Landessozialgericht Hessen 15.03.2011, L 2 R 335/10
- Aktenzeichen: L 2 R 335/10
- Spruchkörper: 2. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 31 R 380/09
- Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 15.03.2011
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Rente des Klägers neu zu berechnen hat.
Der 1944 geborene Kläger beantragte im November 2008 bei der Beklagten die Gewährung von Altersrente. Mit dem Rentenantrag vom 6. November 2008 willigte der Kläger ein, dass der Rentenversicherungsträger zur Beschleunigung des Rentenverfahrens für den Zeitraum ggf. bis zum Rentenbeginn die entsprechenden voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen (maximal für 3 Monate) hochrechnet und diese der Rentenberechnung zugrunde legt. Hierzu war in dem Formular der Hinweis angebracht worden, dass die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen, soweit sie von den hochgerechneten Beiträgen abweichen, erst bei einer später zu zahlenden Rente berücksichtigt werden. Der Rentenantrag enthält die Unterschrift des Klägers. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 1. Februar 2009. Hierbei berücksichtigte sie für die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 2008 6.312,00 EUR als hochgerechnetes Entgelt, und für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2009 3.156,00 EUR.
Im Februar 2009 beantragte der Kläger die Überprüfung des Rentenbescheides. Er legte die Meldebescheinigung zur Sozialversicherung der Stadt B-Stadt vom Januar 2009 vor, in der als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Zeitraum vom 1. November bis 31. Dezember 2008 8.840,00 EUR und für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2009 3.445,00 EUR angegeben wurden. Das hochgerechnete Entgelt sei wesentlich niedriger als das in der aktuellen Meldebescheinigung ausgewiesene Entgelt. Mit Bescheid vom 3. März 2009 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2008 ab. Die Überprüfung des Bescheides habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Rente sei in zutreffender Höhe festgestellt worden. Der Kläger habe mit seiner Unterschrift bei der Rentenantragstellung dem Verfahren zugestimmt, anstelle der tatsächlich erzielten Entgelte gemäß § 194 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) die hochgerechneten Entgelte zu berücksichtigen. Diese Rente sei nicht gemäß § 70 Abs. 4 SGB VI neu festzustellen, wenn das tatsächliche Entgelt vom hochgerechneten Entgelt abweiche. Dies gelte unabhängig davon, ob die tatsächlichen Entgelte höher oder niedriger seien als das hochgerechnete Entgelt. Bei der Rentenberechnung seien alle nachgewiesenen bzw. glaubhaft gemachten Beitragszeiten, Ersatz- und Anrechnungszeiten berücksichtigt worden. Die Berechnung selbst entspreche den gesetzlichen Vorschriften. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2009 zurück. Der angefochtene Bescheid sei nicht zu beanstanden. Ein Anspruch auf Neufeststellung bestehe nicht.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 10. Juni 2009 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Er verfolgte sein Begehren aus dem Widerspruchsverfahren weiter. Er habe für die Differenz von 2.817,00 Euro Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, die nunmehr von der Beklagten nicht rentensteigernd berücksichtigt würden.
Nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2010 zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Berücksichtigung seiner tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen bei der Rentenberechnung, da er bei der Rentenantragstellung dem Vorausberechnungsverfahren durch seine Unterschrift zugestimmt habe. Die voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für den Zeitraum bis zum Rentenbeginn würden nach den in den letzten 12 Kalendermonaten gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen errechnet. Dies habe die Beklagte zutreffend getan. Es sei gesetzeskonform der abgelaufene Zeitraum von 12 Monaten höchstens 3 Monate vor Rentenbeginn der Berechnung zugrunde gelegt worden. Für die verbleibenden 3 Monate vor Rentenbeginn sei dann gesetzeskonform die Hochrechnung gemäß § 194 SGB VI vorgenommen worden. Nach § 70 Abs. 4 Satz 2 SGB VI blieben eine Abweichung tatsächlich erzielter Einnahmen von den voraus bescheinigten Einnahmen für diese Rente außer Betracht.
Mit seiner am 12. August 2010 eingelegten Berufung richtet sich der Kläger gegen den ihm am 14. Juli 2010 zugestellten Gerichtsbescheid. Hierzu hat er ausgeführt, es sei zutreffend, dass ihm das Rentenantragsformular mit einer ganzen Reihe von Unterlagen zur Unterschrift vorgelegt worden sei und dass dieses Formular tatsächlich auch von ihm unterschrieben worden sei. Er sei jedoch bei der Hochrechnung selbstverständlich davon ausgegangen, dass auch das 13. Gehalt mit hochgerechnet werde. Er sei im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen wie auch die ihn bei der Rentenantragstellung unterstützende Mitarbeiterin Frau C ... Er sei davon ausgegangen, dass auch der Beklagten aus den Unterlagen erkennbar gewesen sei, dass ein 13. Gehalt gewährt werde.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2009 zu verurteilen, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2008 die Regelaltersrente ab 1. Februar 2009 auf der Grundlage tatsächlich erzielter Einkünfte neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Sie hat eine Probeberechnung der Rente auf der Grundlage der tatsächlichen Entgelte im Zeitraum von November 2008 bis Januar 2009 vorgelegt.
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 hat der Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG die Berufung auf die Berichterstatterin übertragen.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2010 zutreffend entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, eine Neuberechnung der Regelaltersrente des Klägers unter Berücksichtigung der tatsächlichen Einkünfte im Zeitraum vom 1. November 2008 bis 31. Januar 2009 vorzunehmen. Der Senat bezieht sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides, denen er sich in vollem Umfang anschließt.
§ 70 Abs. 4 S. 1 SGB VI bestimmt, dass dann, wenn für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden ist (§ 194 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 SGB VI), für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln sind. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht (§ 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI). Nach § 194 Abs. 1 SGB VI haben Arbeitgeber auf Verlangen des Rentenantragstellers die beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume frühestens 3 Monate vor Rentenbeginn gesondert zu melden. Erfolgt eine entsprechende Meldung, errechnet der Rentenversicherungsträger bei Anträgen auf Altersrente die voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn für bis zu 3 Monate nach den in den letzten 12 Kalendermonaten gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen. Auf der Grundlage dieser Bestimmung und mit Einwilligung des Klägers, die sich aus seiner Unterschrift unter dem Rentenantrag ergibt, hat die Beklagte die Altersrente des Klägers berechnet. Bei der Berechnung der Rente nach § 194 Abs. 1 Satz 3 SGB VI waren nur die für die letzten 12 Kalendermonaten voraus bescheinigten beitragspflichtigen Einnahmen zu berücksichtigen.
Wird nach Feststellung einer Altersrente mit einer vom Rentenversicherungsträger hochgerechneten Beitragseinnahme die abweichende tatsächliche Beitragseinnahme in dem hochgerechneten Zeitraum bekannt, verbleibt es nach § 70 Abs. 4 Satz 2 SGB VI bei den Entgeltpunkten aufgrund der Vorausbescheinigung. Dies gilt selbst dann, wenn die tatsächliche Beitragseinnahme von der vorausberechneten Beitragseinnahme erheblich abweicht. Der Versicherte kann die Regelung des § 70 Abs. 4 Satz 2 SGB VI auch nicht dadurch umgehen, dass er vor Eintritt der Bindungswirkung des Rentenbescheides die Neufeststellung der bereits unter Anwendung des § 70 Abs. 4 Satz 1 SGB VI festgestellten Altersrente beantragt. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht,
a.) wenn die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme fehlerhaft berechnet worden war,
b.) wenn die berechnete voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme im Zeitpunkt ihrer Berechnung zwar richtig war, das Beschäftigungsverhältnis aber aus nicht vorhergesehenen Gründen vor dem Ende des Hochrechnungszeitraums vorzeitig beendet wurde,
c.) wenn die Rente wegen anderer Fehler, z. B. zu Unrecht nicht berücksichtigter Zeiten, neu festgestellt werden muss oder
d.) wenn die Rente nicht bereits aufgrund der berechneten voraussichtlichen Einnahme festgestellt werden konnte. In diesen Fällen steht § 70 Abs. 4 Satz 2 SGB VI einer Neufeststellung nicht entgegen. Die benannten Ausnahmefälle sind jedoch zugunsten des Klägers nicht gegeben. Es hat deshalb bei der Rentenberechnung, wie mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 festgestellt, zu verbleiben. Der Rentenbescheid ist nicht rechtswidrig, sodass die Beklagte gemäß § 44 SGB X nicht verpflichtet ist, den Bescheid (teilweise) zurückzunehmen und die Rente neu zu berechnen. Der entgegenstehenden Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16. November 1995 (4 RA 48/93) folgt das Gericht ebenso wie die Rentenversicherungsträger wegen des eindeutigen Wortlauts des § 70 Abs. 4 SGB VI nicht. Dieser Wortlaut ist auch im Rahmen der Änderung des § 194 SGB VI zum 1. Januar 2008 nicht geändert worden.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
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