Landessozialgericht Hessen 30.05.2008, L 5 R 186/06 KN
- Aktenzeichen: L 5 R 186/06 KN
- Spruchkörper: 5. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 6 KN 40/04
- Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 30.05.2008
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Verrechnung von Ansprüchen der Beigeladenen auf Winterbau-Umlage sowie Säumniszuschläge mit einem Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente streitig.
Der Kläger, der 1939 geboren ist, war vom 1. April 1974 bis zum 31. Dezember 1983 Inhaber der Firma A. Spezial Tiefbau. Auf Antrag des Klägers vom 5. Februar 2001 wurde ihm durch Bescheid vom 15. Mai 2001 eine monatliche Rente in Höhe von 1.709,95 DM bewilligt, wobei die Höhe des monatlichen Rentenanspruchs 1.876,90 DM betrug, abzüglich des Beitragsanteils des Rentners zur Krankenversicherung in Höhe von 129,50 DM sowie eines Beitragsanteils des Rentners zur Pflegeversicherung in Höhe von 15,95 DM. Ferner wurden laut diesen Bescheides monatlich an die AOK 21,50 DM gezahlt, woraus sich der auszuzahlende Betrag in Höhe von 1.709,95 DM errechnete, der 874,28 EUR entspricht.
Mit Schreiben vom 12. September 1991 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte, gegenüber dem Rentenanspruch des Klägers mit einer einziehbaren und nicht verjährten Forderung i.H.v. 15.469,07 DM aufzurechnen. Als Art der Forderung wurde "Winterbau-Umlage" angegeben für den Zeitraum vom 1. März 1983 bis zum 31. Dezember 1983. Der Gesamtbetrag enthalte auch Mahngebühren sowie Säumniszuschläge und Schuldzinsen. Mit weiterem Schreiben vom 20. März 2001 erfolgte eine weitere "Ermächtigung zur Verrechnung nach § 52 SGB I" (Bl. 312 Verw.-A.), in welcher als "Erhöhung des Verrechnungsersuchens vom 12. September 1991" als nunmehrige Höhe der Forderung 21.760,17 DM einschließlich 13.384,98 DM Säumniszuschläge und Zinsen genannt wurden. Als Anlage (Bl. 311 Verw.-A.) wurden die Beträge im Einzelnen spezifiziert. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2002 erfolgte eine weitere "Ermächtigung zur Verrechnung nach § 52 SGB I", laut welcher die Forderung noch in Höhe von 47.396,55 EUR existiere, bestehend aus einer Forderung in Höhe von 43.063,26 EUR, mit der nach § 52 iVm § 51 Abs. 1 SGB I verrechnet werden sollte, sowie einer Forderung in Höhe von 4.333,29 EUR, mit der die Verrechnung nach § 52 iVm § 51 Abs. 2 SGB I erfolgen solle. Da das gesamte Familieneinkommen ausweislich eines Vermögensverzeichnisses vom 20. September 2000 ca. 1.891,00 EUR monatlich betrage, werde um nochmalige Prüfung einer Verrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I über die Forderung in Höhe von 4.333,29 EUR gebeten.
Mit Schreiben vom 5. September 2003 hörte die Beklagte den Kläger zum Verrechnungsersuchen des Landesarbeitsamtes Bayern in Höhe von 4.333,29 EUR dergestalt an, dass beabsichtigt sei, diesen Betrag in Raten von monatlich 453,44 EUR von der laufenden Rente einzubehalten. Ausgehend von einem zu berücksichtigenden Einkommen in Höhe von 1.897,92 EUR ergebe sich bei einem unterhaltsberechtigten Angehörigen ein für die Verrechnung zu verwendender Betrag in Höhe von monatlich 952,92 EUR. Die Verrechnung der Hälfte der derzeitigen monatlichen Rentenleistung in Höhe von 453,44 EUR liege innerhalb des festgelegten Rahmens und erfolge unter angemessener Berücksichtigung des monatlichen Einkommens sowie der haushaltsrechtlichen Vorgaben. Sollte wegen eines erhöhten eigenen Bedarfs der individuelle Sozialhilfebedarf den zugrunde gelegten pauschalen Grenzbetrag übersteigen, könne der Kläger diesen durch Vorlage einer Bescheinigung des für ihn zuständigen Sozialamtes gegenüber der Beklagten jedenfalls nachweisen.
Mit einem als "Verfügung" überschriebenen Schriftsatz vom 15. Oktober 2003 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger unter Bezugnahme auf das Anhörungsschreiben vom 5. September 2003, dass folgende Entscheidung ergehe:
"Der sich aus dem Verrechnungsersuchen des Landesarbeitsamtes Bayern ergebende Betrag in Höhe von 4.333,29 EUR wird in Raten von monatlich 453,44 EUR von ihrer laufenden Rente ab Februar 2004 einbehalten."
Das Schreiben enthielt im Wesentlichen die Begründung des Anhörungsschreibens und war mit einer Rechtshilfebelehrung versehen, der zufolge gegen diesen "Bescheid" innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden könne.
Mit weiterem als "Verfügung" bezeichneten Schriftsatz vom 28. November 2003 nahm die Beklagte den "Verrechnungsbescheid" vom 15. Oktober 2003 zurück und ließ ebenfalls unter Bezugnahme auf das Anhörungsschreiben vom 5. September 2003 folgende Entscheidung verlauten:
"Der sich aus dem Verrechnungsersuchen des Landesarbeitsamtes Bayern ergebende Betrag in Höhe von 4.333,29 EUR wird in Raten von monatlich 415,43 EUR von ihrer laufenden Rente ab Februar 2004 einbehalten."
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 (Anpassungsbescheid) wurde der monatliche Einzelanspruch ab 1. Februar 2004 auf 990,58 EUR festgesetzt, abzüglich eines Beitragsanteils des Rentners zur Krankenversicherung in Höhe von 75,28 EUR, sowie eines Beitragsanteils des Rentners zur Pflegeversicherung in Höhe von 8,42 EUR, woraus sich ein monatlicher Zahlbetrag in Höhe von 906,88 EUR ergebe. Der Verfügungssatz lautete:
" Ab 1.02.2004 werden monatlich 491,45 EUR gezahlt."
Im folgenden Text enthielt der Bescheid den Hinweis, dass monatlich 415,43 EUR von der Rente iHv 990,58 EUR einbehalten würden, woraus sich ein auszuzahlender Betrag von 491,45 EUR ergäbe.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 23. Dezember 2003 wurde seitens der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2004 zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2004 wurde der monatliche Einzelanspruch auf Regelaltersrente auf monatlich 495,66 EUR festgesetzt.
Der Kläger erhob am 22. März 2004 Klage vor dem Sozialgericht Gießen, die er im Wesentlichen damit begründete, dass die pfändungsfreien Grenzen des § 850 c Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht beachtet worden seien.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2005 teilte die Beigeladene der Beklagten mit, dass irrtümlich entstandene Säumniszuschläge für die Winterbau-Umlage in Höhe von 4.025,78 EUR nicht mitgeteilt worden seien. Nachdem die Hauptforderung bereits verrechnet worden sei, werde unter erneuter Prüfung der Verrechnung der Säumniszuschläge in Höhe von 9.288,97 EUR gebeten.
Mit weiterem als "Verfügung" bezeichneten Schriftsatz der Beklagten vom 25. Februar 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass unter Bezugnahme auf das Anhörungsschreiben vom 3. Februar 2005 folgende Entscheidung ergehe:
"Der sich aus dem Verrechnungsersuchen Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Bayern – ergebende Betrag in Höhe von 9.288,97 EUR wird in Raten von monatlich 406,51 EUR ab Juni 2005 an ihrer laufenden Rente einbehalten."
Auch dieses Schreiben war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, der zufolge gegen diesen "Bescheid" Widerspruch bei der Bundesknappschaft LR. innerhalb eines Monats eingereicht werden könne.
Auf eine entsprechende Verfügung des Sozialgerichts hat die Beigeladene mit Schriftsatz vom 18. August 2005 die Grundlage sowie Höhe der zu verrechnenden Forderung gegenüber dem Sozialgericht dargelegt (Bl. 59 GA).
Mit Urteil vom 23. Mai 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verrechnung der streitgegenständlichen Beträge zu Recht erfolgt sei. Bei einem Renteneinkommen in Höhe von 919,58 EUR des Klägers sowie seiner Ehefrau in Höhe von 495,41 EUR trete mit einer Verrechnung nach § 52 iVm § 51 Abs. 2 SGB I keine Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers ein. Die Pfändungsfreigrenzen seien nach § 850 c ZPO bei der Ermittlung von verrechnungsfähigen Beitragsansprüchen nicht zu berücksichtigen.
Gegen das am 8. Juni 2006 dem Kläger zugestellte Urteil richtet sich die am 22. Juni 2006 beim Sozialgericht Kassel eingegangene Berufung an das Hessische Landessozialgericht (HLSG).
Der Kläger vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die zur Verrechnung gestellten Beträge inzwischen verjährt seien und daher nicht verrechnet werden dürften.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. Mai 2006 sowie die Bescheide vom 28. November 2003, den Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2004, 25. Februar 2005 und 14. April 2008 aufzuheben sowie die Bescheide vom 8. Dezember 2003 und 26. Februar 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die ab Februar 2004 bis einschließlich April 2007 mit seinem monatlichen Rentenanspruch verrechneten Beträge iHv 13.724,53 EUR auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem erstinstanzlichen Urteil an und sieht für das Berufen des Klägers auf den Ablauf von Verjährungsfristen keine rechtliche Grundlage. Die Verrechnung sei aufgrund von bindend festgestellten Beitragsforderungen erfolgt.
Auf Veranlassung des Senates hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2007 mitgeteilt, dass bis zum 31. Mai 1983 der Kläger die Winterbau-Umlage gemeldet und gezahlt habe. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Klägers habe die Beigeladene am 22. März 1984 die offene Umlageforderung für den Zeitraum vom 1. Juni 1983 bis 27. August 1983 einschließlich Nebenkosten in Höhe von 3.499,73 DM als bevorrechtigte Forderung gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e Konkursordnung (KO) angemeldet. Masseschuldansprüche für den Zeitraum vom 28. August 1983 bis zum 31. Dezember 1983 seien gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 3 Konkursordnung in Höhe von 5.730,94 DM ebenfalls am 22. März 1984 beim Konkursverwalter geltend gemacht worden, zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 3.673,50 DM sowie Mahngebühren in Höhe von 61,50 DM. Nach Zahlung von 706,60 DM sei eine Restforderung von 12.259,07 DM verblieben. Hinzu kämen weitere Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV), die mit Bescheiden der Beigeladenen vom 28. Februar 1991, 5. Juli 1993, 31. Juli 1996 sowie 1. Dezember 1998 als auch 25. September 2001 in Höhe von 12.118,00 DM sowie zusätzlich Mahngebühren in Höhe von 137,10 DM festgesetzt worden seien. Nach Darstellung der Beigeladenen betrug die Forderung am 31. Dezember 2001 insgesamt 24.514,17 DM (= 12.533,90 EUR). Mit einem weiteren Bescheid habe die Beigeladene am 10. November 2003 Säumniszuschläge in Höhe von 1.037,24 EUR unter Zugrundelegung des Verzugsmonats 16. Oktober 2003 geltend gemacht sowie weitere Mahngebühren in Höhe von 153,39 EUR. Damit betrug nach Aussage der Beigeladenen die Forderung vom 7. Dezember 2004 30.724,53 EUR. Der Betrag in Höhe von 4.435,55 EUR sei mittels Verrechnung einbehalten und an die Beigeladene ausgezahlt worden. Der Betrag von 9.288,97 EUR werde aufgrund des anhängigen Rechtsstreites zur Zeit von der Beklagten einbehalten. Ein weiteres Verrechnungsersuchen des LAA Bayern vom 20. Mai 2001 in Höhe von 44.102,98 EUR sei vorgemerkt, werde aber mangels pfändbarer Beträge beim Kläger derzeit nicht verrechnet.
Mit am 15. April 2008 beim HLSG eingegangenen Schriftsatz übersandte die Beklagte eine weitere "Ermächtigung zur Verrechnung nach § 52 SGB I – Ergänzung/Nachtrag" als "Ergänzung zum Verrechnungsersuchen vom 12. September 1991" der Beigeladenen datierend vom 11. April 2008, samt einer Forderungsaufstellung der zu verrechnenden Summen. Des Weiteren erließ die Beklagte einen "Ergänzungsbescheid zu den Bescheiden vom 28. November 2003 und 25. Februar 2005 über die Verrechnung gemäß § 52 in Verbindung mit § 51 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)" mit Datum vom 14. April 2008.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.