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Landessozialgericht Hessen 20.11.2014, L 5 R 129/14

  • Aktenzeichen: L 5 R 129/14
  • Spruchkörper: 5. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 R 158/12
  • Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 20.11.2014

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Umstritten ist dabei insbesondere, ob die Beklagte berechtigt war, die Rentengewährung unter Hinweis auf § 104 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zu versagen, weil die Erwerbsminderung des Klägers auf einer von ihm begangenen Straftat beruht.

Der 1985 geborene Kläger verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Koch. Er arbeitete seit 2006 im erlernten Beruf. Vom 27. Mai 2010 an war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe. Für Ende 2011 hatte er eine neue Arbeitsstelle in Aussicht.

Am 11. März 2011 erlitt der Kläger gegen 22:30 Uhr ohne Fremdbeteiligung bei Regen einen Autounfall, bei welchem er sich eine dreifache Fraktur des rechten Oberschenkels, eine Fraktur des linken Ellenbogens sowie eine Fraktur des linken Oberarms mit dauerhafter Schädigung der Armnerven (Armplexus- und Nervus radialis) zuzog. Im Anschluss an den Autounfall war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklagte gewährte dem Kläger in der Zeit vom 14. April 2011 bis zum 12. Mai 2011 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Wirbelsäulenklinik Bad Homburg. Im Entlassungsbericht vom 16. Juni 2011 diagnostizierte der Arzt für Innere Medizin - Rheumatologie - Dr. med. C. bei dem Kläger eine traumatische hochgradige obere und mittlere Armplexus- und Nervus-radialis-Läsion links bei erhaltener Kontinuität, einen Zustand nach multisegmentaler Femurfraktur rechts (12. März 2011) mit Versorgung durch einen Expert-Nagel des rechten Femurs, einen Zustand nach Implantation eines Humerusnagels links (12. März 2011) wegen Humerusfraktur links und Zuggurtung des Olecranons (12. März 2011) wegen Olecranonfraktur links sowie eine gemischte Hyperlipidämie. Zum Leistungsvermögen führte er aus, dass der Kläger unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen derzeit weder im bisherigen Beruf noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei. Es sei zu empfehlen, nach vollständig abgeschlossener Rekonvaleszenz eine erneute Einschätzung der Leistungsfähigkeit vorzunehmen.
Am 12. September 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und legte einen Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin X. vom 22. September 2011 nebst weiteren, insbesondere auch den Autounfall vom 11. März 2011 betreffenden Krankenunterlagen vor. Nach Auswertung dieser Unterlagen vertrat der Arzt - Sozialmedizin - Dr. med. D. in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29. September 2011 die Auffassung, dass bei dem Kläger bis auf weiteres von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen sei. Eine Besserung sei in der Zeit bis April 2012 wahrscheinlich.

Nach Abschluss der medizinischen Ermittlungen gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, dass von einem Eintritt des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung am 11. März 2011 auszugehen sei (Aktenvermerk vom 15. Oktober 2011). Ausgehend vom Eintritt des Leistungsfalls am 11. März 2011 seien an Pflichtbeiträgen 74 Monate auf die Wartezeit und 51 Monate auf die sog. Vorversicherungszeit anrechenbar (Aktenvermerk vom 23. Dezember 2011).

Aufgrund weiterer Ermittlungen zum Unfallhergang brachte die Beklagte sodann in Erfahrung, dass bei dem Kläger zum Zeitpunkt des Autounfalls vom 11. März 2011 eine Blutalkoholkonzentration von 1,39 Promille vorlag. Aus den daraufhin beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Darmstadt ergibt sich, dass der Kläger von der Autobahn A5 kommend versucht hatte, auf einen Autobahnparkplatz zu fahren. Dabei hatte er infolge überhöhter Geschwindigkeit (ca. 120 bis 160 km/h) die Ausfahrt verfehlt und war ungebremst frontal in einen dort wegen Bauarbeiten aufgeschütteten, durch eine Baustellenabsperrung ordnungsgemäß gesicherten Sandhügel gefahren.

In den Akten der Staatsanwaltschaft findet sich außerdem eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister, welche die folgenden Vorstrafen des Klägers ausweist:

1. Urteil Amtsgericht Gießen vom 9. Januar 2009
Trunkenheit im Verkehr
Tatzeit 30. November 2008
§§ 316 Abs. 1, Abs. 2, § 69, § 69 a Strafgesetzbuch (StGB)
35 Tagessatze zu je 10,00 EUR Geldstrafe
Sperre für die Fahrerlaubnis zum 8. November 2009

2. Strafbefehl Amtsgericht Darmstadt vom 30. Dezember 2010
Trunkenheit im Straßenverkehr
Tatzeit 24. Oktober 2010
§ 316 Abs. 1 StGB, § 69a, § 69 StGB
70 Tagessätze zu je 20,00 EUR Geldstrafe
Sperre für die Fahrerlaubnis bis 29. Dezember 2011

Ferner enthalten die Akten der Staatsanwaltschaft ein Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau vom 8. September 2011, durch welches der Kläger bezüglich des Vorfalls vom 11. März 2011 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (§§ 2, 21 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), §§ 316 Abs. 1 und 2, 52 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten (Aussetzung der Vollstreckung auf 3 Jahre zur Bewährung) verurteilt worden ist.

Ausgehend von diesen Ermittlungen lehnte die Beklagte den Rentenantrag schließlich durch Bescheid vom 23. Dezember 2011 und Widerspruchsbescheid vom 3. April 2012 mit der Begründung ab, dass der Kläger zwar außer Stande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein. Gleichwohl sei gemäß § 104 SGB VI der Rentenanspruch zu versagen, weil der Kläger dem Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau zufolge ohne Fahrerlaubnis am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe und außerdem infolge Alkoholgenusses nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug mit der erforderlichen Sicherheit zu führen. In einem solchen Fall sei das Interesse des Versicherten an der Auszahlung von Rentenleistungen abzuwägen gegen das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an einer Versagung von Rentenleistungen im Falle einer durch eigenes schuldhaftes Verhalten herbeigeführten Leistungsminderung. Dabei sei vorliegend zu berücksichtigen, dass das Verhalten des Klägers eine grobe Selbstgefährdung dargestellt habe. Der Kläger habe sich eigenmächtig über anerkannte Grundprinzipien der Versichertengemeinschaft hinweggesetzt, indem er in alkoholisiertem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt habe, ohne die erforderliche Erlaubnis zu besitzen. Er habe gröblich gegen Vorschriften verstoßen, die der Gefahrenabwehr dienen. Es habe auf der Hand gelegen, dass dieses Verhalten zu einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung führen könne. Wer bewusst und gewollt gegen Strafgesetze verstoße, die den Eintritt eines Schadensereignisses verhindern wollen, könne keine Versicherungsleistungen beanspruchen. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen gebühre deshalb dem Interesse der Versichertengemeinschaft – die Rente zu versagen – der Vorrang.

Der Kläger hob daraufhin am 16. April 2012 Klage vor dem Sozialgericht Gießen und machte geltend, dass die Entscheidung der Beklagten gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Die Vorschrift des § 104 SGB VI sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Es sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, welche weit reichenden Auswirkungen sich für ihn aufgrund der Rentenversagung ergäben. Grundlage der Ermessensentscheidung der Beklagten könne im Übrigen allein sein Verstoß gegen § 21 StVG sein, weil nur das Fahren ohne Fahrerlaubnis vorsätzlich begangen worden sei. Bis zum 11. März 2011 habe er jahrelang einen Führerschein gehabt, er besitze die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse für das Führen eines Fahrzeugs, und das Fahren ohne Fahrerlaubnis sei nicht kausal für den Unfall vom 11. März 2011 gewesen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Unfall auch ohne Alkoholisierung ebenso eingetreten sein würde. Deshalb könne auch nicht von einer erheblichen Selbstgefährdung die Rede sein. Es sei nicht ausreichend, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung lediglich bei Gelegenheit der strafbaren Handlung eingetreten sei (Hinweis auf BSG vom 24. August 1966 - 2 RU 176/65 = BSGE 25, 161,163 = SozR Nr. 1 zu § 557 RVO a.F.).

Die Beklagte wiederholte demgegenüber ihre bereits in den angefochtenen Bescheiden vertretene Rechtsauffassung. Es gehe nicht um die Frage, ob sich der Verkehrsunfall vom 11. März 2011 auch ohne die Alkoholisierung ereignet haben würde. Tatsache sei, dass der Kläger durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr ohne Fahrerlaubnis ein vorsätzliches Vergehen begangen habe. Hiervon ausgehend sei das dem Rentenversicherungsträger eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt worden.

Das Sozialgericht hat die den Autounfall vom 11. März 2011 betreffenden Akten der Staatsanwaltschaft Darmstadt (Az. ) beigezogen und die Klage schließlich durch Urteil vom 26. Februar 2014 mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung habe, weil die Vorschrift des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VI dem entgegen stehe. Danach könne eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Berechtigte sich die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei einer Handlung zugezogen hat, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist.

Vorliegend beruhe die Erwerbsminderung des Klägers unstreitig auf den Folgen des Unfalls vom 11. März 2011. Dieser Unfall sei bei einer vom Kläger begangenen Handlung eingetreten, die nach rechtskräftigem strafgerichtlichem Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau ein vorsätzliches Vergehen ist. Der Kläger habe zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass zwischen der Vorsatztat und der gesundheitlichen Beeinträchtigung ein Ursachenzusammenhang bestehen müsse, wohingegen es nicht ausreichend sei, dass "bei Gelegenheit" einer strafbaren Handlung sich gleichzeitig ein Versicherungsfall ereignet, ohne dass ein Zusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und dem Versicherungsfall besteht.

Hier sei der Unfall aber nicht "bei Gelegenheit" einer vorsätzlichen Straftat entstanden, sondern stehe mit der vorsätzlich begangenen Straftat in einem unmittelbaren Ursachenzusammenhang. Zu dem Unfall würde es nicht gekommen sein, wenn der Kläger nicht ohne Fahrerlaubnis gefahren sein würde. Es komme noch hinzu, dass der Kläger durch ein und dieselbe Handlung zwei Straftaten (Fahren ohne Fahrerlaubnis und fahrlässige Trunkenheit im Verkehr) begangen habe. Allein hierdurch verbiete sich schon eine Differenzierung hinsichtlich der Kausalität zwischen der vorsätzlich begangenen und der fahrlässig begangenen Straftat. Der Straftatbestand der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr habe nur dadurch verwirklicht werden können, dass der Kläger ohne Fahrerlaubnis gefahren sei. Der Unfall sei durch die Verwirklichung beider Straftatbestände entstanden. Es möge zwar sein, dass der Kläger die theoretischen und praktischen Kenntnisse für das Autofahren besitze. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe er diese aber alkoholbedingt gerade nicht besessen. Die beiden Taten stünden daher in einem ganz engen Zusammenhang. Dies reiche aus, um hier eine Kausalität zwischen dem vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis und dem Unfall zu begründen.

Die Beklagte habe auch das ihr gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VI eingeräumte Ermessen, die Leistung ganz oder teilweise zu versagen, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Soweit ein Leistungsträger ermächtigt sei, nach seinem Ermessen zu handeln, sei dessen Handeln rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zwecke des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wird (§ 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)). Umgekehrt habe der Versicherte Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I), nicht aber einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Betrag – bei einem Leistungsbegehren – oder auf den Verzicht auf jegliche Leistungsbegrenzung – bei einem Streit wie dem vorliegenden ‚ sofern nicht eine "Ermessensreduzierung auf Null" eingetreten ist. Derartiges habe der Kläger nicht behauptet. Er habe sich neben Angriffen gegen das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vor allem gegen das Ergebnis der Ermessensausübung der Beklagten gewandt.

Abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall der Ermessensreduzierung auf Null, in dem es nur ein ermessensgerechtes Ergebnis gibt, habe der Gesetzgeber dem Leistungsträger mit Einräumung von Ermessen eine Auswahlbefugnis hinsichtlich mehrerer gleichermaßen rechtmäßiger Entscheidungsmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite eröffnet, einschließlich der Möglichkeit von einer Leistungsversagung ganz oder teilweise abzusehen. Zur Sicherung dieser Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers sei die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch das Gericht nur eingeschränkt dahingehend zulässig, ob die gesetzlichen Grundlagen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Wenn der Bescheid rechtswidrig ist, dürfe das Gericht daher auch nur den Bescheid aufheben und den Träger zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen, nicht aber eigene Ermessenserwägungen anstellen und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Leistungsträgers setzen.

Ausgangspunkt bei der Prüfung der Ermessensausübung des Leistungsträgers seien neben dieser allgemeinen Grundregel einerseits die jeweilige Norm, die zur Ermessensausübung ermächtigt, hier also § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, sowie andererseits der Bescheid des Leistungsträgers in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG), weil dieser die Gesichtspunkte erkennen lassen müsse, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen sei, § 35 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Vorliegend sei ein Ermessensfehler der Beklagten nicht zu erkennen. Die Beklagte habe ihre Ermessensentscheidung im Wesentlichen damit begründet, das Verhalten des Klägers habe eine grobe Selbstgefährdung dargestellt und der Kläger habe sich eigenmächtig über anerkannte Grundprinzipien der Versichertengemeinschaft hinweggesetzt, indem er in alkoholisiertem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt habe, ohne die erforderliche Erlaubnis zu besitzen. Dem Interesse der Versichertengemeinschaft habe die Beklagte das Interesse des Klägers an der Auszahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gegenüber gestellt und letztlich dem Interesse der Versichertengemeinschaft (die Rente zu versagen) den Vorrang eingeräumt. Diese Abwägung stehe in Einklang mit dem Normzweck des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB Vl. Die Vorschrift solle einen Ausgleich schaffen zwischen dem Grundsatz, dass das Sozialrecht keine strafrechtlichen Funktionen wahrzunehmen hat und dem sozialethisch kaum tolerierbaren Ergebnis, dass schwere Strafverstöße auch noch durch Sozialversicherungsleistungen "belohnt" werden. Letztlich ziele § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ähnlich wie § 101 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sowie die vergleichbaren Vorschriften in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 52 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) auf die Versagung von sozialem Schutz bzw. sozialer Sicherheit ab, weil der Betreffende durch sein strafrechtlich als Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen zu bewertendes Verhalten sozialethische Mindeststandards verletzt hat (vgl. BSG vom 18. März 2011 - B 2 U 1/07 R = BSGE 100, 124 = SozR 4-2700 § 101 Nr. 1 mit Hinweis auf Hänlein, Moral Hazard und Sozialversicherung - Versicherungsverhalten und Versicherungsfall im Sozialversicherungsrecht, Zeitschrift für Versicherungswissenschaft 2002, 579 ff.). Dies sei auch die zutreffende rechtliche Grundhaltung der Beklagten, wie sie von ihr in ihrem Widerspruchsbescheid wiedergegeben worden sei. Ein Leistungsträger müsse zudem nicht auf alle Umstände des Einzelfalles eingehen, vielmehr genüge es, wenn er die maßgebenden tragenden Gesichtspunkte in der Begründung des Bescheides mitteilt. Die Ausführungen der Beklagten in dem angefochten Widerspruchsbescheid genügten diesen Anforderungen. Das Vorbringen des Klägers, die Versagung der Erwerbsminderungsrente habe für ihn erhebliche wirtschaftliche Folgen, sei demgegenüber nicht geeignet, einen Ermessensfehler zu begründen. Die Beklagte habe das Interesse des Klägers an der Auszahlung einer Rente ausdrücklich in ihre Überlegungen mit einbezogen. Die Entscheidung der Beklagten sei daher frei von Ermessensfehlern.

Der Kläger hat gegen das ihm am 20. März 2014 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 27. März 2014 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Rentenbegehren weiter.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Februar 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2012 zu verurteilen, ihm unter Zugrundelegung eines am 11. März 2011 eingetretenen Leistungsfalls Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Die Beklagte reicht ein sozialärztliches Gutachten des Arztes für Orthopädie sowie für Physikalische und Rehabilitative Medizin - Sozialmedizin, Röntgendiagnostik, Chirotherapie, Sportmedizin, spezielle Schmerztherapie - Dr. med. E. vom 31. Juli 2014 zu den Gerichtsakten, in welchem auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung vom 28. Juli 2014 bei dem Kläger eine deutliche Kraft- und Muskelminderung im linken Arm und Schultergürtel nach Nervenlösung C5- C7 und vom Truncus superior (oberes Körperstammnervengeflecht) im Oktober 2011 nach in kompletter traumatischer Armplexusläsion links im März 2011 im Rahmen eines selbst verursachten Autounfalls, ein operativ versorgter und jetzt knöchern konsolidierten Zustand nach Oberschenkelschaftbruch rechts, Oberarmschaftbruch links, Ellenhakenbruch links mit inkompletter Schädigung des radialen Armnerven sowie ein leichtes Übergewicht diagnostiziert werden. Ausgehend von diesen Gesundheitsbeeinträchtigungen mutet Dr. med. E. dem Kläger nach zwischenzeitlich eingetretener Besserung wieder leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen für die Dauer von arbeitstäglich 6 Stunden und mehr zu.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 1. August 2014 und vom 26. August 2014 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Versicherten betreffenden Rentenakten der Beklagten und die Akten der Staatsanwaltschaft Darmstadt (Az. ) Bezug genommen.

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