Landessozialgericht Hessen vom 24.07.2015, Az. L 5 R 39/14
- Akteinzeichen: L 5 R 39/14
- Spruchkörper: 5. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 10 R 434/12
- Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 24.07.2015
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Witwenrente. Umstritten ist dabei insbesondere, ob die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) widerlegt ist, wonach zwischen der Klägerin und dem Versicherten eine sog. Versorgungsehe bestanden hat.
Die 1985 in der Slowakei geborene und nach eigenen Angaben seit 2005 in Deutschland lebende Klägerin ist die – seit dem xx. xxx 2014 wiederverheiratete –Witwe des 1968 geborenen und 2010 an den Folgen eines Krebsleidens verstorbenen Versicherten C. C. Die Ehe wurde im Verlaufe eines stationären Aufenthalts des Versicherten im Nephrologischen Zentrum Niedersachsen am xx. xxx 2010 im Krankenhaus als sog. Nottrauung vor dem Standesbeamten in F-Stadt geschlossen, nachdem die erste Ehe des Versicherten durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - G-Stadt vom 30. Juni 2010 (Bl. 29 Rentenakten), rechtskräftig seit dem 30. Juni 2010, geschieden worden war.
Der Versicherte war in erster Ehe vom 19. Dezember 2003 an mit der 1966 geborenen CD. verheiratet und gemeinsam mit ihr bis zum 1. April 2008 mit Hauptwohnung in H Stadt, H-Straße, gemeldet. Aus der Ehe ging der 2003 geborene Sohn E. C. hervor. Ihren vor dem Familiengericht gemachten Angaben zufolge lebten die Eheleute seit dem 26. Januar 2006 dauerhaft getrennt.
Der Versicherte war mit Hauptwohnung vom 1. April 2008 bis zum 15. Oktober 2008 in I Stadt, I-Straße und ab 15. Oktober 2008 in I-Stadt, J-Straße gemeldet.
Die Klägerin war vom 1. April 2009 bis zum 2. März 2011 mit Hauptwohnung in I-Stadt, J Straße gemeldet. Ob der Versicherte und die Klägerin – wie sie behauptet – bereits vor dem 1. April 2009 in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebten, ist streitig. Nach Auskunft des Einwohnermeldeamts Baunatal vom 27. Januar 2012 (Bl. 47 Rentenakten) ist die Klägerin am 1. April 2009 aus der Slowakei kommend nach I-Stadt zugezogen.
Im Jahre 2007 kam es bei dem Versicherten erstmals zu Blutabgängen aus dem Urin, woraufhin bei einer ambulant durchgeführten Blasenspiegelung ein Blasentumor diagnostiziert wurde. Wegen einer krankhaften Angst vor Krankenhausbehandlungen und Operationen lehnte er in der Folgezeit zunächst eine Behandlung des wachsenden bösartigen Tumors ab.
Am 17. Dezember 2009 stellte der Versicherte sich dann in reduziertem Allgemeinzustand (Gewichtsverlust von 11 kg in den vergangenen Wochen) erstmals in der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel vor und klagte über Unterbauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Er war seit dem 17. Dezember 2009 arbeitsunfähig und verblieb bis zum 27. Januar 2010 in stationärer Behandlung des Klinikums. Unter psychoonkologischer Mitbehandlung war es dann möglich, den Versicherten von der Notwendigkeit einer Operation zu überzeugen. Am 8. Januar 2010 wurde sodann operativ eine radikale Entfernung der Harnblase und der Prostata durchgeführt. Gleichzeitig wurde die funktionslose rechte Niere entfernt. Nach den intraoperativ gewonnenen Erkenntnissen stand zu diesem Zeitpunkt fest, dass eine in absehbarer Zeit tödlich verlaufende Krankheit vorlag, was mit dem Versicherten und seiner damaligen Lebensgefährtin (der Klägerin) ausführlich besprochen wurde (vgl. Auskunft der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel vom 14. Mai 2013, Bl. 110 Gerichtsakten).
Vor der geplanten Operation stellte der Versicherte sich am 4. Januar 2010 gemeinsam mit der Klägerin im Reproduktionsmedizinischen Zentrum am Klinikum Kassel zur Spermienasservierung vor. Es wurden dann am 6. Januar 2010 und am 7. Januar 2010 Ejakulate und am 8. Januar 2010 spermientragendes Hodengewebe gewonnen und in flüssigem Stickstoff tiefgefroren gelagert (vgl. schriftliche Zeugenaussagen des Arztes für Gynäkologie und Geburtshilfe - Reproduktionsmedizin - Dr. med. K. vom 13. Mai 2013 und vom 14. Mai 2013, Bl. 102 und Bl. 107 Gerichtsakten).
Nach der Operation wurde bei dem Versicherten eine palliative Chemotherapie durchgeführt, in deren Verlauf es als Komplikation zu einem vollständigen Verlust der Nierenfunktion kam, so dass er ab dem 27. Mai 2010 dialysepflichtig war.
In der Zeit vom 6. Mai 2010 bis zum 31. Mai 2010 befand sich der Versicherte notfallmäßig in stationärer Behandlung der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel. Im Entlassungsbericht vom 27. Mai 2010 (Bl. 11 Rentenakten - medizinischer Teil = Bl. 58 Rentenakten = Bl. 30 Gerichtsakten) wurde ausgeführt, dass sich im Staging trotz der vorangegangenen Chemotherapie ein weiterer Progress der Tumorerkrankung gezeigt habe. Dieser Befund sei mit dem Patienten inklusive der eingeschränkten Möglichkeiten einer weiteren zytostatischen Behandlung besprochen worden. Da von Seiten des Patienten auch weiterhin ein ausgeprägter Therapiewunsch bestehe, sei eine erneute Chemotherapie geplant worden. Nach insgesamt vier Zyklen wurde die Chemotherapie dann wegen der deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und der nur geringen Aussichten hinsichtlich der Lebenserwartung beendet.
Am 29. Juni 2010 beantragte der Versicherte bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und legte eine Bescheinigung der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel vom 16. Juni 2010 (Bl. 13 Rentenakten medizinischer Teil = Bl. 63 Rentenakten = Bl. 25 Gerichtsakten) vor, in welcher es heißt, dass bei ihm ein weit fortgeschrittenes ausgeprägtes metastasierendes Malignom vorliege, welches eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bedinge. Eine Aussicht auf Besserung dieser Situation bestehe nicht.
Die Beklagte bewilligte dem Versicherten daraufhin durch Bescheid vom 30. August 2010 und Änderungsbescheid vom 28. September 2010 unter Zugrundelegung eines am 17. Dezember 2009 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit) eingetretenen Leistungsfalls für die Zeit ab 1. Juni 2010 die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.
Vom 18. Juni 2010 bis zum 1. November 2010 befand sich der Versicherte wegen des chronischen Nierenversagens dreimal pro Woche zur Blutwäsche in ambulanter Behandlung des Nephrologischen Zentrums Baunatal. Der zeitnahe tödliche Verlauf seiner Erkrankung war zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar (vgl. Auskunft der Ärztin für Innere Medizin - Nephrologie - L. vom 1. Mai 2013, Bl. 109 Gerichtsakten).
Ab 6. November 2010 befand sich der Versicherte schließlich mit progredienter pulmonaler und hepatischer Metastasierung zur palliativmedizinischen stationären Behandlung im Nephrologischen Zentrum Niedersachsen, Hann. Münden. Von ärztlicher Seite wurde ihm die geringe Erfolgsaussicht der lebensverlängernden Bemühungen erläutert und empfohlen, seine bisher aufgeschobenen Angelegenheiten zu regeln (vgl. Auskunft des Nephrologischen Zentrums Niedersachsen vom 24. Mai 2013, Bl. 113 Gerichtsakten).
Aus dem Krankenhaus in Hann. Münden heraus erledigte der Versicherte daraufhin telefonisch die Heiratsformalitäten und veranlasste die Eheschließung als sog. Nottrauung im Krankenhaus am xx. xxx 2010. Hierbei legte er dem Standesbeamten eine Bescheinigung des Arztes für Innere Medizin - Palliativmedizin - Dr. med. M. vom xx. xxx 2010 zur Notfalltrauung vor (Bl. 69 Rentenakten). Am xx. xxx 2010 verstarb der Versicherte schließlich im Nephrologischen Zentrum Niedersachsen.
Die Klägerin beantragte am 15. Dezember 2010 bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente. Sie gab an, über keinerlei eigene Einkünfte zu verfügen.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 12. Januar 2011 mit der Begründung ab, dass bei einer Ehedauer von unter einem Jahr nach der gesetzlichen Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI grundsätzlich vom Bestehen einer sog. Versorgungsehe auszugehen sei. Diese gesetzliche Vermutung sei vorliegend nicht widerlegt worden.
Die Klägerin erhob am 31. Januar 2011 Widerspruch und machte geltend, dass sie und der Versicherte bereits im Sommer 2007 ernsthafte Pläne über eine Heirat geschmiedet hätten. Dies sei zum damaligen Zeitpunkt aber noch nicht möglich gewesen, weil bezüglich der ersten Ehe des Versicherten noch das Scheidungsverfahren anhängig gewesen sei und die damalige Ehefrau des Versicherten das Verfahren hinausgezögert habe. Die Klägerin und der Versicherte hätten jedoch in der gemeinsamen Wohnung in I Stadt ehegleich zusammen gelebt und gemeinsame Zukunftspläne hinsichtlich der Gründung einer Familie geschmiedet. Ursprünglich habe die Klägerin erst nach der geplanten Eheschließung schwanger werden wollen. Nach Bekanntwerden der Krebsdiagnose hätten die Klägerin und der Versicherte sich dann jedoch entschlossen, schon vor der weiterhin geplanten Hochzeit eine Familie zu gründen. Nachdem trotz unterlassenem Verhütungsschutz eine Schwangerschaft ausblieb, hätten zunächst die Klägerin und später auch der Versicherte sich ärztlich im Hinblick auf eine Zeugungsfähigkeit untersuchen lassen. Zum Beweis legte die Klägerin eine Rechnung des Urologen N. vom 5. Juni 2007 sowie zytologische Untersuchungsberichte vom 16. Juni 2008 und vom 22. Januar 2009 (Bl. 54-56 Rentenakten) vor. Nach erfolgter Ehescheidung sei der Beschluss zur Eheschließung bekräftigt worden. Der Versicherte sei nach der Operation allerdings so schwach gewesen, dass er selbst die Körperhygiene nicht vollständig verrichten konnte und die Klägerin ihm die Haare waschen, ihn rasieren und ihm die Füße waschen musste. Er habe infolge seiner Kraftlosigkeit fast nur noch auf dem Sofa gelegen und zusätzlich unter Luftnot gelitten.
Die Beklagte holte Auskünfte des Einwohnermeldeamts Baunatal vom 27. Januar 2012 und vom 29. März 2012 sowie eine Auskunft des Standesamts F-Stadt vom 22. August 2012 (Bl. 82 Rentenakten) ein und wies den Widerspruch schließlich durch Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2012 mit der Begründung zurück, dass die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer sog. Versorgungsehe nach wie vor nicht widerlegt sei.
Die Klägerin erhob daraufhin am 30. November 2012 Klage bei dem Sozialgericht Kassel. Sie machte unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens geltend, dass bei ihr und dem Versicherten von vorneherein ein ernsthafter Heiratswunsch bestanden habe. Der Versicherte habe ihr bereits Anfang 2008 einen Heiratsantrag gemacht. Es sei nicht sogleich nach der Scheidung der ersten Ehe des Versicherten geheiratet worden, weil sie beabsichtigt hätten, vor der Hochzeit zunächst etwas Geld anzusparen. Zu dem Zeitpunkt, als sich der Versicherte im Klinikum Kassel in Behandlung gefunden habe, sei ihr gesagt worden, dass noch von einer Lebenserwartung von vier bis fünf Jahren mindestens ausgegangen werden könne. Auch nach dessen Verlegung nach Hann. Münden habe sie nicht gewusst, dass sich die Lebenserwartung des Versicherten wesentlich verkürzt hatte. Bei der Eheschließung sei sie nicht davon ausgegangen, dass mit einem kurzfristigen Versterben des Versicherten zu rechnen sein würde. Auch im Hinblick auf die Höhe der zu erwartenden Hinterbliebenenrente, die nicht einmal den Sozialhilfeanspruch der Klägerin erreiche, werde erkennbar, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung gewesen sei, deren Versorgung zu gewährleisten.
Die Beklagte berief sich demgegenüber unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Arztes - Sozialmedizin - O. vom 7. August 2013 (Bl. 123 Gerichtsakten) weiter darauf, dass die gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer sog. Versorgungsehe nicht widerlegt sei.
Das Sozialgericht holte zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen Auskünfte des Arztes für Innere Medizin Dr. med. P. vom 30. April 2013 (Bl. 85 Gerichtsakten), des Arztes für Innere Medizin Q. vom 3. Mai 2013 (Bl. 87 Gerichtsakten), der Ärztin für Innere Medizin - Nephrologie - L. vom 1. Mai 2013 (Bl. 109 Gerichtsakten), der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel vom 14. Mai 2013 (Bl. 110 Gerichtsakten), des Nephrologischen Zentrums Niedersachsen vom 24. Mai 2013 (Bl. 113 Gerichtsakten) sowie schriftliche Zeugenaussagen des Arztes für Gynäkologie und Geburtshilfe Reproduktionsmedizin - Dr. med. K. vom 13. Mai 2013 (Bl. 102 Gerichtsakten) und vom 14. Mai 2013 (Bl. 107 Gerichtsakten) ein. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2013 wurden außerdem die Klägerin sowie deren Schwester R. als Zeugin angehört. Wegen des Gegenstands sowie wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 2013 (Bl. 154 Gerichtsakten).
Durch Urteil vom 17. Dezember 2013 hat das Sozialgericht die Beklagte schließlich unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 2011 eine Witwenrente aus der Versicherung des C. C. in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die für die Annahme einer sog. Versorgungsehe bestehende gesetzliche Vermutung im vorliegenden Fall zur vollen Überzeugung der Kammer widerlegt sei. Aus der Gesamtabwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten folge, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, der hinterbliebenen Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Die Heiratsabsicht habe bereits vor der Kenntnis von der tödlichen Krankheit des Versicherten bestanden, sei aber erst nach erfolgter Scheidung der ersten Ehe des Versicherten realisierbar gewesen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 15. Januar 2014 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 5. Februar 2014 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihre Auffassung, dass die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer sog. Versorgungsehe nicht widerlegt sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Die Ehe mit dem Versicherten sei einzig und allein aus Liebe geschlossen worden. Ihre (andere) Schwester und deren Lebensgefährte könnten bezeugen, dass die Heiratspläne bereits im Jahre 2008 bestanden hätten (Beweis: Zeugnis der S. und des T.). Die Klägerin legt eine auf den Versicherten ausgestellte Rechnung des Möbelhauses U. vom 26. August 2008 (Bl. 214 ff. Gerichtsakten), einen Mietvertrag über eine 3-Zimmer-Wohnung in der I Straße in I-Stadt vom 1. Oktober 2008, ein Schreiben des Rechtsanwalts V. vom 30. April 2009 (Bl. 225 Gerichtsakten) betreffend einen vom Versicherten in Österreich am 20. April 2009 auf der Fahrt in die Slowakei erlittenen Autounfall sowie diverse Fotos (Bl. 231 ff Gerichtsakten) vor.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Versicherten betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Dezember 2013 kann nicht aufrecht erhalten werden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2012 ist im Ergebnis zu Recht ergangen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes, weil die gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer sog. Versorgungsehe nicht widerlegt ist.
Für Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, besteht nach dem Tode des versicherten Ehegatten bei Erfüllung der in § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im Einzelnen genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente. Nach § 46 Abs. 2 a SGB VI haben Witwen oder Witwer, deren Ehe nicht vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI) allerdings keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 46 Abs. 1 oder 2 SGB VI, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Diese durch das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG)) vom 21. März 2001 (BGBl. I 2001, 403) eingefügte Regelung geht von der Annahme aus, dass der überlebende Ehegatte bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr in den meisten Fällen von seinen eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen vor der Eheschließung noch keinen so großen Abstand genommen hat, dass er diese nicht nach dem Tod des anderen Ehegatten fortsetzen oder wieder aufnehmen oder sich eine selbstständige Lebensführung neu erarbeiten könnte. Es wird deshalb die (widerlegbare) gesetzliche Vermutung aufgestellt, dass die Heirat bei kurzer (weniger als einjähriger) Ehedauer in erster Linie der Versorgung des überlebenden Ehegatten diente und dass somit eine sog. Versorgungsehe vorliegt.
Nachdem ähnliche Regelungen in anderen Bereichen (in der Unfallversicherung: § 595 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 65 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII); in der Kriegsopferversorgung: § 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG); in der Beamtenversorgung: § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG)) schon seit vielen Jahren bestanden, war es die Absicht des Gesetzgebers, insoweit für alle Bereiche des Sozialrechts eine einheitliche Regelung zu schaffen (vgl. Bundestags-Drucksache 14/4595, S. 44). Dass der Ausschluss einer Hinterbliebenenrente bei Vorliegen einer sog. Versorgungsehe auch in Ansehung des durch Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten besonderen Schutzes der Ehe verfassungsgemäß ist, ist bereits höchstrichterlich entschieden und hinreichend geklärt (vgl. BSG vom 23. September 1997 - 2 BU 176/97 = HVBG-INFO 1998, 621-622; mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer sog. Versorgungsehe folgt einer typisierenden Betrachtungsweise und hat in erster Linie den Zweck, den Leistungsträger in jedem Einzelfall einer unter Umständen schwierigen Motivforschung mit aufwändigen Ermittlungen im Bereich der privaten Lebensführung und der allerpersönlichsten Intimsphäre des verstorbenen Ehegatten und des Hinterbliebenen zu entheben (vgl. BVerwGE 34, 149, 153). Da es sich um eine widerlegbare Vermutung handelt, besteht andererseits jedoch für die Anspruchsteller die Möglichkeit, unter Hinweis auf die "besonderen Umstände" den Nachweis zu führen, dass die Annahme einer sog. Versorgungsehe in ihrem Falle gerade nicht gerechtfertigt erscheint. Die Vermutung ist nur dann widerlegt, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergibt, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe bzw. dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen (vgl. BSG vom 28. März 1973 5 RKnU 11/71 = BSGE 35, 272 = SozR Nr. 2 zu § 594 RVO). Um die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen, ist gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) der volle Beweis des Gegenteils zu erbringen. Dies ändert zwar nichts an der sich aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ergebenden Amtsermittlungspflicht der Beklagten, führt im Ergebnis jedoch dazu, dass die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nach dem Grundsatz der sog. objektiven Beweislast von den Anspruchstellern zu tragen sind.
Wird geltend gemacht, dass entgegen der gesetzlichen Vermutung keine Versorgungsehe vorgelegen habe, so ist anhand aller Einzelumstände des gegebenen Falles zu prüfen, welche Gesichtspunkte für oder gegen den vom Gesetz zunächst allein im Hinblick auf die kurze Ehedauer vermuteten Versorgungszweck der Ehe sprechen. Hinsichtlich des in § 46 Abs. 2a SGB VI verwendeten sog. unbestimmten Rechtsbegriffs der "besonderen Umstände" besteht dabei für den Rentenversicherungsträger ein Beurteilungsspielraum, welcher in vollem Umfang der richterlichen Kontrolle unterliegt (BSGE 60, 204, 206).
Anknüpfungspunkte für die Einzelfallbetrachtung sind zunächst das Lebensalter des verstorbenen Ehegatten sowie die Ursachen, die zu dessen Tod führten. Erfolgte die Eheschließung "in jungen Jahren", so spricht im Hinblick auf die statistische Lebenserwartung des Ehegatten auf den ersten Blick eher weniger für das Vorliegen einer sog. Versorgungsehe, als wenn die Ehe erst in relativ hohem Lebensalter eingegangen worden ist. Handelte es sich bei der Todesursache um ein unvorhergesehenes Ereignis (z.B. Tod durch Verbrechen, Unfall bzw. nicht vorhersehbare Krankheit wie plötzlichen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Infekt), so deutet dies weniger auf den Versorgungscharakter einer Ehe hin, als wenn im Hinblick auf eine bereits länger bestehende Erkrankung schon zum Zeitpunkt der Eheschließung mit dem alsbaldigen Tod des Ehegatten gerechnet werden musste.
Allgemeine Gesichtspunkte, wie sie in mehr oder weniger starker Ausprägung nahezu bei jeder Eheschließung als Motiv eine Rolle spielen können, rechtfertigen für sich genommen noch nicht die Annahme von "besonderen Umständen" im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI. Um die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer Versorgungsehe zu widerlegen, reicht es deshalb nicht aus, wenn allein der Wunsch, nicht mehr allein sein zu wollen, die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu begründen, das Bedürfnis, sich zum Ehepartner zu bekennen oder vergleichbare Beweggründe ausschlaggebend für die Eheschließung gewesen sind (vgl. Bayerisches Landessozialgericht vom 25. Januar 1972 - L 8 V 202/71). Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob bei einer Gesamtschau der zur Eheschließung führenden Motive zumindest für einen der beiden Ehegatten die vom Gesetz hinsichtlich der Eheschließung widerlegbar vermutete Versorgungsabsicht erkennbar keine bzw. jedenfalls nicht die überwiegende Rolle gespielt hat (vgl. BSGE 35, 272, 274). Im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung kann dabei hinsichtlich der Auslegung, wann "besondere Umstände" gegeben sind, die eine Versorgungsehe widerlegen, weitgehend auf die zur gleichen Fragestellung in der Unfallversicherung, in der Kriegsopferversorgung und in der Beamtenversorgung entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden (so auch Kamrad in Hauck/Noftz, § 46 SGB VI Rdnr. 38; Gürtner in Kasseler Kommentar, § 46 SGB VI Rdnr. 46 c).
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass es sich bei der 2010 mit dem Versicherten geschlossenen Ehe um eine reine Liebesheirat gehandelt habe, gilt es zunächst festzustellen, dass eine dementsprechende Motivlage von Gesetzes wegen nicht die Voraussetzung für einen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenrente ist. Ein solcher Anspruch kann in gleicher Weise auch aus einer sog. Vernunftheirat abgeleitet werden. Es erscheint im Übrigen auch fraglich, ob es sich bei der Liebesheirat überhaupt um ein geeignetes Indiz handelt, welches – für sich allein oder in einer Gesamtheit mit anderen Indizien – den Rückschluss auf das Fehlen einer Versorgungsabsicht zulässt. Den anderen Ehegatten für den Fall des eigenen Todes durch die Berechtigung zum Bezug einer Hinterbliebenenrente zu versorgen, kann nämlich durchaus auch Ausdruck von besonderer Liebe und Fürsorge sein. Der Senat musste sich angesichts dessen nicht gedrängt fühlen, im Rahmen der Sachaufklärung der Frage nachzugehen, wie groß zu beider Lebzeiten bzw. zum Zeitpunkt der Eheschließung die gegenseitig für einander empfundene Zuneigung der Ehepartner gewesen sein könnte.
Allein der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte vor der Eheschließung vom xx. xxx 2010 nach außen erkennbar über einen gewissen Zeitraum in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen gelebt haben, kann für sich genommen sowohl ein Indiz für als auch gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe sein. Wenn Partner – wie die Klägerin und der Versicherte – über einen mehrere Jahre umfassenden Zeitraum ohne Trauschein in einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben, ohne nachweisbare Vorbereitungen für eine Eheschließung zu treffen, dann kann dies nämlich bedeuten, dass sie das Zusammenleben ohne Eheschließung als Lebensform ganz bewusst gewählt haben oder zumindest für ausreichend halten. Aus diesem Blickwinkel stellt sich dann freilich die Frage, welche Motive – jenseits der vom Gesetz vermuteten Versorgungsabsicht – schließlich dafür ausschlaggebend gewesen sein könnten, letztlich doch den Gang zum Standesamt anzutreten. Umgekehrt kann allerdings auch argumentiert werden, dass Partner, die sich nach jahrelangem Zusammenleben ohne Trauschein schließlich zur Heirat entschließen, ihren Ehewunsch besonders reiflich überlegt haben und mit der – Eheschließung – jenseits der gesetzlich vermuteten Versorgungsabsicht – eher langfristig angelegte Ziele verfolgen. Wer sich vor der Heirat lange Zeit prüft, der geht eher nicht davon aus, dass die Ehe ohnehin nur von kurzer Dauer sein wird. Andererseits kann demjenigen, der kurz entschlossen heiratet, natürlich noch lange nicht einfach unterstellt werden, dass er mit dem baldigen Tod des Ehegatten rechnet. Im Ergebnis kann es deshalb in jedem Einzelfall nicht allein auf die Dauer des Zusammenlebens vor der Eheschließung ankommen können, sondern vielmehr entscheidend darauf, welche weiteren Begleitumstände nach einem mehr oder weniger langen Zusammenleben den Heiratsentschluss maßgeblich herbeigeführt haben. Es kommt angesichts dessen nicht entscheidend darauf an, seit wann genau (wie behautet, bereits seit 2007 bzw. 2008 oder aber den vorliegenden Meldeauskünften folgend erst ab 1. April 2009) die Klägerin und der Versicherte in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt haben und ob die vom Versicherten angeschafften Möbel bereits von Anfang an für eine gemeinsame Wohnung bestimmt gewesen sein könnten. Der Senat brauchte sich angesichts dessen nicht gedrängt fühlen, den Sachverhalt in Bezug auf die Dauer des Zusammenlebens der Klägerin mit dem Versicherten weiter aufzuklären. Aus den gleichen Gründen konnte der Senat auch davon absehen, zur Frage der behaupteten Heiratspläne die benannten Zeugen zu hören.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, kann das Zusammenleben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft insbesondere dann in einem anderen Lichte erscheinen, wenn der Eheschließung zu einem früheren Zeitpunkt trotz bestehenden Heiratswillens der Partner ein objektives Ehehindernis entgegenstand. Ein solches Ehehindernis besteht insbesondere dann, wenn ein Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft – wie vorliegend der Versicherte – noch anderweitig verheiratet ist und dementsprechend vor Eingehung einer neuen Ehe darauf warten muss, dass die vorherige Ehe rechtskräftig geschieden wird. In einem solchen Fall kann das anfängliche Aufschieben der Heirat freilich nur dann als einleuchtend angesehen werden, wenn die Trauung dann auch wirklich alsbald nach Wegfall des Ehehindernisses nachgeholt wird.
Genau hieran fehlt es allerdings im vorliegenden Fall: Obwohl die erste Ehe des Versicherten ist durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - G-Stadt vom 30. Juni 2010, rechtskräftig seit dem 30. Juni 2010, geschieden worden war, haben die Klägerin und der Versicherte in der Folgezeit immerhin annähernd fünf Monate verstreichen lassen, bevor schließlich am xx. xxx 2010 im Wege einer Nottrauung die Ehe geschlossen wurde. haben. Eine plausible Erklärung dafür, weshalb der Versicherte ihr wie die Klägerin behauptet – bereits im Jahre 2008 die Ehe versprochen, nach Wegfall des Ehehindernisses dann jedoch keinerlei Anstalten unternommen haben soll, um dieses Versprechen zeitnah einzulösen, vermochte die Klägerin nicht zu geben. Wenn der Ehewunsch – wie die Klägerin behauptet – schon seit längerem bestand, dann ist es nicht nachvollziehbar, weshalb sie und der Versicherte erst nach erfolgter Ehescheidung und nicht bereits weit früher damit begonnen haben, das Geld für eine Hochzeitsfeier anzusparen. Es sind abgesehen davon in der Zeit nach erfolgter Ehescheidung überdies auch keinerlei andere Vorbereitungshandlungen erkennbar, die als Manifestation eines Willens zur alsbaldigen Eheschließung gewertet werden könnten. Die Klägerin hat noch nicht einmal behauptet, dass überhaupt auch nur über einen konkreten Hochzeitstermin gesprochen worden sei oder dass Pläne über die Ausgestaltung einer Hochzeitsfeier gemacht worden seien. Dass vor der Operation des Versicherten eine Spermienasservierung vorgenommen worden ist, belegt bestenfalls einen zukünftigen Kinderwunsch, nicht jedoch einen konkreten Heiratsplan. Auch die von der Klägerin vorgelegten Photographien haben insoweit keinerlei Beweiswert.
Es kann zwar nicht übersehen werden, dass der Versicherte sich zum Zeitpunkt der Scheidung seiner ersten Ehe im Juni 2010 bereits in einem stark angegriffenen Gesundheitszustand befunden hat. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass man die geplante Eheschließung aus diesem Grunde einstweilen zurückgestellt und zunächst auf eine Genesung des Versicherten gehofft habe, muss sie sich freilich entgegenhalten lassen, dass zu diesem Zeitpunkt die Tumorerkrankung des Versicherten bereits weit fortgeschritten war und dass der zeitnahe tödliche Verlauf des Krebsleidens bereits deutlich absehbar gewesen ist. Aus dem medizinischen Berichtswesen ergibt sich, dass die Klägerin und der Versicherte zum Zeitpunkt der Ehescheidung bereits Kenntnis von dessen nur noch geringer Lebenserwartung hatten. Denn bereits im Anschluss an die operative Entfernung von Blase, Prostata und rechter Niere im Januar 2010 ist ausweislich der vom Sozialgericht eingeholten Auskunft der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel vom 14. Mai 2013 (Bl. 110 Gerichtsakten) seitens der behandelnden Ärzte ausführlich mit dem Versicherten und seiner damaligen Lebensgefährtin (der Klägerin) besprochen worden, dass eine in absehbarer Zeit tödlich verlaufende Krankheit vorlag. Bei dem Versicherten konnte nur noch eine palliative Chemotherapie durchgeführt werden, er war ab dem 27. Mai 2010 wegen des völligen Nierenversagens dialysepflichtig, und in der von ihm anlässlich des Antrags auf Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten vorgelegten Bescheinigung der Urologischen Klinik des Klinikums Kassel vom 16. Juni 2010 (Bl. 13 Rentenakten - medizinischer Teil = Bl. 63 Rentenakten = Bl. 25 Gerichtsakten) heißt es ausdrücklich, dass keine Aussicht auf Besserung mehr bestehe. Vernünftigerweise konnte für die Klägerin und den Versicherten bei dieser Sachlage keine Veranlassung bestehen, den behaupteten Heiratswunsch – nachdem das anfängliche Ehehindernis durch die im Juni 2010 erfolgte Scheidung der ersten Ehe des Versicherten beseitigt war – in Erwartung einer Genesung noch weiter hinauszuzögern. Zwar behauptet die Klägerin, dass nach erfolgter Ehescheidung der Heiratswunsch bekräftigt worden sei; objektive Anhaltspunkte lassen sich insoweit jedoch nicht erkennen. Tatsächlich sind Vorbereitungen zur Eheschließung seitens des Versicherten erst getroffen worden, nachdem ihm seitens der Ärzte des Nephrologischen Zentrum Niedersachsen in Hann. Münden unter Hinweis auf die geringe Erfolgsaussicht der lebensverlängernden Bemühungen empfohlen worden war, seine bisher aufgeschobenen Angelegenheiten zu regeln (vgl. Auskunft des Nephrologischen Zentrums Niedersachsen vom 24. Mai 2013, Bl. 113 Gerichtsakten).
Die Beklagte beruft sich zu Recht darauf, dass der augenfällige zeitliche Zusammenhang zwischen der Eheschließung am xx. xxx 2010 und dem Versterben des Versicherten am xx. xxx 2010 bereits auf den ersten Blick deutlich für das Vorliegen einer Versorgungsehe spricht. Der Versicherte litt ganz offenkundig an einer lebensbedrohlichen Krankheit mit ungünstiger Verlaufsprognose, und dieser Umstand war auch seit längerer Zeit für beide Eheleute klar erkennbar. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, der Versicherte sei nach der Operation so schwach gewesen, dass er selbst die Körperhygiene nicht vollständig verrichten konnte, dass sie ihm die Haare waschen, ihn rasieren und ihm die Füße waschen musste und dass er infolge seiner Kraftlosigkeit fast nur noch auf dem Sofa gelegen und zusätzlich unter Luftnot gelitten habe. Dass die Klägerin diesen Zustand der allgemeinen Hinfälligkeit des Versicherten nicht bemerkt haben und trotz der schonungslosen ärztlichen Aufklärung von einer langfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit ausgegangen sein will, vermag nicht zu überzeugen.
Selbst wenn einer der Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung nach objektiven Maßstäben an einer schweren Erkrankung mit ungünstiger Verlaufsprognose gelitten hat, ist es zwar dennoch denkbar, dass aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Die gegen eine Versorgungsehe sprechenden Umstände müssen in einem solchen Fall allerdings umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit bei Eheschließung war. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt der Grad des Zweifels an den zu beweisenden "besonderen Umständen" (vgl. BSG vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R, Rdnr. 27). Im vorliegenden Fall hatten die Klägerin und der Versicherte nach Überzeugung des Senats zum Zeitpunkt der Eheschließung sehr präzise Kenntnisse hinsichtlich der ungünstigen Krankheitsprognose und wussten aufgrund der ihnen im Rahmen mehrere Arztgespräche gegebenen Informationen sehr genau, dass eine sog. "Ein-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit" mit Sicherheit nicht mehr bestehen konnte. Die anderslautenden Einlassungen der Klägerin können zur Überzeugung des Senats bei verständiger Würdigung der Gesamtumstande selbst dann nicht als glaubhaft angesehen werden, wenn man in Rechnung stellt, dass sie als medizinische Laiin möglicherweise trotz umfassender ärztlicher Aufklärung nicht alle Details der Erkrankung des Versicherten zutreffend würdigen konnte. Wer so hinfällig ist, wie die Klägerin selbst den Zustand des Versicherten beschrieben hat, der befindet sich auch für den medizinischen Laien erkennbar auf der Zielgeraden des Lebens.
Es kann im Übrigen nicht übersehen werden, dass die Eheschließung nicht nur "im Angesicht des Todes" vollzogen worden, sondern auch überhaupt erstmals durch konkrete Vorbereitungshandlungen ermöglicht worden ist, nachdem die Ärzte des Nephrologischen Zentrums Niedersachsen in Hann. Münden dem Versicherten unter Hinweis auf seine nur noch geringe Überlebenschancen empfohlen hatten, seine bisher aufgeschobenen Angelegenheiten zu regeln (vgl. Auskunft des Nephrologischen Zentrums Niedersachsen vom 24. Mai 2013, Bl. 113 Gerichtsakten). Es handelte sich im vorliegenden Fall nicht um eine von langer Hand geplante und vorbereitete Eheschließung, die bereits lange im Voraus für ein konkretes (besonderes) Datum geplant war und dann "vorgezogen" worden ist, sondern um eine unmittelbar nach dem Bekanntwerden des nahen Todes vom Krankenbett aus veranlasste und in aller Eile "auf der Zielgeraden des Lebens" im engsten Kreis vollzogene Eheschließung, die unter Abkürzung aller gesetzlichen Fristen als sog. Nottrauung im Sinne des § 13 Abs. 3 PersonenstandsG (PStG) vollzogen worden wurde, wobei seitens der Heiratswilligen zum Nachweis der Unaufschiebbarkeit das aktenkundige Dringlichkeitszeugnis des Arztes für Innere Medizin - Palliativmedizin - Dr. med. M. vom xx. xxx 2010 zur Notfalltrauung (Bl. 69 Rentenakten) vorgelegt worden ist. Aus diesem Grunde kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass mit der Heirat vom xx. xxx 2010 die Begründing einer sog. Pflegeehe beabsichtigt gewesen sein könnte.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Rechtsvermutung einer Versorgungsehe nicht durch den Umstand widerlegt, dass der Zahlbetrag der von ihr beanspruchten Hinterbliebenenrente zumindest nach Ablauf des sog. Sterbevierteljahres möglicherweise niedriger sein könnte als die ihr zustehende Sozialhilfe. Denn der gesetzlichen Regelung in § 46 Abs. 2a SGB VI kann nicht entnommen werden, dass eine Versorgungsabsicht nur bei Witwen bzw. Witwern vermutet werden soll, die ihrerseits keine anderweitigen Einkünfte und deshalb einen offenkundigen Versorgungsbedarf haben. Wollte man auf die Bedarfssituation des Hinterbliebenen abstellen, so könnte die anspruchsvernichtende Vermutung für das Bestehen einer Versorgungsehe jedenfalls vom finanziell anderweitig abgesicherten Hinterbliebenen regelmäßig widerlegt werden, wohingegen der finanziell bedürftige Hinterbliebene sich in aller Regel entgegenhalten lassen müsste, dass wegen seiner Bedarfssituation kein Rentenanspruch bestehe. Dies würde das widersinnige Ergebnis nach sich ziehen, dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI letztlich nur in den Fällen des offenkundigen Versorgungsbedarfs einem Anspruch auf Hinterbliebenenrente entgegenstünde. Eine solche Bevorzugung von anderweitig versorgten Hinterbliebenen ist von Gesetzes wegen indes ebenso wenig beabsichtigt wie eine Schlechterstellung von finanziell benachteiligten Hinterbliebenen. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt es allein darauf an, dass mit der Eheschließung die Begründung eines Anspruchs auf Witwen-/Witwerrente verfolgt wird. Auch das Motiv, bei bereits ausreichender Versorgung des Hinterbliebenen durch die zusätzlich entstehende Witwen-/Witwerrente einen höheren Lebensunterhalt zu erhalten, stützt die Rechtsvermutung einer sog. Versorgungsehe. Ausgehend von welchem Versorgungsniveau des Hinterbliebenen als Ausgangspunkt dabei durch die Eheschließung der Rentenanspruch begründet wird, ist für das Versorgungsmotiv allenfalls in gradueller Hinsicht von Bedeutung. Dass ein solches Motiv bezogen auf die zwischen der Klägerin und dem Versicherten geschlossene Ehe nicht vorliegt, ist zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen worden. Gegen die Annahme, dass es sich bei der Berechtigung der Klägerin zum Bezug einer Witwenrente um ein für sie in wirtschaftlicher Hinsicht völlig belangloses "Nullsummenspiel" handeln könnte, spricht letztlich allein schon die Tatsache der bereits wenige Tage nach dem Tod des Versicherten erfolgten Rentenantragstellung.
Die Berufung der Beklagten konnte damit im Ergebnis nicht ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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