Landessozialgericht Hessen 11.08.2016, L 1 KR 25/15
- Aktenzeichen: L 1 KR 25/15
- Spruchkörper: 1. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 9 KR 401/13
- Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 11.08.2016
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Krankengeld (auch) für die Zeit vom 19. November 2013 bis zum 28. Dezember 2013 zusteht.
Der 1951 geborene Kläger war bei der Firma C. GmbH & Co. KG Textilveredelung in A Stadt als LKW-Fahrer tätig, bevor er am 1. Juli 2012 aufgrund eines Stammganglieninfarkts links (Hirninfarkt) arbeitsunfähig erkrankte. Vom 1. Juli 2012 bis zum 11. Juli 2012 befand sich der Kläger zur stationären Behandlung im Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Am 5. Juli 2012 beantragte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen eine Anschlussrehabilitation, den diese mit Bescheid vom 12. Juli 2012 wegen mangelnder Rehabilitationsfähigkeit ablehnte und den Rehabilitationsantrag des Klägers gemäß § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) an die Beklagte weiterleitete. Die Beklagte lehnte gegenüber dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 16. Juli 2012 eine stationäre Anschlussrehabilitation wegen der Möglichkeit ambulanter Behandlungsmaßnahmen ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 22. Juli 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger sodann nach der Einholung einer Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 23. August 2012 mit Bescheid vom 6. September 2012 eine neurologische Anschlussrehabilitation in der Neurologischen Klinik Asklepios in Bad Salzhausen vom 10. September 2012 bis zum 5. Oktober 2012. Im Rahmen des Abschlussberichts aus der Asklepiosklinik vom 15. Oktober 2012, Dres. D., E., F., wurde unter anderem vermerkt, dass der Kläger seine berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer auf Dauer nicht mehr ausüben könne. Der MDK bestätigte mit Gutachten vom 4. Dezember 2012, Dr. G., die Arbeitsunfähigkeit des Klägers für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf Dauer. Aufgrund der Angaben im Entlassungsbericht aus der Anschlussrehabilitation könne auch ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht abgeleitet werden. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, bei dem Rentenversicherungsträger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme bis zum 28. Februar 2013 zu beantragen, um ein Entfallen des Anspruchs auf Krankengeld nach den gesetzlichen Bestimmungen zu vermeiden. Alternativ bestehe auch die Möglichkeit, einen Rentenantrag zu stellen. Am 18. Februar 2013 stellte der Kläger nach einem Beratungsgespräch mit einem Vertreter der Beklagten am 20. Dezember 2012 bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Mit Schreiben vom 4. April 2013 wies die Deutsche Rentenversicherung Hessen den Kläger darauf hin, dass sein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe vom Juli 2012 als Antrag auf Rente gelte, wenn er vermindert erwerbsfähig sei und eine erfolgreiche Rehabilitation nicht zu erwarten oder Leistungen zur Teilhabe nicht erfolgreich gewesen seien, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert hätten. Der ärztliche Dienst habe festgestellt, dass bei dem Kläger ein Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich nicht mehr vorhanden sei. Um das Rentenverfahren durchführen zu können, werde der Kläger gebeten, ein Rentenantragsformular mit den erforderlichen Anlagen auszufüllen. Mit Bescheid vom 5. April 2013 lehnte die Deutsche Rentenversicherung Hessen den Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wegen mangelnder Rehabilitationsfähigkeit des Klägers ab, wogegen dieser am 12. April 2013 mit der Begründung Widerspruch erhob, dass seine behandelnden Ärzte durchaus der Auffassung seien, dass seine Erwerbsfähigkeit mit der Durchführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation wiederherzustellen sei und zur Bestätigung seines Vorbringens ärztliche Unterlagen einreichte. Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Hessen vom 27. August 2013 erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Gießen (Az.: S 8 R 391/13).
Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 22. April 2013 auf, bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen spätestens bis zum 15. Mai 2013 einen (formellen) Rentenantrag zu stellen. Mit Bescheid vom 27. September 2013 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Höchstbezugsdauer für die Zahlung von Krankengeld für ihn am 28. Dezember 2013 ende. Gleichfalls mit Bescheid vom 27. September 2013 forderte die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf seine Mitwirkungsverpflichtungen gemäß §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) erneut dazu auf, einen formellen Rentenantrag bis zum 18. Oktober 2013 bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen zu stellen. Sollte ein Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente nicht innerhalb der genannten Frist gestellt werden, könne eine weitere Krankengeldzahlung nicht erfolgen. Bei festgestellter Erwerbsminderung entfalle der Anspruch auf Krankengeld und werde durch den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente ersetzt. Den hiergegen von dem Kläger mit Schreiben vom 8. Oktober 2013 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 14. November 2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20. November 2013 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass er durch die Beklagte keinesfalls rechtsverbindlich dazu aufgefordert werden könne, einen Rentenantrag zu stellen. Zudem liege ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 20. Dezember 2013 vor, das ihm ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiere. Zur Bestätigung seines Vorbringens hat der Kläger das Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 20. Dezember 2013 vorgelegt. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass der Kläger nach übereinstimmender Auffassung des MDK und des ärztlichen Dienstes der Rentenversicherung vermindert erwerbsfähig sei und deshalb die Zuständigkeit der Rentenversicherung und nicht der Beklagten für eine Leistungsgewährung gegeben sei, festgehalten. Das Sozialgericht hat die Akte des vor dem Sozialgericht Gießen anhängigen Verfahrens auf die Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gegen die Deutsche Rentenversicherung Hessen (Az.: S 8 R 391/13) beigezogen und auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2014 den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2013 und den Widerspruchsbescheid vom 14. November 2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten. Die Voraussetzungen für die Zahlung von Krankengeld in der Zeit vom 18. November 2013 bis einschließlich 28. Dezember 2013 seien erfüllt, da der Kläger aufgrund der Tatsache, dass er seinen Beruf als LKW-Fahrer aufgrund seiner Erkrankung unstreitig nicht mehr habe ausüben können, arbeitsunfähig gewesen sei. Der Anspruch auf Krankengeld habe auch erst am 28. Dezember 2013 geendet, da der Kläger erst dann im Sinne der gesetzlichen Vorschriften für 78 Wochen Krankengeld bezogen habe. Die Beklagte habe die Zahlung von Krankengeld eingestellt, obwohl es dafür keine Rechtsgrundlage gegeben habe. So habe der Kläger bereits am 18. Februar 2013 einen Antrag auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme beim zuständigen Rentenversicherungsträger gestellt, womit er seiner Verpflichtung nach § 51 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) entsprochen habe. § 51 SGB V berechtige die Beklagte nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht, den Versicherten zur Stellung eines Rentenantrags aufzufordern. Hierfür bestehe auch aufgrund der Regelung des § 116 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) keine Notwendigkeit. Außerdem hätte dem Versicherten eine Frist von zehn Wochen zur Stellung des Antrags gesetzt werden müssen, was vorliegend nicht geschehen sei (Aufforderung zur Rentenantragstellung im Schreiben vom 27. September 2013 bis zum 18. Oktober 2013). Weitere Rechtsgrundlagen für eine Einstellung der Krankengeldzahlung seien nicht ersichtlich.
Gegen das der Beklagten am 2. Januar 2015 zugestellte Urteil hat diese am 13. Januar 2015 Berufung bei dem Sozialgericht Gießen zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist die Beklagte darauf hin, dass der Kläger zwar der Aufforderung der Beklagten zur Stellung eines Antrages auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen nachgekommen sei. Dieser Antrag habe jedoch nicht den Anforderungen des § 51 Abs. 1 SGB V genügt. Die Norm setze voraus, dass der Antrag ohne Einschränkung gestellt werde und vom Rentenversicherungsträger bearbeitet werden könne. Ein Antrag, der nur "rein fürsorglich" gestellt und sofort mit Rechtsmitteln angegriffen werde, genüge diesen Anforderungen nicht. Es liege auf der Hand, dass nur ein Rehabilitationsantrag, der Teilhabeleistungen auslösen könne, dem Zweck der Norm genügen könne, nicht aber ein Antrag, über den der Rentenversicherungsträger gar nicht oder mangels Mitwirkung des Klägers ablehnend entscheiden müsse. Aus dem von Seiten des Klägers eingelegten Rechtsmittel gegen die Rentenantragsfiktion des § 116 SGB VI werde deutlich, dass von Seiten des Klägers versucht werde, die Rechtsfolge des § 51 Abs. 3 SGB V zu vermeiden. Es liege nicht in der Hand des Klägers, nach seinem Belieben die gesetzliche Risikoverteilung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und gesetzlicher Rentenversicherung zu verschieben. § 51 SGB V könne seinen Zweck nicht mehr erfüllen, obläge es dem Kläger durch einen zunächst fristwahrenden Antrag und sodann nachfolgend durch Rechtsmittel die gesetzliche Risikozuordnung zu umgehen. Der Beklagten sei deshalb allein die Möglichkeit verblieben, das Krankengeld zu versagen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. November 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.