Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 04.07.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 04.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2005 aufzuheben und festzustellen, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit bei der Firma Dr. Dr. E. GmbH ab dem 24.02.2002 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe zutreffend entschieden.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Er vertritt die Auffassung, für die Annahme einer Tätigkeit als Syndikusanwalt müssten die vier Kriterien (rechtsberatende, rechtsgestaltende, rechtsentscheidende und rechtsvermittelnde Tätigkeit) nur im Hinblick auf die Tätigkeit für den jeweiligen Arbeitgeber erfüllt sein. Es könne nicht erwartet werden, dass der Syndikusanwalt als rechtlicher Entscheidungsträger für den Kunden auftrete. Auch im Hinblick auf die rechtsgestaltende Tätigkeit sei zu berücksichtigen, dass nicht jede Vertragsverhandlung mit einer juristischen Auseinandersetzung ende. Das Kriterium Rechtsgestaltung sei erfüllt, wenn der Mitarbeiter Verträge oder Allgemeine Geschäftsbedingungen als Syndikusanwalt entwerfe. Weiter führt die Beigeladene im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat aus, aus dem Umstand, dass die Klägerin bis zum 30. August 2005 freiwilliges Mitglied in der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung gewesen sei, könne nicht geschlossen werden, dass die Voraussetzungen der Befreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wegen fehlender Pflichtmitgliedschaft nicht erfüllt seien. Nach ihrer Satzung werde in diesem Falle die Pflichtmitgliedschaft ruhend gestellt, da eine solche freiwillige Mitgliedschaft nach ihrer Satzung einer Pflichtmitgliedschaft gleichzustellen sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 04.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2005 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat in diesen Bescheiden als Einzugsstelle nach § 28 h Abs. 2 Satz 1 SGB IV rechtsfehlerfrei entschieden, dass sich die von der BfA mit Bescheid vom 03.04.2001 ausgesprochene Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nicht auf die Beschäftigung der Klägerin bei der Firma Dr. Dr. E. GmbH ab dem 24.02.2002 erstreckt. Dementsprechend kann die Klägerin die von ihr beanspruchte gegenteilige Handhabung und Feststellung nicht erlangen.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für eine Weiterführung der Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung sind ab dem 24.02.2002 nicht erfüllt. Der Befreiungsbescheid der BfA vom 03.04.2001 betraf die Tätigkeit der Klägerin als angestellte Rechtsanwältin mit Pflichtmitgliedschaft in der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung und der Berufskammer der Rechtsanwälte in X ... Da diese Befreiung tätigkeitsbezogen ist, erfasst diese Befreiung nicht die Tätigkeit der Klägerin bei der nicht anwaltlichen Arbeitgeberin Dr. Dr. E. GmbH.
Zum 24.02.2002 erfüllt die Klägerin jedoch ebenfalls nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden u.a. Angestellte für eine Beschäftigung von der Versicherungspflicht befreit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.
Dabei kann der Senat offenlassen, ob – wie von dem Beigeladenen vorgetragen – die bis zum 30.08.2005 für die Klägerin bestehende freiwillige Mitgliedschaft in der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung als Pflichtmitgliedschaft zu werten ist, da der Beigeladene die Klägerin für den Zeitraum des Fortbestandes der freiwilligen Mitgliedschaft dort von der Pflichtmitgliedschaft bei ihr befreit hatte.
Denn selbst wenn damit die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gegeben wären, so besitzt die Klägerin gleichwohl keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht. Sie erfüllt nämlich das ungeschriebene Tatbestandsmerkmals dieser Norm, die Ausübung einer berufsspezifischen Tätigkeit, nicht.
Der Senat ist ebenso wie das Sozialgericht der Auffassung, dass eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nur erfolgen kann, wenn zusätzlich eine berufstypische Tätigkeit als Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, d. h. eine für einen Rechtsanwalt typische Berufstätigkeit in einem Angestelltenverhältnis oder selbständig ausgeübt wird. Da die Klägerin nur in einem geringen Umfang eine selbständige anwaltliche Tätigkeit ausgeübt hat, wäre sie von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nur aufgrund einer berufstypischen Tätigkeit einer Rechtsanwältin im Rahmen ihrer Beschäftigung bei der Dr. Dr. E. GmbH zu befreien gewesen.
Der Senat ist der Auffassung, dass eine Befreiungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für Pflichtmitglieder eines Rechtsanwaltsversorgungswerkes nur besteht, wenn diese eine berufsspezifische Tätigkeit ausüben. Eine berufstypische Tätigkeit eines Syndikusanwalt bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber umfasst vier Kriterien, die rechtsberatende, rechtsentscheidende, rechtsgestaltende und rechtsvermittelnde Tätigkeit. Da die Bundesrechtsanwaltsordnung keine Tätigkeit oder Beschäftigung beschreibt "wegen derer" eine Mitgliedschaft zur Rechtsanwaltskammer bestehen muss, kann die Entscheidung über die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht wegen Pflichtversicherung zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte nur an den berufsspezifischen anwaltlichen Tätigkeiten gemessen werden. Die Tätigkeit eines Syndikusanwalt umfasst die Rechtsberatung, die Rechtsentscheidung, die Rechtsgestaltung und die Rechtsvermittlung bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber (siehe Prossliner, AnwBl. 2009, 133). Alle diese vier Kriterien müssen für einen Anspruch auf Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI kumulativ vorliegen.
Die Rechtsberatung umfasst die unabhängige Analyse von betriebsrelevanten, konkreten Rechtsfragen, die selbständige Herausarbeitung und Darstellung von Lösungswegen und Lösungsmöglichkeiten vor dem spezifischen betrieblichen Hintergrund und das unabhängige Bewerten der Lösungsmöglichkeiten. Der Senat hat Zweifel, ob der Klägerin insoweit eine unabhängige Bewertung möglich ist. Denn nach dem Dienstvertrag ist sie verpflichtet, ihre Beratung anhand der von der Firma Dr. Dr. E. GmbH entwickelten Standards, Methoden und Systemen vorzunehmen. Auch die vorgelegte Darstellung der juristischen Tätigkeit im Bereich der Erstellung von Rechtsgutachten gibt keinen Aufschluss über die Möglichkeiten der Klägerin, eine unabhängige Analyse zu erstellen.
Der Bereich der Rechtsentscheidung beinhaltet das nach außen wirksame Auftreten als Entscheidungsträger mit eigenständiger Entscheidungskompetenz (Prossliner, AnwBl. 2009, 133). Da unternehmerische Entscheidungen heute nicht mehr von Einzelpersonen getroffen werden, kann für dieses Kriterium nicht die Unabhängigkeit von allen Weisungen gefordert werden. Jedenfalls muss eine wesentliche Teilhabe an einem innerbetrieblichen Entscheidungsprozess erkennbar sein. Dies kann nach den vorliegenden Unterlagen im Fall der Klägerin nicht angenommen werden. Die von ihr erarbeiteten Texte wurden an die Kunden weitergeleitet, ohne dass sie im Schreiben als Bearbeiterin erkennbar wurde. Ein nach außen wirksames Auftreten ist somit nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass sie nach der Beschreibung ihrer juristischen Tätigkeit lediglich unterstützend bei der Vertragsformulierung verantwortlich ist bzw. bei der Neuordnung von Vergütungssystemen mit der ordnungsgemäßen Durchführung betraut ist. Eine Entscheidungskompetenz wird auch insoweit nicht erkennbar.
Dem Bereich der Rechtsgestaltung ist das eigenständige Führen von Vertrags- und Einigungsverhandlungen zuzuordnen (siehe Prossliner, AnwBl. 2009, 133). In der bereits beschriebenen unterstützenden Tätigkeit der Klägerin bei Tarifvertragsverhandlungen, Neuordnung von Vergütungssystemen bzw. der Einführung von Cafeteriasysteme kann keine Form der eigenständigen Verhandlung gesehen werden.
Die Rechtsvermittlung umfasst die mündliche Darstellung abstrakter Regelungskomplexe vor einem größeren Zuhörerkreis, bzw. deren schriftliche Aufarbeitung und Bekanntgabe sowie Erläuterung von Entscheidungen im Einzelfall. Auch wenn die Klägerin im Rahmen ihrer Aufgabe Rechtsgutachten zu erstellen, zumindest einen Teilbereich der Rechtsvermittlung erfüllen sollte, so wäre dies nicht ausreichend für einen Anspruch auf Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Denn die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht erfordert eine kumulative Abdeckung der berufstypischen Tätigkeit eines Syndikusanwalts. Da bereits drei von vier Bereichen gänzlich ausfallen, kann auch eine Gewichtung der Aufgabenfelder nicht zu einem Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen führen.
Soweit die Klägerin vorträgt, ab Februar 2010 werde sie ihre Tätigkeit nicht mehr im Rahmen eines Dienstvertrages, sondern als selbständig tätige Rechtsanwältin ausüben, so konnte dies für die vorliegend zu beurteilende Zeit keine andere Entscheidung rechtfertigen. Denn anders als bisher wird die Klägerin dann eine eigenverantwortliche selbst bestimmte Tätigkeit mit eigenen Mandanten ausüben. Dies sind Umstände die eine gänzlich andere Beurteilung möglich machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit war die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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