Landessozialgericht Hessen 17.01.2012, L 2 R 198/11
- Aktenzeichen: L 2 R 198/11
- Spruchkörper: 2. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 31 R 102/10
- Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt/Main
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 17.01.2012
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ab welchem Zeitpunkt dem Kläger Regelaltersrente zu zahlen ist.
Der 1939 geborene Kläger war bis 1975 in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Ab August 1975 war er als Lehrer im Beamtenverhältnis tätig. Seit Februar 1996 befindet er sich im Ruhestand. Im Oktober 1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Klärung seines Versicherungskontos, offenbar im Zusammenhang mit der Regelung des Versorgungsausgleichs im Rahmen seines Scheidungsverfahrens. Durch Urteil des Amtsgerichts NU-Stadt vom 13. Januar 1999 wurde die Ehe des Klägers geschieden. Zu seinen Lasten wurden Rentenanwartschaften aus der Ehezeit auf das Versicherungskonto der geschiedenen Ehefrau übertragen.
Nach Aktenlage richtete die Beklagte unter dem 3. August 2004 ein den Regelaltersrentenanspruch betreffendes Hinweisschreiben gemäß § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) an den Kläger, über dessen Zugang jedoch kein Nachweis vorliegt.
Im Dezember 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Er gab hierbei an, er habe im August 2004 das 65. Lebensjahr vollendet. Ab diesem Monat habe er Anspruch auf Altersrente. Er stelle den Antrag auf Altersrente ab 1. August 2004 und gleichzeitig ab 1. Dezember 2007. Mit Bescheid vom 4. November 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 1. Dezember 2007. Hiergegen richtete sich der Kläger mit Widerspruch, mit dem er geltend machte, er habe das 65. Lebensjahr bereits im August 2004 vollendet. Er sei verhindert gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt den Rentenantrag zu stellen. Dies resultiere daraus, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass er einen eigenen Rentenanspruch habe. Als Beamter erhalte er seit 1. Februar 1996 Versorgungsbezüge. Kenntnis über eine mögliche Rentenanwartschft habe er nur aufgrund des Scheidungsverfahrens im Jahre 1998 und dem damit einhergehenden Versorgungsausgleich erhalten. Der Versorgungsausgleich sei im Rahmen der Scheidung durch das zuständige Amtsgericht durchgeführt worden. Er habe weder von Seiten des Gerichts noch von Seiten der Beklagten jemals Informationen darüber erhalten, ob und ggf. in welcher Höhe er Rentenansprüche habe. Ein Schreiben der Beklagten vom 3. August 2004 habe er nie erhalten. Er habe auch zu keiner Zeit eine Rentenauskunft von der Beklagten erhalten.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Dem Begehren des Klägers könne nicht entsprochen werden. Ein Anspruch auf Rente vor dem 1. Dezember 2007 bestehe nicht. Dem stehe die Vorschrift des § 99 SGB VI entgegen. Der Rentenantrag sei erst am 31. Dezember 2007 formlos gestellt worden. Damit bestehe Anspruch auf Rente ab 1. Dezember 2007. Der Fall eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liege nicht vor. Mit einer Rentenauskunft vom 11. November 1998 an das Familiengericht im Rahmen des Versorgungsausgleichs sei der Kläger darüber informiert worden, dass er insgesamt 177 Beitragszeiten zur Rentenversicherung zurückgelegt habe. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei ein Rentenanspruch gegeben gewesen. Außerdem sei er mit Schreiben vom 3. August 2004 auf die erforderliche Rentenantragstellung hingewiesen worden. Im Versicherungskonto sei nicht vermerkt, dass das Schreiben als unzustellbar zurückgekommen sei. Der Kläger sei auch seit seiner Scheidung unter derselben Adresse gemeldet gewesen. Ein Rücklauf des Schreibens sei nicht wahrscheinlich. Die Behauptung, das Schreiben vom 3. August 2004 habe er nicht erhalten, sei unsubstantiiert. Wenn der Kläger vortrage, er habe erst durch das Scheidungsverfahren von einem künftigen Rentenanspruch erfahren, sei umso unklarer, warum er diesen Antrag im Jahre 2004 nicht gestellt habe, denn das Scheidungsverfahren sei bereits im Jahre 1998 abgewickelt worden.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 19. Februar 2010 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Er blieb dabei, ein Schreiben vom 3. August 2004 von der Beklagten nicht erhalten zu haben. Auch in den Akten der Beklagten sei ein solches Schreiben nicht enthalten. Außerdem habe er bis zu seiner Scheidung in der X-Straße in A-Stadt gewohnt, später in der A-Straße in A-Stadt.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. März 2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, der Widerspruchsbescheid sei zutreffend. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheitere daran, dass keine Pflichtverletzung der Beklagten vorliege, der Kläger nicht unvollständig oder falsch informiert oder beraten worden sei. Der Kläger sei durch eine Rentenauskunft vom 11. November 1998 an das Familiengericht im Rahmen des Versorgungsausgleichs über seinen Rentenanspruch informiert worden. Dies sei ihm auch bekannt gewesen, wie sich aus dem Schreiben vom 27. Dezember 2007 ergebe. In einem weiteren Schreiben an die Beklagte habe der Kläger dargelegt, mit dem Monat August 2004 das 65. Lebensjahr vollendet und seit diesem Zeitpunkt Anspruch auf Altersrente zu haben. Aus alledem ergebe sich, dass der Kläger über seine Ansprüche informiert gewesen sei, sodass die verspätete Antragstellung nicht auf einer Pflichtverletzung seitens der Beklagten beruhe. Des Weiteren sei auch das Schreiben der Beklagten vom 3. August 2004 nicht als unzustellbar zurückgekommen und der Kläger habe seit der Scheidung seine Adresse nicht mehr gewechselt. Ein Rücklauf des Schreibens sei unwahrscheinlich.
Mit seiner am 28. April 2011 eingelegten Berufung richtet sich der Kläger gegen den ihm am 28. März 2011 zugestellten Gerichtsbescheid. Der Kläger hat weiter vorgetragen, nicht darüber informiert worden zu sein, bereits ab Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Regelaltersrente zu haben. Das Schreiben vom 3. August 2004 habe er nicht erhalten. Aus dem Scheidungsurteil ergebe sich lediglich, dass zu seinen Lasten Versorgungsanwartschaften auf das Versicherungskonto seiner geschiedenen Ehefrau übertragen worden seien. Hieraus sei nicht ersichtlich, dass er einen Rentenantrag bei der Beklagten habe stellen können. Unstreitig sei zwischen den Parteien auch, dass er zu keiner Zeit eine Rentenauskunft von der Beklagten erhalten habe und die Beklagte damit ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Es dürfe ferner unstreitig anzunehmen sei, dass er mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze einen Rentenantrag gestellt hätte, wenn er auf diese Möglichkeit zuvor hingewiesen worden wäre. Der Kläger hat ein Teilanerkenntnisurteil des Amtsgerichts NU-Stadt vom 13. Januar 1999 vorgelegt, außerdem ein Scheidungsurteil des Amtsgerichts NU-Stadt vom 13. Januar 1999.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 4. November 2008 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2010 zu verurteilen, ihm Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bereits ab 1. September 2004 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und führt außerdem aus, aus dem Scheidungsurteil ergebe sich eindeutig, dass Versorgungsanwartschaften für die geschiedene Ehefrau allein zu Lasten des Klägers begründet worden seien. Eine Übertragung von Rentenanwartschaften des Klägers auf das Versicherungskonto der geschiedenen Ehefrau habe nicht stattgefunden. Dem Kläger sei allein schon aus diesem Grund bekannt gewesen, dass ein Regelaltersrentenanspruch mit Vollendung des 65. Lebensjahres bestanden habe. Aus welchem Grund der Kläger letztlich den Rentenantrag nicht zu diesem Zeitpunkt gestellt habe, könne die Beklagte nicht beurteilen.
Der Senat hat eine schriftliche Erklärung des Klägers vom 9. April 1996 vom Regierungspräsidium Q-Stadt beigezogen und den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtstreites am 17. Januar 2012 persönlich gehört. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit verwiesen.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.