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Landessozialgericht Hessen 27.01.2012, L 5 R 395/10

  • Aktenzeichen: L 5 R 395/10
  • Spruchkörper: 5. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 1 R 178/06
  • Instanzgericht: Sozialgericht Fulda
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 27.01.2012

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um die (teilweise) Aufhebung der Entscheidung über die Gewährung von Witwenrente für die Zeit vom 1. August 1996 bis 30. September 2005 sowie um die Erstattung überzahlter Rentenleistungen in Höhe von 13.319,01 EUR.

Die 1960 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige philippinischer Herkunft. Sie ist die Witwe des 1913 geborenen und 1995 verstorbenen Versicherten B. A., mit dem sie seit dem 30. Juni 1982 verheiratet war. Der Versicherte bezog von der Beklagten seit dem 1. Juni 1976 Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres (Bescheid vom 26. Mai 1976).

Nach dem Tod des Versicherten stellte die Klägerin bei der Beklagten am 11. August 1995 einen Antrag auf Hinterbliebenenrente. Im laufenden Rentenverfahren bescheinigte ihr die Firma XY. MM. GmbH mit Datum vom 10. August 1995 Bruttoarbeitsentgelte in Höhe von 10.075 DM (1. Januar 1995 bis 31. März 1995) und 29.821 DM (1. April 1994 bis 31. Dezember 1994). Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass noch Angaben hinsichtlich ihres Einkommens für die Zeiträume Januar 1994 bis März 1994 und August 1995 fehlten. Die ihr hierfür übersandten Vordrucke ließ die Klägerin unter dem 25. September 1995 von der Firma XY. MM. GmbH ausfüllen. Den Eintragungen ist zu entnehmen, dass die Klägerin im August 1995 als Hausfrau kein Entgelt bezogen und sich in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. März 1994 ihr Bruttoarbeitsentgelt auf 8.155,63 DM belaufen habe.

Am 26. September 1995 nahm die Klägerin eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf.

Mit bindend gewordenem Rentenbescheid vom 26. Oktober 1995 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 1. August 1995 kleine Witwenrente mit einem Zahlbetrag von 539,76 DM monatlich, ohne dabei rentenmindernd Einkommen zu berücksichtigen. In den Abschnitten "Mitteilungspflichten" und "Hinweise" dieses Bescheides hieß es unter anderem:

"Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind

  • Arbeitsentgelt,
  • Einkommen aus selbständiger Tätigkeit,
  • vergleichbare Einkommen,

oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen. (.)

Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. (.)

Trifft diese Witwenrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen der Berechtigten zusammen, so ist auf diese Rente im ersten Jahr nach dem Tode des Ehegatten ein Einkommen nicht anzurechnen. (.)"

Auf Antrag der Klägerin vom 13. Mai 2005 gewährte ihr die Beklagte sodann mit Bescheid vom 7. Juni 2005 anstelle der bisherigen Rente ab dem 1. Juli 2005 große Witwenrente mit einem Zahlbetrag von monatlich 711,30 EUR. Mit Widerspruchsschreiben vom 7. Juli 2005 bat die Klägerin um Überprüfung der Rentenberechnung, da ihr von der Beratungsstelle der Beklagte eine deutlich höhere Rente probeberechnet worden sei als im Rentenbescheid ausgewiesen. Am 20. Juli 2005 fragte die Klägerin bei der Beklagten über deren Beratungsstelle MM. an, weshalb bei der Hinterbliebenenrente kein Einkommen angerechnet werde, obwohl sie laufend beschäftigt sei und ihr Einkommen über dem Freibetrag liege.

Daraufhin zog die Beklagte von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen einen Teilkontospiegel vom 4. August 2005 bei, aus dem hervorgeht, dass für die Klägerin seit dem 26. September 1995 durchgängig bis jedenfalls 31. Dezember 2004 Pflichtbeitragszeiten gemeldet worden waren.

Mit Schreiben vom 9. August 2005 setzte die Beklagte die Klägerin von ihrer Absicht in Kenntnis, den Bescheid vom 26. Oktober 1995 mit Wirkung ab 1. August 1995 zurückzunehmen und die Überzahlung für die Zeit vom 1. August 1995 bis 30. Juni 2006 in Höhe von 12.897,21 EUR zurückzufordern.

Mit Rentenbescheid vom 9. August 2005 berechnete die Beklagte die große Witwenrente der Klägerin ab 1. Juli 2005 neu und zahlte ab 1. Oktober 2005 nunmehr laufend monatlich 570,70 EUR. Für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2005 ergebe sich eine Überzahlung von 421,80 EUR, die zu erstatten sei. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch (Schriftsatz ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 26. August 2005).

Von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Rücknahme des Rentenbescheides vom 26. Oktober 2005 machte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 21. September 2005 Gebrauch, indem sie im Wesentlichen ausführte, eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Zahlung weder bewusst noch grob fahrlässig verschuldet zu haben. Sie habe keine falschen Angaben gemacht und insbesondere die von der Beklagten gezielt gestellten Fragen nach ihrem Einkommen für August 1995 und für Januar 1994 bis März 1994 zutreffend beantwortet. Von Seiten ihrer Krankenkasse sei ihr zugesichert worden, dass die Mitteilung über die Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung an die Beklagte weitergeleitet werde. Abgesehen davon handele es sich bei ihrer Beschäftigung um eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit, die sie deshalb gegenüber der Beklagten gar nicht habe anzeigen müssen. Der Beklagten sei aber spätestens seit dem Zugang des Schreibens ihres Arbeitgebers vom 28. November 1995 bekannt gewesen, dass sie wieder arbeite. Zumindest hätte dies der Beklagten bekannt sein müssen. Selbst wenn jedoch eine Mitteilungspflicht ihrerseits bestanden haben sollte, habe sie diese nicht grob fahrlässig verletzt, zumal der Rentenbescheid den ausdrücklichen Hinweis enthalten habe, dass Einkommen im ersten Jahr nach dem Tode des Ehegatten ohnehin nicht anzurechnen sei.

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 26. Oktober 1995 mit Wirkung ab 1. August 1995 gemäß § 45 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) insofern zurück, als für den Zeitraum ab 26. Oktober 1995 das von der Klägerin erzielte Erwerbseinkommen bei der Berechnung der Witwenrente unberücksichtigt geblieben war, und forderte von der Klägerin die im Zeitraum vom 1. August 1995 bis 30. September 2005 entstandene Überzahlung in Höhe von insgesamt 13.319,01 EUR gemäß § 50 SGB X zurück. Die Klägerin könne sich insbesondere nicht auf Vertrauen in den Bestand des ursprünglichen Rentenbescheides berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe.

Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch (Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. November 2005).

Durch Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2006 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin gegen den Bescheid vom 7. Juni 2005 in der Fassung des Bescheides vom 9. August 2005 sowie gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2005 zurück.

Am 8. Juni 2006 erhob die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Fulda, mit der sie zuletzt noch die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 26. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2006 begehrte. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie ihr bisheriges Vorbringen.

Mit Urteil vom 10. August 2010 hob das Sozialgericht antragsgemäß den Bescheid vom 26. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2006 auf, soweit darin der Bescheid vom 26. Oktober 1995 mit Wirkung ab 1. August 1995 aufgehoben und eine Rückforderung in Höhe von 13.119,01 EUR für überzahlte Witwenrente in der Zeit vom 1. August 1995 bis 30. September 2005 geltend gemacht wird. In den Entscheidungsgründen hieß es, dass die Beklagte den angefochtenen Bescheid zu Recht auf § 45 SGB X gestützt habe. Allerdings habe die Klägerin auf den Bestand des Rentenbescheides vom 26. Oktober 1995 vertrauen dürfen, weil sie weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen Mitteilungspflichten verstoßen habe. Die von der Beklagten erteilten Hinweise seien missverständlich formuliert. Bei oberflächlicher Lesart könne durchaus davon ausgegangen werden, dass bei rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen jegliche Änderungsmitteilungen unterbleiben könnten. Grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Rentenbescheides könne der Klägerin ebenfalls nicht vorgeworfen werden, weil schon keine Pflicht bestanden hätte, diesen Bescheid auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen und dessen Fehlerhaftigkeit der Klägerin auch nicht ins Auge habe springen müssen. Erweise sich die Rücknahme des Rentenbescheides somit als rechtswidrig, sei die Beklagte auch nicht befugt gewesen, die Erstattung der überzahlten Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu fordern.

Gegen das ihr am 27. August 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. September 2010 Berufung zu dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 26. Oktober 1995 nunmehr hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 1. August 1996 nach § 48 SGB X auf und verlangte von der Klägerin die Erstattung der entstandenen Überzahlung in Höhe von 13.319,01 EUR nach § 50 SGB X. Die rückwirkende Aufhebung sei mit Blick auf § 314 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31. Juli 2004 geltenden Fassung zulässig.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides habe ergeben, dass für die Aufhebung des Rentenbescheides nicht § 45 SGB X, sondern § 48 SGB X einschlägig sei, weil sich die Verhältnisse erst am 1. August 1996 wesentlich geändert hätten. Der dies berücksichtigende Aufhebungsbescheid vom 4. Oktober 2010 sei Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden. Da die Klägerin Einkommen erzielt habe, das zur Minderung des Rentenanspruchs führe, sei der Rentenbescheid vom 26. Oktober 1995 vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Dass der angefochtene Bescheid zunächst auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage gestützt worden sei, sei unbeachtlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 10. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen
sowie die weitere Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2010 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und den Bescheid vom 4. Oktober 2010 aufzuheben.

Sie erwidert, dass auch der im laufenden Verfahren ergangene Aufhebungsbescheid vom 4. Oktober 2010 die von der Beklagten geltend gemachten Ansprüche nicht rechtfertige. Der Rentenbescheid vom 26. Oktober 1995 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten vom 4. Oktober 2010 könne daher die ursprünglich fehlerhafte Rücknahmeentscheidung nicht mehr heilen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

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