnehmen werde.

Mit Schreiben vom 13.4.2000 leitete die Klägerin der Beklagten das Gutachten des Dr. L. vom 5.4.2000 zu. Dieser kam zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass bei dem Versicherten eine Geschwulst im Bereich des Lungengewebes festgestellt worden sei und die von der Beklagten vermutete metastatische Absiedelung bei einem Primärkarzinom im Magen-Darm-Trakt nie habe bewiesen werden können.

Hierauf erwiderte der Beratungsarzt H. unter dem 8.5.2000, dass der immunhistochemische Befund "am ehestens" für einen Primärtumor im Gastrointestinaltrakt spreche. Da nicht der gesamte Darm des Versicherten untersucht worden sei, sei es weiterhin zulässig, trotz erfolgloser gastrointestinaler Tumorsuche am fehlenden Nachweis eines primären Bronchialkarzinoms festzuhalten. Eine Obduktion sei an der mangelnden zeitnahen Information gescheitert. Eine Exhumierung würde nicht weiterhelfen. Die Nichterbringlichkeit des Nachweises eines geeigneten Krankheitsbildes sei den Hinterbliebenen zuzurechnen.

In dem Gutachten von Dr. L. vom 21.7.2000 hat dieser ausgeführt, dass 6 Wochen nach dem Todesfall die Pathologen noch ausreichend aussagefähiges Material fänden. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Betroffene – wie vorliegend – im Winter verstorben sei. Prof. Dr. A. habe eingeräumt, dass ein Primärtumor in der Lunge sehr wahrscheinlich sei. Denn es sei sehr ungewöhnlich, dass ein Primär-CA im Bereich des Magen-Darm-Traktes im Verlauf von fast 10 Monaten nicht symptomatisch werde. Die Beklagte habe gegen ihre Amtsermittlungspflicht verstoßen.

Die am 11.1.2001 erhobene Klage begründet die Klägerin im Wesentlichen damit, dass die Anerkennung einer BK Ziff. 1103 kein Tumorverdopplungsrisiko verlange. Kumulative Dosisbetrachtungen seien in dem Merkblatt nicht enthalten. Hinsichtlich der BK Ziff. 4104 sei durch die unterlassene Obduktion der Nachweis einer Minimalasbestose zunichte gemacht worden. Die vorliegenden Aufklärungsdefizite stellten einen Verstoß der Beklagten gegen den Amtsermittlungsgrundsatz dar. Eine Beweiserleichterung sei in diesem Fall sachgemäß. Auch liege hinsichtlich des ablehnenden Bescheides offensichtliche Fehlerhaftigkeit vor. Sie hat die gutachterlichen Stellungnahmen des Dr. L. vom 6.1.2005, 1.6.2005, 30.12.2005 und 21.6.2006 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 64.220,42 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht besteht. Der bestandskräftige Bescheid gegenüber dem Versicherten entfalte Tatbestandswirkung. Eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit liege nicht vor.

Nach Erörterung vor dem SG und der entsprechenden gerichtlichen Anordnung hat die Beklagte die Befundunterlagen über die stationäre Behandlung des Versicherten im Bürgerhospital F. M. und der Thoraxklinik in H. vorgelegt, die nach der Stellungnahme des Beratungsarztes H. vom 1.10.2004 nicht geeignet seien, ein primäres Bronchialkarzinom zu beweisen, es vielmehr noch unwahrscheinlicher machten. Ferner hat die Beklagte die Stellungnahme des TAD vom 22.11.2005 zur Chromatbelastung des Versicherten übersandt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage durch PD Dr. S. Dieser kommt in seinem Gutachten vom 7.3.2006 zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten ein histologisch gesichertes metastasierendes Adenokarzinom des rechten Lungenoberlappens mit Lymphangiosis carcinomatosa, Pleuraerguss rechts sowie initial asymptomatischen Hirnmetastasen vorgelegen hätten. An einem primären Bronchialkarzinom bestünden keine Zweifel. Eine BK Ziff. 4104 könne dennoch nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden, da nur 18,73 Faserjahre vorlägen, keine Brückenbefunde bestünden, kein sicherer Hinweis auf eine Lungen- oder/und Pleuraasbestose vorliege und eine Minimalasbestose mangels Obduktion und entsprechendem Untersuchungsmaterial nicht zu sichern sei. Eine BK 1103 sei ebenfalls nicht anzuerkennen, da die Zinkchromatexposition zu gering sei. Hinsichtlich des Zusammenwirkens von Asbest und Zinkchromat (Synkanzerogenese) hat er ausgeführt, dass keine valide Abschätzung des erhöhten Lungenkrebsrisikos möglich sei, da die kumulative Zinkchromat-Dosis sicherheitstechnisch nicht habe benannt werden können. Eine synkanzerogene Risikosteigerung von Asbestfaserstäuben und Zinkchromaten lasse sich nur mit non liquet beurteilen. Ferner hat er auf den chronischen Rauchkonsum des Versicherten verwiesen.

Zum Rauchverhalten des Versicherten hat das Gericht die Stellungnahme von dessen Ehefrau vom 21.9.2005 eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

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