Landessozialgericht Hessen 29.05.2009, L 5 R 300/07

  • Aktenzeichen: L 5 R 300/07
  • Spruchkörper: 5. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 7 R 451/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 29.05.2009

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Ende der dem Kläger zu gewährenden Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung. Umstritten ist dabei insbesondere, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer sog. Schonrente im Sinne des § 100 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) hat.

Der 1952 in Polen geborene Kläger verfügt nach eigenen Angaben über eine abgeschlossene Ausbildung zum Industriemechaniker und arbeitete in Polen bis zu seiner Übersiedelung nach Deutschland am 19. August 1989 als Industriemechaniker. Die in Polen zurückgelegten Beitragszeiten wurden nach Maßgabe des deutsch-polnischen Rentenabkommens in die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversicherung übernommen. In Deutschland war der Kläger zuletzt von 1992 bis 2001 als Maschinenführer an einer Schleifstraße im Betonsteinwerk D. in H. versicherungspflichtig erwerbstätig. Nachfolgend bezog er Krankengeld bzw. Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang.

Am 17. Januar 2005 stellte der Kläger bei der Beklagten den hier maßgeblichen (zweiten) Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und legte einen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. B. vom 20. Dezember 2004 nebst weiteren Krankenunterlagen vor. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er daraufhin am 21. März 2005 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Spezielle Schmerztherapie - FC. untersucht. Im Gutachten vom 29. März 2005 diagnostizierte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie FC. bei dem Kläger Muskelatrophien, Paresen und Gefühlsstörungen im Innervationsgebiet des rechten Nervus ulnaris nach einem Arbeitsunfall im Jahre 1999 als Dauerschaden ohne Aussicht auf Besserung, ein leichtes Sulcus-ulnaris Syndrom links mit subjektiven Gefühlsstörungen ohne weitere neurologische Störungen, degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule mit Bandscheibenprotrusionen ohne Nervenwurzelbeteiligung, eine belastungsabhängige Lumbalgie ohne Nervenwurzelschädigung sowie eine Kniegelenksarthrose rechts. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen mutete er dem Kläger noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 10 kg Gewicht, ohne volle Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand, ohne Anforderungen an die grobe Kraft und an die Feinmotorik sowie ohne häufiges Beugen und Strecken im linken Ellenbogen) vollschichtig bzw. arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zu.

Nach Auswertung dieses Gutachtens lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 27. April 2005 und Widerspruchsbescheid vom 27. September 2005 mit der Begründung ab, dass der Kläger aus ärztlicher Sicht zumindest noch leichte körperliche Tätigkeiten im zeitlichen Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten könne. Unter Berücksichtigung seines beruflichen Werdegangs als angelernter Arbeiter im oberen Bereich müsse der Kläger sich zur Verwertung dieses Restleistungsvermögens sozial zumutbar auf eine Tätigkeit als Telefonist, als Büro- oder Verwaltungshilfskraft, als Pförtner, als Parkhauswächter und als Museumswärter verweisen lassen, so dass keine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß vorliege.

Der Kläger erhob daraufhin am 6. Oktober 2005 Klage bei dem Sozialgericht Kassel und machte unter Vorlage eines Attestes des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. B. vom 10. Oktober 2005 nebst zahlreichen weiteren Krankenunterlagen geltend, dass die bei ihm – insbesondere auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet – vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht hinreichend gewürdigt worden seien.

Das Sozialgericht holte zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte des Internisten Dr. med. E. vom 8. Dezember 2005, des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. B. vom 8. Dezember 20005, der Klinik für Handchirurgie AC. vom 11. Januar 2006 sowie des Orthopäden Dr. med. D. vom 27. Januar 2006 ein und zog die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten des Versorgungsamts LU. bei.

Nachfolgend wurde von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-psychosomatischen Sachverständigengutachtens bei dem Arzt für Psychiatrie - Psychotherapie - sowie für Psychosomatische Medizin Dr. med. BO. Im Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2006 diagnostizierte Dr. med. BO im Anschluss an eine ambulante Untersuchung vom 22. März 2006 bei dem Kläger eine Anpassungsstörung nach Verletzung des Armes (April 1999) und der Hand (Dezember 2000) mit nachfolgenden Operationen (2002 und 2003) bei Verlust der Arbeit infolge Firmenschließung (2001) sowie Ehekonflikt mit Entwicklung einer chronischen Dystymia, eine Schmerzstörung mit überwiegenden medizinischen Krankheitsfaktoren bei nur geringgradigen psychogenen Überlagerungen ohne Hinweise auf eine bewusstseinsnahe Aggravation, eine zwanghafte-depressive Persönlichkeitsstruktur mit derzeit noch integriertem Strukturniveau, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks und Unterarms bei Belastung und Minderung der groben Kraft nach zwei Arbeitsunfällen (Muskelatrophien, Paresen und Gefühlsstörungen im Innervationsgebiet des rechten Nervus ulnaris) als Dauerschaden ohne Aussicht auf Besserung, mittelgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionsstörungen der Halswirbelsäule durch ausgeprägte degenerative Veränderungen ohne Nervenwurzelbeteiligung, leichtgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionseinschränkungen (Lumbalgien) ohne Nervenwurzelstörung sowie leichtgradige Schmerzen und Funktionsstörungen des rechten Knies. Der Sachverständige wies darauf hin, dass die medikamentösen, ambulanten und stationären-therapeutischen Maßnahmen noch nicht ausgeschöpft seien und empfahl die Durchführung eines psychosomatisch orientierten stationären Heilverfahrens. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger nach erfolgreicher Durchführung solcher Rehabilitationsmaßnahmen wieder in der Lage sei, leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltungen sowie ohne besondere Anforderungen an die volle Gebrauchsfähigkeit, insbesondere an die Feinmotorik der rechten Hand) zumindest sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten.

Nach Auswertung dieses Gutachtens gewährte die Beklagte dem Kläger in der Zeit vom 26. September 2006 bis zum 24. Oktober 2006 ein stationäres Heilverfahren in der Klinik R. Im Entlassungsbericht vom 13. November 2006 diagnostizierte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychotherapeutische Medizin K. bei dem Kläger eine mittelgradige depressive Episode mit Somatisierungstendenzen, einen Zustand nach Quetschverletzung der rechten Hand und des rechten Handgelenks mit eingeschränkter Funktion des Handgelenks und Ulnarisparese, ein Impingement-Syndrom der linken Schulter mit Funktionseinschränkung des Schultergelenks, eine bekannte beginnende Gonarthrose rechts sowie eine beginnende Coxarthrose rechts im Stadium I bis II nach Mathies und Bach. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig aus dem Heilverfahren entlassen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurden ihm noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (ohne besondere Anforderungen an die Kraft und Funktion der rechten Hand und des linken Schultergelenks sowie ohne Zeitdruck) vollschichtig bzw. arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zugemutet.

In einer vom Sozialgericht eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 15. Januar 2007 vertrat der Sachverständige Dr. med. BO nach Auswertung des Entlassungsberichts der Klinik R. vom 13. November 2006 die Auffassung, dass die von ihm zuvor diagnostizierte Gesundheitsstörung des Klägers hinreichend gebessert und dass eine Leistungsminderung auch aus seiner Sicht nicht mehr erkennbar sei.

Die Beklagte erklärte sich daraufhin mit Schriftsatz vom 7. Februar 2007 vergleichsweise bereit, für die Zeit vom 22. März 2006 bis zum 24. Oktober 2006 das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung anzuerkennen und dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Oktober 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren. Dieses Vergleichsangebot wurde seitens des Klägers nicht angenommen.

Durch Urteil vom 28. Juni 2007 hat das Sozialgericht die Beklagte sodann unter Abweisung der weitergehenden Klage verpflichtet, "dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. Januar 2007 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren." Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bezüglich der Zeit vom 11. März 2006 bis zum 24. Oktober 2006 bei dem Kläger von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen sei. Es bestehe deshalb nach Maßgabe des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit.

Hinsichtlich des Rentenbeginns sei die Beklagte im Rahmen ihres Vergleichsangebots vom 7. Februar 2007 zu Recht davon ausgegangen, dass befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit der Vorschrift des § 101 Abs. 1 SGB VI zufolge nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden. Ausgehend von einem Eintritt des Leistungsfalls im März 2006 ergebe sich damit ein Rentenbeginn zum 1. Oktober 2006.

Die dem Kläger zu gewährende Rente ende jedoch – abweichend vom Vergleichsangebot der Beklagten vom 7. Februar 2007 – nicht bereits mit dem 30. Oktober 2006, sondern erst mit dem 31. Januar 2007. Dies ergebe sich aus § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI, wonach die Rentenzahlung erst mit Beginn des 4. Kalendermonats nach der Besserung der Erwerbsfähigkeit endet, sofern ein Anspruch auf Rente deswegen entfällt, weil sich die Erwerbsfähigkeit des Berechtigten nach einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben gebessert hat (sog. Schonrente).

Zum Zeitpunkt der Vorlage des bei Dr. med. BO eingeholten Sachverständigengutachtens vom 1. Juni 2006 habe – auch zur Überzeugung der Beklagten – festgestanden, dass bei dem Kläger ab dem Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung vom 22. März 2006 – wenn auch letztlich nur auf Zeit – ein aufgehobenes Leistungsvermögen des Klägers vorgelegen habe. Damit seien am 1. Juni 2006 bzw. nach der entsprechenden Bekanntgabe des Gutachtens an die Beklagte mit dem am 17. Juni 2006 zur Post gegebenen Schreiben des Gerichts vom 2. Juni 2006 die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 1. Oktober 2006 erfüllt gewesen. Die Beklagte sei bereits zu diesem Zeitpunkt nach Kenntnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens in der Lage gewesen, dem Kläger entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ab dem 1. Oktober 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, wobei sie den Zeitraum der Behebung der Erwerbsminderung und damit die Befristungsdauer hätte prognostizieren können und müssen. Ob sich die von Dr. med. BO im Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2006 dargestellte Prognose einer Besserungsaussicht aufgrund der nachfolgend für die Zeit ab 26. September 2006 bewilligten stationären Rehabilitationsmaßnahme bewahrheiten würde, habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden. Nur im Falle einer tatsächlichen Besserung würde die Beklagte berechtigt gewesen sein, gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) wegen einer insoweit eingetretenen Änderung der Verhältnisse in der Leistungsfähigkeit des Klägers die bereits zuvor bewilligte Rente durch Aufhebung der Rentenbewilligungsentscheidung zu entziehen. In einem solchen Fall komme die Vorschrift des § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI zur Anwendung, wonach noch für drei Monate eine sog. Schonrente zu zahlen sei. Dem könne die Beklagte sich nicht dadurch entziehen, das sie – in Kenntnis aller rentenmaßgeblichen anspruchsbegründenden Umstände – die Gewährung einer befristeten Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung so lange hinauszögere, bis das Ergebnis einer positiven Rehabilitationsmaßnahme vorliegt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. Juli 2007 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 24. August 2007 Berufung eingelegt. Sie hat dem Kläger im Verlaufe des Berufungsverfahrens auf entsprechenden Antrag vom 17. Oktober 2007 durch in der Sache bindend gewordenen Bescheid vom 8. Mai 2008 unter Zugrundelegung eines am 8. Januar 2008 eingetretenen Leistungsfalls eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2008 bis zum 31. Juli 2011 bewilligt.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, dass der zur Vorschrift des § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI vertretenen Rechtsauffassung des Sozialgerichts nicht gefolgt werden könne. Die Regelung über die Gewährung einer sog. Schonrente sei als Ergänzung zur Vorschrift des § 48 SGB X zu verstehen und finde nur Anwendung bei Entzug oder Umwandlung einer bereits bewilligten Rente.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. Juni 2007 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit Ansprüche auf Rentenzahlung über den Monat Oktober 2006 hinaus geltend gemacht werden,
hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Die Berufung ist zulässig.

Ausgehend von einem hinsichtlich der Zeit von November 2006 bis Januar 2007 streitigen Rentenzahlbetrag in Höhe von 944,53 EUR monatlich übersteigt insbesondere auch der Rechtsmittelgegenstand ganz offenkundig den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Wert.

Die Berufung ist auch in der Sache begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. Juni 2007 ist abzuändern. Der Kläger hat gegen die Beklagte lediglich einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Oktober 2006. Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2005 nicht zu beanstanden, so dass die Klage auch insoweit abzuweisen ist, als der Kläger über den 31. Oktober 2006 hinaus die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. November 2006 bis zum 31. Januar 2007 beansprucht.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI in der hier maßgeblichen – ab 1. Januar 2001 geltenden – Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

  1. voll erwerbsgemindert sind,
  2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
  3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, sind diese Voraussetzungen für einen Rentenanspruch im Falle des Klägers hinsichtlich der Zeit vom 22. März 2006 (Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. med. BO) bis zum 24. Oktober 2006 (letzter Tag des in der Klinik R. durchgeführten Heilverfahrens) erfüllt. Die insoweit seitens des Sozialgerichts getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind seitens der Beteiligten im Berufungsverfahren nicht in Zweifel gezogen worden, so dass der Senat diesbezüglich gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht und wegen der sonstigen Einzelheiten auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil vom 28. Juni 2007 verweist.

Auch die seitens des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Urteil zur Frage des Rentenbeginns niedergelegten Ausführungen sind in der Sache zutreffend.

Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI grundsätzlich auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt der Vorschrift des § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zufolge für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der Arbeitsmarktlage besteht, werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI nur dann unbefristet (d.h. auf Dauer) geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist allerdings nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen.

Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Der sich aus dem Stammrecht ergebende erste monatliche Einzelanspruch entsteht damit erst sieben Monate nach Eintritt des Leistungsfalls und wird auch erst zu diesem Zeitpunkt fällig (§§ 40, 41 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I); §§ 163, 194 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Entstehung des Stammrechts auf die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einerseits und Entstehung und Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs auf die Erwerbsminderungsrente andererseits fallen auseinander (vgl. BSG SozR 3-2600 § 300 Nr. 3). Im Gegensatz zur Entstehung und Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs einer nicht befristeten Erwerbsminderungsrente werden die Entstehung und die Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs einer befristeten Erwerbsminderungsrente über den in §§ 40, 41 SGB I bestimmten Zeitpunkt hinausgeschoben (vgl. BSGE 82, 226, 229 f. = SozR 3-2600 § 99 Nr. 2). Er wird verlegt auf den Beginn des siebten Kalendermonats "nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit" (§ 101 Abs. 1 SGB VI). Durch diese Regelung soll den Gesetzesmaterialien zufolge eine Risikoverteilung zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen werden (vgl. Bundestags-Drucksache 11/4124 S. 176 sowie BSGE 82, 226, 229 f. = SozR 3-2600 § 99 Nr. 2), indem typisierend eine Systemabgrenzung erfolgt. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherter im Allgemeinen für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit in den ersten sechs Monaten Krankengeld erhält (vgl. §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) und erst für die sich anschließende Zeit den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung genießt, dann nämlich, wenn davon ausgegangen werden kann, dass seine Leistungsfähigkeit nicht nur vorübergehend beeinträchtigt ist (vgl. BSGE 22, 278, 282 f. = SozR Nr. 2 zu § 1276 RVO). Die in § 101 Abs. 1 SGB VI normierte Entstehens- und Fälligkeitsvoraussetzung für befristete Renten ist eine zwingende gesetzliche Folge der zeitlichen Begrenzung. Entscheidend für den Rentenbeginn ist damit, zu welchem Zeitpunkt (sog. Leistungsfall) die rentenberechtigende Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI eingetreten ist.

Ausgehend von diesen gesetzlichen Bestimmungen besteht für den Kläger unter Zugrundelegung eines am 22. März 2006 (Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. med. BO) eingetretenen Leistungsfalls erst für die Zeit ab 1. Oktober 2006 ein Rentenanspruch.

Nicht gefolgt werden kann zur Überzeugung des Senats demgegenüber den Ausführungen des Sozialgerichts betreffend das Ende der dem Kläger von Rechts wegen zu gewährenden Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung.

Wie sich aus § 102 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ergibt, enden befristete Renten – wie die vorliegend für die Zeit ab 1. Oktober 2006 dem Kläger zu gewährende Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung – grundsätzlich mit dem Ablauf der Frist, wobei Renten der Vorschrift des § 102 Abs. 1 Satz 3 SGB VI zufolge nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden dürfen. Eine Regelung, wonach die Zeitrente grundsätzlich eine garantierte Mindestdauer haben muss, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Die Befristung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfolgt gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn.

Werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, ohne dass zum Zeitpunkt der Bewilligung feststeht, wann die Leistung enden wird, kann der Vorschrift des § 102 Abs. 2a SGB VI zufolge bestimmt werden, dass Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit Ablauf des Kalendermonats enden, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet wird. Im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung soll auf diese Weise verhindert werden, dass im Falle eines früheren als des vorgesehenen Endes der Leistungen die Rente entzogen werden muss. Die gesetzliche Bestimmung ist in Zusammenhang zu sehen mit dem in § 8 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI niedergelegten Grundsatz, wonach der Rentenversicherungsträger grundsätzlich verpflichtet ist, vor Bewilligung einer Rente die Möglichkeit von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu nutzen ("Rehabilitation vor Rente"). Bei unstreitig bestehendem Rehabilitationsbedarf und realistischer Chance, dass eine vorliegende Leistungsminderung durch entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen erfolgreich behoben werden wird, kann die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente demzufolge grundsätzlich nur dann in Betracht kommen, wenn die Rehabilitation innerhalb der sechsmonatigen Karenzzeit des § 101 Abs. 1 SGB VI noch nicht abgeschlossen ist.

Ausgehend von diesen Erwägungen kann es nicht beanstandet werden, dass die Beklagte dem Kläger im vorliegenden Fall nicht – wie das Sozialgericht dies anscheinend als geboten angesehen hat – sogleich nach Vorliegen bzw. nach Auswertung des Sachverständigengutachtens vom 1. Juni 2006 eine (befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt, sondern zunächst versucht hat, die vom Sachverständigen Dr. med. BO. als sinnvoll und erfolgversprechend gekennzeichnete Durchführung einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation zu betreiben. Die Beklagte weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf den Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" im Falle des Klägers erst gegen Ende des in § 101 Abs. 1 SGB VI genannten Sechs-Monats-Zeitraums, also im September 2007, in Betracht zu ziehen gewesen wäre. Wenn die Beklagte aber zu diesem Zeitpunkt nicht – wie geschehen – den Ausgang des am 26. September 2006 begonnenen stationären Heilverfahrens abgewartet, sondern dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt hätte, so wäre es im Hinblick auf die gesetzliche Bestimmung des § 102 Abs. 2a SGB VI nicht zu beanstanden gewesen wäre, wenn sie dem Kläger für die Zeit ab 1. Oktober 2006 eine Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt und diese Rente von vornherein befristet hätte "bis zum Ablauf des Kalendermonats, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation beendet wird". Ausgehend von einer Beendigung des Heilverfahrens am 24. Oktober 2006 hätte sich in diesem Falle ein Rentenanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Oktober 2006 ergeben.

Ein anderer Endzeitpunkt für die dem Kläger zu gewährende Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung ergibt sich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch nicht dadurch, dass die Entscheidung über die Rentenbewilligung – wie das im vorliegenden Fall abgegebene Vergleichsangebot der Beklagten vom 7. Februar 2007 – erst nach Beendigung des Heilverfahrens verlautbart worden ist. Denn Anspruch auf Gewährung einer sog. Schonrente im Sinne des § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI besteht nur, wenn – anders als im vorliegenden Fall – eine bereits bewilligte "laufende" Rente aufgrund einer während des Rentenbezugs erfolgreich mit dem Ergebnis einer Wiederherstellung des Leistungsvermögens durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme nachträglich gestützt auf § 48 SGB X wieder entzogen wird (so – wenn auch ohne Differenzierung hinsichtlich der einzelnen Absätze des § 100 – auch KassKomm/Niesel § 100 SGB VI Rdnr. 2 sowie jurisPK-SGB VI/Schmidt § 100 Rdnr. 19 ff.).

Zwar kann dem Wortlaut des § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI keine ausdrückliche Bezugnahme auf die Vorschrift des § 48 SGB X entnommen werden. Aus der Formulierung in § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI, dass "die Rentenzahlung" erst mit Beginn des 4. Kalendermonats nach Besserung der Erwerbsfähigkeit endet, kann jedoch bereits entnommen werden, dass das Gesetz insoweit von einer bereits bewilligten (laufend gezahlten) Rente ausgeht. Für diese Annahme spricht auch die systematische Stellung des § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI. Denn in den vorangehenden Absätzen dieser Vorschrift finden sich Regelungen für den Fall einer Änderung der Voraussetzungen für die Höhe einer Rente "nach ihrem Beginn" (§ 100 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) bzw. für den Fall der Gewährung einer Rente die höher ist als eine "bisher bezogene Teilrente" (§ 100 Abs. 2 SGB VI).

Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI nur den Fall des Wegfalls einer bereits laufenden Rente regelt. Der Wortlaut des § 100 SGB VI entspricht unverändert § 99 des "Gemeinsamen Fraktionsentwurfs" (vgl. Bundestags-Drucksache 11/4124 S. 39). In der Begründung des Rentenreformgesetzes 1992 heißt es zu dieser Vorschrift (Bundestags-Drucksache 11/4124 S. 176), dass sie die Vorschrift des § 48 SGB X ergänze und dass Absatz 3 Satz 2 und 3 "in Orientierung am geltenden Recht" eine Sonderregelung für den Fall enthalte, dass sich infolge von Leistungen zur Rehabilitation die Erwerbsfähigkeit von Berechtigten gebessert hat. Die zu § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI im bis zum 31. Dezember 1991 "geltenden Recht" enthaltene Vorläufervorschrift des § 1286 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) hatte den folgenden Wortlaut:

"Wird eine Rente entzogen oder umgewandelt, wird sie in ihrer bisherigen Höhe bis zum Ablauf des Monats gewährt, der auf den Monat folgt, in dem der Bescheid über die Entziehung oder Umwandlung zugestellt wird, jedoch nach Durchführung von Maßnahmen zur Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (§§ 1236 bis 1244 RVO) mindestens bis zum Ablauf des dritten Kalendermonats nach Beendigung der Maßnahmen."

Nach der vom Gesetzgeber des Rentenreformgesetzes 1992 hinsichtlich der in § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI ausdrücklich in Bezug genommenen Vorschrift des § 1286 Abs. 2 RVO kam die Gewährung einer sog. Schonrente ganz offenkundig nur bei Entzug oder Umwandlung einer (bereits laufend gezahlten) Rente in Betracht. Da nach der Gesetzesbegründung insoweit keine Änderung des bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Rechts beabsichtigt war, kann mithin auch nichts anderes für die an die Stelle des § 1286 Abs. 2 RVO getretene Nachfolgevorschrift des § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI gelten.

Dass § 100 Abs. 3 Satz 2 SGB VI nur bei einer (wegen Änderung der für die Rentengewährung maßgeblich gewesenen Verhältnisse auf § 48 SGB X gestützten) Entziehung einer laufenden Erwerbsminderungsrente zur Anwendung gelangt, entspricht auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Sie dient erkennbar dem Schutz der Rentenbezieher und gewährleistet, dass nach Abschluss einer erfolgreichen Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben noch für drei Monate eine finanzielle Absicherung besteht (sog. Rentnerprivileg). Auf diese Weise soll den Versicherten die Gelegenheit gegeben werden, sich während eines Übergangszeitraums auf die neue Situation – nämlich die wieder erlangte Erwerbsfähigkeit – einzustellen und einen entsprechenden Arbeitsplatz zu suchen (vgl. VDR-Kommentar, § 100 SGB VI Rdnr. 8). Ein solcher Bestandsschutz setzt freilich denknotwendigerweise eine laufende Rentengewährung voraus und kann nicht erst aus Anlass der Neubewilligung einer Zeitrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entstehen.

Das so gewonnene Ergebnis gewährleistet im Übrigen auch, dass keine Ungleichbehandlung in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung der Zeitrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entstehen kann: Ebenso, wie bei Bewilligung der Zeitrente bereits vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme die Rente nach Maßgabe des § 102 Abs. 2a SGB VI mit Ablauf des Kalendermonats endet, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet wird, endet auch eine erst nach Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme bewilligte Zeitrente nach erfolgreicher Rehabilitation wegen des Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen mit dem Beginn des Monats, zu dessen Beginn der Wegfall wirksam ist.

Die Berufung der Beklagten war deshalb in vollem Umfang erfolgreich.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Entscheidung hinsichtlich der Zulassung der Revision beruht auf § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

Weitere Artikel zum Thema:

Rentenversicherung

Rentenversicherung

Gesetzliche Rentenversicherung

Krankenversicherung

Krankenversicherung

Gesetzliche Krankenversicherung

Pflegeversicherung

Pflegeversicherung

Gesetzliche Pflegeversicherung

Unfallversicherung

Unfallversicherung

Gesetzliche Unfallversicherung