Landessozialgericht Hessen 28.03.2008, L 5 R 423/07
- Aktenzeichen: L 5 R 423/07
- Spruchkörper: 5. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 19 R 464/07
- Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 28.03.2008
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres sowie über die Erstattung einer in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005 entstandenen Überzahlung in Höhe von insgesamt 6.188,34 EUR.
Der 1941 geborene Kläger verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Industriekaufmann und war zuletzt als stellvertretender Geschäftsführer der B. Sch. technik GmbH tätig. Nach eigenen Angaben war er hauptsächlich für die Liquidität des Unternehmens zuständig und in geringem Umfang auch mit Personalaufgaben betreffend die Einstellungen von Mitarbeitern betraut.
Am 28. September 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres und gab im Antragsformular an, dass er keine geringfügige Beschäftigung ausübe und ab Rentenbeginn kein Arbeitsentgelt mehr erzielen werde.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin durch Bescheid vom 8. November 2004 für die Zeit ab 1. Dezember 2004 die beantragte Altersrente. Im Bewilligungsbescheid heißt es auf Seite 3 unter der Überschrift "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" unter anderem:
"Die Altersrente kann sich bis zum Ablauf des Monats der Vollendung des 65. Lebensjahres mindern oder wegfallen, sofern durch das erzielte Einkommen die Hinzuverdienstgrenze überschritten wird Die Hinzuverdienstgrenze beträgt ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße, das sind bei Beginn der laufenden Zahlung 345,00 EUR. Änderungen der Bezugsgröße erfolgen zum 01.01. eines Jahres Es besteht bis zum Ablauf des Monats der Vollendung des 65. Lebensjahres die gesetzliche Verpflichtung, uns die Aufnahme oder die Ausübung einer über diesen Rahmen hinausgehenden Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit bzw. den Bezug von vergleichbarem Einkommen in entsprechender Höhe unverzüglich mitzuteilen ..."
Dem Bescheid war als Anlage 19 ferner eine ausführliche "Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen" bei Bezug der Vollrente bzw. einer Teilrente beigefügt. Dort heißt es unter anderem:
"Die maßgebende Hinzuverdienstgrenze darf zweimal im Laufe eines jeden Kalenderjahres um einen Betrag bis zur Höhe der für einen Monat geltenden Hinzuverdienstgrenze überschritten werden."
Der Kläger arbeitete ab 1. Januar 2005 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses als kaufmännischer Angestellter bei seinem früheren Arbeitgeber und erzielte ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von monatlich 400,00 EUR. Hiervon erlangte die Beklagte allerdings erst durch eine interne Meldung am 20. April 2006 und nach Einholung einer Hinzuverdienstbescheinigung vom 2. Mai 2006 Kenntnis.
Nach entsprechender Anhörung hob die Beklagte ihren Rentenbescheid vom 8. November 2004 daraufhin hinsichtlich der Rentenhöhe durch Bescheid vom 28. September 2006 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) teilweise auf und teilte dem Kläger mit, dass die bisherige Rente für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Januar 2005 nur als Teilrente in Höhe von zwei Dritteln der Vollrente zu leisten sei. Zugleich machte sie hinsichtlich der insoweit entstandenen Überzahlung unter Verrechnung von Nachzahlungen einen Erstattungsanspruch gemäß § 50 SGB X in Höhe von 6.188,34 EUR geltend. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch des Klägers wurde seitens der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2007 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger erhob daraufhin am 18. Juni 2007 Klage bei dem Sozialgericht Gießen und machte geltend, dass er nicht im Sinne des § 48 SGB X grob fahrlässig gehandelt habe. Vor Aufnahme der Tätigkeit habe er sich sowohl bei dem Personalleiter als auch bei dem Steuerberater der B. Sch.-technik GmbH – der im Übrigen auch sein eigener Steuerberater sei – hinsichtlich der Hinzuverdienstgrenze erkundigt. Diese hätten ihm die Auskunft erteilt, dass er 400,00 Euro ohne Anrechnung hinzuverdienen dürfe. Auf diese Auskunft habe er sich verlassen können, da es sich bei den Befragten um Personen handele, die im Bereich des Sozialversicherungsrechtes berufsbedingt über umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen verfügten. Er selbst sei sich im Übrigen nicht bewusst gewesen, dass die Hinzuverdienstgrenze abweichend von der Höhe einer geringfügigen Beschäftigung nach dem Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) geregelt sei. Sofern man als Rechtsgrundlage für eine Aufhebung die Vorschrift des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB X heranziehe, sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides hinsichtlich des Mehrverdienstes rechtens. Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI dürfe die Hinzuverdienstgrenze überdies zweimal im Laufe eines jeden Kalenderjahres überschritten werden, so dass jedenfalls die ersten beiden Hinzuverdienstmonate (Januar 2005 und Februar 2005) nicht zu beanstanden seien.
Die Beklagte vertrat demgegenüber die Auffassung, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt habe, weil ihm die Hinzuverdienstgrenze von 345,00 EUR aus dem Ursprungsbescheid bekannt gewesen sei. Aufgrund der klaren Aussage im Bewilligungsbescheid vom 8. November 2004 habe der Kläger sich nicht auf die Auskünfte der von ihm zu Rate gezogenen Personen verlassen dürfen. Außerdem habe der Kläger die Beschäftigung entgegen seinen Mitteilungspflichten der Beklagten nicht angezeigt. Die Regelung des § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sei bei gleichbleibender Höhe des Hinzuverdienstes nicht anwendbar.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. November 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung der Beklagten den Kläger nicht in seinen Rechten verletze.
Hinsichtlich der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005 sei in den für die Rentenbewilligung maßgeblich gewesenen Verhältnissen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X eingetreten. Der im Jahre 2005 63-jährige bzw. 64-jährige Kläger habe eine Altersrente für langjährig Versicherte bezogen. Dieser Rentenanspruch setze gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB VI vor Vollendung des 65. Lebensjahres voraus, dass die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze berühre unmittelbar den Rentenanspruch und bestimme nicht lediglich die Höhe desselben (Bundestags-Drucksache 13/3150 5. 41 zu Nr. 5 Buchst. a). Beim Bezug der Altersrente als Vollrente sei in den Jahren 2004 und 2005 eine monatliche Hinzuverdienstgrenze von 345,00 EUR einzuhalten gewesen, so dass für den Kläger im Jahre 2005 bei einem monatlichen Verdienst von 400,00 EUR allenfalls noch Anspruch auf die nächst niedrigere Rente in Höhe von zwei Dritteln der Vollrente bestanden habe.
Auf die Bestimmung des § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, wonach ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenzen im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt, könne der Kläger sich nicht berufen, weil er im gesamten Jahre 2005 einen monatlich gleichbleibenden Verdienst von jeweils 400,00 EUR gehabt habe. Die zweimalige Ausnahme von der Hinzuverdienstgrenze ziele lediglich auf den Ausgleich von Schwankungen bei sonst gleichbleibendem Arbeitsentgelt (BSG, SozR 3-2600 § 34 Nr. 4), wobei das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung lediglich die frühere – allein auf Sonderzuwendungen wie Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld zielende – engere Auffassung auf einen ausnahmsweise erzielten Mehrarbeitsverdienst ausgeweitet habe. Es ergebe sich daher nicht, dass bei einem über mehrere Jahre andauernden Beschäftigungsverhältnis ohne Schwankungen des Arbeitsentgelts und der Arbeitszeit generell in jedem Kalenderjahr ein zweimaliges Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze rentenunschädlich sein würde (LSG Baden-Württemberg vom 24. August 2007 - L 4 R 5630/06 – Rdnr. 23).
Der Kläger habe auch im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt, denn er habe wissen müssen, dass der sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende Rentenanspruch infolge des Hinzuverdienstes kraft Gesetzes teilweise weggefallen sei. Grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens liege nach der Rechtsprechung dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und das außer Acht gelassen worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (Wiesner in von Wulffen, SGB X-Kommentar, 5. Aufl., § 45 Rdnr. 24). Das Außerachtlassen von Hinweisen in den überschaubaren Erläuterungen und Anlagen zum Rentenbescheid sei im Allgemeinen grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand die Erläuterungen nicht verstehen konnte (BSGE 44, 264, 273). Aus dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 8. November 2004 sei klar und eindeutig auf Seite 3 und nochmals und ausführlicher in der beigefügten Anlage 19 ersichtlich gewesen, dass die gesetzliche Hinzuverdienstgrenze 345,00 EUR betragen habe. Für die Kammer bestünden keinerlei Zweifel daran, dass der Kläger den Inhalt des Rentenbescheides vom 8. November 2004 verstehen konnte, zumal er aufgrund seiner früheren beruflichen Stellung als stellvertretender Geschäftsführer und Prokurist und aufgrund seines Bildungsstandes mit dem Lesen mehrseitiger Dokumente komplexen Inhalts vertraut sei, so dass ein mit Anlagen versehener Bescheid für ihn keine Schwierigkeit darstellen könne. Zudem habe dem Kläger auch klar sein müssen, dass der Bescheid auf sämtlichen Seiten relevante Informationen enthält und dass er den Bescheid deswegen vollständig hätte lesen müssen. Außerdem sei die Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze derart zeitnah nach der Übersendung des Bescheides im November 2004 – nämlich ab Januar 2005 – erfolgt, dass der Kläger den Inhalt des Bescheides insbesondere hinsichtlich der Hinzuverdienstgrenze zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme auch noch hätte kennen müssen und dieser ihm nicht aufgrund langen Zeitablaufs entfallen gewesen sein konnte. Aus alledem ergebe sich, dass der Kläger die ihm obliegende Sorgfaltspflicht in hohem Maße außer Acht gelassen hat.
An dieser Bewertung ändere auch der Vortrag des Klägers nichts, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass die Hinzuverdienstgrenze von der Grenze einer geringfügigen Beschäftigung nach dem Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) abweichend geregelt ist, denn er habe diese Abweichung unmissverständlich dem Rentenbescheid entnehmen können. Gleiches gelte auch für den Einwand, dass er sich auf die Aussagen des Personalleiters und des Steuerberaters hinsichtlich einer Hinzuverdienstgrenze in Höhe von 400,00 EUR habe verlassen dürfen. Die Auskünfte der befragten Personen hätten den im Rentenbescheid eindeutig mitgeteilten Hinzuverdienstgrenzen entgegengestanden. Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt würde der Kläger diese Diskrepanz bemerkt haben müssen. Er würde dann verpflichtet gewesen sein, die Unstimmigkeiten aufzuklären.
Zudem sei der Kläger auch im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen der Verhältnisse grob fahrlässig nicht nachgekommen. Aus dem Bescheid vom 4. November 2004 sei unmittelbar hervorgegangen, dass der Kläger verpflichtet war, der Beklagten die Aufnahme oder Ausübung einer über den Rahmen der Hinzuverdienstgrenze hinausgehenden Beschäftigung unverzüglich mitzuteilen. Auch dieser – sich eindeutig aus dem für den Kläger verständlichen Rentenbescheid ergebenden – Mitteilungspflicht sei der Kläger aufgrund einer besonders schweren Verletzung der erforderlichen Sorgfalt nicht nachgekommen.
Auf die Frage, ob nach § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB X nur eine teilweise Aufhebung in Höhe des über der Hinzuverdienstgrenze liegenden Mehrverdienstes zulässig sei (so BSG SozR 1300 § 48 Nr. 37), komme es wegen der Einschlägigkeit des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X nicht mehr an. Nach den letztgenannten Vorschriften sei die Aufhebung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auch über den Mehrverdienst hinaus möglich. Weitere entscheidungserhebliche Gesichtspunkte, die im Rahmen der Ermessensausübung zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, seien nicht ersichtlich.
Der Kläger hat gegen das ihm am 23. November 2007 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 13. Dezember 2007 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und macht unter anderem nochmals geltend, dass ihm allenfalls der Vorwurf eines leicht fahrlässigen Verhaltens gemacht werden könne.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 12. November 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten.