Landessozialgericht Hessen 26.03.2013, L 2 R 128/12
- Aktenzeichen: L 2 R 128/12
- Spruchkörper: 2. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 4 R 492/11
- Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 26.03.2013
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Vormerkung der Zeit vom 25. April 1998 bis zum 31. Dezember 2009 als Anrechnungszeit.
Die 1949 geborene Klägerin ist ausgebildete Ziseleuse. Nach späterer Umschulung zur Bürokauffrau arbeitete sie bis zum 24. April 1998 in diesem Berufsbereich, zuletzt als Sekretärin.
Mit bei der Beklagten am 4. September 2009 eingegangenem Antrag beantragte die Klägerin erstmals die Klärung ihres Rentenversicherungskontos. Dabei gab sie an, unter anderem in der Zeit vom 25. April 1998 bis 31. Dezember 2008 Hausfrau gewesen zu sein und keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt zu haben. Der nach Abschluss des Verfahrens unter dem 13. November 2009 von der Beklagten erlassene Vormerkungsbescheid wurde bestandskräftig; der Versicherungsverlauf weist entsprechend für Zeiten ab dem 25. April 1998 keine rentenrechtlichen Zeiten mehr auf.
Formlos beantragte die Klägerin sodann im November 2009 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, ersatzweise eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. In dem von ihr im Januar 2010 vorgelegten Rentenformantrag begehrte sie die Anerkennung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit ab dem 25. April 1998 und erklärte, seit diesem Zeitpunkt durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein. Sie gab weiter an, sich auch seit 1998 wegen einer Borreliose, einer Hirnleistungsstörung, einer Multisystemerkrankung, Schwindel, einem Erschöpfungssyndrom, einer Dysfunktion der Halswirbelsäule mit Störung der Kiefergelenksfunktion, Autoimmunität, einer Immundysfunktion, Wortfindungsstörungen, dem Eppstein-Barr-Virusinfekt, einer chronischen Sinusitis und einer Fettstoffwechselstörung für erwerbsgemindert zu halten. Arbeiten, auch nur leichte, könne sie nur ab und zu stundenweise verrichten. Den Rentenantrag lehnte die Beklagte zunächst mangels Mitwirkung mit Bescheid vom 11. Februar 2010 ab. Nach Widerspruch der Klägerin nahm die Beklagte diesen mit Bescheid vom 25. Februar 2010 zurück und setzte das Rentenverfahren fort. Dabei holte sie zunächst Befundberichte der behandelnden Diplom-Medizinerin QQ., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 9. März 2010 ein und zog sodann ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten von Dr. WW. vom 1. Juni 2010 ein.
Mit der Diagnose einer Persönlichkeitsänderung bei multipler Chemikaliensensitivität traute er der Klägerin die Ausübung ihrer letzten beruflichen Tätigkeit wie auch eine solche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im zeitlichen Umfang von 6 Stunden und mehr pro Arbeitstag mit gewissen qualitativen Einschränkungen zu.
Mit Bescheid vom 8. Juli 2010 lehnte die Beklagte zunächst den Antrag auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen mangels Vorliegen der Wartezeit von 35 Jahren ab, auf die nur 379 Monate – statt 420 Monate – anzurechnen seien.
Mit Bescheid ebenfalls vom 8. Juli 2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung ab, dass die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei trotz der festgestellten Erkrankung/Behinderung einer nichtorganischen Persönlichkeitsveränderung nach ihrer medizinischen Beurteilung noch in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes als Sekretärin erwerbstätig zu sein. Da diese Tätigkeit auch vom beruflichen Werdegang her zumutbar sei, sei die Klägerin auch nicht berufsunfähig.
In den Widerspruchsverfahren gegen beide ablehnenden Bescheide wies die Klägerin auf die aus ihrer Sicht vordergründig streitige Frage der Anrechenbarkeit der Zeit ab dem 25. April 1998 als Anrechnungszeit (wegen Arbeitsunfähigkeit) hin und regte an, in dem Widerspruchsverfahren zunächst hierüber zu entscheiden und die Rentenverfahren bis zum Abschluss zunächst ruhen zu lassen.
Dem stimmte die Beklagte zu. Zum Nachweis der seit 1998 bestehenden Arbeitsunfähigkeit legte die Klägerin sodann eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Prof. Dr. EE. vom 23. November 2010 vor. Die Beklagte zog ihrerseits ein internistisches Sachverständigengutachten von Dr. RR. vom 7. Januar 2011 bei.
Gestützt auf Letzteres lehnte die Beklagte sodann die Vormerkung der Zeit vom 25. April 1998 bis zum 31. Dezember 2009 mit Bescheid vom 27. Januar 2011 ab, weil eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Vorschriften nicht vorgelegen habe. Der Widerspruch hiergegen war erfolglos und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2011 zurückgewiesen. Sie führte ergänzend aus, dass die vorgelegte ärztliche Bescheinigung von Prof. Dr. EE. keine durchgehende Arbeitsunfähigkeit nachweise.
Zudem sei die Klägerin ab dem 26. April 1998 nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen. Hier sei die Regelung des § 58 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zu beachten. Ein Antrag auf Antragspflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sei nicht gestellt worden. Bereits aus diesem Grunde könne keine Vormerkung des streitigen Zeitraumes als Anrechnungszeit erfolgen.
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main verfolgte die Klägerin ihr Begehr weiter. Dabei beantragte sie über die Anerkennung der Zeit vom 25. April 1998 bis 31. Dezember 2009 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit hinaus diese in analoger Anwendung des § 163 SGB VI, ebenfalls als Anrechnungszeit, anzuerkennen. Ihrer Ansicht nach spräche hierfür das gesetzgeberische Ziel der Vorschrift, welches darin bestehe, dass Arbeitnehmer aufgrund ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bei den in der Vorschrift erwähnten Einrichtungen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienten, keine Nachteile in Bezug auf die spätere Rente haben sollten. Grund sei ebenfalls, dass auch für die unentgeltliche Pflege von Familienangehörigen versicherungsrechtliche Zeiten erworben würden. Sie habe trotz ihrer schweren Erkrankung nach Ende ihrer beruflichen Tätigkeit weiterhin eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Pfarrgemeinde, die ihr Ehemann als Pfarrer leite, ausgeübt.
Die Klage wies das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2012 ab. Das Sozialgericht führte aus, dass eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum nicht im Vollbeweis nachgewiesen sei. Unabhängig davon stehe im Falle eines Nachweises einer Berücksichtigung der streitgegenständlichen Zeit die Regelung des § 58 Abs. 3 SGB VI entgegen, da die Klägerin nach Aufgabe der letzten Tätigkeit keinen Antrag gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 gestellt habe. Auch käme keine Anrechnungszeit in analoger Anwendung von § 163 Abs. 3, 4 SGB VI in Betracht. Eine analoge Anwendung einer Rechtsnorm könne nur erfolgen, wenn für einen bestimmten Sachverhalt keine Rechtsnorm, mithin eine Regelungslücke, existiere und diese vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen, sondern planwidrig sei. Dies sei durch Auslegung der Norm zu ermitteln. Bei Auslegung des § 163 Abs. 3, 4 SGB VI sei erkennbar, dass der Gesetzgeber - wie auch von der Klägerin vorgetragen - eine Benachteiligung von ehrenamtlich tätigen Personen vermeiden wollte. Allerdings sei hier keine Regelung für die Anerkennung für Anrechnungszeiten zu finden. Die Vorschrift als Sondervorschrift betreffe lediglich die beitragspflichtigen Einnahmen von Beschäftigten, deren beitragspflichtige Einnahmen nicht in § 162 SGB VI geregelt seien.
Da die Norm überhaupt keinen Bezug zur Anerkennung von Anrechnungszeiten oder zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Alters- oder Erwerbsminderungsrente aufweise und eine planwidrige Regelungslücke nicht erkennen lasse, sei die analoge Anwendung auf die Anerkennung von Anrechnungszeiten im Allgemeinen und auch im vorliegenden Falle ausgeschlossen.
Gegen die ihr am 2. März 2012 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 30. März 2012 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht angebracht. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß) nur noch,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 zu verurteilen, die Zeit vom 25. April 1998 bis zum 31. Dezember 2009 als Anrechnungszeit wegen ehrenamtlicher Tätigkeit in analoger Anwendung des § 163 SGB VI vorzumerken.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist im Übrigen auf den Inhalt ihrer Verwaltungsakte.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 14. Februar 2013 gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die Berichterstatterin übertragen.
Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung und auch Entscheidungsfindung gewesen sind.