Landessozialgericht Hessen 29.01.2015, L 8 KR 205/13

  • Aktenzeichen: L 8 KR 205/13
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 6 R 271/10
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 29.01.2015

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit als freiberufliche Ernährungsberaterin ab dem 15.02.2008 der Versicherungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) unterliegt.

Die Klägerin bezog als freiberufliche Ökotrophologin einen Existenzgründungszuschusses vom 15.02.2005 bis zum 14.02.2008. In dieser Zeit unterlag sie der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung gem. § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI.

Die Klägerin teilte der Beklagten im Januar 2008 telefonisch mit, sie arbeite inzwischen mit Krankenkassen zusammen und sei fast nur noch beratend tätig. Ergänzend führte sie in dem am 29.01.2008 unterschriebenen Fragebogen zur Feststellung der Pflichtversicherung kraft Gesetzes als selbständig Tätige aus, sie berate Menschen, die ernährungsabhängige gesundheitliche Probleme hätten. Die Beratung sei individuell und immer abhängig vom Einzelfall. Sie verdiene mehr als 400,00 EUR monatlich und habe keine Arbeitnehmer beschäftigt. Ihre Auftraggeber seien Privatpersonen und Arztpraxen, die sie weiter empfehlen würden. Sie legte der Beklagten ergänzend eine Registrierungsurkunde "Ernährungstherapie" vor, nach der sie die Qualifikationsanforderungen für die Ernährungsberatung und Ernährungstherapie des Instituts C. e.V. erfülle. Dies entspreche den empfohlenen Qualifikationen der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 20 Abs. 1 und 2 und § 43 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Die Beklagte stellte zunächst mit Bescheid vom 4.03.2008 fest, ab dem 15.02.2008 bestehe nunmehr Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 1 - 2 SGB VI, da die Klägerin die selbständige Tätigkeit weiterhin ausübe.

Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein. Sie gehöre nicht zu den in § 2 Satz 1 Nr. 1 - 2 SGB VI aufgeführten Berufsgruppen. Sie arbeite als Diplom-Ökotrophologin in eigener Praxis. Ihre Auftraggeber seien Privatpersonen, Ärzte bzw. Kinderarztpraxen oder Firmen, die ihre Dienstleistungen als Ernährungstherapeutin für die individuelle Betreuung ihrer Klientel nutzten. Für diese Auftraggeber führe sie Ernährungsberatungen durch, in denen es im Einzelfall darum gehe, individuelle Lösungsansätze für das akute Problem zu suchen und die Ernährungstherapie abzustimmen. Somit unterscheide sich ihre Tätigkeit von einer dozierenden Person, die vom Einzelfall losgelöst abstraktes Wissen vermittelte. Es seien vielmehr Parallelen zur Berufsgruppe der Psychotherapeuten zu sehen. So stelle der Arzt beispielsweise einem Patienten eine Notwendigkeitsbescheinigung nach § 43 SGB V aus. Daraufhin habe sie als Ernährungstherapeutin nach der Erhebung einer Ernährungsanamnese den Therapieverlauf nach Art und Inhalten, Umfang sowie Beratungsfrequenzen individuell zu gestalten. Eine Parallele sei auch zur Berufsgruppe der Physiotherapeuten zu ziehen. Ernährungsberatung habe immer einen therapeutischen Charakter.

Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 30.03.2009 an die Klägerin und führte aus, sie sei weiterhin der Auffassung, dass die Klägerin versicherungspflichtig sei. Ökotrophologen seien nicht wie Heilkundige befähigt, selbst die Diagnose zu stellen, sondern könnten nur in Abhängigkeit von einem Heilkundigen tätig werden und seien daher der versicherungspflichtigen Gruppe der Pflegepersonen im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI zuzuordnen, sofern sie überwiegend aufgrund ärztlicher An- und Verordnung tätig würden und keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten. Soweit die Klägerin ohne Verordnung eines Arztes tätig werde, handele es sich um Wissenschaftsvermittlung, die unter der Versicherungspflicht des § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI falle.

Hierauf erwiderte die Klägerin, sie halte ihren Widerspruch aufrecht. In nahezu 100 % der Fälle würden ihre Patienten mit einer Notwendigkeitsbescheinigung der Krankenkasse nach § 43 SGB V zu ihr kommen. Häufig lägen bei den Patienten multiple ernährungsbedingte Erkrankungen vor. Nicht selten erhalte sie im Laufe der Ernährungstherapie Hinweise auf das Essverhalten, die der Arzt bei seiner Diagnose nicht habe erkennen können. Diese seien ursächlich für die Erkrankung und nur sie könne diese in der Ernährungsberatung therapieren. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liege mit ca. 95 % in der Einzeltherapie. Der Berufsverband der Ökotrophologen habe auf ihre Nachfrage mitgeteilt, ihre Tätigkeit erfolge nicht auf Grund einer ärztlichen Verordnung, sondern auf der Basis einer Notwendigkeitsbescheinigung, die mit der ärztlichen Diagnose das Krankheitsbild wiedergebe und wichtige Laborparameter mitteile. Der Ökotrophologe erstelle die Anamnese des Ernährungsstatus, stelle die daraus abzuleitende Ernährungstherapie selbständig fest und passe die Therapie auf das Krankheitsbild an. Der Austausch zwischen dem Arzt und dem Ökotrophologen sei nichts anderes als der Austausch unter Fachkollegen, wie er auch zwischen Ärzten verschiedener Fachrichtung vorkomme.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 22.09.2009 ihren Bescheid vom 4.03.2008 auf, stellte eine Versicherungspflicht der Klägerin nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ab dem 15.02.2008 fest und wies darauf hin, der Bescheid werde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Ergänzend führte die Klägerin aus, sie arbeite mit den Ärzten kooperativ zusammen, sei aber nicht weisungsgebunden. Insoweit nahm sie Bezug auf die Berufsordnung der Ökotrophologen. Auch werde sie, ohne sachlichen Grund, im Verhältnis zu Logopäden benachteiligt.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 6.07.2010 den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Für die festgestellte Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sei zu unterscheiden zwischen denen, die die Heilkunde selbst ausübten (z.B. Ärzte und Heilpraktiker) und denen, die auf Verordnung eines Heilkundigen tätig würden (z.B. Physiotherapeuten, Masseure). Nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI seien diejenigen versicherungspflichtig, die – wie die Klägerin - überwiegend aufgrund ärztlicher An- oder Verordnung und damit in Abhängigkeit von einem Heilkundigen tätig würden. Die durch den Arzt ausgestellte Notwendigkeitsbescheinigung (§ 43 SGB V) enthalte die Diagnose des Krankheitsbildes sowie Laborwerte. Die in der Berufsordnung für Ökotrophologen (Anhang I Artikel 1.6) beschriebene Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt bestätige, dass der ernährungstherapeutischen Tätigkeit die medizinische Diagnose zugrunde liege, bei Unklarheiten der Arzt zu kontaktieren und am Therapieende für den Arzt ein kurzer Bericht über den Verlauf und das Ergebnis zu erstellen sei. Dies mache die Abhängigkeit vom Heilkundigen deutlich. Der Schlussfolgerung der Klägerin, dass dies lediglich ein Austausch unter Fachkollegen sei, könne nicht gefolgt werden. Das in der Berufsordnung verwendete Wort Kooperation bedeute lediglich ein Zusammenwirken im Sinne einer Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Ökotrophologen. Anders als der Logopäde erstelle der Ökotrophologe keinen medizinischen Befund, was auch nicht Gegenstand des Studiums sei. Gerade auf das Kriterium der Weisungsabhängigkeit eines Heilmittelerbringers bei der Beurteilung nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (Bundessozialgericht, Urteil vom 30.01.1997, Az. 12 RK31/96) sei abzustellen. Natürlich könne die Klägerin - wie auch ein Physiotherapeut - ohne eine Notwendigkeitsbescheinigung (Verordnung) tätig werden. Maßgebend sei jedoch, dass die Klägerin überwiegend auf Verordnung tätig werde. Soweit die Klägerin sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 10.03.2005 berufe (V R 54/05), müsse festgestellt werden, dass es in diesem Urteil um Fragen der Umsatzsteuer gehe. Der BFH behandele Ärzte, Heilpraktiker, Krankengymnasten, Hebammen und andere heilberuflich Tätige steuerlich gleich. Daraus könnten vorliegend jedoch keine Schlussfolgerungen gezogen werden.

Dagegen hat die Klägerin am 26.07.2010 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.

Zur Klagebegründung hat die Klägerin ihre Einwände wiederholt und eine Stellungnahme des Verbandes der Ökotrophologen vom 15.08.2010 vorgelegt. Darin wird ergänzend ausgeführt, der Ökotrophologe stelle den Ernährungsstatus im Rahmen der Anamnese selbständig fest und sei weisungsfrei.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, eine Weisungsgebundenheit liege vor, wenn jemand auf Grund einer ärztlichen An- und Verordnung tätig werde. Der Begriff sei weit auszulegen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27.02.2013 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin unterliege ab 15.02.2008 der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. Danach seien selbständige Pflegepersonen versicherungspflichtig, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig seien und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten. Die Klägerin sei im Bereich der Krankenpflege tätig. Der Begriff der Krankenpflege sei weit auszulegen und könne als Tätigwerden zur Heilung einer Krankheit, zur Verhütung ihrer Verschlimmerung oder zur Linderung der Krankheitsbeschwerden verstanden werden. Vorliegend arbeite die Klägerin als Selbständige mit Patienten, die nach Auffassung der behandelnden Ärzte auf Grund pathologischer Körperfunktionen oder der Gefahr von ernährungsbedingten Krankheiten einer Beratung bzw. einer Ernährungstherapie bedürften. Die Klägerin kümmere sich also um kranke oder von Krankheit bedrohte Menschen im Bereich der Krankenpflege. Auch habe sie im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen Arbeitnehmer beschäftigt. Der Begriff der ärztlichen Verordnung sei untechnisch dahingehend zu verstehen, dass die heilkundige Person eine Diagnose stelle und Art und Umfang einer Behandlung festlege. Bei der streitigen Abgrenzung seien zunächst die tatsächlichen Arbeitsabläufe der Klägerin einschließlich der Abrechnung der erbrachten Dienstleistungen mit der Krankenkasse und weiterhin die berufsrechtlichen Vorschriften des Berufsbildes des Ökotrophologen zu berücksichtigen. Vorliegend sei die Klägerin als Pflegeperson anzusehen, da sie überwiegend auf der Grundlage von ärztlichen Notwendigkeitsbescheinigungen im Sinne des § 43 SGB V tätig werde. Der typische Ablauf einer Ernährungstherapie auf der Grundlage einer Notwendigkeitsbescheinigung sei, dass ein behandelnder Arzt seine Patienten an den Ökotrophologen verweise. Darin bescheinige der behandelnde Arzt einen Behandlungsbedarf auf Grund seiner vorherigen Untersuchung des Patienten. Typischerweise würden in der Notwendigkeitsbescheinigung eine Diagnose angegeben und Laborparameter mitgeteilt, die für die Ernährungstherapie von Bedeutung sein könnten. Solche Laborparameter des Blutes dürfe der Ökotrophologe nicht selbst erheben. Ebenso werde die beratungs- bzw. therapierelevante Medikation angegeben. Auch könne der behandelnde Arzt den Umfang der Ernährungsberatung festlegen. Zwar habe die Klägerin angegeben, den Therapieplan in eigener Verantwortung zu erstellen und dass die Angaben der behandelnden Ärzte in den Notwendigkeitsbescheinigungen häufig allgemein gehalten seien ("Übergewicht", "Nahrungsmittelallergie"). Die Klägerin werde jedoch überwiegend erst tätig, nachdem ein Arzt als Heilkundiger den jeweiligen Patienten untersucht und eine Diagnose gestellt habe. All diese Aspekte sprächen für ein Tätigwerden auf Grund einer ärztlichen Verordnung. Die Leistung der Klägerin nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sei eine ergänzende Leistung, die letztlich in einem engen Zusammenhang mit der Hauptleistung stehe bzw. ein Arzt anlässlich einer chronischen Erkrankung festgestellt habe. Wolle die Klägerin eine Ernährungstherapie gegenüber der Krankenkasse abrechnen, bestehe eine Abhängigkeit von einem Arzt, der eine entsprechende Notwendigkeit zu bescheinigen habe. In der Sache sei dies nichts anderes als eine Verordnung. Bei der Beurteilung, ob die Klägerin eine (weisungsgebundene) Pflegeperson im Sinne der Vorschrift sei, komme es nicht darauf an, ob die Klägerin auch ohne eine ärztliche Verordnung berechtigt sei, eine Diagnose und einen Therapieplan zu erstellen. Entscheidend sei, ob der betreffende Selbständige in tatsächlicher Hinsicht überwiegend auf Grund ärztlicher Verordnung seine Behandlungen vornehme. Dies sei vorliegend der Fall. Auch die berufsrechtlichen Vorschriften sprächen dafür, dass die Klägerin als eine Pflegeperson im Sinne § 2 Abs. 1 S.1 Nr. SGB VI anzusehen sei. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 30.01.1997, Az. 12 RK 31/96, Juris, Rdnr. 14) habe bei der Frage der Vereinbarung der Versicherungspflicht von Physiotherapeuten mit dem Gleichheitssatz vor dem Hintergrund der fehlenden Versicherungspflicht von Logopäden maßgeblich mit dem jeweiligen Berufsbild argumentiert und die Prüfungsvorschriften herangezogen. Die berufsrechtlichen Vorschriften für Ökotrophologen vom 15.06.2002 in der geänderten Fassung vom 22.06.2007 bestimmten in der Präambel, dass der Ökotrophologe in der Ernährungstherapie in enger Kooperation mit dem behandelnden Arzt oder im Rahmen einer ärztlichen Notwendigkeitsbescheinigung tätig werde. Art. I.6 Nr. 1 könne die Notwendigkeit der Kooperation mit dem behandelnden Arzt entnommen werden. Die Abhängigkeit des Ökotrophologen vom Mediziner werde darin deutlich, dass der ernährungstherapeutischen Tätigkeit eine medizinische Diagnose zugrunde liege. Diese Abhängigkeit vom Arzt und die fehlende eigene Eigenschaft als Heilkundiger werde zudem aus Punkt I.3 deutlich. Danach sei bei Unklarheiten und Auffälligkeiten in der Notwendigkeitsbescheinigung oder im Krankheitsverlauf der Ökotrophologe gehalten mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufzunehmen und entsprechend seiner Fachkenntnisse Vorschläge zur Therapie zu machen. Am Ende der Therapie solle ein kurzer Bericht über den Verlauf und das Ergebnis an den Arzt erfolgen.

Gegen das am 14.05.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.06.2013 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 30.07.2013 die Versicherungsfreiheit der Klägerin gem. § 5 Abs. 2 SGB VI ab 01.05.2013 wegen geringfügigen Umfangs ihrer Tätigkeit als selbständig tätige Pflegeperson (§ 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V) festgestellt.

Zur Begründung wiederholt und vertieft die Klägerin ihren bisherigen Vortrag. Sie vertritt die Auffassung, als in der Ernährungsberatung tätige Ökotrophologin sei sie keine Heilmittelerbringerin i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V. Die Notwendigkeitsbescheinigung nach § 43 SGB V sei keine Verordnung von Heilmitteln nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 73 Abs. 2 Nr. 5, 7, 8, 12 oder Nr. 6 SGB V, sondern eine Bescheinigung der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 2 Nr. 9 SGB V. Es sei auch ihre hohe Qualifikation (abgeschlossenes Hochschulstudium mit Spezialisierung) zu berücksichtigen. Die ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung führe nicht dazu, dass sie ihre Tätigkeit als Ernährungsberaterin gegenüber einem Arzt weisungsabhängig ausübe. Dies gelte ebenso für die auf dieser Bescheinigung mitgeteilten Labordaten. Auch habe sie – wie ein Logopäde – die familiäre, berufliche und sozioökonomische Situation des Patienten zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27.02.2013 und den Bescheid den Beklagten vom 22.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.07.2010 aufzuheben und festzustellen, dass sie in ihrer Tätigkeit als selbständig tätige Ernährungsberaterin ab dem 15.02.2008 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen ist.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben ebenso wie die angefochtenen Bescheide der Beklagten. Die Klägerin unterliegt in ihrer Tätigkeit als selbständige Ernährungsberaterin ab 15.02.2008 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen RentenversicherungRentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI.

Versicherungspflichtig sind gem. § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI selbständig tätige Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Krankenpflege tätig sind. Die Klägerin beschäftigte als selbständige Ernährungsberaterin im streitgegenständlichen Zeitraum keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer; sie war nach ihrer Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ab dem 15.02.2008 bis zum 01.05.2013 (Bescheid der Beklagten vom 30.07.2013) mehr als geringfügig (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) selbständig tätig.
Sie übte im streitigen Zeitraum jedoch keine Tätigkeit als "Pflegeperson" in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege aus.

Zu diesem Personenkreis gehören alle selbständig Tätigen, die grundsätzlich auf ärztliche Verordnung (BSG SozR 3-2600 § 2 Nr. 2; BT-Drucks. 14/4863 S. 38) Kranke, Wöchnerinnen, Säuglinge oder Kinder pflegerisch betreuen, um ihre Genesung oder ihr Gedeihen zu fördern. § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI erfasst auch Pflegekräfte im weiteren Sinn. Dazu zählen grundsätzlich auch Angehörige der weisungsabhängigen Heilberufe (Heilhilfsberufe), die eine Überschneidung der pflegerischen und therapeutischen Betreuung aufweisen, wie insbesondere Physiotherapeuten und Ergotherapeuten (Fichte in Hauck/Notz SGB VI § 2 Rdnr. 45), die Patienten aufgrund ärztlicher Verordnung behandeln. Diese sind Pflegepersonen i. S. des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (BSG SozR 3-2600 § 2 Nr. 2; BSG, Die Beiträge Beilage 2004, 306). Auch selbstständig tätige Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten (Ergotherapeuten), soweit sie keinen Arbeitnehmer beschäftigen, sind versicherungspflichtig in der Rentenversicherung, wenn sie ihre Patienten überwiegend aufgrund ärztlicher Verordnung behandeln (BSG SozR 3-2600 § 2 Nr. 3).

Dem gegenüber werden Ernährungsberater nicht pflegerisch tätig, auch nicht im weiteren Sinne. Das gilt auch dann, wenn die Ernährungsberatung aufgrund einer Notwendigkeitsbescheinigung gem. § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erbracht wird.

Gem. § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V kann die Krankenkasse als Ermessenleistung neben ihrer Hauptleistung ergänzend wirksame und effiziente Patientenschulungsmaßnahmen für chronisch Kranke erbringen, wenn dies aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Auch Angehörige des Patienten können einbezogen werden, wenn aus medizinischen Gründen dies erforderlich ist (Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, § 43 SGB V, Rdnr. 15). Dazu haben die Spitzenverbände der Krankenkassen "Gemeinsame Empfehlungen zur Förderung und Durchführung von Patientenschulungen auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vom 11. Juni 2001 in der Fassung vom 2. Dezember 2013" formuliert. Danach ist Ziel der Patientenschulung in erster Linie, dass chronisch Kranke und ggf. deren Angehörige bzw. ständige Betreuungspersonen durch die Teilnahme an Patientenschulungen zu einem besseren Krankheitsselbstmanagement sowie zur Vermeidung und Reduzierung von Beeinträchtigungen der Aktivitäten/Teilhabe befähigt und damit auch ihre Lebensqualität erhöht werde im Sinne der Hilfe zur individuellen Selbsthilfe (Ziff. 5 der Gemeinsamen Empfehlung, http://www.gkv spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung 1/rehabilitation/patientenschulung/2013 12 02 GE Patientenschulung Allgemeiner Teil.pdf, recherchiert am 16.01.2015). Dies zeigt die beratende Zielrichtung der Patientenschulung und der damit verbundenen Tätigkeiten im Rahmen einer Ernährungsberatung nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Einer solchen beratenden Tätigkeit fehlt jede Form der Krankenpflege. Krankenpflege ist ein Tätigwerden zur Heilung einer Krankheit, zur Verhütung ihrer Verschlimmerung oder zur Linderung ihrer Krankheitsbeschwerden. Als typische Pflegepersonen, die selbständig Verordnungen der Krankenpflege umsetzen, werden Krankenschwestern und –pfleger, Altenpfleger, Masseure, medizinische Bademeister, Krankengymnasten/Physiotherapeuten, Ergotherapeuten/Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten und Orthopisten (Gürtner in Kass.Komm., SGB VI, § 2 Rdnr. 13) angesehen. Diese Berufsgruppen haben übereinstimmend eine Tätigkeit zum Inhalt, die durch ihre eigene berufstypische Tätigkeit unmittelbar auf die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung der Krankheitsbeschwerden ihrer Patienten hin zielen. Die Tätigkeit der Klägerin als Ernährungsberaterin zielt zwar auch auf die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung der Krankheitsbeschwerden ihrer Patienten. Das Ergebnis ihrer Tätigkeit ist jedoch die Erstellung eines Ernährungsplans im Rahmen einer Beratung ihrer Patienten. Erst die Umsetzung des im Rahmen der Beratung erstellten Ernährungsplans stellt dann die entscheidende Tätigkeit dar, welche unmittelbar zur Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung der Krankheitsbeschwerden führen kann. Die Umsetzung des Ernährungsplans obliegt jedoch nicht der Klägerin als Ernährungsberaterin, wie die Gemeinsame Empfehlung zeigt. Die Tätigkeit der Klägerin zielt auf die Befähigung der Patienten bzw. deren Angehörigen zum "besseren Krankheitsselbstmanagement" im Rahmen der Ernährung. Diese Tätigkeit stellt eine Beratung der Patienten dar und ist keine pflegerische Leistung.

Die Ernährungsberater klärt nicht nur über die physikalischen und biochemischen Vorgänge der Ernährung auf, sondern auch über die allergologischen Verknüpfungen. Darüber hinaus beraten sie zu Themen wie die Veränderungen der Lebensmittelstruktur in Zusammenhang mit der Zubereitung sowie zu Essverhalten, Sport, Körperbewusstsein und Lebensführung. Der Ernährungsberater wird durch seine Ausbildung befähigt, eigenverantwortlich ernährungsmedizinische Maßnahmen durchzuführen sowie Diätpläne zu erstellen: "Um langfristig bei einer Diät Erfolg zu haben, genügt es nicht, die Kilos los zu werden, es muss eine vollständige Umstellung der Ernährung erfolgen. Im Grunde weiß jeder, welche Nahrungsmittel ungeeignet sind, doch ohne die Hilfe eines Ernährungsberaters fällt es den meisten Menschen schwer, die eingefahrenen Gewohnheiten zu ändern. Durch individuelle Entscheidungshilfen unterstützt der Ernährungsberater bei der Diät. Er untersucht die Alltagssituation und entwickelt Diätpläne, die zur jeweiligen Umweltsituation sowie zur Persönlichkeit des Ratsuchenden passen. In enger Zusammenarbeit zwischen Ratsuchendem und Ernährungsberater werden dabei Analysen zum Essverhalten durchgeführt und dieses optimiert. Der Ernährungsberater spricht die Ziele an und ermittelt, ob diese überhaupt erreichbar sind. Insbesondere Frauen neigen dazu, sich Ziele zu stecken, die oftmals außerhalb ihrer physischen Möglichkeiten liegen und/oder gesundheitlich sinnvoll sind. Gerade hier ist viel Fingerspitzengefühl gefordert, sodass der Ernährungsberater häufig fast schon psychotherapeutische Ansätze zeigen muss" (vgl. http://www.ausbildung-ernaehrungsberater.info/ernaehrungsberater, recherchiert am 16.01.2015).
Ernährungsberater/innen halten Einzel- und Gruppenberatungen ab, gehen auf die individuellen Probleme der Ratsuchenden ein und arbeiten mit ihnen zusammen Ernährungspläne aus. Dabei kann es um gesunde Ernährung im Allgemeinen, um spezielle Ernährungsweisen wie Vollwertkost, um Standarddiäten bei Indikationen wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Übergewicht sowie um Diäten bei bestimmten Allergien gehen. Sie beraten unter anderem Menschen mit ernährungsbedingten Krankheiten und Essstörungen. Außerdem setzen sie ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse in zielgruppengerechte Verbraucherinformationen um, z.B. in Informationsveranstaltungen und Seminaren speziell für Schwangere, Allergiker oder Diabetespatienten. Dabei informieren sie beispielsweise darüber, welche Produkte Zucker oder Haselnüsse beinhalten können, welche Lebensmittel "gutes" oder "schlechtes" Cholesterin enthalten, wie sich zu viel Fett in den Mahlzeiten vermeiden lässt oder wie man besonders vitaminschonend kocht. Im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen führen sie im Sinne der Primärprävention Maßnahmen durch, mit denen bei den Versicherten Mangel- bzw. Fehlernährung vermieden werden soll (http://berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/berufId.do, recherchiert am 16.01.2015).

Dem steht nicht entgegen, dass die ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung nach § 43 Abs. 1 SGB V eine ärztliche Verordnung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation im Sinne von § 73 Abs. 2 Nr. 5 SGB V darstellt (Hess in Kass.Kommentar, SGB V § 73 Rdnr. 25) und die Klägerin zu fast 100 % auf dieser Grundlage tätig wird. Denn die Patientenschulungsmaßnahme auch in Form der Ernährungsberatung ist nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V eine ergänzende Leistung zur Rehabilitation. Damit wird keine weisungsabhängige Tätigkeit der Klägerin gegenüber dem verordnenden Arzt begründet. Dies zeigt die Rahmenempfehlung der Ersatzkassen und ihrer Verbände zur Förderung ergänzender Leistungen zur Rehabilitation nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V – Rahmenempfehlung Patientenschulung – vom 25.11.2004. Darin wird zur Anbieterqualifikation ausgeführt:

"Zur Durchführung entsprechender Maßnahmen kommen Fachkräfte mit einem staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschluss im Bereich Ernährung in Betracht, insbesondere

  •  ...Oecotropholgin/Oecotrophologe (ernährungswissenschaftliche Ausbildung; )
  • ...mit themenbezogener Zusatzqualifikation gemäß z.B. den Qualitätsstandards der Ernährungsberatung einer anerkannten Institution im Handlungsfeld sowie
  • Ärztin/Arzt mit Fortbildungsnachweis gemäß dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin."

Damit wird deutlich, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Ernährungsberaterin auf der Grundlage einer Notwendigkeitsbescheinigung nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V gegenüber dem verordnenden Arzt nicht weisungsabhängig tätig wird. Denn sie wird auf einem Gebiet tätig, in dem der Arzt aufgrund seiner ärztlichen Ausbildung – ohne entsprechende Zusatzqualifikation – keine fachlichen Vorgaben machen kann. Die Notwendigkeitsbescheinigung ist somit nicht Zeichen einer weisungsabhängigen Tätigkeit, sondern (eine) Grundlage der Abrechnung der Leistungen der Ernährungsberatung gegenüber der Krankenkasse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen, § 160 Abs. 2 SGG.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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