Landessozialgericht Hessen 19.02.2013, L 2 R 262/12
- Aktenzeichen: L 2 R 262/12
- Spruchkörper: 2. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 6 R 66/10
- Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt/Main
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 19.02.2013
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rücküberweisung von Rentenbeträgen in Höhe von 801,55 EUR.
Der Versicherte QQ. bezog von der Klägerin eine Rente. Am 27. August 2009 verstarb der Versicherte. Für den Monat September 2009 trat eine Rentenüberzahlung in Höhe von 801,55 EUR ein. Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten wies sein Konto bei der Beklagten ein Guthaben in Höhe von 4.005,00 EUR auf. Nach Angaben der Klägerin wurde mit Schreiben vom 8. September 2009 der Betrag von 801,55 EUR durch die XY. AG, Niederlassung Rentenservice, von der Beklagten zurückgefordert. Zur Zeit dieser Rückforderung befanden sich auf dem Konto des verstorbenen Versicherten 2.392,00 EUR sowie 1.579,00 EUR. Mit Schreiben vom 17. November 2009 erinnerte die Klägerin die Beklagte an das Rückforderungsbegehren vom 8. September 2009. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 26. November 2009 mit, sie habe seit 10. September 2009 Kenntnis vom Tod des Rentenberechtigten gehabt. Das Konto sei von der kontoverfügungsberechtigten Person WW. am 9. November 2009 aufgelöst worden. Die Beklagte legte entsprechende Kontounterlagen vor. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2009 forderte die Klägerin von der Beklagten noch einmal ausdrücklich die Rücküberweisung des überzahlten Rentenbetrages. Die Beklagte habe seit 10. September 2009 Kenntnis vom Tod des verstorbenen Versicherten gehabt. Hieraus ergebe sich, dass sie sich hinsichtlich der Verfügungen, die nach dem 10. September 2009 ausgeführt worden seien, nicht auf anderweitige Verfügungen berufen könne. Die Beklagte sei rücküberweisungspflichtig. Die Beklagte erklärte sich nicht bereit, dem Rückforderungsbegehren zu entsprechen.
Am 4. Februar 2010 erhob die Klägerin vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage, mit der sie die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung von 801,55 EUR geltend machte. Hierbei stützte sich die Klägerin auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. April 2008 (B 5a/4 R 79/06 R). Auf Anfrage des Gerichts teilte die Klägerin mit, dass eine Zweitschrift der Mitteilung vom 8. September 2009 nicht vorgelegt werden könne. Der Zugang bei der Beklagten könne nicht nachgewiesen werden.
Nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wies das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 6. Juni 2012 ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der geforderten 801,55 EUR, weil die Beklagte sich erfolgreich auf eine Entreicherung berufen könne. Bei Eingang des Rückforderungsschreibens der Klägerin am 26. November 2009 (ein früherer Zugang könne von der insoweit beweispflichtigen Klägerin nicht nachgewiesen werden), sei aufgrund von Verfügungen Dritter kein Guthaben mehr vorhanden gewesen bzw. sei das Konto durch die verfügungsberechtigte WW. bereits aufgelöst worden. Die Beklagte könne sich auch trotz Kenntnis vom Tod des Versicherten seit dem 10. September 2009 auf die nach diesem Zeitpunkt ausgeführten Verfügungen, die den Schutzbetrag auf Null reduziert hätten, berufen. Es gebe bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob und wenn ja, welche Konsequenzen sich aus einer Kenntnis der Bank vom Tode des Versicherten ergäben. Das von der Klägerin zitierte Urteil des BSG betreffe eine andere Problematik. Auch erschließe sich nicht, warum sich aus § 118 Abs. 3 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) ergeben solle, dass sich die Bank nur bis zur Kenntnis vom Tod des Kontoinhabers auf eine Entreicherung berufen können solle. Der Wortlaut der Vorschrift sehe als Endzeitpunkt des Entreicherungseinwandes lediglich den Eingang des Rückforderungsverlangens durch den Rentenservice bzw. den Rentenversicherungsträger vor. Es ergebe sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte oder dem Sinn und Zweck des § 118 Abs. 3 SGB VI, dass sich die Bank im Fall der Kenntnis vom Tod des Versicherten nicht auf eine Entreicherung berufen könne.
Mit ihrer am 9. Juli 2012 eingelegten Berufung richtet sich die Klägerin gegen den ihr am 20. Juni 2012 zugestellten Gerichtsbescheid. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass der Entreicherungseinwand der Beklagten ab Kenntnis vom Tode des Versicherten entfallen sei. Zudem hat die Klägerin einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 28. Oktober 2010, ein Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. April 2012, ein Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2012 sowie ein Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Mai 2012 vorgelegt, durch die sie ihre Rechtsauffassung bestätigt sieht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juni 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 801,55 EUR an sie zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass die kontoverfügungsberechtigte WW. zum Verfahren beigeladen werden sollte.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts gegenüber der Beklagten Anspruch darauf, dass diese die überzahlte Rentenleistung in Höhe von 801,55 EUR zurücküberweist.
Nach § 118 Abs. 3 SGB VI gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurück zu überweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordert. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.
Der Wortlaut der Vorschrift stellt bei der Prüfung, welche anderweitigen Verfügungen für die Haftung des Bankinstituts von Bedeutung sind, auf den Eingang des Rückforderungsbegehrens des Rentenversicherungsträgers beim Bankinstitut ab. Wie das BSG allerdings im Urteil vom 22. April 2008 (B 5a/4 R 79/06 R) ausgeführt hat, ist die vom Gesetz ausdrücklich vorgeschriebene Berücksichtigung anderweitiger Verfügungen bis zum Zeitpunkt des Eingangs des Rückforderungsbegehrens so zu verstehen, dass sie auf der (unterstellten) Unkenntnis des Geldinstituts vom Tod des Leistungsberechtigten beruht, weil ein Geldinstitut bis zum Eingang des Rücküberweisungsverlangens typischerweise weder vom Ableben des Kontoinhabers noch vom Vorbehalt zugunsten des Rentenversicherungsträgers weiß. Der Grund für die Berücksichtigung anderweitiger Verfügungen entfällt aber dann, wenn die dem Geldinstitut als fehlend unterstellte Kenntnis des gesetzlichen Vorbehalts ausnahmsweise doch vorliegt, so dass es ihn zu beachten in der Lage ist – wenn es also vom Ableben des Rentenempfängers bereits vor dem Rücküberweisungsverlangen des Rentenversicherungsträgers gewusst hat und zu einer entsprechenden Prüfung Anlass gehabt hätte.
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin gegenüber der Beklagten den geltend gemachten Rücküberweisungsanspruch. Zwar ist ein Eingang des ersten Rücküberweisungsverlangens vom 8. September 2009 bei der Beklagten nicht festzustellen, nach den eigenen Angaben der Beklagten hatte diese jedoch seit 10. September 2009 Kenntnis vom Tod des Versicherten. Die Beklagte wäre seitdem in der Lage gewesen, die unter Vorbehalt gezahlte Rente für September 2009 vor Verfügungen Dritter zu schützen. Zu diesem Zeitpunkt wies das Konto des Versicherten auch noch ein Guthaben auf, das den überzahlten Rentenbetrag überstieg, denn der Kontostand betrug mindestens 2.392,46 EUR (Bl. 11 der Rentenakte). Damit haftet die Beklagte vorliegend für die nach Kenntniserlangung vom Tode des Versicherten vorgenommenen Eingriffe in den Rentenschutzbetrag.
Für eine Beiladung der kontoverfügungsberechtigten WW., die nur nach § 75 Abs. 1 SGG in Betracht gekommen wäre, hat der Senat mit dem Sozialgericht keine Veranlassung gesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG. Der Streitwert ergibt sich aus der streitigen Geldsumme.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen da es an Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG fehlt.
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