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Landessozialgericht Hessen 20.07.2007, L 5 R 250/06 

  • Aktenzeichen: L 5 R 250/06
  • Spruchkörper: 5. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 6 R 56/06
  • Instanzgericht: Sozialgericht Darmstadt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 20.07.2007
  • Normen: SGB VI § 237 Abs. 1, SGB VI § 55 Abs. 2, SGB VI § 58 Abs. 2

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Der 1945 geborene Kläger war in Deutschland bis einschließlich Juni 1995 versicherungspflichtig beschäftigt. Im Weiteren ergibt sich folgender - zwischen den Beteiligten unstreitiger - Versicherungsverlauf:

  • ????.. - 0.06.1995 letzte versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland
  • 1.07.1995 - 23.07.1995 Pflichtbeiträge wegen Arbeitsunfähigkeit
  • 24.07.1995 - 18.11.1995 Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit
  • 20.11.1995 - 31.03.1998 Beschäftigung in Türkei
  • 01.04.1998 - 05.07.1998 LÜCKE
  • 06.07.1998 - 05.05.2000 Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit
  • 06.05.2000 - 31.12.2005 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug (vorgemerkt)

Die im Versicherungsverlauf enthaltene Lücke von April bis Juli 1998 resultiert nach den eigenen Angaben des Klägers daraus, dass er nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses in der Türkei dort weiterhin um einen Arbeitsplatz bemüht war und erst nach Scheitern seiner Arbeitsplatzbemühungen nach Deutschland zurückgekehrt ist. Die Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug seit Mai 2000 resultiert daraus, dass dem Kläger keine Arbeitslosenhilfe zustand im Hinblick auf vorhandenes Einkommen/Vermögen.

Im Januar 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. November 2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass in dem maßgebenden (verlängerten) Zehn-Jahreszeitraum vom 1. Juli 1993 bis 31. Juli 2005 statt der erforderlichen 96 Kalendermonate nur insgesamt 80 Monate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachgewiesen seien.

Dem widersprach der Kläger mit der Begründung, dass die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, soweit sie den Zeitraum von Juni 2000 bis Juni 2003 betreffe, den Zehn-Jahreszeitraum verlängern müsse.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Zehn-Jahreszeitraum nach § 237 SGB VI umfasse bei dem Kläger die Zeit vom 1. August 1995 bis 31. Juli 2005. Anrechenbare Anrechnungszeiten verlängerten den Zeitraum. Da die Zeit der Arbeitslosigkeit von Juli 2003 bis Juli 2005 zu berücksichtigen sei, ergebe sich eine Verlängerung des Zehn-Jahreszeitraums um 25 Monate, so dass maßgeblicher Zeitraum die Zeit vom 1. Juli 1993 bis 31. Juli 2005 sei. In dieser Zeit lägen indes nur 80 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vor. Die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug könne hingegen nicht berücksichtigt werden, da sie nach § 58 Abs. 2 SGB VI nicht anrechenbar sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 6. Februar 2006 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt. Er vertrat die Auffassung, dass die Zeit seiner Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug von Juni 2000 bis Juni 2003 zu berücksichtigen sei. Ihm müsse im Wege des solidarischen Einstehens untereinander zur Abmilderung der rentenrechtlichen Nachteile aus der unfreiwillig beitragslos gebliebenen Zeit eine Anrechnungszeit gewährt werden.

Nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass seiner Auffassung nach mit Blick auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI eine Gleichstellung von Zeiten des Bezuges von Sozialleistungen, für die nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI Versicherungspflicht bestehe, mit den Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit auch im Rahmen des § 58 Abs. 2 SGB VI erfolgen müsse, vertrat die Beklagte demgegenüber die Auffassung, dass die Gleichstellungsregelung des § 55 Abs. 2 SGB VI nicht im Rahmen der Bewertung von Anrechnungszeiten im Sinne von § 58 Abs. 2 SGB VI angewendet werden könne. Soweit der Kläger Arbeitslosengeld vom 3. Juli 1998 bis 5. Mai 2000 bezogen habe, handele es sich hier nicht um eine versicherte Beschäftigung im Sinne von § 58 Abs. 2 SGB VI.

Durch Gerichtsbescheid vom 14. Juli 2006 verurteilte das Sozialgericht Darmstadt die Beklagte, dem Kläger ab August 2005 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt seien. Der Kläger habe innerhalb der (verlängerten) Rahmenfrist acht Jahre (96 Kalendermonate) mit Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung zurückgelegt.

Unstreitig seien im originären Zehn-Jahreszeitraum vom 1. August 1995 bis 31. Juli 2005 nur Pflichtbeitragszeiten im Umfang von 55 Monaten vorhanden. Dieser Zehn-Jahreszeitraum sei bereits zutreffend von der Beklagten verlängert worden nach § 237 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB VI. Danach sei die Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Klägers, und somit die Zeit vom 14. Juli 2003 bis zum 31. Juli 2005, berücksichtigt worden. Sie umfasse 25 Monate, so dass unstreitig 80 Monate mit Pflichtbeitragszeiten vorlägen.

Darüber hinaus erfülle indes auch die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug ab dem 6. Mai 2000 die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI. Der Kläger sei arbeitslos gemeldet gewesen, Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe einkommensbedingt nicht bestanden. Darüber hinaus liege die Voraussetzung des § 58 Abs. 2 SGB VI vor, wonach Anrechnungszeiten im genannten Sinne nur gegeben seien, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung unterbrochen sei. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt. Der Kläger habe nämlich bis zum 5. Mai 2000 Arbeitslosengeld bezogen. Damit sei er nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI als Sozialleistungsbezieher versicherungspflichtig gewesen. Welche Zeiten als Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung zu gelten hätten, werde durch § 55 Abs. 2 SGB VI definiert. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI stelle den Pflichtbeiträgen dabei und ausnahmslos solche Beiträge gleich, die nach den §§ 3 oder 4 SGB VI tatsächlich gezahlt worden seien. Die Gleichstellungsklausel erfasse über § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI somit auch den Bezug von Entgeltersatzleistungen wie Arbeitslosengeld.

Auch der Sinn und Zweck der §§ 55, 58 SGB VI gebiete keine andere Auslegung. § 55 Abs. 2 SGB VI ziele gerade darauf ab, dem Versicherten die Erfüllung besonderer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen dadurch zu ermöglichen, dass bestimmte Beiträge Pflichtbeiträgen gleichgestellt würden. Es handele sich bei der Vorschrift ihrer Stellung im Gefüge des SGB VI nach um eine generelle, vor die Klammer gezogene Bestimmung, die - soweit nichts anderes bestimmt sei - stets Anwendung finde. Normzweck des § 58 Abs. 2 SGB VI sei es, nur diejenigen Versicherten durch Anrechnung der dort genannten beitragsfreien Zeiten zu begünstigen, die der Solidargemeinschaft der Versicherten durch Zahlung von Pflichtbeiträgen zuvor verbunden waren. Vor diesem Hintergrund sei der originäre Zehn-Jahreszeitraum im Falle des Klägers um insgesamt 62 (25 plus 37 Monate) zu verlängern. Damit weise der Kläger im maßgeblichen Zehn-Jahreszeitraum 117 Monate Pflichtbeiträge auf mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt seien. Gegen den ihr am 19. Juli 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 15. August 2006 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass es sich bei der Zeit von Juni 2000 bis Juni 2003 nicht um einen Verlängerungstatbestand der Anrechnungszeit handele. Das Sozialgericht habe zu Unrecht über § 55 Abs. 2 SGB VI die Zeit des Arbeitslosengeldbezuges von Juli 1998 bis Mai 2000 als "versicherungspflichtige Beschäftigung" gewertet. Dies sei im Rahmen des § 58 Abs. 2 SGB VI indes nicht zulässig. § 55 SGB VI beziehe sich auf die Anzahl von Pflichtbeiträgen zur Erfüllung eines Rentenanspruchs, während über § 58 SGB VI die den Zehn-Jahreszeitraum verlängernde Anrechnungszeit streitig sei. Dass eine Zeit des versicherungspflichtigen Sozialleistungsbezuges keine versicherte Beschäftigung im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI, sondern "nur" ein anschlusswahrender Überbrückungstatbestand sei und somit § 55 Abs. 2 SGB VI nicht in Verbindung mit § 58 Abs. 2 S. 1 SGB VI gesehen werden könne, ergebe sich unter anderem aus BSG-Urteilen vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 26/00 R und 1. Februar 2001 - B 13 RJ 37/00 R.

Die Anwendung der Gleichstellungsregelung des § 55 Abs. 2 SGB VI sei allein schon deshalb bedenklich, weil sie auch dann gelten müsse, wenn es zum Beispiel bei Feststellung einer Regelaltersrente nur um die Anerkennung einer Anrechnungszeit gehe, die sich rentensteigernd auswirken könne, besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen aber nicht zu erfüllen seien. Für die Anerkennung einer Anrechnungszeit könne indes nicht mit zweierlei Maß gemessen werden, je nachdem, worauf sie sich positiv auswirke. Im Übrigen handele es sich bei der vom Sozialgericht geäußerten Auffassung um eine vereinzelte Kommentarmeinung. Es bestünden hingegen durchaus anderweitige Auffassungen. Die Regelung des § 58 Abs. 2 SGB VI nehme ausdrücklich nur dann noch eine Unterbrechung für die Berücksichtigung von bestimmten Anrechnungszeiten an, wenn sich der Anrechnungszeittatbestand an einen versicherten Wehr- oder Zivildienst anschließe. Wäre eine Erweiterung des Unterbrechungsbegriffs auf weitere Versicherungstatbestände der §§ 3 und 4 SGB VI gewollt gewesen, hätte der Gesetzgeber eine solche an dieser Stelle geregelt. Eine Ausdehnung des Unterbrechungsbegriffes des § 58 Abs. 2 SGB VI auf andere versicherte Zeiten sei nur möglich, wenn diese Zeiten generell als eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gelten würden. Eine derartige Fiktion beinhalte das Gesetz indes lediglich in § 247 Abs. 2 SGB VI für die Pflichtbeitragszeiten aufgrund eines Bezuges von Sozialleistungen in der Zeit vom 1. Juli 1978 bis 31. Dezember 1982 (von der Bundesanstalt für Arbeit) bzw. vom 1. Oktober 1974 bis 31. Dezember 1983 (von anderen Sozialleistungsträgern). Für alle anderen Fälle, zum Beispiel bei Versicherungspflicht wegen Kindererziehung, aufgrund des Bezuges von Entgeltersatzleistungen oder Vorruhestandsgeld könne es sich somit nicht um eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne von § 58 Abs. 2 S. 1 SGB VI handeln.

Die Beklagte beantragt,

  • den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Juli 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger sieht seine Auffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten und die Rentenakte der Beklagten Bezug genommen.

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