Landessozialgericht Hessen 06.09.2016, L 2 R 70/16

Urteil, in dem der Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente für den Kläger abgelehnt wurde.

  • Aktenzeichen: L 2 R 70/16
  • Spruchkörper: 2. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 2 R 151/12
  • Instanzgericht: Sozialgericht Darmstadt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 06.09.2016

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die zuerkannte Rente wegen voller Erwerbsminderung auch im Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 30. Juni 2012 auszuzahlen.

Die Beklagte bewilligte dem 1955 geborenen Kläger mit Bescheid vom 25. Juli 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Juni 2009. Die Anspruchsvoraussetzungen seien seit 7. November 2008 erfüllt. Unter Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenzen stehe dem Kläger die Rente für die Zeit ab 1. Juni 2009 nicht zu. Die Rente sei ab 1. Juni 2009 nicht zu zahlen.

Hiergegen richtete sich der Kläger mit Widerspruch, mit dem er geltend machte, seit Anfang 2006 sei es ihm gesundheitlich sehr schlecht gegangen und er sei seiner Arbeit seitdem nicht mehr richtig nachgegangen. Er könne maximal 30 bis 45 Minuten am Tag arbeiten. Alle Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb seien seiner Frau und seinen Kindern zuzuschreiben. Sein Sohn sei gelernter Bäcker und habe seine Tätigkeit neben seinem normalen Beruf in der Bäckerei übernommen und seine Tochter habe ebenfalls neben ihrem Beruf mit seiner Frau zusammen den Verkauf der Waren aufrechterhalten. Er habe mit seiner Arbeitskraft den Gewinn aus der gewerblichen Tätigkeit nicht erwirtschaftet. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2012 zurück. Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werde nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten werde (§ 96 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch VI – SGB VI). Aufgrund der Einkünfte des Klägers aus einem selbständigen Gewerbebetrieb sei zu prüfen, ob das hierbei erzielte Einkommen die individuellen Hinzuverdienstgrenzen übersteige. Nach § 15 SGB IV sei Arbeitseinkommen der nach den Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Dabei sei unerheblich, ob eine selbständige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt werde. Für die Berücksichtigung von Arbeitseinkommen reiche es aus, dass es einkommenssteuerrechtlich als Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb bewertet werde. Der steuerrechtliche Gewinn des Klägers sei in den Einkommenssteuerbescheiden ausgewiesen. Aus den Bescheiden der Jahre 2008 und 2009 gehe hervor, dass die Finanzbehörde die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb dem Kläger zugeordnet habe und nicht seiner Ehefrau. Ab dem 1. Juni 2009 bestehe damit wegen Überschreitens sämtlicher Hinzuverdienstgrenzen kein zahlbarer Rentenanspruch des Klägers.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 8. März 2012 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt. Der Kläger vertrat weiterhin die Auffassung, dass der Gewinn aus dem Gewerbebetrieb nicht ihm zuzurechnen sei, da er im Betrieb nicht mehr mitgearbeitet habe. Er legte seine Steuerbescheide für den Zeitraum von 2008 bis 2010 vor.

Nachdem der Kläger sein Gewerbe zum 30. Juni 2012 abgemeldet hatte, gewährte ihm die Beklagte ab 1. Juli 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Beklagte bezog sich für ihre Rechtsauffassung auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Oktober 2004 (B 13 RJ 13/04 R). Danach komme es auf die tatsächliche Ausübung der selbständigen Tätigkeit durch den Versicherten nicht an. Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit seien dann als anrechenbarer Hinzuverdienst bei der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu bewerten, wenn diese steuerrechtlich als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit behandelt worden seien. Der Kläger habe seinen Betrieb erst mit der Gewerbeabmeldung zum 30. Juni 2012 aufgegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt seien ihm somit die steuerrechtlich festgestellten Gewinneinkünfte aus der selbständigen Tätigkeit anzurechnen.

Mit Urteil vom 12. November 2015 wies das Sozialgericht unter Bezugnahme auf die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts die Klage ab.

Mit seiner am 8. März 2016 eingelegten Berufung richtet sich der Kläger gegen das ihm am 11. Februar 2016 zugestellte Urteil. Er wiederholt im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag und legt die Einkommenssteuerbescheide aus den Jahren 2010 bis 2012 vor. Als vom Kläger zu versteuernder Gewinn aus Gewerbebetrieb sind angegeben: 49.679,- EUR (2010), 28.649,- EUR (2011), 21.236,- EUR (Januar bis Juni 2012).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. November 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25. Juli 2011 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2012 zu verurteilen, ihm die Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 1. Juni 2009 bis 30. Juni 2012 ungekürzt auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger im Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 30. Juni 2012 keinen Anspruch auf Auszahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung hat, weil er die maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen überschritten hat. Der Bescheid vom 25. Juli 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2012 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat seit 1. Juni 2009 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach § 96a SGB VI wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit jedoch nur geleistet, wenn die jeweils gültige Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das für denselben Zeitraum erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit die in Absatz 2 genannten, auf einen Monat bezogenen Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Nach § 96a Abs. 1a SGB VI wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von drei Vierteln, der Hälfte oder einem Viertel bewilligt (§ 96a Abs. 1a Nr. 2 SGB VI).

Das Einkommen des Klägers stellt sich für die Jahre 2009 bis 2012 ausweislich der maßgeblichen Einkommensteuerbescheide so dar, dass die jeweils gültigen monatlichen Hinzuverdienstgrenzen überschritten worden sind.

Die Einkünfte aus der Bäckerei sind Arbeitseinkommen des Klägers im Sinne des § 15 SGB IV. Weder der Ehefrau des Klägers noch den weiteren mithelfenden Familienangehörigen ist das Einkommen ganz oder teilweise zuzuordnen. Wie die Ermittlung der Höhe des Gewinns hat auch die Zuordnung des Gewinns zu der jeweiligen Person nach steuerrechtlichen Maßstäben zu erfolgen (BSG, Urteil vom 25. Februar 2004 – B 5 RJ 56/02 R, Urteile des HLSG vom 17. Januar 2012 – L 2 R 524/10 und vom 2. Juli 2013 – L 2 R 97/12). Bei Einnahmen aus einem Gewerbebetrieb ist von Bedeutung, wer Unternehmer bzw. Mitunternehmer ist. Unternehmer ist die Person, die selbstständig und nachhaltig in der Absicht der Gewinnerzielung tätig wird (§ 15 Einkommensteuergesetz – EstG – Einkünfte aus Gewerbebetrieb). Dabei kommt es weder auf die von den Beteiligten ausdrücklich gewählte Bezeichnung ihrer Rechtsbeziehungen noch auf den nach außen durch Handelsregistereintragung oder gewerbepolizeiliche Anmeldung gesetzten Rechtsschein an. Unternehmer im Sinne des § 15 EStG ist vielmehr, wer Unternehmerinitiative entfalten kann und ein Unternehmerrisiko trägt, also die Person, nach deren Willen und auf deren Rechnung und Gefahr das Unternehmen in der Weise geführt wird, dass sich der Erfolg oder Misserfolg in ihrem Vermögen unmittelbar niederschlägt (Urteil des BFH vom 17. Mai 2006 – VIII R 21/04). Unternehmerinitiative ergibt sich vor allem aus der Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen. Das Unternehmerrisiko trägt, wer am Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens teilhat. Wer nicht am laufenden Gewinn oder am Gesamtgewinn der Gesellschaft beteiligt ist, ist danach regelmäßig nicht Unternehmer. Die Merkmale der Unternehmerinitiative und des Unternehmerrisikos können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein. Sie müssen jedoch beide vorliegen. Ob dies zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller, die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu würdigen (BFH vom 17. Mai 2006 – VIII R 21/04).

Eine tatsächliche Ausübung der selbständigen Tätigkeit durch den Versicherten ist nicht entscheidend, wenn die Einkünfte steuerrechtlich als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit behandelt werden (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2004 – B 13 RJ 13/04 R). Sie stellen dann anrechenbaren Hinzuverdienst bei der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung dar.

Als Unternehmer kommt vorliegend nur der Kläger in Betracht. Die Ehefrau des Klägers, die mit ihrer Tochter den Verkauf der Backwaren übernommen hatte, sowie der Sohn, der – wie der Kläger angegeben hat – neben seiner eigentlichen Berufstätigkeit die Backwaren erstellte, waren weder am Gewinn beteiligt noch verfügten sie über relevante unternehmerische Entscheidungsbefugnisse über das Tagesgeschäft hinaus. Insbesondere war die Ehefrau des Klägers keine Mitunternehmerin. Sie konnte zwar zusammen mit dem Kläger ihren Lebensunterhalt aus den Einnahmen aus dem Bäckereibetrieb im Wesentlichen bestreiten. Der Kläger war jedoch hauptverantwortlich für den von ihm angemeldeten Handwerksbetrieb. Er arbeitete zunächst noch in geringem Umfang mit und traf schließlich die Entscheidung über die Beendigung bzw. Abmeldung des Betriebes. Die Zuordnung des in der Bäckerei erwirtschafteten Einkommens zum Kläger lässt sich zudem den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2009 bis 2012 entnehmen. Auf die Feststellungen der Finanzverwaltung kann im Rahmen der Gewinnermittlung aufgrund der Vorschriften des Einkommensteuerrechts zurückgegriffen werden, wenn der Betroffene – wie vorliegend - gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen oder steuerrechtlichen Bewertungen des Finanzamts keine schlüssigen und erheblichen Einwendungen erhebt (Urteil des BSG vom 30. März 2006 B 10 KR 2/04 R). Das gilt auch für die Frage der Zuordnung der Einkünfte zu einer Person nach § 15 EStG, da diese Prüfung ein Bestandteil der Gewinnermittlung ist. Die vorgelegten Steuerbescheide sind bindend. Sie beruhen auf Angaben des Klägers gegenüber der Finanzverwaltung, auf Grund derer die Zuordnung der Einkünfte zum Kläger erfolgt ist.

Die Hinzuverdienstgrenzen für die Zeit vom 1. Juni 2009 bis zum 30. Juni 2012 sind der Anlage 19 des Bescheides vom 25. Juli 2011 zu entnehmen und nicht fehlerhaft. Das zu berücksichtigende Einkommen in den Jahren 2009 bis 2012 betrug laut der vorgelegten Einkommensteuerbescheide: 31.174,- EUR (2009), 49.679,- EUR (2010), 28.649,- EUR (2011), 21.236,- EUR (Januar bis Juni 2012). Das monatliche Einkommen überstieg bei Teilung des Jahreseinkommens durch zwölf Monate die jeweiligen Hinzuverdienstgrenzen in einem Maße, dass die monatlichen Rentenauszahlungsansprüche entfielen.

Die Überschreitungen der Hinzuverdienstgrenzen waren beim Kläger auch für das jeweilige gesamte Kalenderjahr zu berücksichtigen. Da das monatliche Einkommen des Klägers nur durch Teilung des Jahreseinkommens durch zwölf Monate errechnet werden kann, besteht kein monatlich schwankendes Einkommen und damit auch nicht die Möglichkeit, beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente die monatliche Hinzuverdienstgrenze ohne Rentennachteile zweimal im Kalenderjahr überschreiten zu können (vgl. Urteil des BSG vom 3. Mai 2005 – B 13 RJ 8/04).

Nach alledem ist das erstinstanzliche Urteil nicht zu beanstanden. Die Berufung konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG fehlt.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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