Sozialgericht Frankfurt/Main, S 8 U 4640/03

Urteil über eine Hinterbliebenenrente eines asbestexponierten Versicherten

  • Aktenzeichen: S 8 U 4640/03
  • Gericht: Sozialgericht Frankfurt am Main 
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 26.06.2007
  • Normen: § 9 SGB VII 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X gegenüber der Beklagten hat.

Der bei der Klägerin und der Beklagten versicherte T. B. (im Folgenden: der Versicherte) war als Heizungsbauer beschäftigt.

Der Versicherte hatte seit Januar 1999 starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in andere Körperlokalisationen. Im Rahmen eines stationären Aufenthalts im St. V. K. L. vom 12.4.1999 bis 28.4.1999 wurde ein kleinzelliges Bronchialkarzinom mit Lebermetastasierung diagnostiziert. Diese Diagnose wurde im Verlauf der Therapie aufrechterhalten (Befundberichte vom 3.5.1999 und 29.9.1999, gutachterliche Stellungnahme vom 22.12.1999; Histologiebefund Dr. G. 19.4.1999). Die Ermittlungen des TAD der Beklagten ergaben eine kumulative Asbestfaserstaub-Dosis von 13,3 Faserjahren.

Der Beratungsarzt der Beklagten H. führte in seiner Stellungnahme vom 22.7.1999 aus, dass es am Vollbeweis des Primärtumors als auch der Brückensymptome fehle. Eine Obduktion sei unverzichtbar. Der Landesgewerbearzt T. schloss sich in seiner Stellungnahme vom 16.8.1999 dieser Auffassung an.

Mit Bescheid vom 1.9.1999 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Ziff. 4104 der Anlage 1 zur BK-Verordnung (BKV) ab. Es habe zwar bei der beruflichen Tätigkeit des Versicherten eine Asbeststaubeinwirkung bestanden. Ein Primärtumor der Lunge habe jedoch nicht mit Vollbeweis gesichert werden können.

Mit Schreiben vom 14.12.1999 meldete die Klägerin bei der Beklagten Ansprüche nach § 105 SGB X an.

In der Stellungnahme des Beratungsarztes H. vom 29.12.1999 hat dieser seine Auffassung wiederholt. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.1.2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Versicherten gegen den Bescheid vom 1.9.1999 als unzulässig zurück. Eine Rücknahme des Bescheides komme nicht in Betracht, da sich der Bescheid bei der neuerlichen Prüfung nicht als unrichtig erwiesen habe.

In dem sozialmedizinischen Gutachten des Dr. L. vom 4.9.2000 führte dieser aus, dass ein primäres Bronchialkarzinom mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorliege und eine Sektion nach Ableben des Versicherten vorgenommen werden sollte.

Am 16.10.2000 verstarb der Versicherte.

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 4.12.2000 gegenüber dem MDK K. mit, dass der Vorgang nach dem Tod des Versicherten und der Ablehnung einer Sektion seitens der Angehörigen abgeschlossen sei. Nachdem zwischen den Beteiligten ein Austausch hinsichtlich der weiteren Behandlung dieses sowie anderer Fälle stattgefunden hat, teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17.4.2002 mit, dass der Fall abgeschlossen sei.

In dem arbeitsmedizinischen Gutachten des Dr. L. vom 26.11.2003 führte dieser u. a. aus, der radiologische Konsiliarkollege sei zu dem Urteil gekommen, dass alle Befunde zusammengenommen eindeutig in Richtung Asbestose gingen.

Die am 19.12.2003 erhobene Klage begründet die Klägerin im Wesentlichen damit, dass die Beklagte nicht ausreichend ermittelt habe. Insbesondere sei die Witwe des Versicherten nicht ausreichend hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Folgen einer verweigerten Obduktion hingewiesen worden. Es sei ein Unterschied, ob die Ablehnung der Obduktion im Rahmen eines „Routinesektionsangebotes“ erfolge oder ob die Angehörigen über die tatsächliche Notwendigkeit insb. im Hinblick auf etwaige Hinterbliebenenleistungen informiert werden. Die Beklagte könne nur dann aus ihrer Amtsermittlungspflicht entlassen werden, wenn die Angehörigen entsprechend informiert worden seien. Beweiserleichterungen seien daher zu prüfen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 32.650,70 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass ein Erstattungsanspruch der Klägerin nicht bestehe. Sie verweist auf die Tatbestandswirkung des ablehnenden Bescheides gegenüber dem Versicherten. Im Übrigen sei die Entscheidung der Witwe hinsichtlich der Obduktion zu respektieren.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage durch PD Dr. S.. Dieser kommt in seinem Gutachten vom 1.3.2006 zu dem Ergebnis, dass ein kleinzelliges Bronchialkarzinom vorliege. Dies ergebe sich aus der Histologie und der Lokalisation des Tumors im rechten Hilusbereich der Lunge. Nach Konsiliarberatung mit Prof. Dr. W. bestünden jedoch Zweifel an der Diagnose einer typischen Asbestose. Auch eine Pleuraasbestose sei nicht gesichert. Eine Minimalasbestose könne aufgrund des fehlenden Lungengewebes nicht festgestellt werden. Als konkurrierenden Faktor hat er das Rauchverhalten des Versicherten aufgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 SGB X, da nicht hinreichend erwiesen ist, dass bei dem Versicherten eine BK nach Ziff. 4104 der Anlage 1 zur BKV vorlag.

Für die Anerkennung einer BK ist Voraussetzung, dass die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen im Sinne des „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, die hinreichende Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (BGS SozR 3 2200 § 551 Nr. 16, HLSG, Urt. v. 3.11.2004, Az. L 3 U 1613/97).

Die Beweiserhebung hat ergeben, dass bei dem Versicherten ein Bronchialkarzinom vorlag. Zu diesem Ergebnis ist das Gericht aufgrund des Gutachtens des PD Dr. S., dass im Ergebnis mit den Befundberichten der Medizinischen Klinik des St. V. K. L. und dem Institut für Patholgie in L. (Dr. G.) übereinstimmt, gekommen.

Nicht erwiesen und nunmehr auch nicht mehr beweisbar ist hingegen, dass dieses Karzinom auf die Asbestbelastung zurückzuführen ist. Die Asbestfaserstaub-Dosis liegt unter 25 Faserjahren, eine (Minimal-)Asbestose ist nicht nachgewiesen und mangels verfügbaren Lungengewebes auch nicht mehr nachweisbar.

Vorliegend ist zugunsten der Klägerin auch keine Beweiserleichterung vorzunehmen. Den Tatsachengerichten bleibt es zwar im Rahmen ihrer freien richterlichen Beweiswürdigung überlassen, je nach Besonderheit des maßgebenden Einzelfalls schon einzelne Beweisanzeichen, im Extremfall sogar ein Indiz ausreichen zu lassen für die Feststellung einer Tatsache oder der daraus abgeleiteten Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (BSG Urteil vom 27.5.1997 (SozR 3 1500 § 128 Nr. 11, s.a. Bay. LSG, Urteil vom 13.4.2005 – L 2 U 336/03; LSG Schlesw.-Holstein, Urteil vom 25.3.1998 – L 8 U 93/97 ). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, da die Beweisnot der Klägerin durch die Beklagte nicht schuldhaft verursacht worden ist.

Die Beklagte konnte aufgrund der Ablehnung einer Obduktion seitens der Angehörigen des Versicherten von weiteren Ermittlungen absehen. Es stand nicht in ihrer Amtsermittlungspflicht, die Hinterbliebenen über die unfallrechtlichen Folgen der Ablehnung einer Obduktion aufzuklären und zu einer Einwilligung zu bewegen. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf das bereits durchgeführte Verwaltungsverfahren und den bestandskräftigen Bescheid gegenüber dem Versicherten bzw. seiner Hinterbliebenen.

Soweit die Klägerin Aufklärungsbedarf bei den Hinterbliebenen vermutet hat, hätte es in ihrem Ermessen gestanden, diese gegebenenfalls selbst – z.B. über den Hausarzt des Versicherten – über die unfallversicherungsrechtlichen Konsequenzen der Ablehnung der Obduktion in Kenntnis zu setzen.

Ob Gespräche zwischen den Beteiligten über weitere Ermittlungen stattgefunden haben und welchen Inhalt diese gegebenenfalls hatten, ist unerheblich, da deren Inhalt nicht mehr verifizierbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, da das Verfahren nach dem 1.1.2002 anhängig gemacht worden ist, Art. 17 des 6. Gesetzes zur Änderung des SGG v. 17.8.2001 (BGBl. I B l. 2144, 2158).

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