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Landessozialgericht Hessen 24.11.2015, L 2 R 293/12

  • Aktenzeichen: L 2 R 293/12
  • Spruchkörper: 2. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 R 179/10
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 24.11.2015

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der den sogenannten Vertragspreis der Beigeladenen übersteigenden Kosten der Versorgung der Klägerin mit Hörgeräten, konkret um einen Betrag von 3.547,00 Euro.

Die 1956 geborene Klägerin ist – als Verwaltungsangestellte – Leiterin des Standesamtes und stellvertretende Amtsleiterin des Ordnungsamtes der Stadt A-Stadt, außerdem ist sie dort in der Friedhofsverwaltung tätig.

Am 28. Mai 2009 verordnete der Ohrenarzt der Klägerin, Dr. C., ihr beidseits Hörhilfen wegen einer Hochtonschwerhörigkeit. Auf Grund dieser Verordnung schlug der Hörgeräteakustiker D. D., "D.’s Hörgeräte", AX-Stadt, der Klägerin die Versorgung mit Hörgeräten vom Typ "xxxxx" vor. Wegen der Einzelheiten der Verordnung wie der Dokumentation zur Hörgeräteanpassung wird auf Bl. 1 ff. der Leistungsakte der Beigeladenen (im Folgenden: DAK-A) Bezug genommen.

Die Beigeladene, bei der die Klägerin gesetzlich krankenversichert war (und, soweit ersichtlich, ist), erklärte – offenbar nach Eingang der Versorgungsanzeige seitens des Hörgeräteakustikers – mit einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 9. Juni 2009 (auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, DAK-A Bl. 5), sie, die Beigeladene, übernehme für die Hörgeräteversorgung Kosten in Höhe einer Pauschale von 1.192,80 Euro, und zwar – unter Berücksichtigung einer von der Klägerin zu übernehmenden Zuzahlung in Höhe von 20,00 Euro – 823,00 Euro für die Hörgeräte einschließlich Ohrplastik und 389,80 Euro für eine Servicepauschale. Dies ließ die Klägerin zunächst unbeanstandet. Mit Schreiben ebenfalls vom 9. Juni 2009 beauftragte die Beigeladene den Hörgeräteakustiker mit einer entsprechenden Versorgung der Klägerin (DAK-A Bl. 30).

Mit einem auf den 15. August 2009 datierten und am 26. August 2009 bei der Beklagten, dem für die Klägerin zuständigen Rentenversicherungsträger, eingegangenen Antrag (Akte der Beklagte – im Folgenden: DRV-A – Bl. 1) machte die Klägerin die Übernahme der (über den von der Beigeladenen zugesicherten Betrag hinausgehenden) Kosten der Hörgeräteversorgung als Leistungen zur Teilhabe (am Arbeitsleben) geltend. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, die Kostenübernahme würde es ihr ermöglichen, ihre standesamtlichen Aufgaben und die Aufgaben in der Friedhofsverwaltung weiter auszuüben, da dies nur kommunikativ möglich sei. Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht bei Dr. C. ein, der unter dem 2. September 2009 über eine seit Jahren bestehende und zunehmende Innenohrschwerhörigkeit auf beiden Seiten berichtete (DRV-A Bl. 13). Die Klägerin übersandte nach entsprechender Aufforderung eine Tätigkeitsbeschreibung, in der sie ihre Aufgaben und die damit verbundenen kommunikativen Anforderungen näher darlegte; diesbezüglich wird auf das entsprechende Schreiben vom 17. September 2009 (DAK-A Bl. 7) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 25. September 2009 leitete die Beklagte daraufhin den bei ihr gestellten Antrag der Klägerin an die Beigeladene weiter und führte dazu aus, dass im Tätigkeitsbereich des ausgeübten Berufs keine Höranforderungen bestünden, die nicht in jedem Beruf vorkämen, so dass die Ausstattung mit Hörgeräten in den Entscheidungsbereich der Krankenversicherung falle. Die Beigeladene gab die Unterlagen jedoch mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 an die Beklagte zurück, da diese die vierzehntägige Frist zur Weiterleitung des Antrags aus § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB X) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – versäumt habe.

Am 8. Oktober 2009 erhielt die Klägerin die streitigen Hörgeräte vom Typ "xxxxx" von ihrem Hörgeräteakustiker. Dabei erklärte sie auf einem ihr, soweit ersichtlich, von diesem vorgelegten Formular, sie habe sich für eine Versorgung mit Eigenanteil entschieden und kein eigenanteilsfreies Versorgungsangebot gewünscht. Mit der Zahlung der Mehrkosten und den damit verbundenen Folgekosten sei sie einverstanden. Auf DAK A Bl. 36 wird Bezug genommen. Der Hörgeräteakustiker stellte der Beigeladenen daraufhin einen Betrag von 1.192,80 Euro und den darüber hinausgehenden Betrag von insgesamt 3.547,00 Euro der Klägerin in Rechnung. Wegen der Einzelheiten wird auf DAK-A Bl. 37 und Bl. 84 der Gerichtsakte (im Folgenden: GA) verwiesen.

Durch den angefochtenen Bescheid vom 28. Oktober 2009 lehnte sodann die Beklagte den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit der Begründung ab, grundsätzlich seien Hörgeräte von der Krankenkasse nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – als Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Hilfsmittel zur Berufsausübung, für die sie, die Rentenversicherung, Kosten übernehmen könne, müssten ausschließlich für die Berufsausübung oder die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sein. Sie müssten die Folgeerscheinungen einer Behinderung bei einer bestimmten beruflichen Verrichtung ausgleichen. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor, da bei ihr keine besonderen Höranforderungen bestünden. Die Kommunikation mit anderen Arbeitnehmern, das Telefonieren, der Kundenkontakt sowie eine Geräuschkulisse am Arbeitsplatz seien Anforderungen, die in jeder Berufstätigkeit und auch sonst im täglichen Leben bestünden.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. November 2009 Widerspruch ein. Zur Unterstützung ihres Widerspruchs reichte sie eine Stellungnahme ihrer Arbeitgeberin vom 17. Dezember 2009 (DRV-A Bl. 30) zu den Akten, wonach sie zur Ausübung ihrer Tätigkeit auf höherwertige Hörgeräte angewiesen sei.

Während des laufenden Widerspruchsverfahrens wandte sich die Klägerin zudem mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 (DAK-A Bl. 28), dort eingegangen am 17. Dezember 2009, an die Beigeladene und bat diese um Übernahme der vollen Kosten, da diese medizinisch notwendig seien, um ihre Schwerhörigkeit auszugleichen. Die Beigeladene erläuterte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 die aus ihrer Sicht bestehende Rechtslage und verwies sie wegen der über den Festbetrag hinausgehenden Kosten an die Beklagte; auf DAK-A Bl. 33 wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Nachdem die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. März 2010 (DRV-A Bl. 34), der sich im Wesentlichen auf die gleichen Argumente stützte wie der Ausgangsbescheid, den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen hatte, hat diese mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 24. März 2010, eingegangen am 25. März 2010, Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben.

Während des laufenden Klageverfahrens hat sie zudem die Beigeladene mit Schreiben vom 23. Juli 2010 aufgefordert, ihr einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu ihrem "Widerspruch" vom 14. Dezember 2009 zu erteilen. Die Beigeladene hat daraufhin durch Bescheid vom 2. August 2010 die Übernahme der über den Vertragspreis hinausgehenden Kosten abgelehnt, da mit diesem sämtliche Kosten für eine ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und qualitätsorientierte Versorgung abgegolten seien.

Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 16. August 2010 Widerspruch eingelegt. Sie bestreite, dass das von ihr gewählte Hilfsmittel über das Maß des Notwendigen hinausgehe. Sie habe hierzu von der Beigeladenen auch keinerlei konkrete Auskünfte erhalten.

Nachdem das SG die Beigeladene bereits mit Beschluss vom 2. November 2010 (GA Bl. 56) zu dem Rechtsstreit der Klägerin gegen die Beklagte beigeladen hatte, hat jene den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 24. März 2011 (DAK-A Bl. 45) zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, Versicherte hätten Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 SGB V). Die Leistungen der Krankenkassen müssten ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürften das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Sei für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt worden, erfülle sie ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag (§ 12 SGB V). Für die Komplettversorgung mit Hörsystemen habe der Verband der Ersatzkassen, dem sie angehöre, einen Vertrag mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker abgeschlossen. Gegenstand dieses Vertrages sei unter anderem die Regelung der Einzelheiten der Versorgung der Versicherten mit neuen Hörsystemen und der anschließenden Serviceleistungen durch den Leistungserbringer sowie der Abrechnung der auf den Festbeträgen basierenden Pauschalpreise. Danach erhalte der Versicherte mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsangebote (d.h. ohne Zuzahlung, ausgenommen der gesetzlichen Zuzahlung) mit analogen oder digitalen Hörgeräten einschließlich der erforderlichen Otoplastik. Die Versorgungspauschale betrage 648,40 Euro für das erste Hörgerät und 564,40 Euro für das zweite Hörgerät. Die Kasse habe daher mit der Zusicherung der Versorgung in Höhe von insgesamt 1.192,80 Euro (1.212,80 Euro abzüglich einer Eigenbeteiligung von 20,00 Euro) den vertraglich vereinbarten Preis bewilligt. Wähle der Versicherte ein nicht eigenanteilsfreies Versorgungsangebot, habe er eine Erklärung abzugeben, mit der er sich mit der Zahlung der Mehrkosten für das von ihm ausgewählte Hörgerät einverstanden erkläre. Eine entsprechende Erklärung habe die Klägerin am 8. Oktober 2009 unterzeichnet. Schon aus diesem Grund sei ihr, der Beigeladenen, eine höhere Beteiligung an den Kosten der Hörgeräte nicht möglich.

Die Klägerin hat nach Erteilung des Widerspruchsbescheides auch gegen die Beigeladene Klage zum SG erhoben (Az.: S 25 KR 220/11). Dieses Verfahren hat das SG durch Beschluss vom 9. August 2011 im Hinblick auf das hiesige Verfahren zum Ruhen gebracht.

Die Klägerin hat zur Begründung ihres Begehrens ihre Argumentation aus den Ausgangs- und Widerspruchsverfahren mit der Beklagten wie mit der Beigeladenen wiederholt und vertieft. Die Behauptung des vom SG befragten Hörgeräteakustikers D., sie habe sich aus kosmetischen Gründen für die gewählten Geräte entschieden, treffe nicht zu. Es seien ihr zwar zuzahlungsfreie Angebote bzw. Angebote mit geringeren Zuzahlungsbeträgen unterbreitet worden, nach einer längeren Testphase habe sie sich aber für die gewählte Versorgung entschieden, weil sie ihr wieder die uneingeschränkte Ausübung ihres Berufs ermöglicht habe. Sie habe den von ihr verlangten Betrag über 3.547,00 Euro für die Hörgeräte "xxxxx" am 16. Oktober 2009 bezahlt.

Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts die Unterlagen des Hörgeräteakustikers beigezogen, auf die (GA Bl. 48 ff.) Bezug genommen wird, und ergänzend bei diesem angefragt, ob eigenanteilsfreie Hörgeräte getestet worden seien. Der Hörgeräteakustiker hat daraufhin mitgeteilt, dass die Klägerin sich in der Zeit vom 6. Juni 2009 bis 8. Oktober 2009 in Ausprobe mit verschiedenen Hörsystemen befunden habe. Hierbei seien mit ihr in gewohnter und in objektiver Umgebung technisch unterschiedlichste Hörsysteme getestet worden, wobei die Hörgeräte "xxxxx" für die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Standesbeamtin die bestmögliche Versorgung dargestellt hätten. Auch hätten der kosmetische Aspekt und der Tragekomfort bei der Hörsystemauswahl mitberücksichtigt werden sollen. Es sei ihr ein Angebot über zuzahlungsfreie Geräte unterbreitet worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben vom 31. März 2011 (GA Bl. 94) und 26. Mai 2011 (GA Bl. 105) verwiesen.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 4. Juni 2012 abgewiesen. Die Klägerin habe weder gegen die Beklagte und noch gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Kostenersatz in Höhe des Eigenanteils von 3.547,00 Euro für die selbst beschafften Hörgeräte. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung und die Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherung seien vom Sachleistungsprinzip geprägt und erlaubten eine Kostenerstattung nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX sei der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, die einem Versicherten dadurch entstünden, dass er sich eine erforderliche Leistung selbst beschaffe, wenn der Rehabilitationsträger über den Leistungsantrag nicht oder nicht fristgerecht entschieden habe, eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringe oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Nach § 13 Abs. 3 SGB V seien Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung der Krankenversicherung, soweit die Leistung notwendig gewesen sei, in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien. Nachdem die Hörgeräte bereits angeschafft worden seien, könne sich das Begehren der Klägerin nicht mehr auf die Übernahme der Kosten als Sachleistung, sondern nur noch auf Kostenerstattung richten. Die formelle Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich aus § 14 SGB IX. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX stelle der Rehabilitationsträger, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt würden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig sei. Stelle er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig sei, leite er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Werde der Antrag nicht weitergeleitet, stelle der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Im Falle der Nichtweiterleitung des Antrags sei danach der erstangegangene Rehabilitationsträger, im konkreten Fall die Beklagte, zuständig, da die Klägerin dort am 26. August 2009 einen Antrag auf Übernahme des Eigenanteils der Kosten für die Hörgeräte gestellt und sich erst am 14. Dezember 2009 an die Beigeladene gewandt habe. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Beigeladene bereits mit Datum vom 9. Juni 2009 die Zustimmung zur Hörgeräteversorgung erteilt und die Kostenübernahme in Höhe einer Pauschale von 1.192,80 Euro zugesichert habe. In der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers sei kein Antrag auf Übernahme der Mehrkosten der Hörgeräteversorgung durch die Krankenkasse zu sehen. Dies ergebe sich schon daraus, dass dieser der Krankenkasse die tatsächlichen Kosten für die gewählten Hörgeräte gar nicht dargelegt habe. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX seien nicht erfüllt, denn die Beklagte habe die Erstattung im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder der medizinischen Rehabilitation nicht zu Unrecht abgelehnt. Die Abgrenzung zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung im Bereich von Teilhabeleistungen richte sich danach, ob das begehrte Hilfsmittel – hier das Hilfsmittel Hörhilfe – dem unmittelbaren Behinderungsausgleich diene – dann Leistungspflicht der Krankenversicherung – oder ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile biete – dann Leistungspflicht der Rentenversicherung (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 5. April 2011 – L 5 R 28/08). Die Beklagte sei vorliegend nicht zur Übernahme der Kosten für das Hörgerät bzw. der von der Klägerin geltend gemachten Mehrkosten nach dem SGB VI verpflichtet, denn ein ausschließlich berufsbedingter Mehrbedarf sei vorliegend für die Kammer nicht erkennbar. Aus der Tätigkeitsbeschreibung der Klägerin vom 17. September 2009 und der Stellungnahme des Arbeitgebers vom 17. Dezember 2009 gehe hervor, dass sie als Leiterin des Standesamtes, Sachbearbeiterin Friedhofsverwaltung, stellvertretende Amtsleiterin Ordnungsamt (Bürgerbüro, Kindergärten, Sozial- und Seniorenarbeit, Hilfspolizei, Gewerbeamt, Friedhofsverwaltung, Standesamt, Kinder- und Jungendarbeit) tätig sei. Es sei, wie das SG im Einzelnen erläutert hat, nicht ersichtlich, dass die Klägerin ausschließlich in ihrer konkreten beruflichen Tätigkeit auf eine besondere bzw. spezielle Hörfähigkeit – wie etwa bei akustischen Kontroll- oder Überwachungsarbeiten oder beim feinsinnigen Unterscheiden zwischen bestimmten Tönen und Klängen – angewiesen wäre. Die Beklagte sei jedoch auch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V nicht verpflichtet, der Klägerin die Mehrkosten für die von ihr selbst beschafften Hörgeräte zu erstatten, denn es fehle an der notwendigen Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung durch den Leistungsträger und der Kostenentstehung durch die höherwertige Hörgeräteversorgung. Ansprüche nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V – ebenso wie nach § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX – seien nur gegeben, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dem Versicherten "dadurch" Kosten für die selbst beschaffte Leistung entstanden seien. Dazu müsse die Kostenbelastung des Versicherten der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Krankenversicherungsrecht zufolge wesentlich auf der Leistungsversagung der Krankenkasse beruhen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 4. April 2006, B 1 KR 5/05 R – BSGE 96, 161). Hieran fehle es, wenn diese vor Inanspruchnahme der Versorgung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst worden sei, obwohl dies möglich gewesen wäre (Hinweis auf BSG, Urteile vom 15. April 1997 – 1 BK 31/96, SozR 3-2500 § 13 Nr. 15 und vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26), wenn die Beschaffung bereits vor der ablehnenden Entscheidung des Leistungserbringers erfolgt sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 3. August 2006 B 3 KR 24/05 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 10) oder wenn der Versicherte auf eine bestimmte Versorgung von vornherein festgelegt gewesen sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 2/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 20). Die beiden letztgenannten Fallvarianten träfen hier zu. Es fehle vorliegend an der erforderlichen Kausalität zwischen Ablehnung des Antrags und der Entstehung der Kosten, weil die Klägerin, wie das SG sodann näher ausgeführt hat, den Kaufvertrag über die Hörgeräte bereits abgeschlossen gehabt habe, bevor die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung getroffen habe. Darüber hinaus sei die Klägerin auf eine bestimmte Versorgung mit Eigenanteil von vorneherein festgelegt gewesen. Sie habe sich, wie das SG unter Auswertung der Schreiben des Hörgeräteakustikers vom 31. März 2011 und 26. Mai 2011 und den Einwendungen der Klägerin hierzu näher ausgeführt hat, aufgrund der Beratung durch ihren Hörgeräteakustiker auf die Versorgung mit zuzahlungspflichtigen Hörgeräten festgelegt. Die Kostenerstattung eines selbstbeschafften Hörgeräts sei aber letztlich davon abhängig, dass der Versicherte das ihm Zumutbare getan hat, um die notwendige Leistung zur Vermeidung unnötiger Kosten zu ermitteln. Dies sei hier nicht geschehen. Inwieweit sich der Hörgeräteakustiker gegebenenfalls vertragswidrig verhalten haben könnte, indem er die Klägerin nicht sachgemäß beraten habe, könne dahinstehen. Jedenfalls habe die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass eine eigenanteilsfreie Versorgung nicht gewünscht werde. Aus der Formulierung könne auch der Laie erkennen, dass eine eigenanteilsfreie Versorgung grundsätzlich der "Normalfall" sei. Wenn die Klägerin noch nicht einmal "eigenanteilsfreie Versorgungsvorschläge" des Hörgeräteakustikers teste, sondern – möglicherweise auf dessen Rat hin – die eigenanteilsfreie Versorgung von vorneherein ausschließe, gehe dies zu ihren Lasten.

Die Klägerin hat – nach Zustellung des Urteils bei ihrem Prozessbevollmächtigten am 2. Juli 2012 – durch diesen am 2. August 2012 Berufung eingelegt. Dabei wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere macht sie geltend, sie müsse in ihrem Beruf als Standesbeamtin die gleichen Höranforderungen bewältigen wie ein nichtbehinderter Mensch, wobei sie unter besonderen akustischen Bedingungen tätig werde. Anders als das SG meine, habe sie durchaus zuzahlungsfreie Angebote getestet, eine Vorfestlegung habe es nicht gegeben. Auch könne ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe den Beschaffungsweg nicht eingehalten; vielmehr habe die Beigeladene gegen das SGB IX verstoßen, weil sie ohne weitere Beratung nur die Pauschale bewilligt habe. Die vom Hörgeräteakustiker vorgelegte Dokumentation zur Hörgeräteanpassung schließlich spiegele nicht das Ergebnis der von ihr durchgeführten Erprobung wieder. Die von ihr getesteten, aber nicht ausgewählten Hörgeräte hätten sich als ungeeignet erwiesen, weil die Hintergrundgeräusche zu stark und die Rückkoppelung zu hoch gewesen sei. Die Töne seien zu schrill und hart verstärkt worden und das Gehäuse habe gedrückt.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juni 2012 insoweit aufzuheben, als es einen Anspruch gegen die Beklagte verneint hat, und die Beklagte unter Aufhebung von deren Bescheid vom 28. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 zu verurteilen, ihr einen Betrag von 3.547,00 Euro als Kostenerstattung für die von ihr erworbenen Hörgeräte zu gewähren,

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juni 2012 insoweit aufzuheben, als es einen Anspruch gegen die Beigeladene verneint hat, und die Beigeladene unter Aufhebung von deren Bescheid vom 2. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2011 zu verurteilen, ihr über die bisher bewilligten 1.192,80 Euro hinaus einen Betrag von weiteren 3.547,00 Euro als Kostenerstattung für die von ihr erworbenen Hörgeräte zu gewähren,

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und ihre jeweiligen Bescheide. Die Beklagte hält überdiese die Beigeladene für allein zuständig. Die Beigeladene hat auf Anforderung des Gerichts den 2009 maßgeblichen Versorgungsvertrag der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker KdöR mit dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und dem AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. zu den Akten gereicht; wegen der Einzelheiten wird auf GA Bl. 373 ff. verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch eine erneute Anfrage bei dem Hörgeräteakustiker D.; auf dessen Antwortschreiben vom 11. Juni 2014 (GA Bl. 261) wird Bezug genommen.

Zudem hat das Gericht bei der Sachverständigen für das Hörgeräteakustikerhandwerk E. ein Gutachten in Auftrag gegeben, das diese unter dem 30. März 2015 erstattet hat. Die Sachverständige hat nach Untersuchung der Klägerin am 19. Dezember 2014 und 6. Februar 2015 und nach Auswertung der in den streitigen Hörgeräten gespeicherten Programmdaten insbesondere ausgeführt, im Ergebnis habe bei normaler Sprachlautstärke (65 dB, in einem Meter Abstand) die ohne Hörgerät mögliche Sprachverständlichkeit von 65 % mit der Vertragspreistechnik der Beigeladenen (Gerätepaar 2 in der Testung der Sachverständigen) und eine über den Vertragspreis hinausgehende, aber im Verhältnis zu den streitigen Geräten ebenfalls noch kostengünstigere Technik (Gerätepaar) jeweils um 35 % auf 100 % verbessert werden können. Eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder hätten bei der gutachterlichen Untersuchung Hörgeräte erbracht, die wie das Gerätepaar 3 mit einem Direktmikrofon (Mikrofon, das primär den von vorne auftretenden Schall aufnehme) ausgestattet seien. Andere, technisch hochwertigere Ausstattungen wie in den streitigen Hörgeräten, hätten keine Verbesserung erbracht. Auch hätten sich durch die Nutzung der streitgegenständlichen Hörgeräte keine funktionalen Vorteile gegenüber Hörgeräten zum Festbetrag oder zum Vertragspreis ergeben. Die Verständlichkeit in geräuschvoller Umgebung habe mit den streitgegenständlichen Hörgeräten im Programm 1 (ruhige Umgebung) 50 % erbracht. Wenn sich die Hörgeräte automatisch in das Spezialprogramm 2 für gutes Verstehen in geräuschvoller Umgebung umgestellt hätten, habe sich die Verständlichkeit nicht signifikant erhöht, sondern nur um 5 %. Während der Testung habe sich gezeigt, dass bei der Nutzung des manuell einzuschaltenden Programms (Verstehen im Störgeräusch) das Ergebnis um 20 % von 50 % auf 70 % Einsilberverständlichkeit gesteigert werden könne. Eine signifikante Nutzung dieses Programms sei im Nutzungsverhalten der Klägerin anhand der Dataloggingdaten jedoch nicht zu finden. Die Vertragspreistechnik (Gerätepaar 2) habe ohne Umschaltung auf ein Spezialprogramm 80 % Verständlichkeit in geräuschvoller Umgebung erbracht, also 25 % mehr als mit den streitgegenständlichen Hörgeräten im Automatikprogramm. Bestmöglich werde die Klägerin aus Sicht der Sachverständigen mit einem Hörgerät mit Direktmikrofon versorgt, auch hier müsse eine manuelle Umschaltung wie bei [der effektiven Nutzung der] streitgegenständlichen Hörgeräte erfolgen. Bei den Vergleichsmessungen habe das mit Direktmikrofon ausgestattete Gerätepaar 3 objektiv ein um 15 % besseres Sprachverstehen als mit der Vertragspreistechnik der Beigeladenen (Gerätepaar 2), [aber sogar] ein um 25 % besseres Sprachverstehen als mit den streitgegenständlichen Hörgeräten im manuellen Programm und ein um 40 % besseres Sprachverstehen als mit den streitgegenständlichen Hörgeräten bei Nutzung des am meisten aktivierten Programmes erbracht. Bei der Testung habe die Klägerin angegeben, dass sie subjektiv mit den streitgegenständlichen Hörgeräten und den Vertragspreisgeräten der Beigeladenen eine geringere Höranstrengung empfunden habe. Mit den Hörgeräten zum Vertragspreis der Beigeladenen habe ein Sprachverstehen in Ruhe von 100 % und im Störlärm von 80 % erreicht werden können. Dies sei zwar nicht optimal, aber ausreichend und zweckmäßig. Um ein einhundertprozentiges Satzverstehen zu erreichen, sei mindestens ein Einsilberverstehen von 50 % notwendig. Das von der Klägern gewählte Hörgerät sei daher für eine ausreichende Versorgung nicht notwendig, umso mehr als mit dem Automatikprogramm "Gesellschaft" des Hörgeräts keine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Sprachverstehen in Ruhe habe erreicht werden können und die Klägerin das – bessere – manuelle Gesellschaftsprogramm nur zu 1 % rechts und 2 % links genutzt habe.

Auf die Einwände der Klägerin aus dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2015 (GA Bl. 336) hat die Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme u.a. erläutert, dass die zum Vergleich herangezogenen Geräte auch im Jahr 2009 lieferbar gewesen seien; auch hätten entsprechende Geräte anderer Konzerne zur Verfügung gestanden. Für die Untersuchung sei, um reproduzierbare und interindividuell vergleichbare Ergebnisse zu erreichen, die für eine gutachterliche Bewertung unverzichtbar seien, eine gewisse Normung unvermeidlich; sie habe den genormten und validierten Freiburger Sprachtest unter schweren Bedingungen im Störgeräusch verwendet, die dabei zu bewältigenden Höranforderungen seien schwieriger als die Hörbedingungen im Alltag bzw. im Berufsleben.

Auf das Gutachten (GA Bl. 313 ff.) wie auf die ergänzende Stellungnahme vom 15. September 2015 (GA Bl. 350 ff.) wird Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- wie der Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.

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