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Landessozialgericht Hessen 08.04.2014, L 2 R 526/11

  • Aktenzeichen: L 2 R 526/11
  • Spruchkörper: 2. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 R 463/09 
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 08.04.2014

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verrechnung von Beitragsansprüchen mit dem laufenden Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente.

Der 1943 in Dresden geborene Kläger deutscher Staatsangehörigkeit bezieht gemäß Bescheid vom 18. September 2008 seit dem 1. Dezember 2008 eine Regelaltersrente von der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt lag der Beklagten ein vorgemerktes Verrechnungsersuchen der AOK Schleswig-Holstein vom 5. November 2002 vor, wonach der Kläger - Stand 16. Juli 2002 - Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 7.647,41 EUR schulde.

Am 9. Oktober 2008 ging bei der Beklagten auf Anfrage eine vollstreckbare Ausfertigung der AOK Schleswig-Holstein gemäß §§ 23, 28 f. Sozialgesetzbuch – Viertes Buch (SGB IV) i.V.m. § 66 Abs. 4 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) ein, wonach der Kläger inzwischen Gesamtversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 2. September 1988 bis 23. März 1990 nebst Versäumniszuschlägen, Kosten und Gebühren in Höhe von 9.904,41 EUR schulde.

Mit Anhörungsschreiben vom 15. Oktober 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die AOK Schleswig-Holstein habe sie ersucht, die ausstehende Forderung in Höhe von 9.904,41 EUR mit seinem laufenden Rentenanspruch zu verrechnen. Es sei beabsichtigt, monatlich 217,18 EUR einzubehalten. Soweit Hilfebedürftigkeit vorliege oder durch die Verrechnung eintrete, sei dies durch eine entsprechende Bescheinigung des Sozialhilfeträgers oder einer SGB II-Stelle nachzuweisen.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008 übersandte die Beklagte dem Kläger auf Nachfrage eine Abschrift der vollstreckbaren Ausfertigung der AOK Schleswig-Holstein. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin u.a. mit, seine Rente stelle sein einziges Einkommen dar. Auch seine Ehefrau verfüge nur über eine eigene Rente in Höhe von 1.001,10 EUR monatlich. Um Kosten zu sparen, habe er seinen Wohnsitz nach Ungarn verlegt.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland mit, ein Wohnsitz des Klägers in Ungarn habe sich nicht bestätigt bzw. sei nicht zu ermitteln gewesen. Laut Auskunft des Bürgermeisteramtes C-Stadt vom 17. November 2008 sowie seiner Krankenkasse sei der Kläger weiterhin in Deutschland gemeldet gewesen.

Mit Bescheid vom 5. Januar 2009 verrechnete die Beklagte den Anspruch der AOK Schleswig-Holstein wegen geschuldeter Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus der Zeit vom 2. September 1988 bis 23. März 1990 in Höhe von monatlich 217,05 EUR. Die Beklagte wies dabei darauf hin, dass damit die Hälfte der Rente des Klägers nicht überschritten werde, der Kläger keinen Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit erbracht habe und Gründe für eine Reduzierung des Verrechnungsbetrages unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht vorlägen.

Hiergegen erhob der Kläger am 4. Februar 2008 Widerspruch und teilte mit, sich beim Sozialamt nach einer Bescheinigung erkundigt zu haben. Er benötige seine geringe Rente für den Lebensunterhalt. Es sei ihm allerdings zutiefst zuwider, Leistungen des Staates zum Lebensunterhalt in Anspruch zu nehmen.

Nachdem eine Bedarfsbescheinigung nicht vorgelegt wurde, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2009 zurück. Bei einem Bezug von Altersrente in Höhe von 434,11 EUR werde mit einer Verrechnung nach § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I in Höhe von 217,05 EUR die Hälfte der Rente nicht überschritten. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, durch die Verrechnung hilfebedürftig im Sinne des SGB XII zu werden. Ein Bescheid des zuständigen Leistungsträgers sei nicht vorgelegt worden. Gründe, die im Rahmen einer Ermessensausübung Anlass geben könnten, von einer Verrechnung abzusehen, lägen nicht vor. Da keine Hilfebedürftigkeit eintrete, überwiegten die Interessen der Versichertengemeinschaft der AOK Schleswig-Holstein gegenüber dem Interesse des Klägers an einer ungekürzten Auszahlung seiner Rente.

Daraufhin erhob der Kläger am 13. Juli 2009 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Zur Begründung trug er vor, er sei grundsätzlich sozialhilfebedürftig, nehme Sozialhilfe aber aus persönlichen Gründen nicht in Anspruch. Daher habe er auch keine Möglichkeit, die Hilfebedürftigkeit durch Vorlage einer Bescheinigung nachzuweisen. Ergänzend legte er eine eidesstattliche Versicherung vom 11. Mai 2010 vor, wonach er seit dem 1. Mai 2009 nach Ungarn verzogen sei (gewöhnlicher Aufenthalt). Er habe bei einem Umrechnungskurs von 1 Euro = 264 Ft. im Mai 2010 Unkosten für Miete in Höhe von 40.000 Ft., für Nebenkosten in Höhe von 8.500 Ft., für Propangas zum Kochen in Höhe von 1.300 Ft. Und für Brennholz zum Heizen in Höhe von 15.000 Ft. Der Kläger legte zudem eine Mitteilung über eine Rentenanpassung zum 1. Juli 2009 vor, wonach für ihn ein Netto-Rentenanspruch in Höhe von 446,05 EUR und für seine Frau aus einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 924,10 EUR monatlich bestanden habe. Der Kläger legte zudem eine ärztliche Bescheinigung der Allgemeinärztin Dr. D. vom 11. September 2010 vor, wonach er nicht arbeitsfähig sei.

Die Beklagte wandte im Klageverfahren mit Schreiben vom 23. Juni 2010 ein, der vom Kläger in Ungarn angegebene Wohnsitz sei durch die zuständige Verbindungsanstalt, der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland, laut Mitteilung vom 16. Dezember 2008 nicht zu ermitteln gewesen. Auch in der Klageschrift sei lediglich die deutsche Adresse angegeben worden. Seit dem 1. Januar 2005 bestehe bei gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland auch kein Sozialhilfeanspruch mehr. Die Einbehaltung der Rente sei bislang versehentlich unterblieben, werde aber ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt erfolgen.

Mit Bescheid vom 22. November 2010 hob die Beklagte den ursprünglichen Verrechnungsbescheid vom 5. Januar 2009 wegen Änderung des allgemeinen Beitragssatzes der gesetzlichen Krankenversicherung teilweise mit Wirkung ab dem 1. Januar 2011 auf und zahlte dem Kläger ab diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung eines Einbehalts von 217,05 EUR lediglich einen Betrag von 227,51 EUR monatlich aus. Der Ehefrau des Klägers wurde mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 eine monatliche Netto-Rente von 1.010,24 EUR bewilligt.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. Oktober 2011 wies das Sozialgericht die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Anspruch auf Auszahlung seiner vollen Altersrente, da sein Zahlungsanspruch in Höhe des Verrechnungsbetrages erloschen sei. Die Beklagte sei von der AOK Schleswig-Holstein schriftlich ermächtigt worden, deren in der Verrechnungserklärung gegenüber dem Kläger hinreichend bestimmte, einziehbare und nicht verjährte Ansprüche gegen den Kläger auf Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Säumniszuschlägen und Kosten mit der von der Beklagten gewährten Altersrente zu verrechnen. Selbst eine mögliche Verletzung der örtlichen Zuständigkeit aufgrund eines möglichen Wohnsitzes des Klägers nach Ungarn habe keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Verrechnung, da die möglicherweise zuständige Rentenversicherung Mitteldeutschland in der Sache offensichtlich genauso entschieden hätte. Die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug bei einem gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland nach § 24 Abs. 1 SGB XII seien nicht nachgewiesen worden, ebenso sei nicht vorgetragen worden, nach ungarischen Vorschriften sozialhilfebedürftig gewesen zu sein. Bereits nach den deutschen Vorschriften des SGB XII bestehe keine Sozialhilfebedürftigkeit. Das Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau nach Verrechnung in Höhe von insgesamt 1.151,61 EUR liege über den vom Kläger vorgetragenen Kosten der Unterkunft und Heizung inklusive Regelbedarfen von insgesamt 902,00 EUR. Die Beklagte habe auch die Grenze der Verrechnung bis zur Hälfte des monatlichen Zahlbetrags eingehalten.

Gegen den ihm am 24. Oktober 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24. November 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung führte er aus, er sei schwer krank und arm. Dies gelte auch dann, wenn er auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe verzichte. Die Verrechnung mit seiner niedrigen Altersrente in Höhe von lediglich 434,36 EUR sei verfassungswidrig, insbesondere soweit dies unter Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau erfolge. Auch seine Ehefrau sei krank und benötige teure Arzneien. Mit Schreiben vom 31. März 2012 wurde zwischenzeitlich die Inanspruchnahme von Sozialhilfe in Deutschland angekündigt, in der Folge aber nicht umgesetzt. Ein Antrag auf Wohngeld wurde durch den Landkreis Darmstadt-Dieburg mit Bescheid vom 27. August 2012 wegen der Höhe des monatlichen Gesamteinkommens des Klägers und seiner Ehefrau abgelehnt. Der Kläger legte ergänzend die Mitteilung einer Rentenanpassung seiner Altersrente zum 1. Juli 2012 auf 241,74 EUR monatlich vor. Mit Rentenbescheid vom 26. November 2012 berechnete die Beklagte die Rentenhöhe für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2013 mit 241,22 EUR neu. Die Verrechnung erfolgte weiterhin in Höhe von 217,05 EUR. Für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2012 legte der Kläger einen Mietvertrag über eine 3 ZKB-Wohnung unbekannter Größe in A-Stadt mit einer monatlichen Kaltmiete von 550,00 EUR nebst 150,00 EUR monatlich an Nebenkostenvorauszahlungen sowie u.a. eine Telefonrechnung in Höhe von 161,66 EUR, einen Bescheid über Müllgebühren für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2012 in Höhe von 68,00 EUR und ein Schreiben seines Energieversorgers bezüglich einer Abschlagszahlung von 50,00 EUR monatlich vor. Auf Nachfrage des Gerichts stellte der Kläger klar, dass ihm seit seiner Rückkehr nach Deutschland keine Zusatzkosten für Medikamente entstanden seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 2011 und den Bescheid vom 5. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2009, geändert durch Bescheid vom 22. November 2010, insoweit aufzuheben, als die Beklagte einen Betrag von 217,05 EUR zum Zwecke der Verrechnung einbehalten hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Ergänzend trug sie vor, auch unter Berücksichtigung der nicht nachgewiesenen Lebenshaltungskosten des Klägers in Ungarn seien Anhaltspunkte für eine Hilfebedürftigkeit des Klägers bei einer Verrechnung in Höhe von 217,05 EUR monatlich nicht ersichtlich.

Der Senat hat im Wege der Sachverhaltsermittlung den Kläger mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 aufgefordert, umfassende Angaben zur Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit, insbesondere umfassende Angaben zur Vermögenssituation, den Kosten der Unterkunft und den Zuwendungen Dritter monatsweise für den Zeitraum ab Januar 2009 vorzulegen. Das Gericht hat in der Folge Kontoauszüge des Klägers für sein nach eigenen Angaben alleiniges Konto bei der E.bank. EB-Stadt für den Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis Dezember 2013 beigezogen. Auch nach Fristsetzung gemäß § 106a Abs. 2 SGG legte der Kläger darüber hinaus keine weiteren Nachweise zu seiner Hilfebedürftigkeit mehr vor und erklärte, wer, wann und in welcher Form ihm Hilfe geleistet habe, werde nicht vorgetragen, da dies die Menschenwürde verletze.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

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