Landessozialgericht Hessen 20.07.2007, L 5 R 250/06 

  • Aktenzeichen: L 5 R 250/06
  • Spruchkörper: 5. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 6 R 56/06
  • Instanzgericht: Sozialgericht Darmstadt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 20.07.2007
  • Normen: SGB VI § 237 Abs. 1, SGB VI § 55 Abs. 2, SGB VI § 58 Abs. 2

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Der 1945 geborene Kläger war in Deutschland bis einschließlich Juni 1995 versicherungspflichtig beschäftigt. Im Weiteren ergibt sich folgender - zwischen den Beteiligten unstreitiger - Versicherungsverlauf:

  • ????.. - 0.06.1995 letzte versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland
  • 1.07.1995 - 23.07.1995 Pflichtbeiträge wegen Arbeitsunfähigkeit
  • 24.07.1995 - 18.11.1995 Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit
  • 20.11.1995 - 31.03.1998 Beschäftigung in Türkei
  • 01.04.1998 - 05.07.1998 LÜCKE
  • 06.07.1998 - 05.05.2000 Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit
  • 06.05.2000 - 31.12.2005 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug (vorgemerkt)

Die im Versicherungsverlauf enthaltene Lücke von April bis Juli 1998 resultiert nach den eigenen Angaben des Klägers daraus, dass er nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses in der Türkei dort weiterhin um einen Arbeitsplatz bemüht war und erst nach Scheitern seiner Arbeitsplatzbemühungen nach Deutschland zurückgekehrt ist. Die Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug seit Mai 2000 resultiert daraus, dass dem Kläger keine Arbeitslosenhilfe zustand im Hinblick auf vorhandenes Einkommen/Vermögen.

Im Januar 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. November 2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass in dem maßgebenden (verlängerten) Zehn-Jahreszeitraum vom 1. Juli 1993 bis 31. Juli 2005 statt der erforderlichen 96 Kalendermonate nur insgesamt 80 Monate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachgewiesen seien.

Dem widersprach der Kläger mit der Begründung, dass die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, soweit sie den Zeitraum von Juni 2000 bis Juni 2003 betreffe, den Zehn-Jahreszeitraum verlängern müsse.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Zehn-Jahreszeitraum nach § 237 SGB VI umfasse bei dem Kläger die Zeit vom 1. August 1995 bis 31. Juli 2005. Anrechenbare Anrechnungszeiten verlängerten den Zeitraum. Da die Zeit der Arbeitslosigkeit von Juli 2003 bis Juli 2005 zu berücksichtigen sei, ergebe sich eine Verlängerung des Zehn-Jahreszeitraums um 25 Monate, so dass maßgeblicher Zeitraum die Zeit vom 1. Juli 1993 bis 31. Juli 2005 sei. In dieser Zeit lägen indes nur 80 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vor. Die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug könne hingegen nicht berücksichtigt werden, da sie nach § 58 Abs. 2 SGB VI nicht anrechenbar sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 6. Februar 2006 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt. Er vertrat die Auffassung, dass die Zeit seiner Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug von Juni 2000 bis Juni 2003 zu berücksichtigen sei. Ihm müsse im Wege des solidarischen Einstehens untereinander zur Abmilderung der rentenrechtlichen Nachteile aus der unfreiwillig beitragslos gebliebenen Zeit eine Anrechnungszeit gewährt werden.

Nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass seiner Auffassung nach mit Blick auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI eine Gleichstellung von Zeiten des Bezuges von Sozialleistungen, für die nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI Versicherungspflicht bestehe, mit den Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit auch im Rahmen des § 58 Abs. 2 SGB VI erfolgen müsse, vertrat die Beklagte demgegenüber die Auffassung, dass die Gleichstellungsregelung des § 55 Abs. 2 SGB VI nicht im Rahmen der Bewertung von Anrechnungszeiten im Sinne von § 58 Abs. 2 SGB VI angewendet werden könne. Soweit der Kläger Arbeitslosengeld vom 3. Juli 1998 bis 5. Mai 2000 bezogen habe, handele es sich hier nicht um eine versicherte Beschäftigung im Sinne von § 58 Abs. 2 SGB VI.

Durch Gerichtsbescheid vom 14. Juli 2006 verurteilte das Sozialgericht Darmstadt die Beklagte, dem Kläger ab August 2005 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt seien. Der Kläger habe innerhalb der (verlängerten) Rahmenfrist acht Jahre (96 Kalendermonate) mit Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung zurückgelegt.

Unstreitig seien im originären Zehn-Jahreszeitraum vom 1. August 1995 bis 31. Juli 2005 nur Pflichtbeitragszeiten im Umfang von 55 Monaten vorhanden. Dieser Zehn-Jahreszeitraum sei bereits zutreffend von der Beklagten verlängert worden nach § 237 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB VI. Danach sei die Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Klägers, und somit die Zeit vom 14. Juli 2003 bis zum 31. Juli 2005, berücksichtigt worden. Sie umfasse 25 Monate, so dass unstreitig 80 Monate mit Pflichtbeitragszeiten vorlägen.

Darüber hinaus erfülle indes auch die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug ab dem 6. Mai 2000 die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI. Der Kläger sei arbeitslos gemeldet gewesen, Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe einkommensbedingt nicht bestanden. Darüber hinaus liege die Voraussetzung des § 58 Abs. 2 SGB VI vor, wonach Anrechnungszeiten im genannten Sinne nur gegeben seien, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung unterbrochen sei. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt. Der Kläger habe nämlich bis zum 5. Mai 2000 Arbeitslosengeld bezogen. Damit sei er nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI als Sozialleistungsbezieher versicherungspflichtig gewesen. Welche Zeiten als Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung zu gelten hätten, werde durch § 55 Abs. 2 SGB VI definiert. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI stelle den Pflichtbeiträgen dabei und ausnahmslos solche Beiträge gleich, die nach den §§ 3 oder 4 SGB VI tatsächlich gezahlt worden seien. Die Gleichstellungsklausel erfasse über § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI somit auch den Bezug von Entgeltersatzleistungen wie Arbeitslosengeld.

Auch der Sinn und Zweck der §§ 55, 58 SGB VI gebiete keine andere Auslegung. § 55 Abs. 2 SGB VI ziele gerade darauf ab, dem Versicherten die Erfüllung besonderer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen dadurch zu ermöglichen, dass bestimmte Beiträge Pflichtbeiträgen gleichgestellt würden. Es handele sich bei der Vorschrift ihrer Stellung im Gefüge des SGB VI nach um eine generelle, vor die Klammer gezogene Bestimmung, die - soweit nichts anderes bestimmt sei - stets Anwendung finde. Normzweck des § 58 Abs. 2 SGB VI sei es, nur diejenigen Versicherten durch Anrechnung der dort genannten beitragsfreien Zeiten zu begünstigen, die der Solidargemeinschaft der Versicherten durch Zahlung von Pflichtbeiträgen zuvor verbunden waren. Vor diesem Hintergrund sei der originäre Zehn-Jahreszeitraum im Falle des Klägers um insgesamt 62 (25 plus 37 Monate) zu verlängern. Damit weise der Kläger im maßgeblichen Zehn-Jahreszeitraum 117 Monate Pflichtbeiträge auf mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt seien. Gegen den ihr am 19. Juli 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 15. August 2006 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass es sich bei der Zeit von Juni 2000 bis Juni 2003 nicht um einen Verlängerungstatbestand der Anrechnungszeit handele. Das Sozialgericht habe zu Unrecht über § 55 Abs. 2 SGB VI die Zeit des Arbeitslosengeldbezuges von Juli 1998 bis Mai 2000 als "versicherungspflichtige Beschäftigung" gewertet. Dies sei im Rahmen des § 58 Abs. 2 SGB VI indes nicht zulässig. § 55 SGB VI beziehe sich auf die Anzahl von Pflichtbeiträgen zur Erfüllung eines Rentenanspruchs, während über § 58 SGB VI die den Zehn-Jahreszeitraum verlängernde Anrechnungszeit streitig sei. Dass eine Zeit des versicherungspflichtigen Sozialleistungsbezuges keine versicherte Beschäftigung im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI, sondern "nur" ein anschlusswahrender Überbrückungstatbestand sei und somit § 55 Abs. 2 SGB VI nicht in Verbindung mit § 58 Abs. 2 S. 1 SGB VI gesehen werden könne, ergebe sich unter anderem aus BSG-Urteilen vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 26/00 R und 1. Februar 2001 - B 13 RJ 37/00 R.

Die Anwendung der Gleichstellungsregelung des § 55 Abs. 2 SGB VI sei allein schon deshalb bedenklich, weil sie auch dann gelten müsse, wenn es zum Beispiel bei Feststellung einer Regelaltersrente nur um die Anerkennung einer Anrechnungszeit gehe, die sich rentensteigernd auswirken könne, besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen aber nicht zu erfüllen seien. Für die Anerkennung einer Anrechnungszeit könne indes nicht mit zweierlei Maß gemessen werden, je nachdem, worauf sie sich positiv auswirke. Im Übrigen handele es sich bei der vom Sozialgericht geäußerten Auffassung um eine vereinzelte Kommentarmeinung. Es bestünden hingegen durchaus anderweitige Auffassungen. Die Regelung des § 58 Abs. 2 SGB VI nehme ausdrücklich nur dann noch eine Unterbrechung für die Berücksichtigung von bestimmten Anrechnungszeiten an, wenn sich der Anrechnungszeittatbestand an einen versicherten Wehr- oder Zivildienst anschließe. Wäre eine Erweiterung des Unterbrechungsbegriffs auf weitere Versicherungstatbestände der §§ 3 und 4 SGB VI gewollt gewesen, hätte der Gesetzgeber eine solche an dieser Stelle geregelt. Eine Ausdehnung des Unterbrechungsbegriffes des § 58 Abs. 2 SGB VI auf andere versicherte Zeiten sei nur möglich, wenn diese Zeiten generell als eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gelten würden. Eine derartige Fiktion beinhalte das Gesetz indes lediglich in § 247 Abs. 2 SGB VI für die Pflichtbeitragszeiten aufgrund eines Bezuges von Sozialleistungen in der Zeit vom 1. Juli 1978 bis 31. Dezember 1982 (von der Bundesanstalt für Arbeit) bzw. vom 1. Oktober 1974 bis 31. Dezember 1983 (von anderen Sozialleistungsträgern). Für alle anderen Fälle, zum Beispiel bei Versicherungspflicht wegen Kindererziehung, aufgrund des Bezuges von Entgeltersatzleistungen oder Vorruhestandsgeld könne es sich somit nicht um eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne von § 58 Abs. 2 S. 1 SGB VI handeln.

Die Beklagte beantragt,

  • den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Juli 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger sieht seine Auffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten und die Rentenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil kann keinen Bestand haben. Dem Kläger steht Altersrente ab August 2005 nicht zu, da er die Anspruchsvoraussetzungen des § 237 SGB VI nicht erfüllt.

Nach § 237 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie

  1. vor dem 1. Januar 1952 geboren sind,
  2. das 60. Lebensjahr vollendet haben,
  3. entweder a) bei Arbeitsbeginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder b) die Arbeitszeit aufgrund von Altersteilzeit im Sinne von § 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes für mindestens 24 Kalendermonate vermindert haben,
  4. in den letzten 10 Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezuges einer Rente aus eigener Versicherung, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert, und 
  5. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

Entgegen der Auffassung der Sozialgerichtes hat der Kläger die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI nicht erfüllt. Er hat innerhalb der verlängerten Rahmenfrist keine 96 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt.

Unstreitig hat der Kläger im originären Zehn-Jahreszeitraum vom 1. August 1995 bis 31. Juli 2005 lediglich 55 Monate Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen. Darüber hinaus hat sich der Zehn-Jahreszeitraum - was ebenfalls unstreitig ist - nach § 237 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB VI verlängert. Danach werden die nach Vollendung des 58. Lebensjahres liegenden Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit berücksichtigt. Dies hat die Beklagte auch getan insoweit, als sie die Zeit vom 14. Juli 2000 bis zum 31. Juli 2003, und somit 25 Monate, berücksichtigt hat. Damit weist der Kläger indes lediglich 80 Monate mit Pflichtbeitragszeiten auf, nicht indes die geforderten 96 Kalendermonate. Soweit das Sozialgericht einen Verlängerungstatbestand auch in der Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug von Juni 2000 bis Juni 2003 (ergibt in der Summe 37 Monate) gesehen hat, wird diese Auffassung von Seiten des Senates nicht geteilt.

Nach § 237 Abs. 1 Ziff. 4 SGB VI verlängert sich der Zehn-Jahreszeitraum um Anrechnungszeiten, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind. Nach § 58 Abs. 1 Ziff. 3 SGB VI sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben.

Unstreitig erfüllt der Kläger diese Voraussetzung. Denn er war, was sich aus dem Versicherungsverlauf ergibt, arbeitslos ohne Leistungsbezug. § 58 Abs. 2 SGB VI enthält indes die Einschränkung, dass Anrechnungszeiten nach Abs. 1 S. 1 Nr. 3 nur vorliegen, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst ununterbrochen ist. Die streitige Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug hat vorliegend indes keine versicherte Beschäftigung unterbrochen. Denn zuvor hatte der Kläger Arbeitslosengeld bezogen (vom 6. Juli 1998 bis 5. Mai 2000). Diese Zeit kann entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht als gleichgestellte Beitragszeit gewertet werden.

Dies ist indes streitig. Nach der vom Sozialgericht zitierten Kommentarmeinung (Zweng/ Scheerer/Buschmann/Dörr RV II SGB VI § 58 Rz.155) sind Zeiten des Bezuges von Sozialleistungen, für die nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI Versicherungspflicht besteht, "eine versicherte Beschäftigung" im Sinne von § 58 Abs. 2 SGB VI. Dies wird damit begründet, dass § 247 Abs. 2 SGB VI ausdrücklich bestimme, Pflichtbeiträge aufgrund einer versicherten Beschäftigung seien auch Zeiten, in denen die Bundesanstalt für Arbeit in der Zeit vom 1. Juli 1978 bis 31. Dezember 1982 oder ein anderer Leistungsträger in der Zeit vom 1. Oktober 1974 bis 31. Dezember 1983 wegen des Bezugs von Sozialleistungen Pflichtbeiträge gezahlt habe. Die amtliche Gesetzesbegründung führe dazu aus, dass diese Regelung dem geltenden Recht entspreche. Diese Aussage beruhe wohl darauf, dass die Praxis der Rentenversicherungsträger die betreffenden Zeiten - entgegen dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften - einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt hätten. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber diese Praxis für die Vergangenheit zwar habe legitimieren, für die Zukunft aber eine einschränkende Regelung einführen wollen. Die ausdrückliche Regelung für die Vergangenheit dürfe vielmehr darauf zurückzuführen sein, dass die Gleichstellung für die Zukunft als selbstverständlich angesehen worden sei.

Dem stehen indes diverse Kommentarmeinungen - teils ohne Begründung - entgegen (Eicher/Haase/Rauschenbach § 58 SGB VI Rz. 12 a; GK - SGB VI - Försterling § 58 SGB VI Rz. 566; Kreikebohm/v.Koch/Krauß in Schulin HS-RV § 30 Rz. 206; Hauck-Klattenhoff § 58 SGB VI Rz. 167). Soweit bestimmte Sachverhalte einer versicherten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit aufgrund von Gleichstellungsregelungen außerhalb des Anrechnungszeitenrechts gleichgestellt seien, "schlage" dies auf die Anwendung von § 58 Abs. 2 SGB VI durch, wie etwa § 247 Abs. 2 SGB VI. Zeiten wegen des Bezuges einer Sozialleistung genügten den Anforderungen des § 58 Abs. 2 SGB VI hingegen nicht. Dies ergebe sich aus Wortlaut und Systematik (vgl. Hauck-Klattenhoff, a.a.O.; Verb.-Komm. § 58 SGB VI Rz. 11.2). Soweit § 55 Abs. 2 SGB VI Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 SGB VI genannten Gründen Beiträge gezahlt worden seien, den Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gleich stellten, sei mit dieser Regelung wörtlich die Vorschrift des § 38 S. 2 SGB VI übernommen worden, die zum 1. Januar 1996 durch das SGB VI-Änderungsgesetz vom 15. Dezember 1995 eingeführt und zum 1. Januar 2000 durch das RRG 1999 aufgehoben worden sei. Die Regelung des § 38 S. 2 SGB VI sei deshalb erforderlich geworden, weil das SGB VI-Änderungsgesetz in den §§ 38, 39, 43, 44 SGB VI jeweils die Anspruchsvoraussetzung "Pflichtbeitragszeiten" durch das Erfordernis "Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" ersetzt habe. Diese Änderung habe sicherstellen sollen, dass die in verschiedenen Staaten der EU (zum Beispiel in den Niederlanden oder in Dänemark) zurückgelegten - als Pflichtbeitragszeiten zu berücksichtigenden reinen Wohnzeiten für die Anspruchsvoraussetzungen nach den §§ 38, 39, 43, 44 SGB VI nicht mitzählten. Damit sich jedoch im Übrigen gegenüber der Rechtslage vor dem 1. Januar 1996 keine Einschränkung ergebe, sei zugleich die Gleichstellungsregelung des § 38 S. 2 SGB VI eingeführt worden, auf die in den §§ 39, 43 und 44 in der Fassung des SGB VI-Änderungsgesetzes ausdrücklich verwiesen worden sei. § 58 SGB VI sei durch das SGB VI- Änderungsgesetz hingegen nicht geändert worden. Sowohl aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 SGB VI (der die betreffenden Zeiten nur für die Anspruchsvoraussetzungen einer Rente den Zeiten einer versicherten Beschäftigung gleichstelle) als auch aus der Entstehungsgeschichte und aus Sinn und Zweck von § 38 S. 2, § 55 Abs. 2 SGB VI ergebe sich somit, dass die Gleichstellungsvorschrift des § 55 Abs. 2 SGB VI nicht für § 58 Abs. 2 SGB VI gelte (Verb.-Komm, a.a.O.).

Der Senat schließt sich der vorgenannten Auffassung an. Nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 2 SGB VI reicht es nicht aus, dass bestimmte Zeiten Pflichtbeitragszeiten sind oder als solche gelten. Vielmehr ist gefordert, dass ein Pflichtbeitrag für eine "versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" entrichtet worden ist. Dies ist bei dem Bezug einer Sozialleistung indes nicht der Fall. Dabei kann die Auffassung, dass § 55 Abs. 2 SGB VI eine vor die Klammer gezogene Bestimmung sei, die somit auch für § 58 Abs. 2 SGB VI gelte, von der Gesetzessystematik her nicht überzeugen. Vielmehr regelt das Zweite Kapitel, Zweiter Abschnitt, Zweiter Unterabschnitt, Fünfter Titel des SGB VI die so genannten "rentenrechtlichen Zeiten". Dazu gehören - ohne Rangstellung - die Beitragszeiten nach § 55 SGB VI und die Anrechnungszeiten nach § 58 SGB VI. Warum die in § 55 vorgenommene Gleichstellung im Hinblick auf Beitragszeiten auch bei der Frage der Anrechnungszeiten relevant sein soll, ergibt sich aus der Gesetzessystematik so nicht.

Darüber hinaus stellt § 55 Abs. 2 SGB VI die betreffenden Zeiten nur für die "Anspruchsvoraussetzungen" einer Rente gleich. Vorliegend geht es indes um die Verlängerung des Zehn-Jahreszeitraumes durch Anrechnungszeiten im Rahmen der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI. Vor dem Hintergrund der insoweit unterschiedlichen Regelungsgegenstände ist nicht erkennbar, mit welcher Begründung § 55 Abs. 2 SGB VI auf § 58 Abs. 2 SGB VI anwendbar sein sollte. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass, was § 247 Abs. 2 SGB VI für die Vergangenheit bestimme, auch für die Zukunft gelten solle (Zweng/Scherer, a.a.O.). Vielmehr hätte es dann einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft.

Der Gesetzgeber hat vielmehr im Rahmen des § 55 Abs. 2 SGB VI Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit Pflichtbeiträge, für die aus den in §§ 3, 4 SGB VI genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind, gleichgestellt, somit beispielsweise auch die Zeit der Versicherungspflicht wegen des Ableistens von Wehr- oder Zivildienst (§ 3 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Im Anrechnungszeitenrecht des § 58 SGB VI werden hingegen Zeiten der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI nur als Anrechnungszeiten anerkannt, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehr- oder Zivildienst unterbrochen ist. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass im Rahmen des § 58 Abs. 2 SGB VI die Gleichstellungsregel des § 55 Abs. 2 SGB VI gelten solle, hätte es der ausdrücklichen Erwähnung der versicherungspflichtigen Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes nicht bedurft.

Letztlich ist auch auf die Entstehungsgeschichte des § 55 Abs. 2 SGB VI zu verweisen. Auf die insoweit bereits zitierte Kommentarliteratur wird Bezug genommen. Dem Kläger ist zwar zuzugestehen, dass die notwendigen 96 Monate mit Pflichtbeiträgen nur deshalb nicht erreicht werden, weil er bei Arbeitslosigkeit nur deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte, da das nach §§ 193, 194 SGB III zu berücksichtigende Einkommen bzw. Vermögen zu fehlender wirtschaftlicher Bedürftigkeit im Sinne von § 190 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 193 SGB III geführt hat. Hätte er Arbeitslosenhilfe bezogen, wäre er nach § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung geblieben und hätte die noch notwendigen Pflichtbeitragsmonate erfüllt. Hierbei handelt es sich indes um eine rein arbeitslosenhilferechtliche Regelung, die Folgewirkungen im Rentenrecht zeitigt. Dies kann indes nicht dazu führen, die Regelung über die Anrechnungszeit im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung entgegen seinem Wortlaut auszulegen. Dass für den Kläger während der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug Pflichtbeiträge nicht entrichtet wurden, betrifft nicht die zur Prüfung stehende rentenrechtliche Frage, sondern allein die Vorschriften des SGB III über das Herausfallen aus dem Leistungsbezug bei entsprechendem Einkommen/Vermögen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Januar 2004, L 8 RA 62/03).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und diesbezüglich bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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