Landessozialgericht Hessen 04.12.2007, L 3 U 265/06
- Aktenzeichen: L 3 U 265/06
- Spruchkörper: 3. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 1 U 73/05
- Instanzgericht: Sozialgericht Wiesbaden
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 04.12.2007
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses vom 21. Juni 2003 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen dieses Ereignisses.
Die 1959 geborene Klägerin ist als selbständige Taxifahrerin tätig und bei der Beklagten freiwillig versichert.
Am 21. Juni 2003 stellte der Durchgangsarzt Prof. Dr. KRT. bei der Klägerin die Diagnose eines Verdachts auf Außenbandruptur des linken Außenknöchels. Die Klägerin hatte angegeben, am selben Tag gegen 23.00 Uhr von einem Fahrgast gegen den linken Fuß getreten und gegen das Taxi gestoßen worden zu sein (Durchgangsarztbericht vom 23. Juni 2003).
In einer Unfallanzeige vom 15. September 2003 gab die Klägerin an, am 21. Juni 2003 einen Fahrgast befördert zu haben, der nicht bezahlt habe; sie sei ihm nachgelaufen, der Fahrgast habe sie gegen das Taxi gestoßen, sie sei auf den Boden gefallen und am Bein und der rechten Schulter verletzt worden. Sie legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Gemeinschaftspraxis KIQ. für die Zeit vom 21. Juni bis zum 4. August 2003 vor.
Die Beklagte zog die polizeilichen Akten zu einem Vorfall vom 21. Juni 2003 bei (VNr.: ST/0581105/2003). Die Klägerin hatte an diesem Tag gegen 20.00 Uhr Strafanzeige gegen den B. (geb. LKU.; im Folgenden M-N) erstattet und angegeben, sie habe sich am selben Tag gegen 15.30 Uhr mit diesem bei sich zu Hause getroffen. Sie hätten sich im Wohnzimmer aufgehalten und Pizza gegessen. Danach sei sie in die Küche gegangen, um Kaffee zu kochen. Als sie von dort zurückgekommen sei, sei der M-N weg gewesen und ihre Geldbörse, die sich zuvor in ihrer Handtasche auf einem Stuhl im Wohnzimmer befunden habe, habe neben der Handtasche gelegen. Der M-N habe ihr 1.000,00 EUR entwendet.
Ausweislich eines Ermittlungsberichts des 5. Polizeireviers A-Stadt hatten die Beamten am selben Abend gegen 21.20 Uhr die damalige Ehefrau des M-N, HUZ., in der ehelichen Wohnung angetroffen. Diese gab an, ihr Ehemann habe sie gegen 20.00 Uhr angerufen, den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen aus seiner Stammkneipe. Auf der Fahrt dorthin erklärte sie weiter, der M-N habe ein Verhältnis mit der Klägerin, was auch ein Trennungsgrund ihrer Ehe sei. In den letzten Wochen habe der M-N wohl ständig bei der Klägerin gewohnt. Weiter ist in diesem Bericht ausgeführt:
"Während der Fahrt wurde die Funkstreifenwagenbesatzung in der FN.-DS.-Allee in der Höhe der ÜPO-Anlagen auf ein abgestelltes Taxi aufmerksam. Direkt neben dem Taxi lagen übereinander zwei Personen. Bei diesen ineinander "verkeilten" Personen handelte es sich um die [Klägerin] und den [M-N]. Die [Klägerin] lag auf dem stark alkoholisierten [M-N]. Auf Nachfrage gaben die Beteiligten an, dass sie gestürzt seien. Offensichtlich hatte die [Klägerin] selbständig die Gaststätte [ ] aufgesucht, da sie den [M-N] dort vermutete. Danach sind beide dann mit dem Taxi unterwegs gewesen, bis dann der [M-N] wohl am Auffindeort aussteigen wollte. Die [Klägerin] wollte ihn am weggehen hindern, dabei habe die [Klägerin] einen Stoß erhalten und beide sind dann zu Boden gegangen."
Der M-N bestätigte gegenüber der Polizei, über 1.000,00 EUR, darunter zwei 500-Euro-Scheine, bei sich zu tragen, die aus einer Anzahlung aus einem Verkauf antiker Bücher vom selben Morgen stammten. Insgesamt trug der M-N nach Feststellung der Polizei 1.845,00 EUR bei sich. Er bestätigte auch, am Nachmittag in der Wohnung der Klägerin gewesen zu sein. Er habe ihr dort mitgeteilt, dass er die Beziehung beenden wolle. Daraufhin habe die Klägerin von ihm 1.000,00 EUR verlangt; unter Druck gesetzt habe er ihr die zwei 500-Euro-Scheine gegeben und einen geeigneten Moment abgewartet, die Scheine aus der Geldbörse der Klägerin entnommen und sich dann aus der Wohnung entfernt.
Am folgenden Tag, dem 22. Juni 2003, rief die Klägerin erneut bei der Polizei an und gab an, sie habe gegen 16.00 Uhr mit dem M-N telefoniert, der gesagt habe, er würde sich jetzt umbringen und habe auch bereits Schlaftabletten genommen. Seither sei der Anschluss ununterbrochen besetzt. Die Polizei suchte daraufhin die Wohnung des M-N auf, der selbst die Tür geöffnet und angegeben habe, bei der Klägerin handele es sich um seine Ex-Freundin, von der er sich am Vortag gegen Mittag getrennt habe. Diese habe ihn bereits gestern wegen Diebstahls angezeigt, um sich an ihm zu rächen. Er habe zuletzt am selben Tag gegen Mittag mit ihr telefoniert, wobei es um ihre gescheiterte Beziehung gegangen sei, über Selbstmord habe er kein Wort geredet.
Im Rahmen einer Vernehmung vom 26. Juni 2003 gab der M-N an, er habe ein Verhältnis zu der Klägerin. Vor der Sache mit dem angeblichen Diebstahl habe er sich von ihr getrennt; er nehme an, sie habe die Geschichte aus Rache erzählt. Die 1.000,00 EUR habe er am 21. Juni 2003 von einer Kundin erhalten. Der entsprechende Kaufvertrag liege bereits in Kopie bei der Dienststelle vor. Die Verletzung habe die Klägerin sich selbst zuzuschreiben, da sie in einem Gerangel auf ihn gestürzt sei. Die Klägerin tue ihm leid und deshalb habe er auch die letzten zwei Nächte wieder bei ihr geschlafen.
Die Klägerin gab in einer Vernehmung am 27. Juni 2003 an, dass das Geld, das der M-N aus ihrer Geldbörse genommen habe, tatsächlich aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Taxifahrerin stamme. Sie habe sich nach dem Streit mit dem M-N geeinigt, dass dieser für ihre finanziellen Probleme, die ihr aus ihrer Verletzung entstünden, aufkommen werde. Sie wolle ihm das Leben nicht noch schwerer machen und verzichte auf die Stellung eines Strafantrages wegen Körperverletzung.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. Mai 2004 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 21. Juni 2003 ab. Sie habe sich die Verletzung in Folge eines Streits mit ihrem Bekannten zugezogen, dem rein private Motive zugrunde gelegen hätten. Auf Unfälle aus dem persönlichen Lebensbereich erstrecke sich der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Da die Klägerin sich die Verletzung nicht in ursächlichem Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit zugezogen habe, sei ein Arbeitsunfall abzulehnen.
Hiergegen legte die Klägerin am 25. Juni 2004 Widerspruch ein und gab an, den M-N vor dem Vorfall vom 21. Juni 2003 nur als Fahrgast gekannt zu haben. Er sei in ihr Taxi gestiegen und sie habe ihn befördert. Dann habe er seine Fahrt nicht bezahlt, worauf es zum Streit gekommen und er sie gestoßen und verletzt habe. Der M-N sei ein Stammgast gewesen, den sie mehrmals wöchentlich befördert habe. Sie habe ihm öfter u.a. bei seinen Geschäften oder beim Umzug geholfen. Privat sei er nur einmal bei ihr gewesen; er habe sie aufgesucht und als sie ihn höflich hereingebeten und ihm einen Kaffee angeboten habe, habe er ihr 1.000,00 EUR aus dem Portemonnaie entwendet.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2005 zurück. Nach den vorliegenden Unterlagen sei ein mit der beruflichen Tätigkeit als Taxifahrerin zusammenhängender Grund für den Streit und die anschließende körperliche Auseinandersetzung nicht ersichtlich. Vielmehr habe dies ganz offensichtlich einen rein privaten Hintergrund. Ein Arbeitsunfall sei daher zu Recht abgelehnt worden.
Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben mit einem Schreiben vom 26. Februar 2005, das am 2. März 2005 bei der Beklagten einging und von dieser an das Sozialgericht Wiesbaden (SG) weitergeleitet wurde. Die Klägerin hat ausgeführt, ein betrunkener Fahrgast habe nicht bezahlen wollen. Sie sei ausgestiegen und habe ihn aufgefordert, die Taxirechnung zu begleichen; er habe sie an die Taxiseite gedrückt und sie seien auf den Boden gefallen. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 7. Oktober 2005 mit, eine von ihr durchgeführte Fristenprüfung habe die fristgerechte Einlegung der Klage ergeben. Diesbezüglich hat die Beklagte auf telefonische Nachfrage seitens des Senats vom 28. November 2007 mitgeteilt, dass der Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2005 der Klägerin mit PZU am 3. Februar 2005 zugestellt worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2006 hat die Klägerin vor dem SG angegeben, sie habe sich am Abend des 21. Juni 2003, nachdem der M-N ihr 1.000,00 EUR gestohlen habe, noch einmal mit ihm treffen wollen. Bevor sie ein Treffen habe arrangieren können, habe dieser sie angerufen und von seiner Stammkneipe nach Hause gefahren werden wollen. Während der Fahrt hätten sie über die 1.000,00 EUR gesprochen, der M-N habe bestritten, diese gestohlen zu haben. Sie hätten am Dorinth Hotel gehalten und sie habe die Fahrtkosten, etwa 15,00 EUR, verlangt. Er habe nicht bezahlen und stattdessen davonlaufen wollen. Dann sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen und sie seien zu Boden gestürzt. Der M-N sei vor dem Ereignis etwa vier Jahre lang ihr Fahrgast gewesen. Es sei richtig, dass er am selben Nachmittag in ihrer Wohnung gewesen sei und sie zusammen Pizza gegessen hätten. Der M-N sei nicht auffindbar.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. Oktober 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anerkennung des Ereignisses vom 21. Juni 2003 als Arbeitsunfall seien nicht erfüllt bzw. bewiesen. Insbesondere sei nicht erwiesen, dass die Klägerin die in Rede stehenden Verletzungen im Rahmen der gewerblichen Personenbeförderung und dem von ihr behaupteten Streit um die Bezahlung des Fahrpreises erlitten habe. Bereits nach den eigenen Angaben der Klägerin sei vielmehr davon auszugehen, dass sowohl der Streit wie auch die vorausgegangene Fahrt auf privaten Umständen beruhten. Berücksichtige man darüber hinaus die von der Klägerin bestrittene Behauptung des M-N sowie dessen damaliger Ehefrau gegenüber der Polizei, dass zwischen der Klägerin und dem M-N bis zum Zeitpunkt des Vorfalls vom 21. Juni 2003 eine intime Beziehung bestanden und dieser über einen gewissen Zeitraum bei der Klägerin gewohnt habe, könnten an dem privaten Charakter der Fahrt mit dem Taxi am Abend des 21. Juni 2003 erst Recht keine Zweifel mehr bestehen. Schließlich werde das persönliche Verhältnis zwischen der Klägerin und dem M-N auch durch den Umstand bestätigt, dass die Klägerin der Polizei am Tag nach dem Ereignis, am 22. Juni 2003, von den angeblichen Suizidabsichten des M-N berichtet und dieser gegenüber der Polizei angegeben habe, dass diese Ereignisse im Zusammenhang mit der von ihm am Vortag vollzogenen Trennung von der Klägerin stünden. Schließlich habe die Klägerin auf eine Strafanzeige gegen den M-N wegen Körperverletzung verzichtet. Danach sei der Beweis für den von der Klägerin behaupteten Zusammenhang zwischen dem Ereignis am Abend des 21. Juni 2003 und ihrer beruflichen Tätigkeit nicht erbracht. Die allein denkbare weitere Beweiserhebung durch Einvernahme des M-N als Zeugen scheide bereits deshalb aus, weil dieser nach den eigenen Angaben der Klägerin zwischenzeitlich untergetaucht sei.
Gegen das ihr am 31. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. November 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie habe den Fahrgast um 22.45 Uhr auf telefonische Bestellung von der Kneipe abgeholt. Er sei seit Jahren ihr Stammgast gewesen. Er habe zur FN.-DS.-Allee gefahren werden wollen. Sie habe ihn dorthin gefahren, er habe aussteigen und das Entgelt nicht bezahlen wollen. Als sie ihn gebeten habe zu bezahlen, habe er sie gegen das Taxi gestoßen und sie sei auf den Boden gefallen. In diesem Moment sei die Polizei gekommen, weil sie am selben Abend gegen den Fahrgast Anzeige wegen Diebstahls erstattet habe. Sie habe mit dem M-N keine Beziehung gehabt, sie hätten sich rein geschäftlich im Wohnzimmer ihrer Wohnung getroffen. Er sei wegen einer größeren Fahrt gekommen. Sie habe höflich Kaffee gekocht und Pizza angeboten. Später habe sie bemerkt, dass ihr Portemonnaie, das zuvor 1.000,00 EUR enthalten habe, leer gewesen sei.